Montag, 30. Mai 2016

Udorallala: Top Songs 4/?

Im Dudel-Radio spielen sie gerne die Hits der 70er oder 80er, doch „meine“ Hits sind da nie dabei. In loser Folge schreibe ich deshalb über einzelne Songs und warum sie so wichtig, bahnbrechend oder anders wie bedeutend sind. Für mich, für Dich, für uns alle.
Ding Dong – That`s my Song!

Ton Steine Scherben – Ich will nicht werden was mein Alter ist

Die Meinungen gehen ja auseinander, wer zuerst Rockmusik mit deutschen Texten gemacht hat. Generell wird Udo Lindenberg so verkauft, immerhin war er noch vor Marius Müller Westernhagen am Start, aber nun wirklich nicht der Erste. Und Althippies wissen natürlich, dass „Ihre Kinder“ aus Nürnberg schon Ende der 60er am Start waren. Aber Rockmusik? Ne, Leute. Also wirklich.
Ist natürlich alles Blödsinn, denn 1971 brachten Ton Steine Scherben im Eigenverlag ihre erste LP auf den Markt. „Ich will nicht werden was mein Alter ist“ eröffnet diese geniale Scheibe, die so gesehen eigentlich 10 Jahre zu früh rauskam.
„Aber ich will nicht werden, was mein Alter ist. Nee!
Ich will nicht werden, was mein Alter ist.
Ich möchte aufhören und pfeifen auf das Scheißgeld.
Ich weiß, wenn das so weitergeht, bin ich fertig mit der Welt.“
Der Streit mit dem Vater, der seinen Sohn nicht versteht und ihn für einen Taugenichts hält, ist bekanntlich schon seit den 50er Jahren Grundbestandteil dieser Jugendkultur, war aber in dieser Direktheit in deutscher Sprache zuvor nie besungen worden.
Die LP erschien bei der „David Volksmund Produktion“, so der Eigenname des Labels der Scherben, im September 1971. Ein Blick in die Historie offenbart den damaligen Musikgeschmack. Auf Platz 1 in Deutschland im September 1971 finden wir „CoCo“ von Sweet; immerhin. Aber gleich danach kommt „Butterfly“ von Daniel Gerard. Tony Marshall mit „Schöne Maid“ oder auch Bruce Low mit „Noah“ waren zu der Zeit ebenfalls vorne in den Hitlisten notiert.
Und selbstverständlich „Schön ist es auf der Welt zu sein“ von Roy Black und Anita. Was für ein krasser Gegensatz zu den Scherben, die seinerzeit selbstverständlich im Radio nicht gespielt werden durften, vom Fernsehen ganz zu schweigen. Das lässt mich ja schon fast an die Sex Pistols 5 Jahre später denken.
Und dann dieser Hammersong. Mit dem bis heute unerreichten lakonischen Gesang von Rio Reiser, der einzelne Silben fast verschluckt. Mal lauter, mal leiser arbeitet er sich in 2 Strophen ab. Viele Wörter sind akustisch nur zu erahnen, aber die Botschaft kommt gerade deshalb umso mehr rüber und trifft den Nerv der damaligen Zeit genau, auch wenn ein Text in deutscher Sprache für die meisten Kids seinerzeit nicht annehmbar war. Da würde der „Alte“ doch gleich wieder zur Backpfeife ausholen…
Der leicht rumpelnde, aber doch straighte Hintergrund treibt den Song im Boogie Rhythmus an. Diese Aufnahme wurde, wie übrigens die gesamte erste Seite der LP, live eingespielt. Diese Aufnahmen entstanden im Juni 1971 anlässlich eines Gigs bei leerstehenden Häusern auf dem Kreuzberger Mariannenplatz, die eigentlich zum Abriss freigegeben waren.
Im Anschluss an die Veranstaltung kam es zu einer der ersten Hausbesetzungen in Berlin. Nicht nur deshalb waren die Scherben in den Folgejahren eng mit der Hausbesetzerszene verbunden, sie gehörten sowieso schon der Szene an. In der Folge wurde die Band permanent genötigt, beinahe auf jeder Veranstaltung von Hausbesetzern quasi als Hausband zu spielen.
Nach der LP „Keine Macht für Niemand“, die dem Erstling in nichts nachsteht, zog sich die Band 1975 in eine Landkommune nach Schleswig-Holstein zurück. Die nächsten Platten zeigten einen ruhigeren Stil, nicht mehr die rohe Kraft der ersten 2 Alben. Schließlich löste sich die Band 1985 auf. Die Schuldenlast war hoch, untereinander waren sie über die Jahre sehr zerstritten.
„König von Deutschland“ war in den 80ern ein Riesenhit für Rio Reiser, der es bis zu seinem Tod 1996 auf 6 Soloscheiben brachte. Diesen Song wiederum kennt heute noch jeder. Kein Problem, bei den Malle Parties kann den die ganze Halle mitgröhlen.
Leider, leider sind die frühen Songs der Scherben mehr und mehr in Vergessenheit geraten, während Udo Lindenberg oder auch Westernhagen nach wie vor ein gutes Renommee als „Erfinder“ deutschsprachiger Rockmusik genießen. Unverdient, wenn ihr mich fragt.
Eins noch: Sicherlich ist „Macht kaputt was Euch kaputt macht“, ebenfalls von der Debüt LP und erste Single 1970, der bekanntere Song und Hymne alternativ denkender Menschen bis heute. Insofern bedeutungsvoller als meine Auswahl. Aber „Ich will nicht werden...“ ist der rundere Song und rockt einfach. Bei „Macht kaputt“ funktioniert eher der Text, nicht die Musik als Ganzes.

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