Sonntag, 28. April 2019

Uncle Fester: grad gelesen April 2019


Jason M. Hough - Exodus Towers - Die letzten der Erde (Band 2)
Sehr lange habe ich auf die Fortsetzung dieser interessanten Triologie warten müssen, doch es hat sich gelohnt. Band 1 endete mit der Flucht von Skyler Luiken und seiner Tania mit dem äußersten Habitat des Weltraumlifts in Darwin zum neuen Lift nach Belem in Brasilien (siehe Uncle Fester: grad gelesen Mai 2017).
Dank mehrerer Handlungsstränge bringt Hough den Leser erst einmal auf den neuesten Stand. In Darwin City hat Blackwell die Station im Orbit im Griff; Alex Warthen spielt im zweiten Band keine Rolle mehr. Nur als er - mal wieder - seinem Chef am Ende in den Rücken fällt. Er verrät Blackwell und ermöglicht dem Slumlord Grillo die Machtübernahme.
Dieser stets im Anzug auftretende Buchhaltertyp ist bekennender Jakobiter und räumt nach und nach mit seiner Sekte das Chaos der einzelnen kleinen Banden am Boden auf. Von Blackwell ausdrücklich dazu ermächtigt, organisiert er sogar den Aufbau und die Hege kleiner Plantagen. Am Ende übernimmt er auch die Station im All, so dass Blackwell kleinmütig mit einer Station nach Belem zu Tania fliehen muss, wo er arrestiert wird.
Samantha, ehemaliges Teammitglied von Skyler, kann ganz am Anfang des Buches aus der Gefangenschaft bei Blackwell fliehen und arbeitet für Grillo. Sie organisiert mit ihrer Fliegerstaffel benötigte Technologie und andere Gegenstände aus den Outlands, die von den „Subhumanen“ beherrscht wird. Nur Immune wie Samantha können sich dort ohne Schutz bewegen, normale Menschen werden dort andernfalls ebenfalls zu Zombies.
Samantha liebt Kelly, die ehemalige Leibwächterin von Neil Platz. Die jedoch spielt eine Rolle als Nonne der Jakobiter und hat wohl eigene Pläne; welche, werden wir wohl erst im dritten Band erfahren. Oder nie, was mich enttäuschen würde. Ich habe mich bei diesem Band schon ein bisschen gewundert, dass Warthen und Kelly hier keine Rolle spielen.
Neu dabei sind Davi und Ana. Skyler trifft die jungen Geschwister bei einem Streifzug durch die Umgebung von Belem. Die jungen Immunen konnten vom irren Bandenführer Gabriel fliehen, der im Laufe der Jahre in Südamerika Immune um sich gescharrt hat und unwillige Immune, die nicht in seiner Sekte mitmachen wollen, mit Subhumanen zur Fortpflanzung zwingt.
Gabriel und seine Bande kann sogar das Lager von Tania in Belem besetzen und hätte alle Überlebenden in Belem versklavt, wenn nicht Skyler und von ihm und Ana gerettete Immune ihn gestoppt und getötet hätten. Nachdem die Romanhandlung, die sich bislang fast ausschließlich um Gabriel drehte, mit dessen Tod und der Befreiung Belems einen vorläufigen Höhepunkt erreicht hat, könnte der Roman eigentlich auch schon enden.
Doch weitgefehlt. Die mobilen Türme hauen in 4 Richtungen ab, nachdem einer während der Befreiung von Belem beschädigt wurde. Mit Davi stirbt schon wieder eine der Hauptpersonen und Tania trennt sich von Skyler, weil er ihr eine Szene gemacht und sie der Lüge bezichtigt hatte, da sie ihn (nur zum Schein) an Blackwell verraten hätte.
Skyler tröstet sich mit Ana und hat mit ihr sowie mit Vanessa und Pablo ein neues Team um sich gescharrt. Trotzdem geht die Zusammenarbeit mit Tania weiter. Aber zunächst sucht Skyler mit seinem Team nach dem Verbleib einer Gruppe der Türme und wird in Irland fündig. Die Türme sind zu einem Beiboot der Aliens gewandert.
Und nachdem Skyler und sein Team die dank Alientechnologie verstärkten Subhumanen mit Müh und Not abgeschlachtet haben, finden sie ein Artefakt, welches wie eine Sanduhr aussieht. Wieder zurück in Belem, fliegen Skyler und Tania zu einem lang erwarteten und nunmehr eingetroffenen Raumschiff der Aliens.
Die Pilotin Jenny, die sie dort hinflog, entpuppt sich als Agentin von Grillo und will die beiden beim Raumschiff zurücklassen, kann aber von Skyler gerade noch eben ausgeschaltet werden. Eine Rettungsmission von Tim holt Skyler und Tania in letzter Sekunde zurück. Damit endet der zweite Band mit einem schönen Cliffhanger.
Bleibt noch zu erwähnen, dass Sam in Darwin mit Prumble und Skadz, dem ehemaligen Chef von Sam und Skyler, eine Widerstandsbewegung gegen Grillo aufbauen will. Damitbleiben also genügend offene Fäden für ein furioses Finale übrig.


Jason M. Hough - Key Ship - Die letzten der Erde (Band 3)
Für unsere Protagonisten geht es nun darum, sämtliche Artefakte der Alien Beiboote zu sichern und im Raumschiff der Aliens in die dafür vorgesehenen Schlösser zu stecken. Gleich im 1. Kapitel sichert Skyler durch einen Angriff auf das nahe Belem liegende Beiboot das nächste Artefakt. Schön, dass gleich zu Anfang wieder mal ein paar verstärkte Subhumane abgeschlachtet werden.
Es fehlen noch 3 Artefakte. Tania soll mit Vanessa und Pablo ein Artefakt aus Colorado sichern, während Skyler mit Ana und Blackwell, den er ohne Wissen von Tania mitnimmt, das vierte Artefakt im Tschad sichern will.
Das fünfte Artefakt steckt aber in Darwin und wird von Grillo eifersüchtig gehütet. Skyler nimmt per Funk Kontakt zu Skadz und Sam auf. Die sollen ihm helfen, das fünfte Artefakt zu sichern. Und genau wegen dieses Artefakts hat er Blackwell mitgenommen, dem es nach Rache an Grillo dürstet.
Blackfield, der von Skyler und Ana in einer Baracke vor dem Schiff zurückgelassen worden war, wird letztendlich zum Retter der beiden, als er dem verstärkten Subhumanen, der die beiden fast schon erledigt hatte, eine Handgranate vor den Kopf knallt.
Bei dieser Aktion stirbt er, ist als Held aber geläutert. Da musste ich das Buch erst einmal beiseite legen und auf mich wirken lassen.
Ganz starke Szene.
Das neu eingetroffene Alienschiff wirft eine Anzahl von Kabeln ab und birgt damit das Beiboot aus dem Tschad mitsamt Skyler, Ana und dem geretteten 4. Artefakt. Tania und Vanessa können ihr Artefakt aus Colorado ebenfalls retten und nach Belem zurückkehren, verlieren aber Pablo dabei. Bleibt nur noch, dieses Artefakt im Alien Raumschiff einzufügen.
Zusammen mit Tim fliegen Tania und Vanessa zum Schiff der Alien. Und während Tania und Vanessa durch das Alienschiff stolpern, kann Tim beobachten, wie ein weiterer Ring des Habitats über Darwin an dieses Schiff andockt. Nun folgt Tim den Frauen, weil er nicht zu Unrecht eine Gefahr durch Grillo fürchtet.
Sam hatte es dank Prumble und Skadz geschafft, in das unterirdische Machtzentrum von Grillo in Darwin vorzudringen, wo dieser das 5. Artefakt eifersüchtig bewacht. Sie laufen zwar in eine Falle, aber Kelly, die seit ihrer führenden Rolle als Leibwächterin von Neil Platz im 1. Band keine Rolle mehr spielte, gibt ihre Tarnung als treue Nonne der Jakobiter auf und kann mit den 3 Helden fliehen.
Doch Grillo hat alles unter Kontrolle, da er dank seiner Paranoia Kelly nicht getraut hatte und kann Sam, Skadz und das Artefakt in Empfang nehmen, als beide im Alienschiff umherlaufen. Kelly tötet er noch in Darwin durch einen humorlosen Kopfschuss, während Prumble beim Abflug des Raumschiffes von Darwin anscheinend verstirbt.
Vor dem furiosen Finale hat Grillo alle Artefakte in seiner Gewalt und muss nur noch einen der Immunen dazu bringen, die Artefakte in die Schlösser einzusetzen. Tania, Vanessa, Sam und Skyler hat er gefangen nehmen können. Tim trifft mit Skadz und Prumble zusammen. Letzterer konnte sich retten und auch Skadz aus der Gefangenschaft befreien. Schwer bewaffnet betreten sie den großen Innenraum des Alienschiffs und verursachen eine Menge Wirbel, als sie sich in ein Scharmützel mit den Jakobitern stürzen.
Derweil zwingt Grillo Skyler die letzten Artefakte in die Schlösser einzufügen. Kurz vor Einsetzung des 5. Artefakts kann Skyler Grillo fast überwältigen. Grillos Kopf gerät zwischen Schlüssel und Schloss, der Schlüssel rast auf das Schloss wie vom Magnet angezogen zu und Grillos Kopf zerplatzt wie eine reife Tomate.
Jetzt sind alle Schlüssel eingesetzt und das Geheimnis der Aliens kann gelüftet werden. Dieses ist dann leider nicht so spektakulär wie die Kämpfe zuvor. Die Aliens sind künstliche Intelligenzen auf der Suche nach Hilfe für ihre Schöpfer, denn die sind von aggressiven Gegnern bedroht, ja wohl bereits vernichtet. Die Schlüsselsuche war ein Test und die Menschheit hat ihn bestanden. Die Milliarden von toten Menschen sind lediglich ein Kollateralschaden.
Auf den letzten 8 Seiten folgt dann noch ein kurzer Ausblick auf das zukünftige Geschehen. Bis auf Skadz und Ana folgen unsere Protagonisten Skyler, der versucht, den künstlichen Intelligenzen beim Durchbrechen der Sperre durch die Invasoren auf dem Planeten ihrer Schöpfer zu helfen. Als Gegenleistung hat Skyler technologisches Wissen und Weltraumlifts nebst 200 mobilen Türmen ausgehandelt. Dies wird zum Schluss von der 50 Jahre später auf der wieder aufgebauten Erde sterbenden Ana berichtet.
Im 3. Band wird eines überdeutlich: Der Autor hat jahrelang in der Computerspielbranche gearbeitet. Wie in Zelda, Tomb Raider und ähnlichen Spielen werden in den einzelnen Handlungssträngen Artefakte gesucht.
Viele zu bekämpfende Gegner, knifflige Rätsel und unterschiedliche Anforderungen in jedem „Verlies.“ Ich denke, das Hough den gesamten Zyklus um diesen 3. Teil herum entwickelt hat. Eine interessante Vorgehensweise meiner Meinung nach.

Dienstag, 23. April 2019

Hartmudo: Mutter

44
Etwas Neues wusste Reiner dann noch zu berichten. Er hatte einen Preis von 145.000,- € für Mutters Wohnung ermittelt. Weiß der Geier, wo er diesen Wert her hatte. Wahrscheinlich las er diesen Traumpreis auf irgendeiner Internetplattform. Schon als er diesen Preis nannte, hielt ich denselben für einen Mondpreis. Mutter hatte seinerzeit wohl 180.000,- DM für die Wohnung gezahlt. Natürlich wusste ich auch, dass die Wohnungspreise gerade in Braunschweig in letzter Zeit angezogen hatten, da die Leute gar nicht mehr wissen, wo sie mit ihrem Geld nach der Finanzkrise und der derzeitigen Niedrigzinsphase hinsollen.
Trotzdem waren 145.000,- € einfach zu hoch gegriffen. Reiner, wie auch Sunny, wollten verhindern, das wir die Wohnung für nen Appel und nen Ei - Reiner nannte da als Summe 90.000,- € - verschenken würden. Diese Ängste..., für wie dumm hielt Reiner uns eigentlich? Er bzw. Sunny und er hatten da irgendeinen wilden Betrag im Netz gesehen und meinten, das dieser Preis von uns beim Verkauf von Mutters Wohnung erzielt werden muss. Für eine Wohnung im dritten Stock ohne Fahrstuhl? Ich glaube eher, das Reiner und Sunny mal wieder die Glocken, sprich die Kasse beim Klingeln vernommen hatten. Da war dann der Wunsch Vater des Gedankens.
Das wir die Wohnung nicht blind für 90.000,- € verkaufen sollten, war natürlich auch meine Meinung. Da gab ich Reiner ja Recht. Ich schlug ihm aber auch gleich vor, dass Berta den Steuerberater von Mutter und Berta einschaltet und darüber den Makler aktiviert. Bereits im Vorfeld hatten wir dies Möglichkeit ins Auge gefasst, jetzt war der Moment dazu gekommen, zumal der Makler über die Freundin von Dörte mangels Marktkenntnis (der vertickt nur geschäftliche Objekte) ausfiel. Will sagen: Die Freundin traute es sich wohl nicht zu.
Ich denke heute, also Monate später, das Reiner und Sunny einfach nur die Maklercourtage einsparen wollten. Diese Gierlappen hatten offenbar zu kurz gedacht, zum Glück hatte Dörtes Freundin wohl gleich abgewunken. Und kann es sein, das der Betrag von 145.000,- € auch aus dieser Ecke kommt? Ohne die Wohnung gesehen zu haben?
Anstatt sich mit solchen Phantasiepreisen zu beschäftigen, sollten wir einfach einen Makler einschalten. Und der Makler über Mutters Steuerberater ist genauso gut oder schlecht wie irgendein Anderer. Der sollte einen Preis schätzen, denn es ist schließlich in seinem Interesse, das der Preis hoch ist. Bekanntlich wird die Courtage prozentual berechnet.
Ich weiß genau, das unser Vater dies so und nicht anders gehandhabt hätte. Auch Mutter hätte garantiert nichts dagegen gehabt. Und das allein reichte mir, um zu wissen, das es die richtige Entscheidung ist. So wie unsere Eltern es selbst gemacht hätten - und nicht anders. Kein Pokern um einen Preis, der nicht zu erzielen sein dürfte. Wir drei Geschwister sind keine Kenner der Immobilienpreise, und Reiner garantiert auch nicht. Mit einem Makler ist es am Besten und gut ist.
Wollte sich Sunny etwa mit irgendwelchen Interessenten, die die Wohnung auf Immoscout entdecken würden, auseinandersetzen? Um jeden Euro feilschen, bloß um festzustellen, das die Wohnung bei einem derart hohen Preis nicht zu verkaufen ist? Also ich hatte zu solchen Späßchen jedenfalls keine Lust und erst recht keine Zeit, vielleicht über Monate ein bis zweimal pro Woche nach Melverode zu eiern, um zusammen mit meinen Schwestern Interessenten für die Wohnung durch selbige zu schleusen.
Berta dürfte es ähnlich gegangen sein. Denn eines sollte ebenfalls klar sein: Wir würden alle gleichzeitig anwesend sein müssen, damit sich ja keiner hintergangen fühlt oder jemand Versprechungen macht, die dann nicht gehalten werden können, weil irgendeiner wieder quer schießt..
Nach dem Gespräch mit Reiner herrschte dann erst einmal für ein paar Tage Ruhe. Berta hatte über die Woche mit dem Bankhaus Löbbecke gesprochen und dem Bankangestellten von unseren Animositäten erzählt. Dieser kannte das wohl schon, denn er bot Berta sogleich an, das wir die notwendigen Unterschriften zur Auflösung des Kontos auch getrennt bei der Bank abgegeben könnten.
Wir müssten also nicht zusammen dort hinfahren, was für eine Erleichterung! Wenn wir alle 3 unterschrieben hätten, würde das Geld auf Mutters Konto überwiesen werden. Wieder war eine Etappe geschafft, die strittigen Punkte wurden immer weniger. Jetzt war vor allem das Wichtigste zu klären, nämlich der Verkauf der Wohnung.
Am Dienstag, dem 29. November, schrieb ich Sunny eine WhatsApp Nachricht. Neben dem Prozedere zur Kündigung des Kontos beim Bankhaus Löbbecke konnte ich ihr sogar schon einen Termin zum Treffen mit dem Makler nennen. Am folgenden Montag, dem 5. Dezember, sollte ein Treffen in Mutters Wohnung erfolgen - wo sonst. Berta hatte den Termin schnell und zielsicher für uns vorbereitet.
Hierzu bräuchte der Makler einige Papiere, die Berta vorher noch aus der Wohnung holen musste. Eingedenk der Streiterei wegen der Schmuckstücke schrieb ich Sunny auch gleich, das Berta wegen dieser Unterlagen in die Wohnung musste. Zumal Reiner und Sunny immer noch den Typen an der Hand hatten, der 1000,- € zahlen und darüber hinaus sogar die Wohnung räumen wollte. Daher müsste Berta auch noch private Papiere aus Mutters Wohnung entfernen, die dann zu schreddern wären. Private Briefe etc. möchte man ja ungern wildfremden Möbelpackern überlassen.
Groß war meine Erleichterung, dass Sunny keine Einwände gegen die Einschaltung des Maklers über den Steuerberater unserer Mutter vorbrachte. Wenn Sunny da quer geschossen hätte, dann hätte sie selber einen suchen müssen. Ich denke aber, dass Sunny wenig Misstrauen gegenüber diesen Makler hegte. Sie selbst hatte nämlich keinen weiter benennen können. Und da sie ja sowieso eine konkrete Preisvorstellung hatte (145.000,-€, das ich nicht lache), würde sie immer noch ihr Veto einlegen können, falls ihr irgend etwas nicht koscher vorkommen würde.
Nebenbei gesagt.... mit 145.000,- € rechnete selbst Sunny nicht; und auch Reiner bestand letztendlich nicht wirklich auf dieser Summe. Beide hatten wohl das Problem, dass ihnen über Dörtes Freundin diese Mondpreise vorgegaukelt wurden, obwohl die Freundin lediglich bei einem Makler arbeitete, ohne selbst Grundstücksgeschäfte abzuwickeln. Dazu war dieser Makler ja eher Spezialist für Geschäftsgebäude und kannte sich bei Eigentumswohnungen eben nicht aus. Ratschläge von unbeteiligten Dritten sollte man eben nicht zu ernst nehmen.
Am folgenden Tag kam Sunnys Antwort. Sie korrigierte sich dahingehend, das der Möbelmensch wohl keine 1000,- € zahlen wolle. Ich glaube, da hatte ich etwas dann doch falsch verstanden. Gut, dass Sunny mir dies mitteilte. Sie schrieb gleich darauf - kurz vor Sechs Uhr morgens! - von eingepackten Sachen im Flur, die sie irgendeinem Interessenten beim Flohmarkt noch aus den Fingern reißen konnte, weil der zu wenig Geld für den Inhalt zahlen wollte.
Gegen Abend dann kam Sunnys dritte WhatsApp des Tages. Der Typ würde zum Räumen der Wohnung lediglich 500,- € zahlen, dafür die Teppiche dalassen. Für den Teppiche wiederum hatte Reiner einen Kenner an der Hand. Am Sonntag, also einen Tag vor dem Treffen mit dem Makler, würde der die Teppiche in der Wohnung begutachten.

Montag, 22. April 2019

Hartmudo: Mutter

43
Der Wohnungsflohmarkt fand also am Samstag, den 26. November statt. Ohne mich, denn ich hatte Sunnys Tiraden am Vortag genutzt, um auch vor mir selbst einen Grund zu haben, dort nicht auftauchen zu müssen. Wenn wir also Sunny unterstellen wollten, das ihr aggressives Verhalten am Freitag Nachmittag dazu diente, Berta und mich von der Teilnahme am Flohmarkt abzuhalten oder auch uns von Nachfragen wegen des Notizbuches abzuhalten, dann kann man mit Fug und Recht ebenfalls behaupten, das mein Verhalten am Vortag das Kalkül zum Ziel hatte, am Samstag auf dem Wohnungsflohmarkt nicht erscheinen zu müssen.
Meine Löwin und ich hatten an diesem Samstag nichts weiter vor, so weit ich mich erinnern kann. Aber weder fragte ich bei Sunny oder auch Berta nach, wie es gelaufen ist, noch wurde ich angerufen. Für mich war es richtiggehend eine Befreiung, an diesem Tag nicht in Mutters Wohnung stehen zu müssen und Geschirr oder auch Schmuck verhökern zu müssen.
Ich brauchte an diesem Tag auch den Abstand von Sunny, um wieder klarzukommen. Die misslungene Vorbereitung des Flohmarktes am Vortag hatte mich einige Körner gekostet, und das nicht nur, weil ich mich wegen meines asozialen Spruches schämte. Sunny hatte durch ihr unangenehmes Auftreten in der Wohnung sämtliche eventuell noch vorhandenen Sympathien verspielt. Dies war jetzt bereits das dritte unangenehme Treffen nach Mutters Tod mit Sunny; lediglich bei Mutters Beerdigung war die Stimmung zwar angespannt, aber wenigstens noch ertragbar.
Beim Treffen am Freitag war das definitiv nicht der Fall. Und meine Löwin anzumisten, dass sie nichts zu sagen hätte, war schon kurz vor Liebenburg. Nein, selbst wenn wir uns jemals wieder auch nur halbwegs vertragen sollten, so dass wir bei einer Familienfeier an einem Tisch sitzen könnten, wird es niemals wieder so sein wie in den 80ern des letzten Jahrhunderts, als wir zusammen mit Vater nach Lanzendorf gefahren waren. Sunny ist mir so richtig unheimlich geworden. Ich möchte mich emotionell nicht mehr auf sie einlassen, auf gar keinen Fall.
So war der Samstag erfrischenderweise schön ruhig - erst am Sonntagmorgen klingelte das Telefon. Natürlich war Sunny in der Leitung und ätzte auch schon auf höchster Betriebstemperatur. „Warum habt Ihr gestern den Schmuck mitgenommen?" kreischte sie schrill. Ich wusste gar nicht, wovon sie da sprach, denn ich war weder dabei gewesen noch hatte ich zu diesem Zeitpunkt auch nur irgendwelche Informationen, wie der Wohnungsflohmarkt gelaufen war.
Sunny erzählte es mir noch nicht einmal! Sie plusterte sich nur tierisch auf, weil angeblich Gundula - also „wir" - irgendwelchen Schmuck wieder mitgenommen hätte. Wäre schön gewesen, wenn Sunny berichtet hätte, ob und wie viel sie verkauft hatte. Zwar wollte ich nichts von dem Geld haben, das hatte ich am Freitag in der Wohnung laut und deutlich gesagt, aber interessiert hätte es mich schon.
Zugegebenermaßen allerdings nicht so sehr, dass ich Sunny darauf angesprochen hätte. Die Blöße wollte ich mir nicht geben, dass sie mir dann noch mit „Hättest ja selbst vorbeikommen können!“ rüberkommt.
So aber sagte ich nur kurz in ihre Aufregung hinein, das ich nichts vom mitgenommenen Schmuck weiß. Ich erwähnte noch kurz, das wir uns wegen der Kündigung des Bankkontos bei Löbbecke treffen müssten, dann legte ich auf. Überraschenderweise hatte ich dieses Telefonat relativ emotionslos (von meiner Seite) führen können. Heute glaube ich, das der Termin am Freitag zuvor mich gelehrt hatte, das ich mich nicht auf Sunny's Emotionen einlassen sollte.Sicherlich hatte mein asozialer Spruch und mein Erschrecken ob dieser unangemessenen Pöbelei zu dieser Erkenntnis geführt.
Deshalb konnte ich es auch ziemlich locker nehmen, als Sunny sich wenige Zeit später per WhatsApp für ihren Wutausbruch gerade zuvor entschuldigte. Der Schmuck stand einfach nur an einer anderen Stelle. Reiner und sie waren da wohl gerade in Mutters Wohnung, um Strom und Wasser abzulesen.
Außerdem seien noch Leute in der Wohnung, die einige Gegenstände kaufen wollten. Hierauf reagierte ich erst einmal nicht. Wichtiger war mir die Feststellung, das wir alle 3 „runterkommen" müssten. Denn diese überhitzte Atmosphäre war nun nicht gerade zielführend. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass unsere Eltern dieses Verhalten gut geheißen hätten. Insbesondere Vater würde sich garantiert mehrfach im Grab umgedreht, hätte er mit ansehen müssen, wie seine Kinder sich gegenseitig zerfleischen.
Erneut erinnerte ich meine Sestra an den Termin bei Löbbecke zur Auflösung dieses Kontos. In ihrer Antwort ging Sunny darauf aber nicht ein. Ihr Fokus lag in der Wohnung; sie meinte, es wäre gut, wenn wir kommen könnten. Daraufhin rief ich doch tatsächlich Berta an, doch die war nicht zu erreichen. Und so lautete dann auch meine Antwort auf Sunny's Anfrage: „Ich kann nicht und Berta habe ich nicht erreicht".
Auf Sunny's Frage per WhatsApp, was sie machen soll, hatte ich dann nicht mehr reagiert. Die wollten wohl Möbel und die Küche (komplett?) und „vieles mehr" kaufen, aber ich war für dieses Wochenende komplett „durch" mit dem Thema. Nach einer halben Stunde wusste Sunny zu vermelden, das die Leute wieder gegangen sind.
An diesem Sonntagmorgen befanden sich der Flohmarkt vom Vortag und Sunnys Befindlichkeiten eher nicht im Fokus, da ich noch etwas vor hatte. Zweimal 45 Minuten mit dem Fahrrad, eine schöne Strecke. Und zwischen Hin- und Rückfahrt galt es noch, ein oder zwei Bierchen zu schütten. Das kann nur eins bedeuten: An diesem Sonntag war mal wieder Weihnachtsmarkt in Groß Schwülper, da musste ich natürlich noch hin. Aus diesem schönen Grundt fiel meine Reaktion auf Sunny auch so lustlos aus.
Dort angekommen, traf ich dann witzigerweise auf Berta und Bud, obwohl... Eine Überraschung war das sicherlich nicht, denn ich hatte im Vorfeld mitbekommen, das die Beiden auch dorthin wollten. Sofort erzählte ich Berta von meiner Konversation mit Sunny vom Vormittag und fragte sie, ob sie etwas von Gundula und Eveline gehört hätte.
Jawohl, jetzt interessierte mich der Verlauf des Wohnungsflohmarktes doch noch. Aber Berta wusste nichts wesentliches zu berichten. Der Verkauf war wohl nicht so großartig gelaufen, das hatten Berta und ich uns aber schon vorher gedacht. Sunny hatte selbstverständlich die Einnahmen mitgenommen, doch sie hatte weder Gundula noch Eveline die erwirtschaftete Summe genannt. Irgendwann später stand übrigens ein Betrag von knapp über 200 € im Raum, Sunny hatte dies geäußert. Ich weiß allerdings nicht mehr, bei welcher Gelegenheit dies war.
Später am Abend reichte mir meine Löwin zuhause zu meiner nicht geringen Überraschung nochmals den Hörer. Reiner war dran; Sunny war wohl doch knurrig ob meiner fehlenden Reaktion bei ihrer letzten Nachricht. Laut Reiner hätte da jemand 1000,- € für Möbel und Küche geboten, aber Sunny wollte ohne Bertas und meine Zustimmung nicht verkaufen.
Ich sagte Reiner, das sie das ruhig hätten machen können. Mir war das eh egal, die hätten das ebenso verschenken können. Von Berta sprach ich hierbei nicht. Überhaupt war mir das zu albern. Ich mochte nicht wegen jedem Furz und Feuerstein gefragt werden, denn meine Zustimmung einholen bedeutet ja auch das Abschieben von Verantwortung. Letztendlich waren Berta und ich dem Flohmarkt fern geblieben, da hatten wir uns bereits aus der Verantwortung gestohlen. Mit Fug und Recht hätte sie das selbst entscheiden können.
Und außerdem: Wenn ich nach Meinung von Sunny was „Falsches" entscheide, wobei ich das ja eh nicht beurteilen kann, dann bin ich der Buhmann und nicht meine Sestra. Ich kenne solchen Käse zur Genüge und habe da keinen Bock mehr drauf.

Sonntag, 21. April 2019

Hartmudo: Mutter

42
Mein wütender Ausbruch, dass ich mich als Einziger für die persönlichen Gegenstände wie Fotos und alte (Liebes)Briefe interessieren würde, zeigte Wirkung. Sunny war von da an richtig sauer. Auf meinen mit voller Wut gebrüllten Satz reagierte sie zwar nicht, blieb sogar für einige wenige Augenblicke stumm. Sie würde nicht einfach so alles verschenken bzw. verschleudern. Ja, verschleudern... Genau das war Sunnys Vorwurf. Das Berta und ich aus Bequemlichkeit Mutters Wertsachen quasi einfach wegschmeißen würden.
Diesen Kritikpunkt würde ich dank meiner eigenen, bereits beschriebenen Einstellung zu dieser Flohmarktaktion nicht gänzlich zurückweisen wollen. Aber anders als Sunny, wie übrigens auch Mutter höchst selbst, sind Eigentum und Besitz eines Menschen weder wichtig noch erinnerungswürdig. Mir geht es um die Erlebnisse, die sich eben durch Fotos, Urkunden und alte Briefe dokumentieren lassen.
Jedenfalls war Sunny schon wieder gut in Fahrt und schimpfte weiter vor sich hin. „Ich will die Fotos aber auch haben!" fiel ihr mittendrin dann hierzu ein.
„Ich scanne alles ein und gebe Euch das dann. Original oder Datei, ist mir egal." Diese Antwort fiel mir ohne weiteres Nachdenken ein.
Denn allein für mich hatte ich beschlossen, all die Fotos und Briefe mitzunehmen, um sie zu Hause über den Scanner zu legen. Ich hatte bekanntlich einige Fotos bereits Wochen vorher gescannt gehabt, diesen wesentlich größeren Batzen an Material würde ich meinen Schwestern auch zur Verfügung stellen, selbst wenn Sunny noch weiter abrastet. In diesem Punkt bin ich Gerechtigkeitsfanatiker, schließlich war mein Vater Beamter gewesen, das hallt nach.
Den Inhalt von Sunnys Wutausbrüchen bekam ich schon gar nicht mehr mit, und jetzt, wo ich hier im Cafe sitze und die Geschehnisse weiter aufschreibe, habe ich diesen Inhalt eigentlich vergessen, genau wie Bertas Reaktion darauf. Ich denke, sie und Bud waren auch nur noch geschockt von Sunnys Auftritt, denn der war filmreif. Und bei einem guten Film im Kino ist man halt sprachlos.
Irgendwann in all diesem Chaos in Mutters Wohnung stand meine Löwin doch mal auf und machte einen Vorschlag. Was, weiß ich auch nicht mehr. Mit schmerzverzerrtem Gesicht - die Venenentzündung im Bein machte sich bemerkbar - stand sie Sunny gegenüber. Sie schrie nicht, nein, sie sprach ruhig und gefasst. Vielleicht etwas lauter, aber auf keinen Fall aggressiv.
„Du hast hier überhaupt nichts zu sagen!" Sunny kreischte wie eine Motorsäge und unterstützte diesen geifernden Spruch mit einem in Richtung meiner Löwin ausgestreckten Zeigefinger. Die Ehepartner sollten also ruhig sein, dabei hatte meine Löwin lediglich einen Vorschlag zur besseren Abwicklung des Flohmarktes machen wollen.
Diese krasse Szene war zu viel für mich, jetzt verlor ich endgültig meine Contenance. „Ey, Du Fotze!" schrie ich laut und drohend, das war schon Tourette-artig. Mein Puls raste, ich war total stinkig. Niemand hat das Recht, meiner Löwin so über den Mund zu fahren. Dies war einer dieser Momente, in denen bei mir alle Dämme brachen. So wie ich in der Vergangenheit schon mal Freunde, häufiger allerdings meine Kunden, übelst angepöbelt hatte, so kriegte Sunny in dieser Situation die volle Breitseite.
Sofort war Ruhe, selbst Reiner war vor Schock sprachlos. Ein bis zwei Sekunden Ruhe, keiner sagte etwas. Doch ich war wohl noch mehr geschockt als die Anderen. Was hatte ich da wieder gemacht? Einen derart asozialen Spruch hatte ich wohl noch nie gerissen - oder ich habe es erfolgreich verdrängen können.
Egal, reflexartig schrie ich, ein bis zwei Sekunden später halt, ein „Entschuldigung! Das tut mir leid. Nein, das gehört sich nicht." in die Runde. Gleichzeitig riss ich meine Arme nach oben und zog in einer spontanen Geste der Unterwürfigkeit meinen Kopf ein. Ich konnte den Spruch zwar nicht ungeschehen machen, aber mein Verstand arbeitete trotz des ganzen Stresses immer noch schnell genug, um innerhalb einer Sekunde meinen Fauxpas zu erkennen und eine der Situation angemessene Reaktion zu zeigen.
Auch wenn ich früher schon so manches Mal ausgerastet war, zumeist auf der Arbeit, so war dieser Spruch selbst für meine Verhältnisse extrem. Ich denke, das alle Anwesenden derart geschockt waren, das sich niemand mehr nach meiner Entschuldigung dazu äußern wollte. Meine Familie kannte mich bisher so ja auch nicht.
Nach einigen Minuten jedoch hatte sich der Lage, und damit auch die Stimmung, wieder normalisiert. Damit will ich sagen, dass Sunny weiterhin rumätzte und Berta und mich dadurch weiterhin einschüchterte. Berta war für den nächsten Tag ja gut raus; sie würde beim Flohmarkt gar nicht da sein und sich durch Gundula oder Eveline vertreten lassen. Und was sollte ich dann noch machen?
Wir waren jetzt schon über eine Stunde da und hatten über Verkaufspreise noch gar nicht gesprochen. Dieses Treffen einen Tag vor diesem Wohnungsflohmarkt war nicht zuletzt deshalb eine vollkommen überflüssige Veranstaltung. Ich hatte jetzt endgültig die Schnauze voll. Als Sunny zum wiederholten Male Bertas und mein mangelndes Engagement beklagte, sprach ich das aus, was mir die ganze Zeit im Kopf herum schwirrte.
„Dann macht die Scheiße hier doch alleine. Das Geld könnt ihr von mir aus behalten." Dies sagte ich zwar in Blickrichtung auf Sunny und Reiner, aber Berta schloss ich hierbei ja doch irgendwie mit ein. Denn Berta half Sunny wenigstens noch beim Aufstellen von Geschirr und anderen Gegenständen. Der Tapeziertisch füllte sich bereits. Ich dagegen hatte mich verkrümelt, vor Vaters Schränkchen quasi verschanzt.
Meine Löwin hatte schon längst die Nase voll. Auch wegen ihrer Entzündung im Bein stand sie auf und ging Richtung Tür. „Ich gehe jetzt", sagte sie nur lapidar in die Runde. Und im Vorbeigehen zu mir: „Ich warte unten im Auto." Mehr sagte sie nicht. Sie durchquerte den Flur und verschwand durch die Wohnungstür.
Ich wunderte mich noch, dass Sunny energisch meiner Löwin folgte. Kurz horchte ich hin, ob es im Treppenhaus noch zu einem Eklat kommen würde. Denn eines dürfte wohl klar sein, und meine Löwin bestätigte mir dies später auf Anfrage auch: Wenn Sunny meine Löwin auch nur angefasst hätte, dann wäre meiner Löwin die Hand ausgerutscht. Meine Frau war nämlich so richtig sauer. Sie vermutete hinter all den verbalen Anfeindungen durch Sunny ein taktisches Kalkül mit dem Ziel, Berta und mich von wichtigen Dingen abzulenken und uns durch Einschüchterungen mürbe zu machen.
Denn da war noch dieses Notizbuch, wo Mutter (und vorher Vater) aufgeschrieben hatte, wer von uns Kindern wie viel Geld „vorab" erhalten hatte. Das sollte dann „später" ausgeglichen werden. Später war jetzt, auf einen Ausgleich hatte ich bereits bei unserem ersten gemeinsamen Treffen in Mutters Wohnung nach ihrem Tod verzichtet. Als ich das Notizbuch in den Händen hielt. Weil ich kein böses Blut wollte.
Ob Sunny dies wirklich so eiskalt durchgezogen hatte, bloß damit wir das Notizbuch vergessen würden, vermag ich nicht abzuschätzen. Ist eigentlich auch müßig; wir werden es eh nie erfahren.
Kurz nach meiner Löwin war ich auch mit dem Einsammeln der Fotos und anderer Utensilien fertig. Zwischendurch hatte ich ja bereits gesagt, dass ich die Sachen, also mehr die Fotos, einscannen würde. Zu einer Verabschiedung konnte ich mich nicht durchringen, dazu hatte mich Sunny zu sehr durchbeleidigt. Und auch der Schock ob meines asozialen Spruches saß bei mir immer noch tief.
Grußlos verließ ich die Wohnung von Mutter, voll beladen mit den Fotos und den anderen Erinnerungsstücken. Sunny rief mir wohl noch ein paar Beleidigungen hinterher, aber an den Wortlaut dieser Rufe kann ich mich nicht erinnern, denn ich hatte meine Ohren mehr oder weniger auf Durchzug geschaltet. Im Treppenhaus kam mir Reiner von unten entgegen; er hatte noch irgend etwas aus dem Auto geholt.
„Mach gut, Reiner", sagte ich ihm noch und ging weiter. Unten, auf dem Parkplatz, traf ich meine Löwin nach kurzer Suche. Sie hatte einem älteren Herrn geholfen, der sich wohl an der Tür seines Bullys gestoßen hatte. Oder dem seines Sohnes, egal. Bud schlich da auch schon herum, oder kam unmittelbar nach mir die drei Stockwerke hinunter.
Wir warteten zusammen noch kurz, ob Berta ebenfalls gleich zu uns stoßen würde, aber sie brauchte wohl noch etwas Zeit. So verabschieden wir uns von Bud und fuhren nach Hause. Ich war einerseits ob der aggressiven Stimmung von Sunny angesäuert, andererseits auch wieder happy, weil ich am nächsten Tag meine Zeit nicht noch nutzlos bei dem Wohnungsflohmarkt verbringen musste.

Freitag, 19. April 2019

Hartmudo: Vitalium

6
Genau wie das Bild war auch das Spiel hervorragend, zumindest von Wehen Wiesbaden. Eine spielerisch starke Mannschaft, wie ich sie bislang in dieser Saison der dritten Liga noch nicht gesehen hatte. Eintracht hatte den Wiesbadenern lediglich Kampf entgegenzusetzen und konnte den frühen Rückstand mit viel Glück schnell ausgleichen.
Jedoch schoss Wehen noch vor der Pause die erneute Führung und legte kurz nach der Halbzeit das 3:1 nach. Kurz vor Ende keimte dann kurzzeitig Hoffnung auf, als Otto der Anschlusstreffer gelang. Doch in den letzten Minuten konnte Eintracht keine Torchance mehr erzwingen und verlor das Spiel hochverdient mit 2:3.
Obwohl wir uns alle etwas träge fühlten, musste Cooper anschließend zum Gassi geführt werden. Mühsam erhoben sich Patti und meine Löwin mit mir, um dem freudig springenden Cooper eine Runde zum Drehen anzubieten. Pocke musste hier leider passen, die Schlaffheit war in seiner Person übermächtig ausgeprägt.
Wir Spaziergänger fanden dies schade, als wir uns in den nasskalten, aber nicht regnerischen Bad Lauterberger Sonntagnachmittag begaben. Schließlich lenkte das bisschen Bewegung ideal von eventuell auftretenden Hungerattacken ab. Auf der Strasse war es an diesem Sonntag erstaunlich ruhig. Bei so einem grauen Himmel sehnt man sich wohl eher nach einer Tasse Tee vor dem Kamin.
die Brücke hinterm Kurhaus

Cooper interessierte das natürlich nicht. Wie selbstverständlich setzte er seine Markierungen in die letzten Schneehaufen oder auch mal an eine Hauswand. Wir gingen mit dem angeleinten Cooper in die Fußgängerzone, wo Patti und meine Löwin schon einmal das eine oder andere Geschäft taxierten.
Nach einer geraumen Zeit erreichten wir den Kurpark und damit das Kurhaus, in dem auch Modeschmuck und Edelsteine zum Verkauf standen. Höchst interessiert gingen Patti und meine Löwin die einzelnen Vitrinen ab, doch leider war an diesem Tag niemand vor Ort, der den Verkaufsstand geöffnet hatte. Erst am Montag sollte der Verkauf wieder starten. Da hatten Patti und meine Löwin doch glatt noch Termine frei.
Auf dem Rückweg zäumten wir die Fußgängerzone von hinten auf, als es dann auf einmal zu regnen anfing. In der beginnenden Dämmerung ergab sich so ein malerisches Bild. Über einen eher grauen Himmel zogen dunkle Wolken dahin. Die gerade angegangenen Straßenlaternen und der kühle Regenschauer schufen eine richtig schöne wie melancholische Atmosphäre, bei dem ein depressiver Mensch gern eine alte Scheibe von Joy Division hören dürfte.
Wir hatten nur noch einen kurzen Weg zum Vitalium zurückzulegen; der Regen hörte nach kurzer Zeit wieder auf. Als wir an der letzten Ecke hinter dem Parkplatz vor dem Vitalium angekommen waren, trennten sich unsere Wege. Patti ging mit Cooper geradeaus, damit er noch ein paar Markierungen setzen konnte. Meine Löwin und ich gingen links herum den Hügel hinauf, um die 48 Stufen der Treppe bis zum Eingang ins Vitalium in Angriff zu nehmen.
Es war nicht mehr lang hin, dann trafen wir uns alle wieder beim Abendessen. Bis dahin hatte ich noch einen längeren Termin im Badezimmer wahrgenommen. Nicht mein erster nach dem Morgen, das möchte ich hier nur kurz erwähnen.
Dies war auch der Grund, weshalb ich mich spontan dazu entschloss, die Einnahme des Bittersalzes wie meine Löwin jeweils am Abend vorzunehmen, damit ich ab Montag tagsüber bei den Anwendungen nicht gestört werde. Diesmal stand auf unseren Plätzen jeweils noch ein Glas mit Möhrensaft. Ich hatte bislang nicht gewusst, wie geil dieser Möhrensaft schmecken kann.
Als besonderes Leckerli hatte jeder von uns ein kleines Schälchen mit 2 Orangenspalten vor sich stehen. Gierig saugten wir uns nicht nur den Saft, sondern auch das Fruchtfleisch ein. Als krönenden Abschluss goss ich mir zusätzlich schnell das Glas mit Bittersalz hinter die Binde. Dazu gab es wie üblich Tee bis zum Abwinken. Eine Thermoskanne für Jeden.
Wobei... wenn ich „Jeden“ sage, meine ich selbstverständlich alle außer Patti. Denn die bekam irgend etwas Breiiges. Auf alle Fälle fiel ihre Mahlzeit wie immer wesentlich üppiger als „unsere“ aus. Und wie bei sämtlichen Essen auch ließ sie davon noch was übrig, weil sie so wenig Hunger hatte. Unnötig zu erwähnen, dass jeder andere von uns noch die Teller abgeleckt hätte.
Nach dem Essen zeigte der Einsatz des Bittersalzes Wirkung, so dass ich den nächsten Termin noch rechtzeitig wahrnehmen konnte. Fast schon als Pflichtveranstaltung war der um 19.30 Uhr angesetzte Vortrag von Dr. Hönck von Plachy über das Fasten zu verstehen. Leider ohne Patti, die nun ihrerseits zu schlaff war. Der Vortrag war wirklich sehr informativ; Pocke hatte sich hierfür gut vorbereitet und stellte einige Zwischenfragen, wobei er einige rasch angelesene Grundkenntnisse offenbarte. Ich für mein Teil verfolgte das Geschehen stumm, aber durchaus aufmerksam.
Der Doktor setzte sich erfolgreich mit den häufigsten Gegenargumenten zum Nutzen einer Fastenkur auseinander und wusste hierbei das Auditorium auf seiner Seite.
Nach einer Stunde war der Vortrag vorbei. Patti wartete schon auf uns mit einem schönen Gesellschaftsspiel. „Pochen“ war im vorderen Teil des Speisesaals an einem Vierertisch angesagt. Dieses ursprünglich französische Spiel aus dem 17. Jahrhundert war früher in der DDR äußerst populär. Ich werde es mir wohl auch besorgen müssen, denn die Mischung aus mehreren Spielen wie Skat, Poker und Patience stellte sich als sehr unterhaltsam heraus.
Dazu gab es leckeren Tee der Marke Bad Heilbrunner, der uns von der Hausdame gekocht wurde. Vital hieß die Mischung und hatte offenbar einen nicht geringen Anteil von Süßholz aufzuweisen. Auch nachdem alle anderen Tische, an denen ebenfalls gespielt wurde (hauptsächlich Skip Bo) leer waren, ließ uns die Hausdame dort weiterspielen. Sie nahm uns aber das Versprechen ab, dass wir anschließend das Licht im Speisesaal löschen mögen.
Natürlich vergaßen wir das, als wir uns kurz nach halb Zehn voneinander verabschiedeten, um auf unseren Zimmern den Polizeiruf 110 auf ARD One anzuschauen.
Als Retterin in der Not erwies sich dann Patti, die mir noch schnell eine WhatsApp schickte. „Haben wir das Licht ausgemacht?“ lautete die simple Frage, die mich dazu motivierte, direkt aus dem Zimmer meiner Löwin drei Stockwerke hinab in den Speisesaal zu laufen, um das Licht dort auszumachen.
Anschließend - noch einmal etwas Sport; 3 Stockwerke wieder zu Fuß hinauf - schauten sich meine Löwin und ich den aktuellen Polizeiruf 110 des Tages an. Dieser äußerst düstere Polizeiruf war nicht gerade eine Augenweide, so dass wir den Film bereits nach einer knappen halben Stunde aus gemacht hatten. Meine Löwin legte sich jetzt schlafen und ich schaltete das TV in meinem Zimmer noch einmal an.
Ich musste allerdings sehr schnell feststellen, dass der Film nach wie vor an einer künstlerischen Schwäche litt. So bedeutungsschwanger wie viele andere Filme aus der Tatort Reihe war dies eher eine Sache für den bourgeoisen Bildungsaffen, aber nicht für mich. Daher legte ich mich lieber hin und las in meinem Buch weiter.
Noch vor dem Einschlafen hatte ich dann zwei weitere Termine auf der Toilette und erhielt nochmals die Gelegenheit, meinen Schlüpper zu wechseln. Bis 23.00 Uhr las ich noch in meinem Buch, dann setzte ich die Maske auf und löschte das Licht.

Mittwoch, 17. April 2019

Hartmudo: Vitalium

5
Noch vor diesem Frühstück war meine Löwin bereits sehr aktiv gewesen. Sie hatte so schnell wie möglich das Schwimmbad im ersten Stock des Gebäudes ausprobiert. Hierauf hatte sie sich schon seit Wochen gefreut; Und vor dem Frühstück schwimmt sie immer am liebsten, wenn sie denn eine Gelegenheit dazu hat.
Wir reden bei dem Schwimmbad natürlich über ein sehr kleines Becken, vielleicht 15 Meter lang und 12 Meter breit. Bei einer Wassertiefe von 1,30 Metern handelt es sich dabei um ein reines Therapiebecken; Das gleichmäßige Ziehen von Bahnen ist dort nicht angesagt. Dies sei jedoch nicht so schlimm, wie meine Löwin meinte. Denn es war auch eine Gegenstromanlage vorhanden, die auf Knopfdruck 3 Minuten läuft und sich danach automatisch abschaltet.
Und während die Frauen die Unterhaltung am Laufen hielten, wurden Pocke und ich immer stiller. Urplötzlich verspürte ich so ein komisches Gefühl im Bauch. Es gluckste und gluckerte; dazu setzten leichte Krämpfe ein. Da wusste ich, dass es an der Zeit war, aufs Zimmer zu gehen. Ich stand auf und erklärte mich den anderen gegenüber, sabbelte mich dabei allerdings noch einmal fest.
Da war er wieder weg, der Schmerz oder Krampf, was auch immer. Deshalb setzte ich mich nochmals hin und goss mir einen weiteren Anis Fenchel Kümmel ein. Es vergingen so leider keine 10 Minuten, bis ich begriff, dass mein Körper die Warnsignale etwas voreilig eingestellt hatte.
unser Parkplatz

Jetzt musste es schnell gehen. Überhastet verabschiedete ich mich und schritt schnellen Schrittes zum Fahrstuhl, die Treppe hätte zu lange gedauert. Trotzdem ereilte mich im Fahrstuhl das befürchtete Schicksal. Krawumms! machte es nur - die Dichtung schloss nicht mehr perfekt ab. Im Zimmer und dann im Bad angekommen, riss ich mir die Beinkleider vom Leib.
Den Toilettendeckel anheben und meinen Schlüpper auf Einschüsse zu kontrollieren, war lediglich eine Bewegung. Zum Glück war nur ein kleiner Fleck erkennbar, der die Jeans nicht einmal ansatzweise erreicht hatte. Viel Zeit, mich darüber zu freuen, hatte ich allerdings nicht. Denn mit einem gewaltigen Schwall wurde die Schleuse geöffnet und eine große Menge schmutzigen Wassers wurde mit hohem Druck herausgepresst.
Hinterher duschte ich mein Ventil aus und beseitigte einige kleine Schmutzflecken auf dem Fußboden, weil die Ausscheidungen eine ungewohnt flüssige Konsistenz aufgewiesen hatten. Schnell wusch ich den kleinen Fleck in meinem Schlüpper aus, zog ihn wieder an... Nein, natürlich nicht! Ich zog mir ein frisches Höschen an (ich hatte vorsichtshalber zwei Zehnerpacks gekauft und mitgenommen), öffnete das Badezimmerfenster und hing das frisch gewaschene Höschen auf die Heizung. Nachdem mich dann vollständig angezogen war, schloss ich das Fenster wieder und setzte mich an den Schreibtisch.
Was blieb, war ein leicht komisches Gefühl im Bauch, doch auf den Pott musste ich im Moment nicht mehr. Für den Rest des Vormittags hatte ich nun Zeit und Muße zum Abhängen. Ich nutzte die Zeit, um etwas in meinem Buch zu lesen und an dieser Story zu schreiben. Hier war meine Logitec Tastatur in Verbindung (Bluetooth) mit meinem Tablet wie immer das ideale Arbeitsgerät.
Zwischendurch schaute noch Sylvia, die Zimmerfrau, hinein. Sie erklärte mir nur kurz, dass sie normalerweise um 8.30 Uhr das Zimmer reinigen würde, aber am nächsten Tag - Montag - frei haben würde und das dann die Vertretung gegen 10.00 Uhr erscheinen würde. Und schwupps - war sie wieder verschwunden. Nicht mal ansatzweise hatte sie einen Besen geschwungen. Vorsichtshalber hatte hatte sie nicht einmal erwähnt, dass sie allein dank meiner Anwesenheit zur Untätigkeit verdammt war. Irgendwie kam mir ihr Auftritt unwirklich vor. Wenigstens nach dem Toilettenpapier hätte sie schauen können.
Absprachegemäß holte ich meine Löwin um kurz vor 12.00 Uhr ab. Das Mittagessen, ein weiteres Highlight dieses ersten kompletten Tages, stand an. Im Speisesaal angekommen, erwartete uns am Tisch ein bis dato ungewohntes Bild.
Bei uns Heilfastern stand lediglich eine Thermoskanne und eine etwas größere Tasse an den Plätzen. Der Inhalt bestand aus einer Excelsior Gemüsesuppe, welche erschreckend dünn und leider auch salzarm angemischt worden war. Wir veredelten das Gebräu deshalb mit Salz und Pfeffer, so dass selbst Pocke seine Suppe mit Genuss trinken konnte. Ja, wir orderten sogar noch eine zusätzliche Kanne nach.
Pattis Mittagessen wurde von uns argwöhnisch beäugt. Als Vorspeise stand für sie bereits beim Hinsetzen ein Apfel Möhren Mus mit Feldsalat und einem Scheibchen roter Beete parat. Die Hauptspeise bestand aus einem Mus von Karotten und Steckrüben. Das Ganze wurde durch den Nachtisch abgerundet. Über einem Erdmandelmus mit Chiasamen schwebte ein Himbeermus auf Pfirsichbrei.
Und wieder ließ Patti die Hälfte des Essens stehen, weil sie einfach schon satt war. Ich bin mir sicher, dass jeder von uns Heilfastern ihr köstliches Mahl binnen Sekunden komplett hinunter geschlungen hätte. Ob wir uns wohl bis zum Ende der Woche beherrschen könnten und Pattis Essen in Ruhe lassen würden?
Das werden wir sehen, aber an diesem Sonntag wollten wir um 14.00 Uhr Eintrachts Heimspiel gegen Wehen Wiesbaden sehen. Da trafen die beste (Wehen) und die drittbeste (Eintracht) Mannschaft der Rückrunde in der dritten Liga aufeinander. Selbstverständlich hatte ich speziell für diesen Nachmittag meinen Chromecast eingepackt, den ich nach dem Mittagessen aus meiner Sporttasche klaubte und damit flugs mit meiner Löwin zu unseren Mitstreitern ins Appartement aufbrach.
Wie immer freute sich Cooper über alle Maßen, uns zu sehen. Dank WLan in den Zimmern konnte ich den Chromecast über mein Tablet problemlos installieren, ich musste den Fernseher nur noch für mein Tablet freigeben. Anders als üblicherweise in Hotelbetrieben, die mit einem freien Wlan werben, war das Netz im Vitalium schnell und ausfallsicher. Deshalb hatten wir während des Spiels ein hervorragendes Bild zur Ansicht.

Montag, 15. April 2019

Hartmudo: Vitalium


4
Noch vor Mitternacht hatte ich mich am Vorabend schlafen gelegt, am folgenden Sonntagmorgen stand ich bereits um 7.00 Uhr auf und begab mich erst einmal ins Bad, um noch einmal ein richtiges Ei zu legen. Ganz ohne Bittersalz hatte ich noch Material zur Entsorgung vorgehalten.
Da es gerade so gemütlich war, packte ich mein Tablet aus und spielte Angry Birds Go, mein momentanes „wie entspanne ich mich auf dem Lokus“ Spiel. Ich musste die Tagesaufgaben erledigen, um genügend Punkte zum Freischalten neuer Seifenkisten zu bekommen. Gegen 8.00 Uhr holte mich dann meine Löwin zum Frühstück ab.
Ja, von wegen Nebenzimmer! Ich war im Zimmer 322 untergebracht und sie in 321. Nebeneinander, sagte die Hausdame beim Einchecken. Von wegen. Zwischen unseren Zimmern lag der Fahrstuhl, das Treppenhaus, ein WC und der Wirtschaftsraum. Aber eigentlich kein Grund zum Aufregen, also ruhig, Brauner!
Dann gingen meine Löwen und ich hinunter zum Frühstück in den Speisesaal. Patti und Pocke kamen etwas später hinzu.
Was ich soeben nicht erzählt hatte: Noch vor dem Frühstück nahmen Pocke und ich das Bittersalz in unseren Zimmern „heldenhaft“ ein. Vor dem Bittersalz hatte ich im Vorfeld einen gewaltigen Respekt gehabt. Und was hatte ich mir darüber nur für einen Kopf gemacht. In allen Farben malte ich mir den Ekel vor der Einnahme dieses Mittels zur Entleerung des Verdauungstraktes aus.
Meine Löwin hatte Pocke und mir am Vorabend beim Abendessen noch einen Tipp zur Einnahme verraten. Man sollte die Nase zuhalten und das Getränk in einem Rutsch hinunterschlucken. Augen zu und durch also. Das sollte für uns zwei geübte Trinker von Enzian oder Lokstedter doch kein Problem darstellen.
Dementsprechend bereitete ich mir meinen Drink geradezu feierlich zu. Das Bittersalz - ziemlich grobkörnig - wurde ja bereits im Glas zum Abendessen serviert. Ich musste das Glas lediglich mit Volvic auffüllen und gut umrühren. Auf das Zuhalten der Nase verzichtete ich dankend, nachdem ich meinen Rüssel ganz kurz über das Gemisch gehalten hatte. Es roch weder fies noch beißend, also „let`s go!“
Alsdann gönnte ich mir diesen Mix mit großen Schlucken auf Ex und war vom Geschmack überrascht. Wo war denn der angeblich bittere und unangenehme Geschmack geblieben? Aus Riga kannte ich noch den Balsam. Das ist bitter, aber doch nicht diese Plürre! Am Boden klebte noch ein Rest des Salzes, den ich rasch mit Volvic auffüllte und fast schon gierig in mich aufsog.
Apropos Volvic. Im Preis inbegriffen war eine eineinhalb Literflasche Volvic pro Tag. Diese konnte man sich jeden Tag aus der Küche vor dem Speisesaal nehmen, was ich auch die gesamte Woche über tat. Dieses eigentlich übergroße Pensum schaffte ich über die Woche gesehen zwar nur knapp, aber da bitte ich zu bedenken, dass ich mich auf dem Zimmer eher selten aufgehalten hatte.
Volvic war bei mir schon seit Monaten im Büro auf der Arbeit am Start, daher hatte ich mit diesem Getränk keine Anpassungsprobleme. Überhaupt ist sprudelndes Mineralwasser bei mir abgesagt. Mittlerweile trinke ich schon lieber Leitungswasser, falls ich mal kein Volvic oder Evian zur Verfügung habe.
Somit hatten wir alle unsere erste Portion Bittersalz zu uns genommen, als wir uns zum Frühstück zusammensetzten. Wobei Pocke und mir noch das „Happy End“ bevorstand. Unsere Frauen wussten jedenfalls zu berichten, dass der beabsichtigte Erfolg durch das Bittersalz bei ihnen eingetreten war. Bei meiner Löwin noch am Vorabend und gleich multipel, will sagen: Nach einer ersten Runde ca. 1 Stunde nach der Einnahme hatte sie vor dem Zubettgehen noch einige Sitzungen im Bad absolviert.
Patti musste leider etwas länger auf das freudige Ereignis warten. Deshalb hatte sie mitten in der Nacht das Vergnügen, im Badezimmer zu sitzen und auf das Ende des Grummelns im Bauch zu warten. Sie empfand dies allerdings als sehr unangenehm., so dass sie für den Rest der Woche auf das Bittersalz verzichtete. Da sie eh mit Basenfasten unterwegs war, fiel der Verzicht aufs Bittersalz nicht weiter ins Gewicht.
Vor Patti stand nun eine Schale mit einem Kompott aus Äpfeln und Pflaumen. Der Duft der sanft gedünsteten Früchte lag über unseren Tisch, ein leichter Hauch von Zimt hing in der Luft. Patti stocherte unkonzentriert in ihrer Schale herum, sie konnte ihr Frühstück wegen der Malaise mit dem Bittersalz nicht wirklich genießen.
Dies war natürlich schade, aber da wir anderen drei lediglich eine Thermoskanne pro Nase mit Anis Fenchel Kümmel zum Verzehr hatten, konnten wir Pattis Kummer nicht ganz nachvollziehen. Zum Glück jedoch war das Aggressionslevel an diesem Morgen gleich Null, so dass unser Neid nicht weiter ins Gewicht fiel, da wir alle noch gut drauf waren.

Samstag, 13. April 2019

Buddy Holly 4/7

Sicherlich wurden bereits damals schon Hitsingles durch Promotion gepusht. Hier machten Peer-Southern und Brunswick keine Ausnahme und vor allem einen guten Job, aber das allein war es nicht. Buddy und seine Crickets erreichten ihren einzigartigen Sound durch einfachste Aufnahmetechnik, in diesem Fall das „Double-Tracking“. Hierbei wurde im ersten Schritt die Aufnahme auf einem Band aufgenommen - also Gesang, Gitarre, Bass und Schlagzeug. Im nächsten Arbeitsschritt nahm ein zweiter Recorder die erste Aufnahme und alle im Studio erzeugten Erweiterungen parallel auf.
Durch das Double Tracking war es für Buddy Holly möglich geworden, den Background zu seinen eigenen Leadvocals zu singen. Und die Lead- wie die Rhythmusgitarre konnte er nebenbei sogar selbst spielen, ohne einen zusätzlichen Studiomusiker bemühen zu müssen. Wenn ich da an die moderneren 16- oder gar 32-Spur Geräte denke und dies mit dem Double-Tracking bei „That`ll be the Day“ vergleiche, kann ich nachträglich nur den Hut vor den Sound Zauberern des Jahres 1957 in den Nor Va Jak Studios ziehen.
Ungefähr zur gleichen Zeit wurde „Words of Love“ von Buddy Holly auf Coral Records, ebenfalls eine Tochtergesellschaft von Decca, veröffentlicht. Buddy Holly wurde auf der Single als Solo Künstler vermarktet, weil Norman Petty in seiner neuen Funktion als Manager der Crickets davon überzeugt war, das man Buddy Holly auch noch zusätzlich über seinen Namen vermarkten müsste, so wie das in dem Business in den 50er Jahren üblich war.
in der Ed Sullivan Show

Petty hatte zwar richtigerweise erkannt, dass Buddy Holly das Zeug zum Weltstar hatte, jedoch überschätzte er die momentanen kommerziellen Möglichkeiten von Buddy Holly bei lediglich einem Single Hit mit den Crickets. Erst später sollte sich diese Doppelstrategie auszahlen.
Denn die Coverversion des Songs von den Diamonds, die gerade mit „Little Darlin`“ die Spitze der Charts erklommen hatten, verkaufte sich wesentlich besser als das Original von Buddy Holly. Richtig bekannt allerdings wurde der Song erst wesentlich später: Als Coverversion von den Beatles – vor ihrem großen Erfolg.
So blieb „That`ll be the Day“ der Song, der Buddy Holly`s Weltruhm begründete und ab Sommer 1957 die Charts stürmte. Dank dieses Hits bekamen die Crickets die Chance, auf einer großen Tour über 80 Tage im Package mit Fats Domino und den Everly Brothers viel Geld zu verdienen. Zur Freude aller erwies sich die Tour als ein riesiger Erfolg. Und wie Jerry Allison später erklärte: „Wir waren damals nicht an Geld oder Erfolg interessiert. Wir wollten auf die Straße gehen und spielen.“
Die Crickets schafften es sogar während dieser Tour, an ihrer ersten LP zu arbeiten. Der Longplayer „the chirping Crickets“ wurde mitten im Winter nach der Tour in den Studios der Tanner Air Force Base in Oklahoma City fertiggestellt. Die Band entschied sich, die einzelnen Songs während dieser Session häufig zu modifizieren. Ständige Improvisationen machte den Sound von Buddy Holly & the Crickets aus. Von diesem Album mit seinen inzwischen klassischen Songs des Rock `n` Roll stammt die Single „Oh Boy“, die in den Billboard Charts auf Platz 10 kletterte und in England Anfang 1958 bis auf Platz 3 stürmen konnte.
Dieser Song wurde von Norman Petty mit Sonny West und Bill Tilghman geschrieben und ursprünglich von Sonny West, der wie Buddy Holly aus Lubbock kam, auf Atlantic Records veröffentlicht. Leider blieb Sonny West der verdiente kommerzielle Erfolg mit „Oh Boy“ versagt. Dank Buddy Hollys unwiderstehlichem Gesang und der mittlerweile landesweiten Popularität der Crickets war der Erfolg des Covers vorprogrammiert.
Am 20. September 1957, als „Oh Boy“ schon in aller Munde war, veröffentlichte Buddy Holly als Solokünstler seinen wohl größten Hit „Peggy Sue“ auf Coral Records. Geschrieben wurde der Song von Holly, Jerry Allison und Norman Petty; die Crickets, die den Song mit eingespielt hatten, wurden gar nicht erwähnt. Hier folgte Petty der damals üblichen Vermarktung, auf einen Solokünstler statt einer Band zu setzen. In den 50ern ließen sich die Songs so vermeintlich besser verkaufen, denn das Prinzip eines Kollektivs beim Komponieren und Spielen, also einer Band, war den Plattenbossen noch nicht geläufig.
Der Song wurde eigentlich unter einem anderen Titel geschrieben. „Cindy Lou“ war eine Nichte von Buddy Holly. Aber Jerry Allison überredete Holly, den Song auf „Peggy Sue“ zu ändern, denn Peggy Sue war Allisons Freundin. Dank dieses wunderschönen Liebeslieds konnte Allison seine Freundin zur Heirat überreden. Immerhin hielt die Ehe 11 Jahre.
...mit Ed Sullivan

Bemerkenswert an „Peggy Sue“ ist die Schlagzeugtechnik von Allison. Dank Paradiddles auf der Tom, einem Wechsel von Einzel- und Doppelschlägen, kam ein treibender Rhythmus zustande. Petty verstärkte den Effekt noch, indem er die Dynamik durch rhythmisch Veränderungen der Lautstärke sowie Ein- und Ausschalten der Echokammer verstärkte. Allison spielte dazu dermaßen laut, dass er sein Schlagzeug im Flur des Studios aufstellen musste!
Hinzu kommt die schmachtende Stimme von Buddy Holly samt der klaren Gitarre. Der eigenwillige Sound zahlte sich aus; Mit eineinhalb Millionen verkaufter Singles sollte „Peggy Sue“ der größte Verkaufserfolg von Buddy Holly zu seinen Lebzeiten werden.
Aber nicht nur die Verkaufserfolge der Singles machten Buddy Holly and the Crickets landesweit bekannt. Das Fernsehen hatte seinen Siegeszug angetreten und Musikshows waren ein probates Mittel, um die Menschen vor der Glotze zu fesseln. Legendär wurde hierbei die Ed Sullivan Show, in der Holly mit seinen Crickets zweimal auftreten durfte. Laut Jerry Allison soll die Zeit zwischen diesen beiden Shows die beste Phase in der Karriere der Crickets gewesen sein.

Montag, 8. April 2019

H. Lecter: Alf


2
Beide Kollegen arbeiteten stets publikumsorientiert und hatten in der Zwischentür einen Spiegel montiert, damit sie jeweils das Büro des Kollegen im Auge behalten konnten. Beide feixten sich dann öfters einen, gern lachten sie auch zusammen mit ihren Hilfeempfängern. Aber es kam eben auch schon mal vor, dass Alf den Auszahlungsschein der Kundin derart vorlegte, auf dass diese sich ganz weit zur Unterschrift vorbeugen musste und Alf in Ruhe in das tiefe Dekolletee blicken konnte.
Rosi hieß die Dame, soweit ich es in Erinnerung habe. Gern brüstete sich Alf mit der Geschichte, als er sich blutige Knie zugezogen hatte. Seiner Frau hatte er erzählt, dass er vom Fahrrad gestürzt sei. Tatsächlich (so Alf) hätte er sich die Knie blutig geschubbert, als er Rosi bei einem Hausbesuch auf dem Teppich vernascht hatte. Gerüchteweise sollen da sogar unschickliche Dinge im Büro gelaufen sein. Ich halte das für eine typische Übertreibung bei Männergesprächen.
Einen noch in dieser Abteilung: Legendär wurde folgende Aktennotiz von Knödel Willi zum Beihilfeantrag von Rosi. „Nach persönlicher Inaugenscheinnahme war der Hilfeempfängerin eine Beihilfe zum Kauf eines Büstenhalters wegen Übergröße zu bewilligen.“
Gern erinnere ich mich an mein erstes Weihnachten 1991 in diesem Amt. Ein Kollege – Spitzname „der singende Slawe“ – hatte ab Sommer einen Rumtopf angesetzt und am letzten Arbeitstag vor Heiligabend mitgebracht. Da standen nun die üblichen Verdächtigen in den Büros von Knödel Willi und Alf herum, ließen die vergangenen Wochen Revue passieren und hatten alle Becher in der Hand. Der Singende holte mit der Kelle einen Hub aus dem Tontopf heraus, schüttete den Inhalt in einen Becher (auf Wunsch mit viel oder wenig Früchten) und löschte das Ganze mit Sekt ab.
Die Stimmung verbesserte sich von Minute zu Minute; lustig wars. Dann betrat unser Sachgebietsleiter das Büro. Alf und Knödel Willi hatten ein derartiges Standing, sie genossen geradezu Kultstatus, dass sie sich eine Menge herausnehmen konnten. Und zart besaitet war in dieser Abteilung eh keiner. Sachbearbeiter mit Ärmelschonern gab es dort eher nicht.
Knödel Willi fragte den Sachgebietsleiter: „Willste mit oder ohne?“
Dieser, ein eher überkorrekter und penibler Paragraphenreiter, der sich nur gelegentlich ein zartes Lächeln gönnte und auch sonst kein südeuropäisches Temperament ausstrahlte, entgegnete kurz: „Ohne, Willi.“
Natürlich meinte er ohne Rumtopf mit Früchten und stattdessen Sekt pur. Er fröhnte wohl auch nicht dem Alkohol, war auf Feiern eher abstinent unterwegs. Mit dem Sekt hob er bereits den Kopf aus der Deckung, aber Knödel Willi reichte das selbstverständlich nicht. Er schenkte dem Sachgebietsleiter „Ohne“ ein – ohne Sekt natürlich. Heldenhaft nahm der Sachgebietsleiter den Becher kommentarlos entgegen und leerte ihn nach und nach aus. Er gab sich keine Blöße, zeigte also Größe. Als er seinen Becher mit dem puren Rumtopf geleert hatte, lallte er schon etwas und wünschte uns allen beim Hinausgehen ein frohes Weihnachtsfest. War aber auch der Hammer, dieser Rumtopf.
Ein paar Tage später – zwischen den Feiertagen – fand in den „heiligen Hallen“ der Star-Sachbearbeiter der traditionelle Jahresausklang statt. Auf dem legendären Kühlschrank hatte Knödel Willi einen Plattenkocher gestellt. In der Pfanne brutzelten die Bouletten laut zischend vor sich hin, während Knödel Willi eine Kochmütze auf seinen Kopf gesetzt hatte und mit einem Pfannenwender die Bouletten umdrehte.
Plötzlich wurde die Tür aufgerissen und einer von Knödel Willis Kunden betrat den Raum mit seiner Betriebskostenabrechnung. Willi war da schmerzfrei und sprach seinen Kunden an: „Alles klar. Stellen sie sich bitte an die Pfanne und drehen die Bouletten um, während ich eine Kopie von der Betriebskostenabrechnung mache.“ Und so geschah es dann auch. Wir anderen kamen irgendwann auch dazu – Willis Kunde war da natürlich schon weg – und töteten die Reste vom Rumtopf. Und Bier geht dazu auch immer.
Knödel Willi hatte einfach eine mitreißende Art an sich, dem konnte man nichts übel nehmen. Und zusammen mit Alf ergab das ein unschlagbares Gespann, dass ich leider nicht sehr lange erleben durfte, weil Knödel Willi 1995 oder 1996 in Rente gegangen war. Gestorben ist er übrigens exakt einen Monat vor Alf.

Dienstag, 2. April 2019

Contramann: kurz gesehen im April


http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/grossbritannien-arbeitsmarkt-boomt-trotz-brexit-gehaelter-steigen-a-1253991.html
Mitte Februar überraschte mich diese Meldung. Die niedrigste Arbeitslosenquote seit 1975 und die stärksten Lohnsteigerungen seit 2008 - was ist denn da nur mit den Briten los? Kaum machen sie mal (wieder) etwas nicht so, wie die EU es verlangt - hier der Brexit, dann klappt es auf einmal in der Volkswirtschaft. Ähnliches passiert gerade in Portugal, dort sogar noch stärker dank der Tolerierung einer sozialistischen Regierung durch die Kommunisten.
Nun sind Statistiken bekanntlich mit Vorsicht zu genießen. Jedoch hätte ich beim Spiegel eher einen anderen Artikel bei den Briten a la „das große Heulen und Zähneklappern beginnt“ erwartet. Oder bin ich jetzt doch über eine Nebelkerze gestolpert?

http://www.spiegel.de/lebenundlernen/schule/digitalpakt-wie-die-politiker-das-vertrauen-der-buerger-geschwaecht-haben-a-1254387.html
Also meiner Meinung nach ist das kein Grund zum Jubeln. 5,5 Milliarden für Computer, Netzanschlüsse und Fortbildungen will der Bund locker machen, davon sogar noch technisches Personal bezahlen, um die Schulen fit fürs digitale Zeitalter zu machen. Da freut sich im Endeffekt lediglich die Computerindustrie.
Gerne wiederhole ich meine alte Argumentationslinie: Die Kids werden mit den Laptops zunächst daddeln, bevor sie sich Ordnerstrukturen oder wenigstens das Office vergegenwärtigen. Die Lehrer kommen da eh schlecht mit und wenn der Strom ausfällt, muss man im Supermarkt die Preise im Kopf zusammen zählen können. Oder besser:
Wer Architekt werden will, muss früh mit Bauklötzchen anfangen. Und sich n i c h t Bauklötzchen auf einem Tablet angucken.

https://www.welt.de/wirtschaft/article189289833/Webasto-Mann-wird-gekuendigt-und-erhaelt-Angebot-als-Leiharbeiter.html
Dass jemand gekündigt wird und vom Jobcenter seine alte Stelle wieder angeboten wird, allerdings in Zeitarbeit für erheblich weniger Gehalt, ist eigentlich nichts Neues. Eine Kollegin von mir wusste dies bereits vor knapp 10 Jahren über ihren Mann zu berichten. Dieser arbeitete in der Hütte bei Peine-Salzgitter.
Das ändert jedoch nichts an diesen skandalösen Zuständen auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Politiker Sprech über eine gerechte Gesellschaft und freie Entfaltungsmöglichkeiten des Einzelnen werden durch solche Vorkommnisse als Streusand für die Augen entlarvt. Über den real existierenden Sozialismus konnte man im Vergleich zum Kapitalismus mehr als genug negative Aspekte entdecken; aber eines gab es dort eben nicht: Der Profitgier des Unternehmers geschuldete Kündigungen.
Solange man dort als politisch zuverlässig galt, hatte man eine Arbeit und gleichzeitig damit ein auskömmliches Einkommen und deshalb Planungssicherheit, um eine Familie zu gründen. In den westlichen Demokratien gab es das nie. Nur in den Boomphasen der Wirtschaft, also vorwiegend den 50er und 60er Jahren, fiel das nicht weiter ins Gewicht, weil ein Arbeitskräftemangel herrschte. Übrigens wurden auch im Westen bereits seinerzeit politisch nicht verlässliche Menschen gern mal entlassen bzw. nicht eingestellt.
Heutzutage kommt noch der „Kostendruck“ der Unternehmen hinzu. Das Grundgerüst unserer demokratischen Gesellschaft gerät somit immer mehr ins Wanken. Der daraus resultierende Zulauf zur AfD sollte uns alle an das Ende der Weimarer Republik gemahnen, tut es aber nicht. Dank der „Volksempfänger“ Fernsehen, Smartphone und Co. fliegen uns die Informationen nur so um die Ohren, nicht zuletzt dank „Framing“ in der ARD. Bei den Privatsender erwartet ja schon niemand mehr eine unparteiische Berichterstattung.
Doch ich schweife ab. Mein Fazit lautet, dass unsere Gesellschaft immer weiter auseinander driftet und irgendwann zusammenbricht. Nicht heute oder morgen und hoffentlich erst nach meinem Ableben. Und es wird plötzlich passieren, so wie 1933.

https://www.heise.de/tp/features/Venezuela-Ein-Massaker-ueber-das-die-westliche-Welt-nicht-redet-4320938.html?seite=all
Sehr interessant zu lesen. 1989 waren Tausende aus den Barrios von Caracas auf die Barrikaden gegangen, weil der sozialdemokratische (!) Präsident Perez entgegen seiner Wahlversprechungen wirtschaftliche Sanktionen beschlossen hatte. Typisch Sozialdemokrat halt. Für die Polizei galt da nur: „Feuer frei!“
Wir reden da bei den damaligen Machthabern über Leute, die eine Politik vertreten hatten, die Guaido und die hinter ihm stehenden US Amerikaner predigen. Der gute alte freie Markt eben.
Warum hat damals die USA keine Hilfslieferungen für die unterdrückte Bevölkerung durchgedrückt. Konsequenterweise hätten sie damals eigentlich Chavez, der nicht zuletzt aufgrund der Unruhen vom Februar 1989 an die Macht kam, unterstützen müssen.
Und: Vor 30 Jahren hätte ich diesen Artikel noch in Rudolf Augsteins Spiegel lesen können. So etwas ist heute leider undenkbar. Leute, ich sage Euch: Wer sich heutzutage mit Politik ernsthaft beschäftigt, muss depressiv sein.

http://www.spiegel.de/politik/ausland/venezuela-juan-guaidos-triumphale-rueckkehr-ist-das-die-wende-im-konflikt-a-1256248.html
Da hat sich SPON ja mal wieder einen geleistet. Es geht um Venezuela. Der von den USA designierte Präsident Guaido kehrte nach Venezuela zurück, nachdem er in Brasilien versucht hatte, Unterstützung zu finden.
Venezuelas amtierender Präsident Maduro hatte gedroht, Guaido einsperren zu lassen, weil dieser dazu aufgerufen hatte, die Regierung zu stürzen. Eigentlich ein ganz normaler Vorgang, wie er in jeder freien Demokratie auch üblich wäre.
Maduro jedoch ließ ihn nicht einsperren und sogar gewähren. Guaido sprach vor seinen Anhängern, als er in Caracas wieder angekommen war. Die von den Amis ausgesprochene Drohung, Maßnahmen zu ergreifen, lief also ins Leere. Ein sehr geschickter Schachzug von Maduro.
Übrigens: Man achte auf dem Foto auf die Masse der Anhänger Guaidos, die noch dazu nur in einem kleinen Ausschnitt präsentiert werden. Hungernde Menschen sehen anders aus. Guaido hat nicht die Armen seines Landes hinter sich, sondern die reiche Oberklasse, die bereits vor Maduro und Chavez das Land fest im Griff hatte.
Gleichzeitig zu Guaidos Auftritt hatte Maduro Karneval feiern lassen. Dort sollen sich mindestens genauso viele Menschen aufgehalten haben wie bei der Veranstaltung von Guaido.
Ich finde es befremdlich, das SPON hier eine üble Agitprop Masche reitet. Was für ein Absturz für diese ehemalige Speerspitze der Demokratie, den Spiegel.

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/greta-thunberg-und-die-medien-das-erste-buch-greta-a-1258986.html
Gut gebrüllt, Fleischi! Dachte ich zumindest beim ersten Anlesen, denn "Atomenergie kann ein kleiner Teil einer neuen kohlenstofffreien Energie-Lösung sein", schrieb Greta Thunberg, die schwedische Ikone der „Fridays for Future“ Bewegung, vor wenigen Tagen auf Facebook. Die Schülerstreiks jeden Freitag erhitzen hierzulande die Gemüter.
Und dann noch pro-Atom - selbst Katrin Göring-Eckardt schien in diese Falle gelaufen zu sein. Doch die Anmerkung der Redaktion stellt es am Ende richtig. Greta Thunberg hatte zwischenzeitlich auf Facebook ergänzt: "Ich persönlich bin gegen Atomenergie, aber laut IPPC kann sie ein kleiner Teil einer sehr großen neuen kohlenstofffreien Energie-Lösung sein."
Ich würde sagen, dass man von einem autistischen 16jährigen Mädchen nicht zuviel verlangen darf. Dennoch: Hut ab, Greta. Und Tunnbrödsrulle!