Dienstag, 30. Juni 2020

Hartmudo: Nur keine Panik 1/2


Spätestens Anfang Juni fiel mir morgens um halb Sechs die Durchsage auf dem Bahnsteig übel auf:
„Schützen Sie sich und andere.
Halten Sie den Sicherheìtsabstand ein.
Tragen Sie die Mund- und Nasenabdeckung im gesamten Bahnhofsbereich.
Kaufen Sie Ubik!
Bitte bleiben Sie gesund.“
Natürlich sagt der Sprecher nicht „kaufen Sie Ubik“, aber dieser kleine Einschub erscheint mir aus dramaturgischen Gründen passend. Und die kurzen Sätze, ja dieser Befehlston in jedem Satz… Das erinnert doch stark an das Meisterwerk von Philip K. Dick. Denn in seinem Roman hatte Dick jedem Kapitel eine kurze Werbebotschaft für das imaginäre Produkt Ubik vorangestellt, welches alles und nichts sein konnte. Denn vor allem war Ubik jedesmal ein anderes Produkt. Mit der Handlung selbst hatte das zwar nichts zu tun, unterstützt aber die allgemeine Kritik an der Werbebranche, um die es in jenem Roman unterschwellig geht.
Ein anderer, ebenfalls passender Vergleich wäre George Orwells 1984. Mir geht es um diese gebetsmühlenhaft vorgetragene Botschaft, die dank der kurzen Sätze und des Befehlstons eine objektive Wahrheit und Wichtigkeit suggeriert, die ich nicht bereit bin zu teilen. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich nehme die Gefahr einer Infektion mit Covid-19 schon ernst und sehe auch die Notwendigkeit des Schutzes gefährdeter Menschen ein. Schließlich gehöre ich selbst zur Risikogruppe.
Doch da die Pandemie spätestens vor 3 Monaten über uns hereingebrochen ist, ohne dass ich in Deutschland Schlangen mit Särgen vor Krematorien (New York) oder Leichenberge in den Straßen (Bolivien) gesehen habe, wächst meine Skepsis, was die verordneten Einschränkungen und Verbote angeht. Ich selbst kenne noch nicht einmal eine Person, die auch nur infiziert war.
Vom Hörensagen her haben Freunde und Kollegen vereinzelt schon Infizierte in ihrem Umfeld gehabt, aber unter dem Beatmungsgerät oder gar gestorben war keiner. Bei den bislang im Zusammenhang mit Covid-19 genannten Todeszahlen in Deutschland fällt mir auf, dass die jährlichen Todeszahlen durch Influenza oder Krankenhauskeime (da kenne ich einen – meinen alten Saufkumpel Alf) höher sind. All das stimmt mich schon nachdenklich.
Maskenpflicht für Kunden in Geschäften und Behörden, Abstandsgebot und Verbot von Großveranstaltungen sehe ich nach wie vor ein und mache da auch mit. Wobei ich dies vorwiegend aus Respekt besorgten Mitbürgern gegenüber tue. Aber die Maske aufsetzen, wenn ich im Restaurant aufs Klo muss? Oder mein Lieblingsbeispiel: Maskenpflicht im Vorortzug – aber wer desinfiziert die Waggons und vor allem die Sitze nach jeder halbstündigen Fahrt? Richtig! Keiner!
Es sind diese Widersprüchlichkeiten bei den einzelnen Verboten, die mir zeigen, dass irgendwelche Verantwortlichen bei den Schutzmaßnahmen zu blindem Aktionismus neigen, um sagen zu können, dass sie sich gekümmert hätten. Sinnhaftigkeit kann da wohl nicht Thema gewesen sein. So ist auch der in meinem Büro aufgestellte Spuckschutz mit einer Breite von 80 Zentimetern ein Witz. Ich erinnere hier gern an meinen Beitrag zum Face Shield. Wenn das angeblich Aerosole nicht aufhält, warum soll der Spuckschutz das garantieren?
Weiter geht’s. Seit 16. Juni kann man sich die Corona App installieren. Bei der Ankündigung Anfang April wurde vom Gesundheitsminister und anderen Verantwortlichen noch eine Teilnehmerquote von 60% der Einwohner als notwendig für die Zweckmäßigkeit der App angesehen. Trotz angeblicher Sicherstellung des Datenschutzes durch dezentrale Speicherung in den Smartphones statt auf einem zentralen Server rechnet man wohl nicht mehr mit einer großen Beteiligung. Dieselben Leute, die vor 1 Monat noch die 60% als Minimum angaben, sind jetzt schon glücklich, wenn sie schnell über eine Million Teilnehmer zusammen bekommen. Über die 60% spricht schon keiner mehr.

Mittwoch, 24. Juni 2020

Uncle Fester: grad gelesen Juni 2020


Terry Pratchett & Stephen Baxter - Die lange Erde
Vor Jahren hatte ich angefangen, mir diese insgesamt fünfbändige Reihe zu kaufen, aber immer wieder liegen lassen. Nicht einmal Pratchetts Tod vor 5 Jahren konnte mich motivieren, war ich doch von seinen Scheibenwelt Romanen irgendwann gelangweilt. Jetzt endlich habe ich mir ein Herz genommen und lese alle Fünf hintereinander weg.
Einige Jahre in der Zukunft: In Madison, der Hauptstadt von Wisconsin, stellt der Wissenschaftler Willis Linsay eine bahnbrechende Erfindung - den Wechsler - ins Netz. Dieser einfache technisch Apparat, der eigentlich der Black Corporation (Elon Musk lässt grüßen) gehört, ermöglicht das Wechseln in Parallelerden.
Wie an einer Kette aufgereiht, erstrecken sich diese in westlicher und östlicher Richtung in Paralleluniversen und sind menschenfrei. Da man lediglich die Bauanleitung, einige Drähte und eine Kartoffel (!) als Energieträger benötigt, kann jedes Kind den Apparat leicht herstellen. In der Folge kommt es verständlicherweise zu einem Goldrausch, der wirtschaftlich, politisch und gesellschaftlich zu Veränderungen führt. Da haben Pratchett und Baxter wahrlich ein tolles Szenario entwickelt, Hut ab!
Hauptperson des Zyklus ist der am „Wechseltag“ 13jährige Waisenjunge Joshua Valiente, der im Waisenhaus von Madison unter der Obhut von Schwester Agnes aufwächst und an jenem ersten Tag vielen Kindern das Leben rettet, weil diese auf „West 1“, der ersten Parallelerde, gestrandet und orientierungslos sind.
Joshua ist ein natürlicher Wechsler - er braucht keinen Apparat zum Wechseln - und nutzt dies in den folgenden Jahren leidlich aus. Als mittlerweile junger Erwachsener lernt er später auf einer der Erden die burschikose Sally Linsay, Tochter des Erfinders, kennen. Auch sie ist ein natürlicher Wechsler und äußerst tough. Sie kennt alle und jeden in den Parallelwelten, insbesondere die Elfen und Trolle.
Die Trolle sind allesamt natürliche Wechsler und haben durch ihren Singsang ein Netzwerk über sämtliche Erden aufgebaut. Die Elfen dagegen sind mit Vorsicht zu genießen und den Menschen gegenüber eher misstrauisch. Bei den Trollen ist das Gegenteil der Fall; sie unterstützen die menschlichen Siedler, wo es nur geht.
Wichtig für die Reihe ist noch die künstliche Intelligenz Lobsang, die von der Black Corporation geschaffen worden war und angeblich ein transformiertes Bewusstsein eines tibetanischen Taxifahrers darstellt. Tatsächlich taucht er in den späteren Büchern als tibetanischer Mönch auf, spricht aber auch gern aus dem Off.
Lobsang überredet Joshua, mit ihm und dem Luftschiff Mark Twain die Erden Richtung Westen zu erforschen; hierbei taucht Sally in die Story ein. Es ergibt sich wider Erwarten aber keine Liebesgeschichte hieraus, denn Joshua verliebt sich am Ende dieses Buches in Helen Green, die anfangs die Odyssee ihrer Familie zur Erde West 101.754 mittels eines Tagebuchs beschreibt. Auch die Familie Green stammt ursprünglich aus Madison.
Fehlt nur noch die Polizistin Monica Jansson aus eben diesem Madison, die in diesem Roman lediglich dadurch auffällt, weil sie Joshua am Wechseltag als natürlichen Wechsler erkennt und über den Zyklus hinweg mit ihm und den anderen Hauptpersonen in Kontakt bleibt.
Der erste Roman endet mit der Zerstörung von Madison auf der ursprünglichen Erde - die auch Datum genannt wird - mittels einer Atombombe. Täter war der Jugendliche Rod Green (natürlich Helens Bruder), der wie viele andere Menschen nicht wechseln kann und sich einer militanten wie rassistischen Splittergruppe angeschlossen hatte, die aus Angst vor den Umwälzungen und dem daraus resultierenden wirtschaftlichen Niedergang der Datum Erde Attentate verübt.
Viele Menschen sterben und Joshua entzweit sich am Ende mit Lobsang, der das Attentat auf seine Heimatstadt hätte verhindern können, es aber nicht tat. Ein stringenter Handlungsablauf ist in diesem Abenteuerroman nicht darstellbar, dazu passiert zu viel. Auf jeden Fall motivierte mich der erste Band, den Zyklus mit Genuss weiter zu lesen.
Pratchetts Fantasie und Baxters Sinn für technische Feinheiten geben hier eine starke Mischung ab, auch wenn dies ewige „schüchterner Junge und starkes Mädchen“ Gemache, wie man es aus Mortal Engines oder den Tributen von Panem her kennt, so langsam nervt. 

 
                                                   

Terry Pratchett & Stephen Baxter - Der lange Krieg (lange Erde 2)
Jahre sind vergangen und Joshua hatte sich mit Helen auf West Eine-Million-irgendwas-und-mehr zurückgezogen, um eine Familie im Ort Weiß-der-Kuckuck-wo zu gründen, als überraschend Sally auftaucht.
Auf einer Welt (über 2 Millionen West) wurden Trolle gequält. Sie sollen in der „Lücke“, einer Alternativwelt, in der die Erde selbst nicht mehr existiert, ein Raumfahrtprogramm umsetzen. Als die Trolle sich weigern, tötet eine gefangen genommene Trollmutter einen Wärter in Notwehr und löst damit eine Hasswelle auf der langen Erde gegen die Quälerei aus. Die Mutter namens Mary wird zur Symbolfigur der Gegenbewegung, zu der auch Sally zählt.
Joshua soll wie weiland Davy Crockett die Machthaber auf der Datum um Präsident Crowley von der Notwendigkeit einer fairen Behandlung der Trolle überzeugen. Crowley und Co sehen die Trolle lediglich als Tiere, dabei sind diese ähnlich intelligent wie die Menschen, kommunizieren jedoch anders.
So brechen Joshua und Sally zur Datum auf. Helen kommt mit dem Sohn David ebenfalls mit, weil sie Joshua nicht allein ziehen lassen will. Aber nicht wegen dieser Spannungen verlässt Sally auf Welt West 5 diese kleine Reisegruppe. Sie sammelt dort die pensionierte Polizistin Monica Jansson ein, um mit ihr zusammen Mary und ihr Kind aus dem Verlies zu befreien.
Die Trolle bleiben jedoch immer noch verschwunden, so dass Lobsang Joshua schließlich beauftragt, Sally und vor allem die Tolle zu suchen. Ohne Helen, aber mit Bill Chambers, einem erfahrenen „Streuner“ der langen Welten, macht er sich auf die Suche. Auf einer der Welten treffen sie den Kobold Finn McCool, der gerne Kinks hört und Informationen verkauft.
Auf Erde West 1.617.524 finden beide schließlich eine Zivilisation von Beagles vor, die aufrecht stehen können und mehr oder weniger in matriarchisch organisierten Rudeln leben. Dorthin haben sich die Trolle zurückgezogen.
Auf die Beagles waren Sally und Monica zuvor gleich nach der Befreiung getroffen. Als Joshua und Bill dort endlich eintreffen, wird Joshua sogleich von den Beagles überwältigt und mit einer Armbrust derart verbunden, dass sich ein Bolzen in sein Herz bohrt, falls er wechseln sollte. Die anderen werden auch inklusive McCool festgesetzt.
Die Menschen sollen den Beagles Strahlenwaffen besorgen, damit dieses Rudel der Beagles Krieg gegen andere Rudel führen kann. Als Dank für die besorgten Waffen wird Joshua zwar laufen gelassen... aber nur mit dem Bolzen vor dem Herz. Der Beagle namens Schneeball will ihn jagen und töten. Eine große Ehre für Joshua, der gern darauf verzichten würde und Glück hat, dass sich die Rudelführerin Li Li erbarmt und ihm lediglich das linke Handgelenk abbeißt.
Joshua bleibt also am Leben.
Maggie Kauffman ist Kapitän des Luftschiffes USS Benjamin Franklin und soll im Auftrag von Crowley mit einer Flotte von Kriegsschiffen die lange Erde abklappern und die Ansprüche auf das amerikanische Territorium auf den bewohnten Erden sichern. Zudem hat sich noch eine Unabhängigkeitsbewegung um Jack Green, den Vater von Helen, gebildet.
In Walhalla, 1,4 Millionen Erden von Datum entfernt, kommt es am Ende zum „Showdown“ dieses zum langen Krieg hochgeschriebenen Konfliktes, bei dem auch am Ende kein Schuss fällt. Die militärische Machtdemonstration von Kauffman läuft ins Leere, da sich die Separatisten einer Festnahme jeweils schnell durch Wechseln entziehen. Somit verpufft dieser „Krieg“ und der Leser fragt sich verwundert, warum dieses Buch so heißt.
In weiteren Nebenhandlungen erkunden 2 chinesische Luftschiffe die Ost-Welten bis zuer Welt Ost 20 Millionen. Leutnant Wu Yue-Sai und die junge, hochintelligente Roberta Golding werden in den nächsten Bänden noch eine Rolle spielen, aber hier treibt dieser Erzählstrang die Geschichte nicht voran und ist eigentlich überflüssig.
Ähnlich unwichtig ist die Wiederbelebung von Schwester Agnes als Gegenspielerin wie auch Partnerin von Lobsang, damit dieser geschmeidig bleibt sowie Nelson Azikiwe, der sein Kirchenamt aufgibt und Lobsang sucht.
Ganz zum Schluss sorgt ein Vulkanausbruch im Yellowstone Nationalpark auf der Datum dafür, dass ganz Nordamerika unbewohnbar wird. Ganz so nebenbei verstirbt Monica Jansson an einer Krankheit, an der sie bereits seit Jahren gelitten hatte.
Insgesamt bleibt festzuhalten, dass in den einzelnen Welten viel Potential für gesonderte Handlungen steckt, dieses aber durch die Flut an Einfällen förmlich begraben wird.

Dienstag, 23. Juni 2020

Hartmudo: Mutter


59
Auf die erneuten Vorwürfe von Sunny in der WhatsApp vom 19. Februar antwortete ich dann nicht einmal mehr. Es war mir zu doof. Berta gab mir da Recht; ich hatte sie gleich nach den Nachrichten angerufen und ihr den Vorfall geschildert. Da hatten wir auch gleich wieder eine Stunde oder so Gelegenheit, über Sunny abzulästern und unser Mütchen zu kühlen. Dass sich meine Löwin und auch Bud unser dauerndes Gewinsel nicht mehr anhören konnten, kann ich heute sehr gut verstehen.
Am nächsten Tag kam von Sunny dann noch ein lang gezogenes „Dankeschööööön", aber darauf reagierte ich erst recht nicht. Mir reichte es jetzt so langsam. Wenn, dann sollte sie sich doch an Berta direkt wenden. Jetzt hieß es halt lediglich zu warten, dass der Makler einen Käufer für Mutters Wohnung findet, damit wir die leidige Angelegenheit endlich hinter uns bringen konnten.
Und tatsächlich: Anfang März meldete sich der Makler bei uns, weil er einen Interessenten an der Hand hatte. Ein Arzt wollte die Wohnung für seinen Sohn kaufen, Termin der Besichtigung von Mutters Wohnung durch Dottore und seinen Filius sollte Sonntag, der 12. März sein. Endlich war ein Ende in Sicht. Natürlich waren wir alle 3 an diesem Termin wieder präsent. Mit einiger Anstrengung schafften wir es auch, uns einigermaßen zivilisiert zu benehmen. So als ob es nie einen Streit zwischen uns gegeben hätte.
Denn es stand ja auch eine Menge auf dem Spiel. Berta und mir war die ganze Zeit klar gewesen, dass es schwierig werden würde, einen Käufer zu diesem Preis zu bekommen. Ich denke, selbst Sunny durfte das zwischenzeitlich begriffen haben, dass wir uns noch lange Zeit mit der Verwaltung der Wohnung beschäftigen konnten, falls der Dottore kalte Füße bekommen sollte. Wir hofften somit das Beste.
Der Doktor hatte wohl auch schon eine andere Wohnung in dem Haus gekauft gehabt. Seine Frau und er kannten sogar den Makler. Das wäre mal wieder ein Grund für ein wenig Paranoia bei uns Geschwistern gewesen, doch so ein Feeling kam bei uns gar nicht erst auf, weil wir bereits im Vorfeld vom Makler signalisiert bekommen hatten, dass der Doktor für 120.000 € bereits zugestimmt hatte.
Nicht mal Sunny hatte mehr gemeckert! So redeten wir nett miteinander belangloses Zeug. Der Dottore stellte natürlich die von mir mehrfach, gerade Sunny gegenüber, angesprochene schwache elektronische Verkabelung, sprich FI-Schalter, heraus. In epischer Breite schilderte er die von ihm beabsichtigte Verkabelung bis hin zum separaten Stromzähler im Keller, der ja mittlerweile seit kurzem gesetzlich vorgeschrieben ist.
Dazu die ganzen Stemmarbeiten in der Wohnung.... Es sollte ja auch in jede Ecke jedes Zimmers eine Mehrfachsteckdose installiert werden. Sein Filius würde dort sicherlich alle möglichen elektrischen Geräte anschließen wollen, genau so, wie ich es die ganze Zeit schon gesagt hatte. Das dies einen hohen Aufwand darstellt und allein schon über 10.000€ kostet, bestätigte er uns nochmal. Selbstverständlich würde er die meisten Arbeiten selbst durchführen (er ist Dottore, er kann alles!), doch Kosten entstehen hierfür auf jeden Fall.
Er meinte noch, dass bei Renovierungen bzw. Sanierungen von Wohnungen immer unerwartete Kosten entstünden, aber er nutzte die Gelegenheit nicht zum Feilschen. Ich gehe auch heute noch davon aus, dass ihm der Makler vorher den Deal zwischen ihm und uns Geschwistern erklärt hatte. Unter 120.000€ hatte unser Makler kein Mandat von uns erhalten. Sicherlich befürchtete der Dottore, dass andernfalls noch irgendein neuer Interessent auf den Plan treten könnte.
Sollte Sunny also doch Recht gehabt haben, dass der Preis zu niedrig angesetzt war? Ich sage hierzu nur: Scheiß drauf, wir hatten jetzt bereits wieder Wochen warten müssen, bis sich der Dottore gemeldet hatte. Berta, Sunny und ich - da waren wir uns wahrscheinlich einig - wollten nur noch einen sauberen Abschluss der leidigen Nachlassverwaltung unserer Mutter.
Der Dottore war also zum Kauf bereit. “Freundschaftlich” schüttelten wir uns zum Abschied die Hände. Der Dottore musste nur noch die Finanzierung mit seiner Bank durchsprechen. Berta würde ihm noch die bei ihr liegenden Unterlagen wie z. B. die Protokolle der letzten Eigentümerversammlungen zur Verfügung stellen. Eine Rißzeichnung hatte sie bereits dabei, die konnte er gleich zur Bank mitnehmen. Bei diesen Formalitäten fühlte sich Sunny wie immer nicht angesprochen. Das kam für Berta und mir wahrlich nicht unerwartet.
Kurz vor dem Termin war uns bereits eine Einladung zur nächsten Eigentümerversammlung der Wohnanlage zugeschickt worden. Mein Vorschlag, dass der Dottore bzw. seine Frau daran schon mal teilnehmen könnten, wurde von dem Ehepaar dankbar aufgegriffen. Vom Filius ist mir nichts in Erinnerung geblieben. Der war bei der Wohnungsbesichtigung wie später beim Notar nicht ein Mal dabei gewesen.
Als wir Geschwister nach dem Termin auseinandergingen, geschah dies mit spürbarer Erleichterung, aber ohne große Worte. Jeder von uns wird hinterher 3 Kreuze gemacht haben, dass wir diese Begegnung unfallfrei über die Bühne bekommen hatten. Wir alle werden wohl auch den Abend mit einem großen Seufzer der Erleichterung beendet haben, da bin ich mir sicher.
Ich selbst hatte noch ein wenig am Bierchen genuckelt.

Dienstag, 16. Juni 2020

Udorallala: Top Songs 11/?

Im Dudel-Radio spielen sie gerne die Hits der 70er oder 80er, doch „meine“ Hits sind da nie dabei. In loser Folge schreibe ich deshalb über einzelne Songs und warum sie so wichtig, bahnbrechend oder anders wie bedeutend sind. Für mich, für Dich, für uns alle.
Ding Dong – That`s my Song!
 

Joy Division - Love Will tear us apart
Mehr noch als die Banshees muss Joy Division als die Ur-Band des Gothic Rocks gelten. Auch diese Band wurde 1976 nach dem Besuch eines Konzerts der Sex Pistols gegründet, allerdings in Manchester. Im Jahr 1978 benannte sich die Band von „Warsaw" in „Joy Division" um.
Ihre erste LP „Unknown Pleasures" konnten sie erst im Juni 1979 auf Factory Records veröffentlichen. Das nicht auf einer regulären LP veröffentliche „Love will tear us apart" erschien ein Jahr später im April und stieg am 20. Juli 1980 bis auf Platz 13 der britischen Charts. Knapp zwei Monate vorher, am 17. Mai, hatte sich der charismatische Sänger Ian Curtis erhängt.



„Use it up and wear it out" von Odyssey war da auf Platz 1 - ein Song, den heut kaum einer mehr kennt. „Xanadu" mit Olivia Newton-John, „Babooshka" mit Kate Bush oder auch die Stones mit „Emotional Rescue" waren ebenfalls in den Top 10. „Love will tear us apart" stieg lediglich auf 13. Dieser Übersong war den Leuten seinerzeit wohl zu düster.
„When routine bites hard
And ambitions are low
And resentment rides high
But emotions won't grow
And we're changing our ways
Taking different roads
Love, love will tear us apart again
Love, love will tear us apart again"
Schon das lange Intro, welches von der prätentiösen Melodie des Synthezisers und dem blubbernden Baß getragen wird, weckt in dem Zuhörer eine gewisse Melancholie. Die Gitarre hackt sich nur kurz in den Vordergrund, ehe Ian Curtis mit gebrochener Stimme seinen Text ins Mikro haucht.
Ian fragt sich, wo die Liebe zwischen ihm und seiner Frau geblieben ist. Die Liebe zerreißt - diese traurige Botschaft wird durch den Gesang und die instrumentale Begleitung perfekt in Szene gesetzt. Das ist kein Song zum Tanzen; immer wenn Du traurig bist, solltest Du ihn hören. Oder einen anderen Song dieser Band, die ihrer Zeit weit voraus war.
Im Jahr 1983 erreichte der Schmierlappen Paul Young mit einem sehr schlechten Cover, weil poppigen und fröhlichen Version dieses Klassikers, Platz 40 in Deutschland. Das Original blieb hierzulande einer breiteren Öffentlichkeit unbekannt, was nach wie vor eine Schande ist.
Trotz (nur) zweier herausragender Longplayer blieb der Band der verdiente Erfolg versagt. Die Maxiversionen von „Love will tear us apart", „Atmospheres" und „Transmission" liefen in den Independent Discos der 80er Jahre häufiger, weil die Band sich eines großen Kultstatus erfreuen durfte.
Schon damals empfand ich es als bitter, dass die Band nach dem Tod von Ian Curtis mit „Blue Monday" einen Megahit landen konnte. Der Sound war fröhlicher geworden, gerade auch der Gesang. Verkauft sich halt besser.
Aber die Songs beider Platten von Joy Division - insbesondere „Colony" - hatten es mir angetan. Die posthum veröffentlichte Doppel LP „Still" brachte ältere Aufnahmen von Joy Division, stellenweise noch als Warsaw eingespielt, einer breiten Öffentlichkeit nahe. Diese Songs kannte ich bereits dank John Peel, aber neu abgemischt kann man hier durchaus von der dritten LP sprechen. Die zweite Platte von „Still" bestand aus Live-Aufnahmen bekannter Songs.
Den wohl sehr guten Film „Control" aus dem Jahr 2007 habe ich mir nach Erscheinen auf DVD zugelegt. Allein... ich habe mich noch nicht getraut, den Film anzuschauen. Die ganze Geschichte von und um Joy Division hat mich zwar stets fasziniert und die Songs würde ich auf die Insel mitnehmen, aber vor der großen Traurigkeit des Films habe ich immer noch gewaltigen Respekt.

Samstag, 13. Juni 2020

Warren Smith 2/4

Über den Sommer 1956 folgte eine einwöchige Tour durch die Gegend von Memphis mit einigen Stars von Sun Records wie Johnny Cash, Eddie Bond & the new Boys, Carl Perkins und auch Roy Orbison & the Teen Kings, deren „Ooby Dooby“ gerade auf Sun erschienen war. Höhepunkt dieser Tour war wohl die Show im Overton Shell Park in Memphis, bei der Elvis Presley lt den Quellen einen schwachen Auftritt hingelegt hatte.
Den Rest des Sommers verbrachten die Bands on the Road, um eine überregionale Beachtung zu erreichen. So spielten Warren Smith und Roy Orbison eine Ochsentour durch die Bundesstaaten Arkansas, Tennessee und Mississippi.
Während dieser erfolgreichen Tour wurde Warren Smith bewusst, dass seine Person allein für den Erfolg verantwortlich gemacht wurde. Seinerzeit wurden ja auch eher die Sänger vermarktet und nicht die dazugehörigen Bandmitglieder, obwohl diese zumeist den Erfolg von Künstlern wie Elvis Presley oder Jerry Lee Lewis überhaupt erst ermöglichten.
Warren Smith verstieg sich in dem Glauben, dass er „the Man“ sei und seine Band eher zufällige Begleitmusiker wären. Damit beleidigte er seine Band, die sich dank einer ungeschriebenen Vereinbarung als gleichberechtigte Mitglieder der Band mit gleich großen Anteilen an den Tantiemen wie Smith verstand.
Doch Warren Smith war kein Mensch, der sich unnötige Sorgen um Andere machte und löste seine Verbindungen zu den Snearly Ranch Boys auf. Als Ersatz baute er eine eigene Band mit Al Hopson an der Gitarre, dem renomierten Bassisten Marcus van Story (spielte auch u.a. für Charly Feathers und wurde Warren Smith`s Manager) und Johnny Bernero am Schlagzeug, der ja auch schon bei „Rock `n`Roll Ruby“ trommelte.
Mit diesem neuen Line-Up spielte Warren Smith im August 1956 in zwei separaten Sessions die Sun Single #250 ein. Als A-Seite fungierte die von Johnny Cash entwickelte Version eines alten schottischen Folk Songs, den die in Vorkriegszeiten bekannte Carter Family aber 1940 auch schon mal aufgenommen hatte.
Wie so häufig ist auch hier die B-Seite der eigentliche Hit. „Ubangi Stomp“. Doch trotz hervorragender Kritiken seitens des Billboard Magazins verliefen die Verkaufszahlen mit 38.000 Platten im gerade expandierenden Markt enttäuschend. Vielleicht wäre es ratsam gewesen, in der beginnenden Hysterie um den Rockabilly „Ubangi Stomp“ als A-Seite einzusetzen.
Geschrieben hatte den Song der Student Charles Underwood von der Memphis State University, der über Jahre als Songwriter, Musiker und Produzent für Sun Records aktiv war.
Es geht um einen Seemann, der in Afrika den Rhythmus für sich entdeckt. „Had a good rocking time with the chiefs daughter May“ .Heute würde man vielleicht sagen, dass der Song in einem sexistischen Text eingebettet wäre. Wikipedia zählt Größen wie u.a. Jerry Lee Lewis, the Trashmen, Alice Cooper, Stray Cats oder auch die Honeymoon Killers auf, welche diesen Standard des Rockabilly gecovert hatten. Es fehlt hierbei die alles überragende Version der Cramps, durch die ich diesen Song kennenlernen durfte.
Zu Beginn der beiden Session war Warren Smith von dem Song dagegen wenig begeistert. Da er selbst jedoch keinen alternativen Song für die Session dabei hatte, probierte Smith „Ubangi Stomp“ notgedrungen aus. Die Performance von ihm und seiner Band wurde aber mit jedem Take besser und so schaffte es dieser überragende Song auf die Jubiläumssingle von Sun.
Das dennoch erfolgreiche Jahr (zumindest für Sun) endete für Warren Smith mit einem fünftägigen Konzert im Malco Theatre zu Memphis mit Carl Perkins und Roy Orbison. Danach folgten noch einige Termine in Huntsville und Sheffield, Alabama. Carl Perkins war wieder mit von der Partie, aber auch ein junger Pianist, der dank seiner forschen Performance gerade in Memphis für Furore sorgte und sich anschickte, Warren Smith als Top Act von Sun abzulösen, zumal Elvis ja bereits bei RCA unter Vertrag stand.
Das Jahr 1957 begann für Warren Smith mit einer unproduktiven Session. Die beiden Songs „the darkest Cloud“ sowie eine frühe Version von „So long, I`m gone“ wurde nicht veröffentlicht und verblieb im Archiv. Eine weitere Session im Januar brachte ebenfalls kein Ergebnis, so dass Warren Smith jetzt unter Druck geriet, da seine zweite Single wenig Erfolg gehabt hatte.
Deshalb versuchte Warren Smith es im Februar mit einer geänderten Besetzung. Bei der schließlich veröffentlichten Aufnahme von „So long, I’m gone“, einem Song von Roy Orbison, saß Jimmie Lott an den Drums, weil Bernero nicht mehr touren wollte.

Montag, 8. Juni 2020

H. Lecter: Alf

16
Die letzten längeren Urlaube mit Alf, an denen ich teilnahm, gingen nach Gran Canaria. Dorthin, wo ich bereits mit Onkel Hotte eine unvergessliche Woche verbringen durfte. Die erste von beiden war wohl 2001, die andere 2002.
Hier gingen wir tagsüber die Strandpromenade von Maspalomas ab. In der grellen Sonne hatte ich selbstverständlich ein Basecap auf – eine schwarze Sonnenbrille hierzu war ebenfalls obligatorisch. Ich weiß noch, dass ich auf das Kopftuch von Max, der dieses in Piratenmanier hinten kurz zusammengebunden hatte, richtig neidisch war. So ein schönes Tuch, zumal mit Eintracht Braunschweig Enblem, habe ich seither leider nirgends mehr gesehen.
Wie nicht anders zu erwarten, war Alf ohne eine Kopfbedeckung unterwegs. In den diversen Cafes und Bars kam das in der prallen Sonne richtig gut. Wenigstens schmeckte ihm der Sangria, und hinterher oder am nächsten Morgen warf er dann ein bis zwei Thomapyrin ein. Außer… es ging gleich wieder mit Sangria los.
Aber auch ich hatte mit ihm sehr viel Spaß, insbesondere nachts. Wenn ich großes Glück hatte, schlief ich vor ihm ein. Wenn er jedoch das Sandmännchen zuerst erblickte, dann war es um meine Nachtruhe geschehen. Man kann sich das am ehesten vorstellen, wenn man sich hundemüde direkt neben einer in Betrieb befindlichen elektrischen Säge zur Ruhe begibt, an der permanent nasse Holzscheite zersägt werden.
Da lag ich dann mit finsteren Gedanken, während Alf neben mir in willkürlicher Abfolge den Lautstärkeregler auf und ab bewegte. Das ganze würzte er noch mit verbalen Einsprengseln wie „Hilfe, Hilfe!“ oder gerne auch „nein, bitte! Ich will nicht.“ Da war an ein eigenes Einschlafen nicht zu denken, da hieß es aufstehen und auf dem Balkon etwas lesen oder allein in der Hotelbar weitersaufen.
Wie ich das die Tage überstanden hatte, ohne Alf an die Gurgel zu gehen, finde ich heute nur noch erstaunlich. Da war es schön zu wissen, dass die anderen Mitreisenden wie Mr. Rhönrad oder Klaus-Ewald ruhig und friedlich schliefen. Auch Buck, der ebenfalls über große Steherqualitäten bei den Longdrinks verfügte, hatte es da mit Max im Zimmer leichter. Moritz mit nem Einzelzimmer war da eh außen vor.
An einem Vormittag, an dem wir uns sehr gelangweilt hatten, weil wir bereits ganz Maspalomas abgelaufen waren, gingen wir an einem Steakhaus mit angeschlossenem Minigolfplatz vorbei. Diese Kombination fanden wir nicht ungewöhnlich, was jedoch wohl eher den Cocktails geschuldet war, die wir zuvor geleert hatten.
Mr. Rhönrad hatte die glorreiche Idee, dort eine Runde Minigolf zu spielen, zumal wir eh nichts Besseres zu tun hatten und irgendwie nur noch die Zeit bis zum abendlichen Suff herunterspielen wollten. Alf war sofort begeistert, wenn er auch etwas nervte, da er bereits hackendicht war und gerade mal noch so seinen Schläger halten konnte.
Nach ein paar Löchern hatten wir uns eingegroovt, als die kleinen Stolpermänner Alf die Beine wegzogen. El Feistolino, wie er von Detzer immer genannt worden war, hatte nämlich noch kurz vor Betreten der Minigolfanlage einen kleinen Supermarkt aufgesucht und war dann nachgekommen. Uns anderen war klar, was er in dem Laden wollte: Irgendetwas Kleines mit 20 – 30 Prozent; Fruchtig musste es sein und Likör draufstehen.
Als wir dann mit dem gerade so anwesenden Alf zu spielen anfingen, war der Likör selbstverständlich schon alle, entfaltete aber die zu erwartende Wirkung. Max und ich wirkten daraufhin von Loch zu Loch zunehmend gereizter, zumal 2 Löcher hinter uns ein junges Ehepaar mit ihrem Kind auf der Bahn war, die einfach nur Spaß haben wollten.
Und es gibt sicher nichts schöneres für so ein zehnjähriges Mädchen, wenn sie einen dicken älteren Mann über den Kurs schwanken sieht, der sich stark torkelnd an den nächsten Busch stellt, um seine Blase zu entleeren.
Am Loch 7 oder 8 stellte Alf dann sein Minigolfspiel endgültig ein. Der wunderschön verlegte Untergrund des Parcours, ein hellgrüner Kunstteppich, der augenscheinlich frühestens an diesem Morgen verlegt worden sein konnte, lud doch förmlich zu einer kleinen Pause ein. Und ehe wir uns versahen, lag Alf auch schon inmitten des Parcours und rührte sich nicht mehr, weil er eingeschlafen war.
Wir waren alle angenervt, dass Alf sich derart übel abgeschossen hatte. Keiner von uns war bereit, sich seiner anzunehmen und ihn zu tragen, denn etwas anderes wäre nicht mehr machbar gewesen. Deshalb gingen wir einfach zum nächsten Loch weiter und setzten dort das Spiel fort.
Als wir jedoch sahen, dass die junge Familie das Loch nicht bespielen konnte, weil Alf den gesamten Raum des von ihm okkupierten Grüns in Beschlag genommen hatte, gingen wir zurück, um dem traumatisierenden Mädchen die Situation zu erklären.
„Unser Freund ist müde, weil er die Nacht schlecht geschlafen hatte.“ lallten wir unisono. Wobei… Ich selber hatte letzte Nacht aus bekannten Gründen kaum ein Auge zugemacht. Dass wir das Mädchen dank unserer rechtschaffenden Gesichter überzeugen konnten, will ich doch stark hoffen.
Jedenfalls ging die Familie zum nächsten Loch weiter und wir bekamen Alf mit vereinten Kräften wieder auf die Beine. Dies bedeutete gleichzeitig den Spielabbruch, denn selbst Mr. Rhönrad verspürte keine Lust mehr zum Minigolf. Moritz hatte zudem andere Prioritäten – es war mittlerweile 12.00 Uhr mittags.
Im Steakhaus fanden wir schnell einen Tisch und einen Kellner, der unsere Bestellung aufnahm. Ein fruchtiger Sangria flößte Alf wieder Leben ein und irgendwann bekamen wir auch unser Essen. Untermalt wurde das Ganze von der Beschallung durch einen Großbildfernseher, auf dem ein Formel 1 Rennen live übertragen wurde. Im Steakhaus war es derart gemütlich, dass wir uns dort festgesoffen hatten.
Dann kam der peinliche Moment. Michael Schumacher gewann das Rennen und stand zum Empfang des Siegerpokals auf dem Podium, als die deutsche Nationalhymne auch schon erklang. Und in dem ganzen, gut besuchten, Steakhaus stand ein Mann auf und sang die Nationalhymne textsicher mit.
Moritz mal wieder! Lautstark und voller Inbrunst, die rechte Faust an sein Herz haltend, ließ er die 4. Strophe erklingen. Selbst die Fans mit den Ferrari Devotionalien, die am Tisch vor uns saßen und das Rennen über reichlich Alarm gemacht hatten, schwiegen ehrfurchtsvoll. Und nein, Alf sang hier nicht mit, da er wieder mal den Kampf gegen den Schlaf verloren hatte.

Freitag, 5. Juni 2020

Contramann: kurz gesehen im Juni


https://www.giessener-anzeiger.de/freizeit/kunst-und-kultur/kulturnachrichten/unterwegs-im-fuhrerlosen-zug-des-fortschritts_21505378#
Die Autorin dieser Kolumne wurde im Woodstock-Zeitalter geboren und verbrachte ihre Jugend in Hippie Kommunen auf Kreta. Spiegel Redakteurin seit 1991 und bekennende Radfahrerin - das entspricht dem Klischee.
In diesem Beitrag zeigt sich Frau Pohl enttäuscht über die Wut und Rücksichtslosigkeit von LKW Fahrern gegenüber Radfahrern und ist sprachlos. Aber auch der Ton der Fußgänger und Radfahrer untereinander ist von hoher Aggressivität geprägt. Christina Pohl wird älter und fühlt sich zunehmend machtlos.
„Klaus nun wehr Dich doch...", den alten Song von Marius rufe ich ihr als Antwort entgegen. Es sind diese Althippies, die irgendwann grün gewählt hatten und ihr bisheriges Leben in Ruhe als geisteswissenschaftlich Verbildete in einem soften und stressarmen Job verbringen konnten, die nicht merken, dass die Luft kälter geworden ist in Deutschland.
Aber wenn die Autorin keine anderen Probleme als den barschen Umgangston ihrer Mitmenschen hat, dann soll sie doch froh sein. Immerhin kann sie sich jetzt im Supermarkt vor der Kasse an dem Typen hinter ihr (also ich) abarbeiten, weil dieser die Corona Abstandsregel ihr gegenüber mit seinem Einkaufswagen vermeintlich nicht eingehalten hat. Der Wagen alleine ist schon einsfuffzig lang.... Kann sie hier nicht auch mal sprachlos sein?

https://www.heise.de/newsticker/meldung/Corona-Warn-App-SAP-und-Telekom-sollen-es-richten-4712070.html
Die Bundesregierung setzt ja schon seit Anfang April auf eine „Corona-App“, um eine Ausbreitung des Virus kontrollieren zu können. Aufgrund von Bedenken wegen des Datenschutzes (Ha ha!) entschied man sich für eine dezentrale Speicherlösung (also auf den Handys) statt eines zentralen Servers.
Knapp einen Monat später sollen Telekom und SAP es richten. So ein Blödsinn, das auf zwei Firmen zu verteilen. Erst einen ganzen Monat nutzlos verstreichen lassen und dann diese Lachnummer. Denn als Abonnement der Magenta Drittliga Übertragung und dank leidvoller Erfahrungen mit einer anfangs schlecht funktionierenden App bin ich da aus Erfahrung skeptisch.
Ich befürchte, dass sich die Entwicklung dieser App nahtlos in die „Erfolgsstory“ von Stuttgart 21 und dem BER einreiht.

https://www.sueddeutsche.de/politik/coronavirus-immunitaetsausweis-regierung-1.4892945
Jetzt geht's erst richtig los! Von der Bundesregierung wird die Einführung eines Corona Immunitätsausweises geplant. Das hätte zur Folge, dass Corona-Genesene Sonderrechte erhalten könnten. Als da wären z. B. bevorzugter Einlass in Restaurants oder Theater.
In letzter Konsequenz bedeutet dass eine Bestrafung derjenigen Mitbürger, die bislang das Pech gehabt hatten, sich gar nicht erst infiziert zu haben. Was hat den Spahn da bloß geritten? Wie kann man innerhalb so kurzer Zeit den Gleichheitsgrundsatz der Verfassung so rigoros in die Tonne kloppen?

https://www.heise.de/tp/features/Corona-Massnahmen-Fehlende-inhaltliche-Auseinandersetzung-4718119.html
Manch einer mag diesen Artikel auf Telepolis als Verschwörungstheorie brandmarken. Jedoch konnte wohl inzwischen jeder feststellen, dass die verhängten Beschränkungen immer noch andauern. Der angestrebte Ansteckungsfaktor < 1, nach dem die „heiße Phase“ der Ausbreitung überwunden sein sollte und demnach die Beschränkungen gelockert werden sollten, ist nun seit einem Monat erreicht.
Und immer noch laufen wir mit Masken durch die Gegend, achten auf den korrekten Abstand und dürfen uns nicht mit mehr als 2 Hausgemeinschaften treffen. Ein Ende der unmittelbaren Beschränkungen ist diesen Monat nicht in Sicht. Einzelhandel und Gastronomie laufen wieder, aber dank der Beschränkungen eher schlecht.
Die Versammlungsfreiheit bleibt eingeschränkt und die Corona App, die wahrscheinlich kein Schwein braucht oder installiert, wird diesen Monat auch erwartet. Unsere Entscheider in Berlin und den Landeshauptstädten müssen aufpassen, dass die Situation nicht außer Kontrolle gerät.
Wie gesagt: Von Tag zu Tag mehr... wird dieser Artikel lesenswerter.

https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/fleischindustrie-nach-corona-faellen-in-schlachthoefen-kabinett-beschliesst-verbot-von-werkvertraegen-a-4665fd49-1f1f-4e58-a239-89ff625d02d6
Das war jetzt aber mehr als überfällig. Nachdem sich beim Fleischverarbeiter Westfleisch in NRW Hunderte osteuropäischen Arbeiter, die über Subunternehmer und Werkverträge dort beschäftigt sind, den Corona Virus eingefangen hatten, will die Bundesregierung ab Januar 2021 endlich ein Verbot von Werkverträgen für die Fleischindustrie auf den Weg bringen.
Warum aber nur für die Fleischindustrie? Glaubt hier irgendjemand, dass z. B. die Erntehelfer in der Landwirtschaft bessere Arbeitsbedingungen und vor allem Unterbringung genießen? Das menschenunwürdige Zusammenpferchen der Arbeiter auf engstem Raum, dessen „Miete“ ihnen noch auf den Mindestlohn angerechnet wurde, ist wesentlich für diesen Corona-Herd verantwortlich. Angeblich wäre dies in der Baubranche anders, hatte ich auch schon gelesen. Wer`s glaubt...
Was mich insbesondere geärgert hat, ist die jahrelange Blindheit der Politik hinsichtlich dieser Missstände. Schließlich sind die menschenunwürdigen Lebensbedingungen der Werkarbeiter schon seit Jahren, ja Jahrzehnten, bekannt, ohne dass jemals etwas geschehen wäre. Nun erst, als die Leute Angst bekommen könnten, sich über das häufig auch hygienisch bedenkliche Produkt Fleisch („Ach, das wusste ich ja gar nicht...“ Scheiße was!) zu infizieren, wird in aller Hektik ein entsprechendes Gesetz gezimmert.
...Und wenn das Thema aus den Leitartikeln verschwunden ist, wird es wie üblich wachsweich entschärft, um die arme Fleischindustrie nicht zu gefährden. Tönnjes und Co. warnen ja jetzt schon vor dem Ende von Werkverträgen.

Montag, 1. Juni 2020

Hartmudo: Visier oder Maske?

Maske: Innerhalb von Banken verboten!

An dieser Frage scheiden sich um Pfingsten herum wohl die Geister. Kurz vor Pfingsten machte Pocke mich darauf aufmerksam, dass die „Face Shields“ - also Visiere - in seinem Betrieb durch das Gesundheitsmanagement verboten wurden, weil die Scheibe zwar vor Spuckattacken schützt, nicht aber die Mitmenschen, weil die Atemluft ungefiltert an den Seiten und unterhalb des Kopfes verströmen kann und Aerosole somit die Mitmenschen gefährden können.
Dem Argument widersprach ich als Visierträger sofort. Vehement führte ich an, dass die Masken ja ursprünglich als Spuckschutz vorgeschrieben waren. Und wenn die Maske nach kurzer Zeit feucht wird, dringen die Aerosole durch die feuchte Maske nach außen, wo sie dann dank des Ausatmens ungehindert in die Gegend gepustet werden können.
Letztendlich konnte mir Pocke dank einer seriösen Quelle aufzeigen, dass Visiere in einigen Bundesländern wie Bayern, Baden Württemberg oder Niedersachsen als Schutz verboten sind, während sie z. B. in Hamburg oder Hessen als Alternative zu den Masken erlaubt sind. Wir beide fanden uns daraufhin in der Meinung bestätigt, dass die Forscher selbst uneins sind und auch nur raten, was sich dann wieder in den politischen Entscheidungen niederschlägt.
Meine Güte! Mittlerweile leben wir hier wirklich im GaGaLand. Hierzu möchte ich auf den nachfolgenden Link verweisen; insbesondere die Kommentare im Forum sind göttlich, zeigen sie doch, wie sehr die Menschen verunsichert sind und sich kreuz wie quer ihre Argumente zurechtlegen, wie es ihnen passt. Mache ich natürlich auch so - DU auch! - aber schau:
https://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/corona-infektionsschutz-ist-visier-oder-gesichtsmaske-besser-a-3febdd5b-8316-4078-8c08-429b4569d581#
Die mögliche Verbreitung des Coronavirus über die Bindehaut des Auges war mir neu, unterstützt aber meine Argumente als Visierträger. Das Gegenargument, unter dem Visier noch eine Maske zu tragen, mag es zwar noch sicherer machen, gehört aber eher zu den lustigeren Argumenten. Im Juli / August werden wir häufig über 35 Grad im Schatten messen. Da möchte ich mal die Leute sehen, die Visier und Maske tragen.
Dann hatte ich in der TAZ, ehemals Vorzeigeblatt der Linksintellektuellen, noch einen schönen Artikel gefunden:
https://taz.de/Neue-Corona-Entwicklung/!5688890/
Gleich im Teaser konnte ich da unerhörte Argumente lesen. „Trotz Lockerungen sinken die Corona Zahlen. Das Virus verbreitet sich wohl anders als gedacht: Gefährlich sind Innenräume und Superspreader.“ Die Virologen Streek und Dorsten, die seit Wochen immer wieder gern zitiert wurden und an deren Meinung sich die Politik ausgerichtet hatte, sind dank „internationaler Studien“ hiervon überzeugt.
Wie auch Herr Lauterbach von der SPD. Dieselben Leute, die vor einem Monat den totalen Lockdown mit Maskenpflicht propagiert hatten, kommen pünktlich zu Pfingsten zu einer etwas anderen Erkenntnis. Wurde zuletzt der Schwerpunkt auf die Masken und den Schutz der Mitmenschen in der Öffentlichkeit vor Aerosolen gepredigt, soll jetzt die große Gefahr in Innenräumen lauern, so dass die Lockerungen der Beschränkungen in den Außenbereichen nicht mehr so problematisch gesehen werden.
Was diese Leute uns wohl nächsten Monat erzählen werden? Ich sehe ja ein, dass man erst nach und nach zu neuen Erkenntnissen kommen kann und daraus dann die jeweiligen Schlüsse ziehen muss. Mir stößt nur etwas auf, dass sich die Meinungen in den letzten Monaten stellenweise um 180 Grad gewandelt hatten.
Visier: Space X auf großer Fahrt

So waren Anfang des Jahres Menschen, die vor einer Pandemie durch das Coronavirus warnten, in den Medien noch als Verschwörungsfanatiker verschrien gewesen. Heute ist es umgekehrt. Kurze Zeit später galten Masken als unnütz, da es lediglich auf den Abstand ankommen würde. Danach ging es um den Schutz der Mitmenschen, weil die Aerosole durch Sprechen oder gar Singen meterweit fliegen würden und so wenigstens aufgefangen werden können.
Dass diese Aerosole aber auch langsam und stetig in der Luft schweben und insbesondere bei den Visieren gern mal zur Seite oder unterhalb des Plexis ausweichen und dann zielsicher noch etwas Auftrieb bekommen, um die Mitmenschen zu attackieren, scheint die neue Erkenntnis zu sein.
Oder anders formuliert: Wenn ich eine Maske aufhabe, werden die mit viel Schwung heraus geschleuderten Aerosole von der dünnen Maske aufgefangen. Die am Rand des Visiers vorbeischwebenden Teilchen dagegen, die einen verschwindend geringen Geschwindigkeitsvektor aufweisen, kriechen von außen durch dieselbe Maske, dasselbe Material, in Mund und Nase. Wenn ich das meinem alten Physiklehrer erzählen würde...
Ob Virologen, Politiker oder andere Verantwortliche: Die getroffenen Schutzmaßnahmen werden mit pauschalen Argumenten begründet, die nicht angezweifelt werden dürfen. Nun ist es sicherlich notwendig, aufgrund der jeweils aktuellen Erkenntnisse zu handeln, um Schlimmeres zu verhüten. Hierbei können die Verantwortlichen schon mal über das Ziel hinausschießen. Da haben Ende März und im April auch die allermeisten Bürger mitgespielt.
Aber wenn man dann neue Erkenntnisse - wie das Ding mit den Superspreadern - gewinnt, sollte man zumindest die Richtigkeit seiner alten Überlegungen widerrufen bzw. eben richtig stellen. Ein einfaches „Das haben wir vor Wochen anders gesehen, weil...“ würde mir da schon genügen. Dies meine ich vor allem zu den Themen „Maske - ja oder nein?“ und „Sind Coronagegner oder Coronaklatscher Verschwörungsfanatiker?“ hören wollen.
Aber wie im Kleinen, so im Großen. Auch in meinem privaten Umfeld habe ich über die Jahre beobachten können, dass viele Leute sich urplötzlich nicht mehr erinnern können, wenn sie mal eine konträre Meinung zu einem Thema vertreten hatten und man sie darauf anspricht. In schöner Regelmäßigkeit wird dann mit den Schultern gezuckt und somit der Eindruck erweckt, das hätte man niiie gesagt. Kritik wird einfach nicht kommentiert und Schluss.
Mir selber passiert das natürlich auch, insbesondere, wenn ich straff bin. Aber ich setze mich dann damit auseinander und erkläre wenigstens, warum ich meine Meinung oder Ansicht geändert habe. Eben erwähnte Menschen legen so ein Verhalten wie selbstverständlich als Schwäche aus. Früher hätte ich das so unterschrieben, heute nicht mehr.
Die in den letzten Wochen über Gebühr zitierten Virologen können noch am wenigsten etwas dafür, weil sie lediglich ihre Erkenntnisse verbreiten und davon gewinnt man eben ständig neue. Aber die Entscheider in Politik und Verwaltung könnten ihre Handlungen auch mal etwas transparenter gestalten.