Mittwoch, 30. September 2020

Uncle Fester: Faszinierend 2/2

Diesen Text hatte ich ganz vergessen. Geschrieben hatte ich ihn am 30.6.2013, vor mehr als sieben Jahren. Er ist aber noch aktuell - ich habe ihn jetzt nur noch einmal grob korrigiert. Beim Durchlesen war ich dann sehr erstaunt, dass ich diesen Text auch nach sieben Jahren noch unterschreiben kann.
Luigi vermutete letztens, ich hätte viel Zeit zum Lesen, wenn ich die Bücher alle gelesen habe. Tatsache ist, dass ich beim Pendeln auf der Fahrt zur Arbeit und zum Schlafengehen lese. Da kommt schon einiges zusammen. Doch diese Zeit nehme ich mir gerne. Warum, steht in diesem alten Text.

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Eine vermutete Realitätsflucht findet dann höchstens oberflächlich statt. Es ist vielmehr so, das die gewonnene Sicherheit an für das Leben wichtige Maßstäbe dies mehr als kompensiert. SF Fans habe ich schon immer als klar strukturiert empfunden. Träumer womöglich, aber doch stärker in der Realität verwurzelt als „Normalos“, wenn es drauf ankommt.
Gut, das war jetzt vielleicht ein bisserl arg polemisch, doch was bleibt, ist die in uns allen wohnende Sehnsucht nach „geordneten“ Verhältnissen. Da, wo die Welt noch in Ordnung ist und Ideale noch etwas zählen, der Tüchtige und Ehrliche nicht der Arsch ist und sich Böswilligkeit sowie Lug und Trug nicht auszahlen – bin ich nicht, wenn ich aus dem Fenster schaue.
Nein. Ich muss schon eine DVD einlegen oder ein Buch aufschlagen, um ins Star Trek Universum abzudriften. Jean Luc Picard oder James Tiberius Kirk haben wahrscheinlich mehr Kinder und junge Erwachsene aufs Leben positiv vorbereitet als Lehrer, Geistliche und andere Moralapostel dies in christlichen Ländern tun könnten.
Das eine Erfindung wie das Handy, insbesondere Smartphone, ohne die Tricorder aus Star Trek nicht gemacht worden wäre, gilt mittlerweile als sicher. Das gut beschriebene Star Trek Universum ist in seiner ausufernden Vielfältigkeit sicher besser als „Realitätsflucht“ geeignet als z.B. Sim City.
Denn durch das SF Umfeld bleibt die Grenze zur Realität im Ernstfall sichtbar. Bei Sim City verschwimmt das schon mal. Außerdem ist es spätestens seit Picard üblich, das insbesondere philosophische als auch gesellschaftspolitische Themen beleuchtet werde. Manchmal moralinsauer zugegebenermaßen, aber immer mit einem Augenzwinkern und zum Nachdenken für das eigene, REALE Leben erzählt.
Wem Star Trek zu „anspruchsvoll“ ist, der weicht auf Perry Rhodan aus. Dies ist mir persönlich zugegebenermaßen zu einfach gestrickt. Auch die Heroisierung des Großadministrators und die damit verbundene eindimensionale Storyentwicklung stößt mir auf. Da wittere ich ängstlicherweise faschistoides Gedankengut dahinter.
In der Science Fiction ist ein weiterer schöner Aspekt möglich, der auch immer gerne wieder mal aufgegriffen wird: Der vermeintlich kleine Mann (seit ein paar Jahren auch Frau) wird durch Zufall zum Helden oder gar Retter der Galaxis. Also Du oder vor allem ich. Philip K. Dick wurde dieses Markenzeichen ja schon früh angeklebt.
Dies ist natürlich zur Identifikation mit einem Roman oder Film immer eine gute Voraussetzung. Keine andere Literaturgattung kann da auch nur annähernd mithalten.
Der Held kann ganze Galaxien retten und nicht bloß den Weltfrieden auf unserem kleinen, unbedeutenden Planeten.
Wenn man dies dann noch mit Star Trek kombiniert und Jugendlichen vorsetzt, könnte ich mir sogar vorstellen, das negative Aspekte unserer Gesellschaft wie Faschos oder sonstige Hools besser bekämpft werden können als mit noch so viel gut gemeinter Sozialarbeit.
Hier ist es möglich, Themen wie Umweltzerstörung, negative Aspekte zunehmender Privatisierung vormals öffentlicher Aufgaben, übersteigerten Nationalismus oder Religion etc. anschaulich zu repräsentieren.
Der Held im Roman bleibt auf alle Fälle die erste Identifikationsfigur. Sicher werden Themen wie Umweltzerstörung auch in der „normalen“ Hochliteratur angesprochen. Jedoch ist es nur in der Science Fiction möglich, etwaige Risiken des heutigen Umgangs bspw. mit der Müllentsorgung auf zukünftige Entwicklungen hin aufzuzeigen.
Denn dort, wo dies auch in der Hochliteratur gemacht wird, macht eine solche Fiktion schon den Übergang zur SF aus. Ist dann auf alle Fälle Crossover.
Das SF als Roman häufig geringschätzig beurteilt wird, liegt an dem omnipotenten Schatten eines Perry Rhodan oder auch solchen Schlonz wie Warcraft und Battletech. Dutzendware, die allerhöchstens im Film durch entsprechende technische Effekte zu überzeugen vermag. Die meisten Leute, die ich kenne, lesen halt höchstens mal im Urlaub ein Buch, wenn überhaupt. Und da sind dann unendliche Weiten und unbekannte Planeten oder Aliens nicht so gern gesehen, weil eine Story am Besten in einer realistischen Umgebung und nicht in einem Raumschiff aufgenommen werden kann.
Das Lesen von SF muss also erlernt und geübt werden, will man auch Spaß an fremden Welten entwickeln. Die Assoziation fiktiver Geschehnisse wie politischer Intrigen oder Umweltaspekte mit empfundenen Schrecken der heutigen Gesellschaft klappt dann irgendwann.
Die wirklich guten Sachen, wie das Werk von Dick, zünden auch nach einem halben Jahrhundert. Die dort beschriebenen Zukünfte mögen nicht oder nur teilweise eingetroffen sein, aber die geschilderten Ängste oder Probleme bestehen ja auch weiter fort.
Schließlich hat sich am Wirtschafts- oder Gesellschaftssystem nichts geändert.
Dazu dieser „Sense of Wonder“. Der Erzähler hat in der SF die Möglichkeit, immer wieder neue Überraschungen in die Story einzubauen. Der Fantasie sind hier keine Grenzen gesetzt, so dass ein „kenn ich schon von …“ seltener vorkommt.
Ich könnte mir wohl noch stundenlang hierzu etwas aus dem Hirn saugen, würde mich aber dann doch nur wiederholen.
Also: Versuch es mal mit Science Fiction. Tauch ein in eine Welt, wie es sie so nie geben wird. Lies Star Trek und lerne was fürs Leben. Ist auch nicht so trocken wie Philosophie von Schopenhauer und Co. Nicht so feucht wie Charlotte Roche zugegebenermaßen, dafür besser.

Montag, 28. September 2020

Uncle Fester: Faszinierend 1/2

Diesen Text hatte ich ganz vergessen. Geschrieben hatte ich ihn am 30.6.2013, vor mehr als sieben Jahren. Er ist aber noch aktuell - ich habe ihn jetzt nur noch einmal grob korrigiert. Beim Durchlesen war ich dann sehr erstaunt, dass ich diesen Text auch nach sieben Jahren noch unterschreiben kann.
Luigi vermutete letztens, ich hätte viel Zeit zum Lesen, wenn ich die Bücher alle gelesen habe. Tatsache ist, dass ich beim Pendeln auf der Fahrt zur Arbeit und zum Schlafengehen lese. Da kommt schon einiges zusammen. Doch diese Zeit nehme ich mir gerne. Warum, steht in diesem alten Text.

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Letztens am Morgen: Ich sitze beim Bäcker auf nem Hocker und blättere gerade die Seite um, da wurde mir auf einmal bewusst, warum ich hauptsächlich Science Fiction lese.
Andere lesen Krimis, historische Romane oder selbst angesagte Sachbücher. Biographien oder Tommy Jaud. Fantasy und Horror sind wie Krimis seit eh und jeh angesagt. Aber Science Fiction? Wer liest heute überhaupt noch? Wer macht denn so etwas? Ich mach sowas. (Frei aus der klasse gemachten Dacia Werbung mit Mehmet Scholl)
Doch bevor ich mich mit den Vorzügen von Science Fiction befasse, will ich erst mal aufs Lesen bzw. Medienaufnahme allgemein zu sprechen kommen.
Durch die Medien Film und Fernsehen sind wir ja alle schon arg verwöhnt. Die Bilder werden Dir vorgesetzt und entstehen nicht mehr im Kopf. Keine langwierigen, über Seiten gehende Beschreibungen von Landschaften oder Gedanken, Gefühlen etc. Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte, sagt der Volksmund.
So wird es möglich, ganze Romane in 90 Minuten zu verpacken. Oder als Vierteiler zu Weihnachten im ZDF, wenns ein Schmöker ist oder anspruchsvoll wirken soll. Romane können daher schnell konsumiert werden, aber erlebt wird in der Regel nur ein grober bzw. eingeschränkter Handlungsrahmen der Vorlage.
Komplexe Storys wie Harry Potter oder Herr der Ringe werden dadurch aber eingeschränkt. Zu zahlreich sind da einzelne Handlungsstränge, als das sie im kurzlebigen Medium Film wahrgenommen werden.
Außerdem sind z.B. in „American Psycho“ die seitenlangen, langatmigen Beschreibungen der Armanikultur im Roman zwar nervtötend, dafür ist das Grauen um so größer, wenn der Schlachter wieder zuschlägt. Hierdurch wird der Wahnsinn des Täters erst so richtig spürbar. Der Film kann dies durch Bilder nur unzureichend transportieren.
Ich denke, das Medium des Films wie auch des Fernsehens hat seine Berechtigung und kann durchaus qualitativ anspruchsvoll sein. Serien wie „Der letzte Zeuge“ oder auch „Navy CIS“ wären als Groschenheft wahrscheinlich schnell langweilig.
Die Frage der Qualität ist bei den genannten Beispielen zugegebenermaßen subjektiv sehr unterschiedlich zu bewerten, aber ich finde sie toll. Wem das zu anspruchslose Unterhaltung sein sollte, mag sich zu Tier- oder Politikdokus flüchten. Jedem Tierchen sein Pläsierchen halt.
Das aber das geschriebene Wort mehr Gestaltungsmöglichkeiten als laufende Bilder bieten kann, würde ich schon als allgemein anerkannt sehen. Insofern bietet das Medium „Buch“ am ehestens die Möglichkeit, der realen Umgebung zumindest kurzzeitig zu entfliehen.
Wir reden hier natürlich nicht von Flucht im klinischen Sinne. Wenn es so weit ist, da helfen keine Bücher mehr, nur noch Tabletten und evtl. eine Zwangsjacke.
Den Begriff der Realitätsflucht verwende ich hier wertfrei. Denn natürlich sind es die fiktiven Geschichten, die wir dann lesen oder sehen wollen. Was wirklich passiert, das kann man im TV schnell aufnehmen. Irgendwelche Biographien, meinetwegen. Aber selbst wenn das alles mal so passiert ist, so ist es nicht mir passiert und damit wird es zur Fiktion.
Pocke z.B. ist passionierter Krimileser. Er möchte also eine fiktive Story in einer „normalen“ Umgebung. Das hilft sicher bei den Assoziationen, wenn man vielleicht in der Umgebung des Story selbst schon gewesen ist. So was hat ja auch für mich seinen Reiz.
Viele – wie z.B. mein Kollege Theo – lesen Fantasy oder auch Horrorgeschichten. Hier geht es schon fantastischer, weil irreal zu. Die Trennung zwischen „Traum und Wirklichkeit“ bleibt also klar gezogen. Verwechslungsgefahr ist also gering.
Und jetzt, Randy und UMD, ja jetzt, auch Du,Biggi, ja jetze kommen wir.
Science Fiction. Auch hier kann die Umgebung exotisch sein. Fremde Welten, fremde Völker. Der Fantasie sind hier keine Grenzen gesetzt. Die Story spielt für gewöhnlich in ferner Zukunft und ist dann eine Projektion des Autors von jetzigen Zuständen auf die Zukunft.
Muss aber nicht. Gegenwart oder nahe Zukunft sind auch erlaubt, wenn die Aliens landen. Ob gut oder böse, alles ist möglich. „Was wäre wenn“ ist hier das Zauberwort. Und das Entscheidende ist natürlich, das dieses Genre keine Grenzen kennt. Selbst die Fantasy, erst recht der Horror sind engen Schranken unterworfen. Da gibt es zwar mittlerweile gerade zur Science Fiction noch Verbindungen, aber diese Crossover werden dann doch eher der Science Fiction zugeordnet und sind dann in der Regel auch lediglich für diese Fans interessant.
Mal abgesehen von der sogenannten Military SF, John Ringo oder auch David Weber als Autoren seien hier beispielhaft genannt, hat Science Fiction häufig noch eine andere wichtige Funktion: Eine Moral wird vermittelt. In der heutigen Zeit ohne Werte, in der Religion (zum Glück) kaum mehr wahrgenommen wird, ist die Sehnsucht nach übergeordneten Leitsätzen fürs Leben gerade zur Orientierung im normalen Alltag unerlässlich.

Mittwoch, 23. September 2020

Hartmudo: Mutter

62
18. April 2017. Zeit für den letzten Akt unseres Familiendramas. Wir trafen uns im Heidberg in der Nord LB Filiale, um das Konto unserer Mutter bei der Nord LB aufzulösen. An diesem Dienstag machte ich schon um 14.00 Uhr Feierabend, weil mir noch einige Sachen durch den Kopf gingen und ich in Ruhe noch etwas sinnieren wollte, bevor um 17.00 Uhr bei der Nord LB das finale Treffen stattfinden sollte.
Zum Sinnieren: Mir gingen die Geschehnisse der letzten Monate durch den Kopf. Dieses leidige Misstrauen zwischen uns Geschwistern, welches hauptsächlich bei Sunny überproportional stark ausgeprägt war, konnte ich immer noch nicht verstehen. Egal wie oft ich mein Gehirn zermarterte, ich kam einfach nicht drauf. Der ganze Hustle war dermaßen unnötig, aber eigentlich auch unvermeidbar gewesen.
Ich hatte das bereits während der gesamten Zeit nach Mutters Tod von Freunden und Kollegen gehört, dass es nach dem Tode des letzten Elternteils häufig zum Streit um das Erbe kommt. Selbst Verwandte, die zuvor noch zusammen viel unternommen hatten, fielen wegen des lieben Geldes übereinander her, als ob es um Leben und Tod ginge. Dabei vergessen diese Leute immer wieder, dass sich ihre Eltern auf keinen Fall solche derben Streitereien ums Erbe gewünscht hätten.
Da sitzt man noch bei der Beerdigung oder der Trauerfeier stumm und andächtig zusammen, spricht das Vater Unser und tröstet einander. Aber kaum ist der angeblich geliebte Mensch unter der Erde, geht das Hauen und Stechen los. Angeblich geliebt deshalb, weil man sich eben nicht gegenseitig an die Gurgel geht, wenn die Mutter gerade mal kalt geworden ist. Auch unsere Mutter würde sich im Grabe umdrehen, wenn sie uns nach ihrem Tod noch erleben könnte.
Obwohl... so wie Mutter im Allgemeinen drauf war, könnte es ihr tatsächlich egal gewesen sein. Bei näherem Nachdenken würde ich diese Gleichgültigkeit mittlerweile auch meinem Vater unterstellen, der bereits seit 25 Jahren tot ist. Ich weiß, dass meine Sestras dies anders sehen. Aber da greift wohl der alte Grundsatz, dass Töchter immer nach ihrem Vater gehen bzw. zu diesem ein gutes Verhältnis haben.
Mit all diesen Gedanken belastet, stempelte ich um 14.00 Uhr in Salzgitter aus und fuhr mit Bahn und Straßenbahn ins Heidberg. So um Drei stieg ich auf der "Brücke" aus. Die Brücke über die B4 nach Wolfenbüttel, die Heidberg und Melverode verbindet. In meiner Kindheit gab es zwar schon den Abzweig nach rechts zum Schlesiendamm, aber da war die Straßenbahnlinie 1 nach Stöckheim erst in Planung gewesen und wir Kinder konnten nach Herzenslust auf der Brachfläche namens Schlesiendamm Sommer wie Winter spielen.
Beim Aussteigen auf der Brücke musste ich unwillkürlich an Veit, meinen Freund aus Kindertagen, denken. Denn dort, wo sich die Straßenbahnschienen gen Heidberg oder auch Schlesiendamm gabelten, stand ein Wetterhäuschen zum Unterstellen bei schlechtem Wetter. Dort trafen wir uns, wenn die Eintracht, eine von vielleicht 5 Spitzenteams der ersten Bundesliga, Samstags um 15.30 Uhr ein Heimspiel an der Hamburger Straße ausgetragen hatte. So gegen 14.00 Uhr, meine ich, trafen wir uns zumeist dort.
Im Stadion selbst nahmen wir vor Anpfiff lediglich eine Bratwurst am Stand von Fichtelmann beim Südkurvenaufgang an der Gegengerade. Denn da standen wir immer: Auf der Südkurve (Schüler Eintritt 6,00 DM) am Zaun zur Gegengerade, möglichst weit oben. Wir, dass waren neben Veit und mir noch der Rest von ACHMUK80, wie wir unsere damalige Cique nannten.
Natürlich standen wir dort nur während der ersten Halbzeit, wenn unsere Eintracht auf die Südkurve spielte. Zur Pause gingen wir immer rüber - in die Nordkurve hinter das Tor. Platz war ja immer genug. Ich denke da an die Saison 1976/77, als die Eintracht fast deutscher Meister geworden wäre. Tabellenführer 3 Spieltage vor Schluss - vor Gladbach und Köln. Drei Siege hätten gereicht, aber Willi Reimann machte im drittletzten Spiel kurz vor der Halbzeit das 1:0 für die Hamburger (auf die Südkurve) und das war es gewesen. Auch ein 6:0 gegen Rot Weiß Essen im letzten Spiel half da nichts mehr, weil Gladbach ein Punkt und Schalke in der Tordifferenz besser waren.
Bei einem Zuschauerschnitt von seinerzeit 12.000 ging in der Pause ein Wechsel der Kurve noch, zumal die Sicherheitsbestimmungen in den 70ern bei Weitem nicht so streng waren. Geprügelt wurde sich wohl damals auch schon, aber es stand eben nicht in den Medien. Nach dem Spiel fuhren wir mit der Straßenbahn immer brav nach Hause. Später, als wir auch schon am Saufen waren, ging es nach den beliebten Flutlichtspielen am Freitag ins Puttchen, um große Altbiere abzupumpen. Heutzutage mache ich ums Altbier einen großen Bogen - sicherheitshalber.
Ihr merkt schon, dass mich die Kindheitserinnerungen in diesem Moment überwältigt hatten. Und das hielt auf dem Weg zur Bank auch weiter an. Hinunter an der Autobahnauffahrt, rechts vorne die Polizeiwache Heidberg im Blick. Und hinter dem großen Parkplatz beginnt das Einkaufszentrum. Hinter der ersten flachen Ladenzeile befand sich damals ein Bolzplatz. Dort spielten Veit, Hamu und ich seinerzeit Fußball. Eins gegen eins, einer im Tor.
In der flachen Ladenzeile, die heute arg verwaist ist, befand sich damals Bäcker Billig. Doch, der hieß so. Dort kaufte mein Vater gerne Brötchen, am Wochenende ging ich dort hin, um für meine Eltern und mich die Frühstücksbrötchen zu kaufen, weil sie mit 9 Pfennig eben einfach nur billig waren.
Auf dem Weg zur Bank ging ich ein Stückchen weiter die Rampe zum eigentlichen Einkaufszentrum hinauf, welches nach dem großen Brand vom Heiligabend 1981 neu gestaltet worden war. Rechts vom Anfang der Rampe befand sich vor wie nach dem Brand die Gaststätte zum Kegelbären. Dort fing meine Mutter einst als Küchenhilfe an zu arbeiten, heute gibt es dort nur noch einen Liefereingang zu der Apotheke.
Gegen den Willen meines Vaters hatte Mutter seinerzeit den Job durchgesetzt. Ich selbst war mit 8 Jahren ja auch schon alt genug, da musste sie sich nicht mehr um mich kümmern. So war das damals, zumindest bei uns zu Hause. Mein Vater hatte Mutter nie etwas abschlagen können. Und Mutter wollte partout Geld verdienen, um reisen zu können. Mit Vater ging das ja nicht, weil der, wie er immer so schön betonte, schon "einmal zu Fuß durch ganz Europa gelatscht sei."
Es war wohl dieses Kriegstrauma, welches mein Vater erlitten haben musste. Meine Mutter musste sich wirklich richtig gelangweilt haben. Sie wollte mehr von der Welt sehen als den Schrebergarten in unserer Straße. Von all den Auseinandersetzungen, die unsere Eltern deshalb geführt haben mussten, bekamen wir Kinder selbstverständlich nichts mit. Ging uns ja auch nichts an.
Ich hatte also noch etwas Zeit und schwelgte weiter in Erinnerungen. Zuerst ging ich nicht die Rampe rauf ins Zentrum hinein, sondern wandte mich nach links zum I Punkt. Veit hatte damals dort mit seinen Eltern im 4. Stock gewohnt, bei ihm war ich nach der Schule fast jeden Tag.
Heute wohnen im I Punkt keine Familien mehr, das ganze Gebäude ist ein einziges Seniorenheim mit angeschlossener ambulanter Pflege - exclusiv also. Aber oben, im 16. Stock, war noch immer ein Restaurant. Mittlerweile heißt es Ivent und ist ein spanisches; Ein paar Mal waren meine Löwin und ich dort auch schon gewesen. Einmal z.B. mit Mutter und Walter eines Abends. Die Aioli mit dem frischen Weißbrot sehe ich immer vor mir, sobald ich nur daran denke. Lecker.
Als ich mich oben an ein Fenster setzte und mich von der knackigen Sonne brutzeln ließ, blickte ich interessiert aus dem Fenster in Richtung Melverode und B4. Mit Jürgen war ich vor ein paar Jahren hier reingestrunkelt, beide sturzbesoffen. Da war hier noch ein Tanzcafe für ältere Herrschaften gewesen, so ein richtiger Anbahnungsschuppen. Die sehnsüchtigen Blicke der tanzenden Omis werde ich mein Leben lang nicht vergessen, als wir (seinerzeit) Mittdreißiger aus dem Fahrstuhl ins Lokal eintraten.
Wir hatten Angst und machten unwillkürlich kehrt. An diesem Nachmittag jedoch, im Ivent, bestellte ich lediglich einen Kaffee und packte mein Tablet aus. Ich schrieb noch etwas an dieser Story weiter, ich war wohl gerade irgendwo in den 30er Kapiteln.

Sonntag, 20. September 2020

Uncle Fester: grad gelesen September 2020

John Connolly – Stan
Irgendwann Anfang letzten Jahres bin ich bei Hugendubel über diesen Roman gestolpert und habe ihn mir letztes Jahr zum Geburtstag schenken lassen. Jetzt endlich habe ich ihn gelesen. Anfangs war ich wenig begeistert ob der kurzen Kapitel und oberflächlichen Schilderungen einzelner Geschehnisse. Doch nach und nach stieg ich umso mehr in die Gedanken- und Gefühlswelt von Stan Laurel ein.
In seinem Hotelzimmer auf den Tod wartend, erinnert sich der verbitterte Stan Laurel an sein Leben. Und in diesem spielte Oliver Hardy – in Hollywood „Babe“ genannt – eine tragende Rolle. So wie beide Stars in ihrem künstlerischen Schaffen nur zusammen Großes leisten konnten, waren ihre Schicksale auch privat miteinander verknüpft. Dies wird in den vielen Rückblenden sehr anrührend geschildert, vor allem das enge freundschaftliche Verhältnis der Beiden.
Nein, die beiden waren kein schwules Pärchen. Beide waren mehrmals verheiratet, Babe z.B. jahrelang mit einer Alkoholikerin, die er aus Gutmütigkeit und Pflichtbewusstsein nicht verlassen konnte. Das hinderte ihn natürlich nicht daran, sich mit einer Geliebten zu umgeben, was natürlich im konservativen Amerika der 20er und 30er Jahre geheim bleiben musste. Er trank viel und brachte sein Geld auf der Rennbahn durch. Glücklich war er nicht.
Bei Stan, aus dessen Sicht die Geschehnisse in der 3. Person geschildert werden, war das noch extremer. Er war sieben Mal verheiratet, davon mit 3 Frauen mehrfach. Erst Ida, seiner letzten Frau, wird er treu bleiben. Denn zuvor hatte Stan stets noch eine Geliebte nebenbei. Überhaupt ist „ficken“ eines der am häufigsten vorkommenden Wörter des Romans.
Rührend schildert der Autor die emotionelle Nähe zwischen Stan und Babe, ohne allzu sehr ins Schwülstige abzurutschen. Die Scheidungen von ihren Frauen haben beide Männer langfristig ruiniert. Die Chronologie ihrer Karriere wird nur so nebenbei erzählt, der Schwerpunkt liegt eindeutig auf ihrem Privatleben.
Dennoch habe ich so einiges erfahren, was mir bislang nicht bekannt war. Zum Beispiel kam Laurel um 1910 mit der Vaudeville Truppe von Fred Karno in die USA. Er war als Ersatzmann für Charlie Chaplin in der Truppe und teilte sich mit diesem die billigen Hotelzimmer. Noch kurz vor seinem Tod spricht Laurel über Chaplin im ehrfurchtsvollen Ton, obwohl jener ihn in seiner Biographie nicht mal erwähnt hatte.
Ob James Finlayson oder Thelma Todd, Roscoe Arbuckle oder Harry Langdon. Über all diese frühen Größen der Traumfabrik Hollywood erfuhr ich Hintergründe, die mich unwillkürlich in Wikipedia recherchieren ließen. Ihren 1932 mit einem Oscar prämierten Kurzfilm „Music Box“ habe ich mir sofort angeschaut, weitere Filme werden folgen.
Schlussendlich hat mich „Stan“ voll und ganz überzeugt. Obwohl der Roman zum Ende hin immer trauriger wird, ist es doch ein optimistisches Buch. Über wahre Freundschaft, die es heute so leider nicht mehr gibt.
 
                                                          


Frank Goosens – Raketenmänner
Den hatte ich noch auf Halde. Dieses kleine Büchlein mit seinen kurzen und locker miteinander verknüpften Geschichten war die ideale Lektüre für die diesjährige BiRe.
Kamerke ist freiberuflicher Auftragsschreiber und möchte einmal im Leben seine Frau betrügen. Auf einer Tagung einer Firma der Solarindustrie lernt er Ritter, Blumberg und Reif kennen. Und Gaby. Wenzel möchte einen Plattenladen übernehmen und braucht dazu noch das Eigenkapital von seinem Großvater. Die LP „Raketenmänner“ eines Stephan Moses fasziniert ihn besonders.
Frohnberg ist Chef der Solarfirma und muss im nächsten Meeting die Entlassungen bekannt geben.Kobusch hatte seinen alten Kumpel Sabolewski bei sich aufgenommen, weil der mit dem Leben nicht klar kommt. Dessen Vater Wolff spielt auf Raketenmänner mit. Der paranoide Ritter schwänzt das Meeting und verbringt die Nacht bei Alex, einer selbstbewussten Barfrau.
Overbeck und Riedel sind weitere Typen, die Goosens uns vorstellt und die irgendwie in die Story gehören. Wie genau, weiß ich nicht mehr und habe es jetzt auch nicht mehr eruiert. Es reicht zu wissen, dass Wolff am Ende im Haus von Stevie Nicks in Kalifornien verstirbt. Eine durchgehende Handlung ist in diesem Werk nicht auszumachen, war aber sicherlich auch nicht Goosens Absicht. Das er das kann, hatte er ja schon oft bewiesen.
Somit kann ich dieses Buch jedem empfehlen, der im Strandurlaub etwas Anspruchsvolles wie Unterhaltsames als Lektüre sucht. Hinterher darf man sich als Abiturient fühlen.

 

 

 

Freitag, 11. September 2020

Contramann: kurz gesehen im September


https://www.berliner-zeitung.de/gesundheit-oekologie/die-luege-vom-gruenen-lifestyle-li.90655
https://www.moment.at/story/kathrin-hartmann-es-ist-keine-frage-der-individuellen-entscheidung-sondern-eine-frage-von
Gleich 2 Links zu Interviews mit Frau Hartmann, die in ihrem Buch „Grüner wirds nicht“ genau in die Wunde sticht, die den normalen Grünen-, SPD- und auch Linke-Wähler schmerzt. Denn was nützt der Bioladen, der großzügige Verzicht auf Tönniesfleisch oder der SUV mit der Ökoplakette, wenn sich nur wenige diesen Luxus überhaupt leisten können.
Die ärmeren Schichten unserer Bevölkerung, das sind wohl mehr Menschen als die vorgenannte Gruppe, kauft derweil ihre Salami bei Penny oder Wiglo, weil es finanziell für das Demeterfleisch nicht reicht. Wer einmal bei Denns kauft, weiß, dass ein Hartz IV Empfänger dort nicht einkaufen kann.
Und hier kommt Frau Hartmann. Man muss den ausufernden Kapitalismus bekämpfen, ihn eindämmen. Erst dann ist eine nachhaltige Sorge für die Zukunft machbar. Das derzeitige grüne Gehabe von dem individuellen richtigen Verhalten ist eher eine Ökodiktatur, weil sich dies nicht alle leisten können (oder wollen). Bestehende Machtverhältnisse werden so zementiert und die Supermarktketten und die Agrarindustrie steigern ihre Profite dank des Bio Feelings des neuen Berufsbürgertums.
Da könnte man Frau Hartmann fast bei den Linken a la Wagenknecht verorten. Übrigens: Gerade in der Coronakrise könnte man mit nachhaltigem Wirtschaften anfangen. Eine Umgestaltung des Verkehrs in Städten weg vom motorisierten Individual- hin zum Radverkehr wäre ein Beispiel. Oder eben eine Reformierung der Landwirtschaft, in der artgerechte Tierhaltung gefordert ist und allgemein der weitere Raubbau an der Natur verhindert wird.

https://www.heise.de/tp/features/Tod-von-George-Floyd-Hat-die-politische-Korrektheit-versagt-4837744.html
Sehr schöner Artikel, der genau wie Jens Berger auf den Nachdenkseiten die geheuchelte sprachliche political Correctness pseudolinker Intellektueller aufspießt. Geht es bei Berger konkret um die Umbenennung des „Coburger Mohrs“, einem alten Wahrzeichen jener Stadt in Gedenken an die Mauren, so verweist Rosner am Schluss interessanterweise auf „1984“.
Der Neusprech in Orwells Klassiker erinnert fatal an das derzeitige Umbenennen von rassistischen Begriffen wie „Mohr“ oder „Neger“. Das sind lediglich symbolische Akte, die weder Rassismus noch Frauendiskriminierung bekämpfen. Eine korrekte Behandlung von Migranten in der Bundeswehr (oder Polizei) wird keine Auslandseinsätze verhindern, bei denen eben jene zu schützenden Migranten abgeknallt werden.

https://www.spiegel.de/politik/deutschland/veraltete-autos-der-schrott-auf-deutschen-strassen-kolumne-a-00000000-0002-0001-0000-000172071799
Was will uns der Kommentator denn hier verkaufen? Die deutsche Autoindustrie ginge am Stock, weil die Deutschen ihre Autos zu lange fahren. Eine Abwrackprämie müsste her, damit die Leute endlich neue Autos, ruhig Verbrenner, kaufen, was ja nur gut für die Umwelt wäre.
Wer hat dem denn ins Gehirn gesch***en? Die Produktion eines Neuwagen ist erheblich umweltschädigender als eine Instandhaltung des Altfahrzeuges, zumal die Fortschritte in der Motorentechnik oder der Verbrauchsreduzierung nicht wirklich riesig sind. Das hat etwas damit zu tun, dass der Konsumartikel „Auto“ an sich ausentwickelt ist. Ähnlich wie bei Fernsehern oder CD-Spielern, welche jetzt schon verramscht werden müssen.
Dies gilt vor allem für die Verbrenner. Da geht es bei Neuwagen mittlerweile nur noch über den Preis, da die Qualitätsunterschiede zwischen den verschiedenen Herstellern marginal sind. Allenfalls übers Leasing bleiben VW, Daimler oder BMW im Geschäft für Privatkunden. Wer sich dagegen einen Neuwagen von VW oder Opel kauft, schmeißt einfach nur Geld aus dem Fenster.
Bei Elektroautos sähe das anders aus, da aber haben die deutschen Hersteller den Anschluss verpasst, weil sie viel zu lange lediglich auf ihre Lobbyarbeit in Berlin vertraut hatten. Bei Wasserstoff oder Hybrid sieht es ähnlich aus. Nein, wir müssen uns damit abfinden, dass die deutsche Automobilindustrie weiter an Bedeutung verliert und Hunderttausende Arbeitsplätze dort und vor allem in der Zuliefererindustrie verloren gehen.

https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/lohn-karte-wo-in-deutschland-viel-verdient-wird-und-wo-wenig-a-bf4fed54-3aed-4a2c-9f5e-0c7d945a60de
Auch geil.
„In Wolfsburg gehört man mit 5000 Euro brutto im Monat zur unteren Hälfte, in Görlitz mit 2400 Euro bereits zur oberen. Wie ist das Lohnniveau bei Ihnen am Ort?“
Das kann man so unkommentiert wirken lassen.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1139777.homeoffice-einsatz-in-vier-waenden.html
„Die, die während der Zeit am Arbeitsplatz bleiben mussten, wurden wirklich gebraucht – die Entbehrlicheren machten Homeoffice.“ Hier hat Roberto de Lapuente den Nagel auf den Kopf getroffen. Fällt mir natürlich leicht, das ebenfalls so zu sehen. Denn für mich sah die Möglichkeit, im Home Office zu arbeiten, mangels technischer Unterstützung eher schlecht aus.
Wenn mein Arbeitgeber dies auf die Reihe kriegen würde, würde mein Arbeitsplatz quasi auch überflüssig werden. Langfristig macht irgendjemand in dieser riesigen Wellblechhalle im indischen Dschungel meinen Schreibkrams und der Sozialarbeiter vor Ort die persönlichen Gespräche. Die Wellblechhalle hatte ich mal in einer Doku gesehen, wo es um Stenoarbeiten für amerikanische Zahnärzte ging. Der Zahnarzt sprach seinen Bericht ins Mikro und das Netz brachte das Diktat per Headset zu einem indischen Tastaturritter.
Im ersten Moment hatten sich alle gefreut, von zu Hause arbeiten zu können. Sicherlich spart man Kosten für die Fahrt oder Kantine ein, aber die Trennung zwischen Arbeit und Freizeit wird zerstört. Und nach geraumer Zeit wird dem Arbeitgeber auffallen, dass die Arbeit genauso gut funktioniert, wenn dauerhaft der eine oder andere Arbeitsplatz eingespart wird.
Dann heißt es, „entweder Du schaffst das erhöhte Arbeitspensum oder ich beschäftige einen Inder für Dich.“ Auch wenn es populistisch klingt.... Werft das nicht gleich beiseite - denkt mal nach, was Ihr als Arbeitgeber machen würdet.
Aber egal. Sieben Jahre muss ich nur noch, dann gehe ich in Pension. Bis dahin habe ich maximal das papierlose Büro, aber niemals einen vernünftigen Arbeitsplatz im Home Office.

https://www.spiegel.de/panorama/justiz/corona-gaestelisten-joachim-herrmann-verteidigt-nutzung-von-durch-polizei-a-64d25ef3-009c-4dac-a4a2-2da6aabc8729
Bayerns Innenminister Herrmann sieht kein Problem darin, Corona-bedingte Gästelisten aus Restaurants zur Verbrechensbekämpfung heranzuziehen. Dabei sollten diese Daten eigentlich lediglich zur Eindämmung von Hotspots von Covid-19 benutzt werden dürfen, dass wurden die Politiker vor nem Vierteljahr nicht müde zu betonen.
Das einzige Gegenargument, dass Befürworter einer freieren Nutzung der Daten hervorbringen können, ist, dass mithilfe einer richterlichen Anordnung auch IP-Adressen, Handydaten oder Gästelisten von Hotels etc. zur Verbrechensbekämpfung abgefragt werden dürfen. Das klingt ja auch erst einmal sinnvoll.
Aber: Dies wurde vor Einführung der jeweiligen Datenquellen eindeutig auch so kommuniziert; jene Daten werden fast ausschließlich zu diesem Zweck überhaupt erst erhoben. Von daher fühle ich mich jetzt verarscht, zumal wenn ich an die missbräuchliche Datenweitergabe von Polizeicomputern an Rechtsextreme in Hessen denke. Dank dieser Daten wurden linke Politiker/-innen konkret bedroht.
Ich denke, die Welten des Philip K. Dick rücken näher.

https://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/corona-krise-deutschland-rueckt-laut-bertelsmann-studie-zusammen-a-96d4004e-d659-482a-a855-dd2893f6eff1
Da hat der Bertel ja was Tolles herausgefunden. Die Deutschen rücken in der Coronakrise enger zusammen und die Zustimmung zur Politik der Regierung hat deutlich zugenommen. Es heißt ja immer, das Krisen zusammenschweißen.
Alles Blödsinn. Ich nehme die blanken Zahlen mal als Tatsache hin, ziehe aber andere Schlüsse. Die Zustimmung zur Regierungspolitik steigt dank des Lockdowns. Denn wer freut sich nicht, wenn er bei zumeist vollem Lohnausgleich für ca. 4 Monate in Kurzarbeit gehen konnte oder aber im Home Office auf dem Sofa sitzen darf.
Es liegt eben daran, dass wir alle ein Volk von Heuchlern sind. Niemand gibt halt gerne zu, dass er aus purem Eigennutz erhöhte Todesraten wegen Covid-19 herbeisehnt, damit er nicht ins Büro muss. Von wegen „enger zusammenrücken!“

Dienstag, 8. September 2020

H. Lecter: Alf

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Wo ich das Köludu schon erwähnt habe: Bleiben wir doch gleich mal dabei. Am Anfang der Fußgängerzone gelegen, war das Köludu vom Rathaus gesehen nicht mal 2 Minuten entfernt und lag innerhalb des Gebäudekomplexes Schlemmermarkt. Damit will ich sagen, dass die Kneipe von der Fußgängerzone aus nicht einsehbar war.
Hier trafen wir uns jahrelang jeden Freitag nach Feierabend, um das Wochenende einzuläuten. Diese schöne Tradition wird sonst höchstens noch von den Briten gepflegt. Schade, dass dies hierzulande nicht mehr en Vogue ist. Ein weiteres Stückchen an Lebensqualität, welches in Salzgitter Ende der 90er Jahre leider verschwand.
In meinen ersten Jahren in Salzgitter trafen wir uns gerne auch noch zusätzlich donnerstags in dieser Schänke. Den Begriff „gemütlich“ lasse ich allerdings weg, wenn ich das Interieur beschreibe. Da wäre zunächst der mit großen Steinfliesen versehene Boden. Der grau-schwarz-weiße Farbmix gemahnte an die goldenen 60er Jahre, während die Holztische nebst Sitzbänken und Stühlen offenbar in den frühen 80er Jahren bei Möbel Boss gekauft wurden. Erkennbar war dies an der dunkelgrünen Sitzpolsterung.
Als Farbton habe ich Buche oder Birke in Erinnerung. Die nicht ganz halbkreisförmige Theke samt den dazugehörigen Barhockern stammten aus derselben Serie. Viel mehr kann ich über die Inneneinrichtung schon nicht mehr sagen, außer dass es die Atmosphäre einer leeren Bahnhofshalle ausstrahlte, da der Laden für die übliche Besucherzahl überdimensioniert war. Die Tische waren dann auch eher selten besetzt. Die Menschen trafen sich hier noch an der Theke. Während eines Bummels durch die Stadt oder eben wie wir nach der Arbeit, 18.30 Uhr in Deutschland halt.
Hier tranken wir König Ludwig Dunkel, ein malziges Schwarzbier. So wie Guinness, bloß mit Zucker. Da waren Kopfschmerzen vorprogrammiert, aber davor fürchteten wir uns nicht. Und donnerstags war der Platz vor dem Tresen immer gerammelt voll gewesen. Die Leute standen da schon in dritter Reihe und unterhielten sich prächtig. An die Tische wurde sich nur gesetzt, wenn man etwas Persönliches zu besprechen hatte.
An einem solchen Donnerstag hatte Alf mal wieder einen hohen Redebedarf. Das süßliche König Ludwig Dunkel mundete ihm ausgezeichnet; zuvor hatten wir bis 18.00 Uhr wie jeden Donnerstag einen stressigen und nervigen Arbeitstag hinter uns gelassen. Alf war ja während der ersten Getränke am Abend immer gut drauf gewesen und konnte den ganzen Saal unterhalten. Dabei lachte er in einer Tour und gestikulierte wild mit seinen Händen herum.
An diesem Tag war Alf besonders rege. Er stand von uns ein wenig abseits und redete die ganze Zeit auf Madou ein, einer damals vielleicht 40jährigen Frau, die auch nicht ins Glas gespuckt hatte (ist mittlerweile auch schon tot). Madou kannte jeder Kneipengänger, denn Madou hatte in Lebenstedt bereits in jeder Gaststätte gearbeitet.
Eine richtige Szenefrau demnach, die abends auf ihrer Runde durch die Gemeinde gern mal im Köludu vorbeischaute. Ihren Pegel hatte sie dabei stets im Auge, sicherlich an diesem Abend auch schon erreicht. Aus den Augenwinkeln heraus konnte ich erkennen, dass beide gerade noch halbwegs sicher auf ihren Füßen standen.
Und beide lachten und scherzten, dass es eine Freude war. An ihren Blicken konnte ich erkennen, dass sich beide etwas näher gekommen waren. Alf, der alte Wolf, hatte Witterung aufgenommen. Nun würde ich Madou gewiss nicht als Rehlein bezeichnen, dazu hatte diese Frau sicherlich zu viel erlebt.
Alf gestikulierte immer wilder und heftiger, das Lächeln von Madou wurde immer strahlender und ihre Augen fingen an zu glänzen. Alf kannte jetzt kein Halten mehr; zielsicher fingen seine Hände ihre Brüste ein. Ob er einfach nur prüfen wollte, ob ihre Dinger echt waren, weiß ich nicht mehr.
Vielleicht wollte er sie auch einfach nur massieren, denn das machte er als Nächstes. In kreisenden Bewegungen, mit einer anzüglichen Lache, schraubte er in aller Öffentlichkeit an ihren Titten rum. Zum Glück war es da schon etwas später am Abend, so dass nur noch die Stammgäste im Laden abhingen. Die Laufkundschaft war bereits fortgegangen.
Auch Madou ging relativ schnell. Als geübte Trinkerin hatte sie die Situation jederzeit unter Kontrolle gehabt und haute schnell ab, ehe Alf noch zudringlicher werden konnte. Auf so ein Techtelmechtel hatte sie keinen Bock; Madou kannte ihn schließlich zur Genüge. Da zog sie lieber weiter in den nächsten Laden.
Sie war gerade aus der Tür raus. Alf nahm noch einen Schluck und redete mit uns weiter, als ob nichts gewesen wäre. In diesem Moment, keine 10 Sekunden nach Madous Flucht aus dem Laden, kam die Frau von Alf in den Laden geschossen, um ihren sturzbetrunkenen Ehemann abzuholen.
„Schaat – zii! Meine Liebste, da bist Du ja!“ rief Alf freudestrahlend und lief auf seine Frau zu, die sichtlich genervt ob seines Zustandes war. Zum Glück kam sie nicht eine Minute eher, denn dann hätte es ein Unglück geben können. So aber nahm sie den überglücklichen Alf mit nach Hause. Meine Güte, sie hatte wohl noch nicht einmal guten Tag gesagt.
Da ging Alf dann auch mit seiner Frau mit und ward verschwunden. Auch wir anderen hatten genug intus und machten uns auf den Heimweg. Meine Güte! Alf hatte da mal wieder ganz schön Glück gehabt.

Mittwoch, 2. September 2020

Hartmudo: E Scooter


Ich hasse diese Dinger. Als sie 2019 angepriesen wurden als schnelles Fortbewegungsmittel in den Städten, war ich schon stark verwundert. Dieser neue Hype aus den USA soll jetzt auch in deutschen Städten den Weg zwischen Wohnung und Büro oder Büro und Büro erleichtern? Das konnte ich mir gar nicht vorstellen.
Zunächst einmal macht es in größeren Städten Sinn, weil Parkplätze für Autos aufgrund des hohen Verkehrsaufkommens rar gesät sind. Und ehe man z.B. in München oder Hamburg an der U-Bahnstation und nach einmal umsteigen und Weg zum Büro am Ziel ist, kann man in der Innenstadt häufig schon zu Fuß gehen. Da ist man schneller.
Ja, warum machen die Nerds das dann nicht? Weil es mit einem E Scooter noch etwas schneller geht. Einfach draufstellen und der E-Motor zieht Dich im hohen Tempo über die Bahn. Um da hinterher zu kommen, muss sich ein Radfahrer ganz schön abstrampeln. Dabei käme dieser ins Schwitzen, was schlecht ist. Denn schon morgens schwitzend im Büro zu erscheinen, ist natürlich ein No Go für die zukünftigen und heutigen Führungskräfte dieses Landes.
Da isser, der Kleine

Das gleiche gilt selbstverständlich auch für Studenten auf dem Weg zur Uni oder Mensa. Jedoch… verlief der Verkauf an E Scootern eher schleppend, so dass letztes Jahr E Scooter auf den Straßen meiner Heimatstadt noch Mangelware darstellten. Das änderte sich erst, als die Firmen Tier und „Lime“ ihre E Scooter dieses Jahr zum Mieten in der Stadt verteilten. Diese im alten polizeigrün gehaltenen Scooter stehen seit diesem Sommer überall in der Stadt an markanten Punkten am Straßenrand zur Benutzung bereit.
Zum Nutzen dieses Services benötigst Du zunächst einmal die dementsprechende App. Dort kannst Du Dich registrieren und bist durch Angabe Deiner Karte zahlungsfähig. Oder Du buchst einfach so Geld ins „Wallet“. Nach jeder Fahrt wird Dir der zu entrichtende Obolus abgezogen. Zur Zeit liegt die Nutzungsgebühr je nach Stadt bei 30 oder 25 cent pro Minute Fahrt, in Braunschweig gnädigerweise bei 20 cent.
Bei einer Strecke von 5 km – ich gehe mal vorsichtig von 20 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit aus – wären wir damit bei 15 Minuten Nutzungsdauer und einem Fahrpreis von 3,- €. Am Zielort kannst Du dann den Scooter einfach stehen lassen; irgendein Mindestlöhner wird ihn nachts schon einsammeln und aufladen, anschließend an bestimmten Punkten wieder aufstellen. Zurück zur Natur geht allerdings anders.
Mal abgesehen davon, dass man bei Regen genauso nass wird wie die anderen Fußgänger oder Radfahrer auch. Aber warum stehen die Leute auf diesen Geräten so kerzengerade und bewegungslos, als ob sie einen Stock im Arsch hätten? Warum nehmen sie sich nicht nen normalen Scooter ohne Elektroantrieb und treten ein wenig. Bewegung soll ja gesund sein. Wahrscheinlich wäre das uncool.
Zugegebenermaßen ziehen die Dinger ganz gut ab. Letzten Monat fuhr ein E Scooter vor mir; morgens um halb Sechs (!). Da kam ich mit meinem Bike einfach nicht hinterher. Da konnte ich mich abstrampeln, wie ich wollte. Auf einer der vielen Nebenstraßen, noch dazu um diese Tageszeit, ist das für den Scooter kein Problem. Da gilt ja noch „freie Fahrt für freie Bürger“.
Bedenken bezüglich der Fahrtauglichkeit von E Scootern hatte ich aber in der Vergangenheit auf den zahlreichen Fahrradwegen von Braunschweig. Diese sind häufig – wie in den meisten anderen Städten auch – in einem erbarmungswürdigen Zustand. Bei den Minirädern an den Dingern ist jeder Huckel, jedes Löchlein ein potenzielles Sturzrisiko. So dachte ich jedenfalls mal.
Wie ich allerdings in den letzten Wochen feststellen durfte, ist dies selbst auf buckeligen Wegen doch kein Problem. Da war ich baff erstaunt. Wenn ich jedoch andererseits an die 25 km Strecke des Ringgleises denke, kommen bei mir erneut Zweifel der Fahrtauglichkeit auf Schotter, Sand oder Kopfsteinpflaster. Aber selbst wenn ich mich da auch täuschen sollte, wäre es eigentlich egal, denn: Wer ist schon so blöd und reitet auf nem Scooter 25 km so just for Fun um Braunschweig?
Überhaupt diese Fremdwörter. Ein „Scooter“ ist nichts anderes als ein Roller, bloß eben nicht zum selber treten. Diese Tretroller waren so vor 10 Jahren schon mal hip und kamen schnell aus der Mode, weil sie tatsächlich sehr wackelig zu fahren waren. Da brachte es auch nichts, dass jene Dinger klappbar waren und daher leicht in Bus und Bahn mitgenommen werden konnten. Aber wenigstens fuhren die Kids noch selbst.
Scheinbar ist die Covid-19 Pandemie auch hier für den Erfolg dieser Mietschiene mit verantwortlich. Zumindest bei schönem Wetter kann man so schnell vom Außenbereich oder Bahnhof die Innenstadt ohne Auto erreichen, ohne mit Maske im Bus oder Bahn neben einem Coronaleugner sitzen zu müssen.
Ist ja auch nur konsequent. Man trifft sich mit seinen Freunden nur noch virtuell über die einschlägigen Apps. Dank Home Office muss man gar nicht erst vor die Tür und andere Menschen ertragen, zur Not bestellt man alles online, auch Lebensmittel. Und wenn man dann doch mal irgendwo persönlich hin muss, dann nimmt man einen Scooter zur Kontaktvermeidung.
Schöne neue Welt.