Samstag, 9. November 2024

GuterPlatzzumBiertrinken: Letzter Abzweig Thomas Philipps

Samstag, 2. November. An diesem Herbstmorgen strahlte die Sonne um 8.00 Uhr am Morgen schon sehr stark, als ich mich mühsam aus dem Bett gequält hatte. Meine Löwin machte sich gerade reisefertig; sie wollte nach Cremlingen fahren und in Phils Garten klar Schiff machen. Deshalb hatte ich jetzt freien Ausgang.
Und den galt es noch einmal zu nutzen an diesem milden Herbsttag; der Begriff "Indian Summer" kam mir in den Sinn. Dies dürfte in diesem Jahr meine letzte Tour für diesen Blog sein, das riecht doch förmlich nach einem Rückblick auf das Jahr 2024, meine Damen und Herren. Dann lasst uns geschwind beginnen, bevor das Wetter schlecht wird.
Auf dem Weg nach draußen stellte ich vorsichtshalber eine Maschine Wäsche an; Handwäsche war der Modus für die T Shirts von AliExpress sowie meine liebgewonnenen Hoodies. Die Dinger waren zwar äußerst günstig im Einkauf gewesen, aber ich wollte schon, dass die Shirts länger als zwei Wäschen ansehnlich bleiben. Bei den Preisen bin ich halt etwas misstrauisch, was die Qualität des Produkts angeht.
Und dann war ich endlich auf dem Hof und überlegte, wohin ich jetzt radeln könnte. Man greift ja nach jedem Strohhalm, wenn man keinen Plan hat. Warum auch immer - ich entschied mich zu einem Besuch bei Thomas Philipps. In dem Schroppschuppen war ich bereits längere Zeit nicht mehr gewesen; die vermissten mich bestimmt schon.
Ein Alibi war mir hierzu auch gegeben. Ich benötigte noch eine Keksdose aus Porzellan; unsere hatte ich Anfang diesen Jahres leider den Fußboden in der Küche küssen lassen müssen, so dass sich meine Löwin das Anrecht auf eine neue Keksdose erworben hatte. Diesen ihren Anspruch hatte sie jetzt in der beginnenden Vorweihnachtszeit mehrfach eingefordert gehabt.
Nun aber los. In meinem momentanen Radfahreroutfit, als da wäre ein Hoodie (gekauft bei Stolz in Burg auf Fehmarn) und die Umhängetasche, die ich von meiner Schwiegertochter Candela zum Geburtstag erhalten hatte. Kühle Witterung, aber Sonnenschein - ideal zum Radfahren. Über das Ringgleis zu Thomas Philipps, den Weg kenne ich im Schlaf.
Auf diesem Weg fühlte ich mich bemüßigt, an das bald zu Ende gehende Jahr zu denken. Doppelkopf, Skat und Solo. Drei Kartenspiele und auch drei feste monatliche Spielerunden mit ihren eigenen Ritualen. Im Kegelverein sind wir ebenfalls aktiv - all dies mit zusätzlichen Freizeiten, teils auch mit Kurztrips am Wochenende.
Schöne Einzelaktionen; das Jahr hatte mit Urmels Geburtstag auf der Kegelbahn in Berlin begonnen. Ich sag mal so: Dringender Wiederholungsbedarf. Im Juni trafen wir uns im Schwarzwald, um den jeweils 60. Geburtstag von Jenny und Kroll nachzufeiern. Dort hatte ich auch Jürgen zum letzten Mal gesehen; seine Beerdigung Anfang Oktober war ein weniger schönes Ereignis gewesen, dafür aber mehr als würdevoll.
Seitdem sitze ich abends ab und an unter dem Kopfhörer, mit einer Bierdose bewaffnet, und höre "mit der Zeit" von Family 5. Immer eine Träne im linken Augenwinkel. Überhaupt Musik: Meine Termine zum Beat-Club Schauen mit Pocke muss ich im Auge behalten, da fehlt aktuell der nächste Termin.
Ah, Thomas Philipps. Rein in den Laden, hoffentlich sieht mich keiner, den ich kenne. Schräger Laden eigentlich, so ein analoger AliExpress oder Temu. Ich mache es kurz: Ich hatte mehrere Keksdosen in der Hand gehabt - was für eine Auswahl! - und mich am Ende für eine schöne runde Blechdose im schwarz-weiß-grün Stil entschieden.
Und, zu meiner besonderen Freude, hatte ich dann in einem Regal eine große Keksdose aus Porzellan gefunden, die förmlich "nimm mich mit" geschrien hatte. Im schlichten Weiß gehalten, aber mit schwarzen Strichzeichnungen von Tannenbäumen verziert. Edel und gut, diese Art von Styling hätte ich eher bei Villeroy & Boch erwartet.
Und dass für nen Heiermann. Wahnsinn. Da hatte ich ein richtiges Schnäpperchen gelandet. Das hatte aber auch eine kleine Planänderung zur Folge. Diese wunderschöne Keksdose würde ich meiner Löwin gern adäquat präsentieren; heißt: mit Inhalt. Deshalb strampelte ich nach Thomas Philipps nicht direkt nach Hause, sondern legte noch einen kleinen Schlenker gen Globus hin. Dort würde ich Kekse und Lebkuchen als Füllung organisieren.
Die hatten dort dann zwar sehr viel, aber nicht das, was ich mir vorgestellt hatte. Besser gesagt hätte ich für den doppelten Preis der Keksdose eine schöne Füllung hinbekommen. Das geht natürlich gar nicht, also kaufte ich zwei Päckchen Lebkuchenherzen. Ist aber auch teuer geworden, dieser verdammte Süßkrams.
Zurück ging es anschließend über den Ring. Ja, die allgemeine Preisentwicklung dieses Jahr ist wirklich bedenklich. Da hat man schon keine Lust mehr auf viele Aktionen. Trotzdem waren wir viel unterwegs gewesen. Der Urlaub in Belgien lag aber noch drin und ein Highlight des Jahres, näheres hierzu jeden 23. des Monats.
In München bei Candela und Phil waren wir Ende August noch gewesen, zwei Cousinentreffen waren im Anschluss auch noch zu absolvieren. Hatte ich schon den Serengetipark mit unserer Enkelin Jela erwähnt? Hatte trotz meines Durchfalls sehr viel Spaß gemacht. Dazu kommt noch der Besuch letzten Monat bei meinem Cousin Oskar und seiner Frau Miriam in Lanzendorf, welcher leider zwei zusätzliche Kilo an meine Hüfte geschweißt hatte.
In diesem Jahr war mir also eine Menge Bewegung auferlegt worden - nicht zu vergessen ist an dieser Stelle die diagnostizierte Diabetes. Jetzt aber aufhören zu jammern. Nachher kommt der Lange zu Besuch, da werden wir bei 60er Jahre Krimis viel Spaß erleben. Und hinterher noch ein Döschen unter dem Kopfhörer. Morgen Eintracht.
Außerdem ist das Jahr noch nicht vorbei. Nur Radtouren für diese Rubrik werden (wahrscheinlich) dieses Jahr nicht mehr erfolgen.

Sonntag, 3. November 2024

Contramann: kurz gesehen im November

Guten Morgen, Freunde der Nacht.

https://taz.de/Friedensdemonstration-am-3-Oktober/!6038274/
Heute starten wir mit einem besonders schönen Beispiel von Framing. Der Kommentator der TAZ hat es hier vorbildlich fertig gebracht, sein eigenes „friedensbewegtes Bild“ mit den vorgegebenen Narrativen ins Gegenteil zu verkehren bzw. ad Absurdum zu führen. Das schafft er mit nur vier Sätzen - hier die Kritik im Einzelnen.
„Selbstverständlich handelt es sich bei dem Überfall auf die Ukraine um „einen russischen Angriffskrieg, der jeden Tag Tod und Zerstörung“ bringt.“
Ja, da gehe ich noch mit, obwohl hier bereits unterschwellig der russischen Seite eine negative Rolle zugesprochen wird. Denn:
„Wer schon die Aussprache einer solch unbestreitbaren Tatsache für unerträglich hält, der demonstriert nicht für den Frieden, sondern für den Okkupanten.“
Aha. Stegner wurde wohl ausgepfiffen, weil er von einem russischen Angriffskrieg sprach. Dass diese Störer allein deshalb für den Okkupanten - also die Russen - und eben nicht für den Frieden demonstrieren würden, ist hier der wesentliche Schritt ins Framing.
Stegner redet vom Frieden - positiv. Wer sich dagegen äußert - zwangsläufig negativ. Warum, wieso die Leute gepfiffen hatten, wird besser gar nicht thematisiert. Das blendet der Kommentator bewusst aus. Er will ein klares Schwarz-Weiß Bild zeichnen; evtl. Argumente der Störer (zum Beispiel die Vorgeschichte des Krieges seit 2014) sind da eher hinderlich.
„Putins deutscher Resterampe, die da so lautstark gepfiffen hat, geht es nicht, wie ihre Ikone Sahra Wagenknecht behauptet, um Friedens-, sondern um Kapitulationsverhandlungen.“
Nach dem platten Schwarz-Weiß Trick schmiert er noch etwas Pöbelei (aus Entrüstung? - würg!) hinterher. Die wahre Forderung der Störer wären Kapitulationsverhandlungen. Wagenknecht ginge es also gar nicht um Frieden. Argumente oder Belege für diese steile These bietet der Kommentator vorsichtshalber gar nicht erst an.
Hierzu möchte ich kurz anmerken, dass seinerzeit bei den Verhandlungen in Istanbul die Russen für die Oblasten mit russischer Bevölkerungsmehrheit lediglich eine stärkere Autonomie mit Verbleib in der Ukraine und eben nicht eine Okkupation gefordert hatten. Die Krim stand für die Russen da nicht mehr zur Diskussion; dort hatten sie ja auch eine Volksabstimmung zum Anschluss an Russland durchführen lassen; ähnlich wie das Saarland 1955 zum Anschluss an die Bundesrepublik ab 1957.
Dazu noch den Verzicht auf einen Nato Beitritt. Die Russen hatten sogar zur Einhaltung einer entsprechenden Vereinbarung eine Garantie durch Schutzmächte des Westen vorgeschlagen. Das hatte Selenskij dann jedoch nach einem Besuch von Boris Johnson ausgeschlagen, wurde der Ukraine doch eine starke Waffenunterstützung zugesagt.
Der Krieg musste für den Westen ja weitergehen, andernfalls wären die wertvollen Bodenschätze, welche die Ukraine für Waffenlieferungen quasi an Blackrock und Co. verscherbelt hätten, außerhalb der Kontrolle der westlichen Industriegiganten gewesen.
Und jetzt, zwei Jahre später, will hier im Westen niemand die seinerzeitige Fehleinschätzung der tatsächlichen Möglichkeiten und Lage zugeben. Ähnlich wie nach Corona.
„Mit einer Friedensbewegung, die diesen Namen verdient, hat das nichts mehr zu tun.“
Mit diesem vierten Satz schließt der Kommentator den Kreis. Wer fordert, dass das Töten unbedingt aufhören soll, setzt sich also nicht für Frieden ein. Das wäre ja auch Old School. Dem Leser wird verklickert, dass es nur um Gut gegen Böse geht, keine Zwischentöne. Dass der Russe hierbei den Bösen abgibt, hatte der Kommentator ja bereits im ersten Satz klargestellt. Die Ukraine wehrt sich lediglich, das muss man doch unterstützen.
Was lernen wir daraus? Das Böse muss bekämpft werden, das Gute muss beschützt und unterstützt werden. DAS ist also der wahre Frieden. Diese simple Botschaft kommt lediglich mit den zitierten vier Sätzen aus. Argumente für die steile These des Kommentators sucht man hier vergebens. Wäre allerdings auch schlecht, weil man dann mit Gegenargumenten rechnen müsste und daraufhin sehr bald in Erklärungsnöte kommen würde.
Dieses Muster lässt sich im Fall des Ukraine-Kriegs bei unseren großen Medien durchgängig beobachten. Und wer da aus der Reihe tanzt, wird dann verächtlich gemacht. Die bekannten Mainstreammedien halten ihre Reihen (noch) geschlossen.
Wehe also, wenn diese Wand Risse bekommt.

https://www.manova.news/artikel/der-sinn-von-gesellschaft
Es darf auch ruhig mal etwas Philosophisches sein. Ein Zitat aus dem Artikel:
„Gemeinschaftsgefühl erlebt der westliche Mensch des frühen 21. Jahrhunderts nur, wenn er sich bei X oder anderen Netzwerken mit anderen zusammen auf einen Shitstorm gegen einen Dritten verabredet. Dabei sitzt er alleine in seinem Kämmerlein. Dass jeder in der virtuellen Blase etwas bewegen könne: Das ist das letzte Narrativ, an das sich viele Menschen offenbar noch klammern.“
Also, Verdammte dieser Erde: „Geht’s raus und spielt Fußball!“ (Franz Beckenbauer)

https://monde-diplomatique.de/artikel/!6040380
Hier mal Aktuelles zur Nord Stream Sprengung von vor 2 Jahren. Generell muss ich konstatieren, dass der Blick aus dem Ausland auf Deutschland ein anderer ist als die Eigenwahrnehmung, die von „unseren“ Leitmedien verbreitet wird. Die Le Monde aus Frankreich ist überdies ja nun nicht als linkes Kampfblatt bekannt.
Die zur Zeit hierzulande beliebteste Theorie zur Sprengung von Nord Stream II ist die einer privaten „Initiative“ ohne Beteiligung staatlicher Stellen mit dem Segelschiff Andromeda. Le Monde zitiert hierzu den amerikanischen Journalisten Jeffrey Brodsky:
„Warum sollte eine ohne Dekompressionskammer operierende Tätergruppe ausgerechnet eine 80 Meter tiefe Stelle auswählen, während andere Positionen in unmittelbarer Nähe nur 30 Meter tief sind? Und warum wurde einer der Sprengsätze 75 Kilometer von den drei anderen entfernt angebracht?“
Es gibt im Fall der Sprengung Nord Stream II noch weitere Ungereimtheiten, die in diesem Artikel erwähnt werden. Die daraus resultierenden Fragen werden von den der deutschen Regierung unter Hinweis auf laufende Ermittlungen nicht beantwortet. Ob die Ermittlungen überhaupt jemals abgeschlossen werden?
Mich erinnert das Verhalten unserer Politik eher an James Bond Filme. Möge jeder seine eigenen Schlüsse aus dem Verhalten der Verantwortlichen für die Untersuchung ziehen. Kleiner Tipp: Das Heute Journal stellt noch nicht einmal unbequeme Fragen. Die muss man aber stellen - nach mittlerweile zwei Jahren.

Alsdann: Bleiben Sie links, bleiben Sie kritisch. Und:
„I`m so bored with the USA. But what can I do?“

Mittwoch, 30. Oktober 2024

guterPlatzzumBiertrinken: Herbst

Donnerstag, 17. Oktober. Für knapp über eine Woche hatte ich mir Urlaub gegönnt und heute ist mein freier Tag - im Urlaub.
Letzten Freitag war mein letzter Arbeitstag, Samstag waren wir mit dem Kegelverein auf dem Zwiebelmarkt in Weimar. Insgesamt sechseinhalb Stunden im Bus und ein unschönes Gewusel in Weimar. Wenigstens war ich auf der Rückfahrt gut straff gewesen.
Gleich am Sonntag sind wir dann zu meinem Cousin Oskar nach Lanzendorf gefahren. Erst gestern sind wir zurückgekommen. Das Ergebnis dieser 3 schönen Tage mit Miriam und Oskar konnte ich heute morgen auf der Waage bewundern. Satte zwei Kilo hatte ich meinem Astralkörper aufsatteln können - die fränkische Küche in Verbindung mit den örtlichen Bierspezialitäten hatte ihre doch unbeabsichtigte Wirkung nicht verfehlt.
Nun fühlte ich mich um so mehr motiviert, die gestern geplante Tour auch tatsächlich anzutreten. Heute war zum Glück regenfrei angesagt. Unter dem von Wolken gesäumten Himmel radelte ich frohgemut gegen 9.00 Uhr los. An diesem wunderschönen Herbsttag habe ich mir mein aktuell liebstes Kleidungsstück übergeworfen. Einen Hoodie, den ersten Hoodie meines Lebens! Ein Basicmodell von Fruit of the Loom, kein unnötiger Schnickschnack mit den leider üblichen Phantasiefirmen oder -universitäten.
Die Temperaturen waren mit knapp 13° Grad schon etwas frischer, aber die Sonne brach immer wieder durch und spiegelte sich in den Pfützen der unzähligen Baustellen in der Stadt. Und anders als in der sonst benutzten Allwetterjacke aus Plastik schwitzte ich mich nicht halbtot während der Tour. Sehr angenehm der 80% Baumwollstoff, muss ich hier mal festhalten.
Jedoch sollte es nicht zu stark regnen, habe ich mir sagen lassen. Dann saugt sich der Hoodie richtig voll. Bei leichtem Regen war ich bis jetzt vom Hoodie begeistert gewesen. Heute wollte ich ein Vollsaugen des Hoodies aber vermeiden, man muss ja nicht immer alles austesten.
Mein heutiges Ziel hatte ich mir erst gestern bei der Rückfahrt aus Lanzendorf ausgesucht. Denn kurz bevor wir zu Hause eingetrudelt waren, fielen mir am Südende von Stöckheim die auffallend weißgewandeten Mietcontainer auf. Sogar eine große Zahl davon - das wollte ich mir heute mal näher anschauen.
Außerdem würde ich aufgrund eines Mangels an Kondition noch eine Kaffeepause benötigen; Oskar war in den vergangenen Tagen so freundlich gewesen, mich mit dem Mönchshof Pils zu beglücken. Für den Nachttrunk hatte ich mir dort drei Flaschen Gampertbräu Hell aus dem schönen Weißenbrunn in Oberfranken gegönnt. Und der absolute Spitzenreiter ist…
Das Flechterla Zwickel aus Weismain. Mann, war das ne Wucht gewesen - diesen angenehmen Biertrunk hatte ich Oskar am Sonntagabend zu verdanken. Die Kochkünste von Miriam waren für meine asketische Lebensweise aber auch nicht gerade förderlich gewesen. Irgendwie hatte ich den Eindruck gewinnen müssen, dass mir heute das Treten in die Pedale ein Stückchen schwerer fiel als üblicherweise.
Das Neubaugebiet Stöckheim ganz hinten

Gerade bei den eigentlich sanften Steigungen auf dem Ringgleis Richtung Gartenstadt konnte ich den gewohnten sechsten Gang nicht einlegen. Schlichtwegergreifend musste ich da schon ein bisserl prusten. Da kamen mir schon Gedanken an ein E-Bike in den Sinn. Aber nur kurz, wir wollen ja den Teufel nicht gleich an die Wand malen und stattdessen lieber die Kondition weiter verbessern. Muss gehen.
Tatsächlich fiel es mir ab der Gartenstadt leichter. Hinter der Mühle Rüningen, nach Überqueren der Eisenbahntrasse schlug ich mich gleich rechts auf den asphaltierten Wirtschaftsweg, den ich seit Jahren aus der Bimmelbahn auf dem Nachhauseweg aus Salzgitter zu sehen bekommen hatte. Heute endlich hatte ich den Weg unter mir.
Nach einigen Windungen durch die Feldmark erreichte ich ein mir unbekanntes Wohnviertel. War das noch Leiferde oder hatte ich nunmehr bereits Thiede erreicht? Gespannt radelte ich an Häusern wie Mietblöcken entlang, bis ich wieder vertrautes Terrain sichten konnte. Also doch Leiferde, zum Glück.
Denn ich wollte ja nach Stöckheim, da wäre Thiede erheblich zu weit gewesen. Und gleich bei der ersten Baustelle bog ich auch noch falsch ab, merkte meinen Fehler aber noch rechtzeitig und ging wieder in die Spur. Etwas weiter vorn dann die Abzweigung nach Rüningen, die an diesem Tage nicht übermäßig befahren wurde. Genauer: Kein Auto auf dieser Strecke.
Nach der neugebauten Brücke schoss ich auf das Neubauviertel zu und war erst einmal baff erstaunt, das neben den ursprünglichen freistehenden Häusern auch große Blöcke für die weniger Betuchten unter uns errichtet worden waren. Sogar eine KiTa hatten sie hier eingerichtet, schau einer an. Ich quetschte mich durch die "Häuserschluchten."
Diese waren stellenweise noch im Rohbau. Sollte es sein, dass dieses Viertel noch weiter ausgebaut werden soll? Ich weiß es nicht. Jedenfalls schlängelte ich mich zur Endhaltestelle und Wendeschleife der Straßenbahn durch. Ich hatte genug vom Neubauviertel gesehen; jetzt nen Kaffee beim Bäcker im Kaufland.
hier gehts nach Jägersruh

Ein Löwenbäcker. Egal, zum Essen war es eh noch zu früh. Ein Becher Kaffee Crema war jetzt genau das richtige Maß an Kaffee für mich. Warum die Verkäuferin mir nen Filterkaffee kredenzen wollte, wird wohl ewig ihr Geheimnis bleiben müssen.
Derart gestärkt fuhr ich die Strecke Richtung Mascherode weiter. Das Wetter war mittlerweile etwas schlechter geworden; es regnete aber nicht, obwohl die Wolken schon bedrohlich und dunkel über mir standen. Das war jedoch nicht der Grund, warum ich mich kurz vor Mascherode nach links in die Büsche geschlagen hatte.
Ich wollte die Strecke jetzt doch etwas abkürzen und fuhr deshalb über Jägersruh und an der Südstadt vorbei zur Salzdahlumer, dann Bahnhof und bremste noch einmal schnell beim Edeka an. Für unsere Fahrt nach Fehmarn zum Cousinentreffen brauchte ich noch ein paar Leckerlies für die Autofahrt. Dies konnte ich hier schnell erledigen.
Der Rest der Radtour verlief dann unspektakulär. Die Strecke bis nach Hause fahre ich ja quasi mehrfach die Woche, wenn ich vom Bahnhof Richtung Heimat radle. Um kurz nach Zwölf hatte ich meinen Heimathafen erreicht und konnte endlich frühstücken.
Da war ich ehrlicherweise stolz gewesen, nicht während der Fahrt beim Amerikaner angebremst zu haben, um dort etwas zu schnabulieren. Eine schöne lange Strecke war dies obendrein noch gewesen - ebenfalls eine erfreuliche Erkenntnis, zumal ich mich ja vorher so schlapp gefühlt hatte. Vielleicht schaffe ich dieses Jahr noch eine Tour - die Waage würde es mir danken.

Mittwoch, 23. Oktober 2024

Hartmudo: Belgien

4
Die Fahrt auf der belgischen Autobahn erwies sich als überaus anspruchsvoll. Das lag weniger an den belgischen Autofahrern, die bis heute keinen Fahrschulunterricht zur Erlangung des Führerscheins besuchen müssen. Da ist es bereits ein Fortschritt, dass unsere belgischen Freunde seit einigen Jahren zumindest eine Führerscheinprüfung ablegen müssen.
Nein, es lag eindeutig an der Geschwindigkeitsbegrenzung auf 120 km/h. Edith hatte uns vorgewarnt; eine Überschreitung würde uns teuer zu stehen kommen. Daher galt meine volle Konzentration der Geschwindigkeit; nahezu permanent musste ich das Gaspedal sparsam dosieren, um die 120er Marke nicht zu überschreiten.
Anstrengend war das, keine Frage. Ebenfalls anstrengend erwies sich die Baustelle kurz vor der Abfahrt ins Stadtzentrum von Antwerpen. Bald ne Dreiviertelstunde Stop and Go, da war ich natürlich begeistert gewesen. Dann war ich aber auch froh, als wir die Autobahn verlassen hatten und ins Stadtgebiet von Antwerpen vorstoßen konnten.
Sieht man einmal von den unzähligen Kreisverkehren ab, ist das Autofahren in Belgien abseits der Autobahnen nicht anders als bei "uns". Weniger Ampeln dank der Kreisel möchte ich meinen - könnte man bei "uns" vielleicht mal ausbauen. Dass die Belgier wie die Henker auf den Straßen unterwegs seien, musste ich an diesem Tag (noch) nicht konsternieren.
Gegen halb Zwei angekommen, waren wir zwar noch etwas früh dran, um in unser Hotel einzuziehen (Check-In wurde mit 16.00 Uhr ausgerufen), doch wir fuhren trotzdem schon einmal vor, um nach einem Parkplatz beim Hotel zu schauen. Und tatsächlich hatten wir Glück, dass am Straßenrand schräg gegenüber unseres Hotels ein kostenfreier Parkplatz verfügbar war.
Leider war die Rezeption noch nicht besetzt, so dass wir Zeit und Muße erhielten, um uns schon mal vorab in Antwerpen umzuschauen. Dies verschaffte uns die Gelegenheit, uns zunächst über die Querstraßen Richtung Hafen vorzuarbeiten; Jener ist einer der größten Häfen Europas, den wollte meine Löwin natürlich begutachten.
Jedoch wollten wir uns nach der anstrengenden Fahrt etwas sammeln und nahmen einen Kaffee in einem schönen Cafe namens Cornichon. Antwerpen hat bekanntlich eine Universität und viele Studenten; dies war ein Studentencafe, welches man so auch im Prenzlauer Berg verorten könnte. Und es war tatsächlich gemütlicher als im Aachener Ronnefeldt Tags zuvor.
Nach einem äußerst leckeren Caffee Latte fühlten wir uns fit genug, um in Richtung Hafen aufzubrechen. Wie es sich dann herausstellten, war der Weg doch wesentlich länger als zunächst angenommen, so dass wir uns nach einer kappen halben Stunde des Weges entschieden, uns kurzfristig umzuorientieren und einen ersten Blick in die Innenstadt zu riskieren.
Wir hatten auf dem Weg noch einen sehr schönen Innenhof gesehen. Dunkel glaube ich mich zu erinnern, dass es sich bei der für belgische Verhältnisse extrem gut gepflegte Anlage um eine Kunstschule oder so was in der Richtung gehandelt hatte. Natürlich habe ich mir dies nicht genau gemerkt, weil mir die hohe Schule der Kunst bekanntlich ein Greul ist.
Jedoch… der Preis für den schönsten Ort des Tages geht an die Gaststätte "De Broodwinning" am Paardenmarkt 2, 2000 Antwerpen. Auf unserem Weg in die Innenstadt lachte uns diese Gaststätte förmlich an. Die Uhr hatte sich da auf irgendwas zwischen 14.30 Uhr und 15.00 Uhr eingependelt und wir waren sofort begeistert, als wir durch die schwere Holztür ins Innere dieser Gastwirtschaft traten.
Endlich normale Leute! Freitag, früher Nachmittag und die Kneipe war voller Menschen, die alle gut gelaunt an ihren Bieren nippten und richtig guter Stimmung waren. Der Frauenanteil war unerwartet hoch - das würde es in Deutschland so wohl niemals geben. Wobei ich bezweifle, ob sich heutzutage überhaupt noch eine nennenswerte Anzahl an Leuten auf ein Wochenendbierchen in einer Kneipe treffen würden. Ich selbst kenne dies noch aus Salzgitter in den 90ern; gern denke ich an diese Zeit zurück.
Vorsichtshalber bestellte ich ein Jupiler - auch hier gab es nur wieder diese Einheitsgröße 0,33. Meine Löwin hatte mehr Bock auf eine Coke Zero, erfreute sich aber ebenfalls an der angenehmen Atmosphäre. Längere Zeit wollten wir im De Broodwinning aber dennoch nicht verweilen, weil wir zunächst einmal ins Hotel einchecken mussten und selbst ich nicht die kurze Zeit, die wir in Antwerpen verbringen würden, in einer Kneipe versumpfen wollte. Im Cornichon hatte ich nämlich eine Stunde zuvor das nächste Hotel für den Samstag in Ostende gebucht.
Irgendwie doch schweren Herzens gingen wir dann die langgezogene Rotterdamstraat zum Hotel hinunter. Die stark alkoholisierten Kerle, die sich an der Seite gegenseitig angepöbelt hatten, brachten uns zu der Überzeugung, dass wir nicht nur in keiner Touristenumgebung gelandet waren, sondern stattdessen eine "exquisite" Reeperbahnatmosphäre erleben durften.
Halt, ich vergaß: Am Rande der Innenstadt fielen wir noch in den Grand Bazar, seines Zeichens ein Supermarkt, ein. Wir brauchten noch Getränke für die Nacht, Schnucki war ja dank des Intervallfasten überflüssig.
Aber meine Löwin entdeckte in der Käseabteilung noch einen von ihr lange gesuchten Käse. Der "Port Salut" ist ein dem Chaumes ähnlicher Weichkäse und in Deutschland quasi nicht zu bekommen. Ein Stück dieses Käses nahmen wir natürlich mit; nicht als Schnucki zur Nacht - eher für die Leckerei während der Autofahrt am nächsten Tag.
Da fehlte mir allerdings noch ein Messer - mein schönes französisches Taschenmesser mit Holzgriff hatte ich leider Zuhause verlegt. Also suchte ich im Supermarkt nach einem Messer, leider ohne Erfolg.

Donnerstag, 17. Oktober 2024

guterPlatzzumBiertrinken: Snakebite

Sonntag, 28 Juli. Nachdem wir gestern den Geburtstag meiner Schwester Berta in der Waldgaststätte Schäfersruh gefeiert hatten, waren an diesem Sonntag keine Aktionen angesagt. Meine Löwin, die sich in letzter Zeit für die Gartenarbeit begeistern konnte, ist nach Cremlingen gefahren, wo Phil bei seiner Großmutter einen Teil ihres Gartens bewirtschaften darf.
Das eröffnete mir die willkommene Gelegenheit, am Vormittag eine kleine Runde drehen zu können. Bereits beim Schlafengehen am Vorabend hatte ich mich riesig auf diese Tour gefreut, musste allerdings überlegen, wohin ich eigentlich fahren wollte. Wie so häufig wurde mir die Entscheidung durch den Kollegen Zufall abgenommen.
Denn beim Stöbern durch die DB App drängte sich eine mir unbekannte Verbindung zur Arbeit nach Salzgitter Lebenstedt ins Auge. Vom Hauptbahnhof Braunschweig mit dem Zug nach Broistedt, von dort aus mit dem Bus zum Bahnhof in Lebenstedt. Als reine Fahrzeit waren hier 29 Minuten angegeben. Das klang nach einer machbaren Alternative, zumal zu der Zeit der direkte Zugverkehr nach Lebenstedt aufgrund von Bauarbeiten eingestellt worden war.
Laut Google Maps würde ich 53 Minuten bis zum Bahnhof in Broistedt brauchen, wo ich sicherlich mein Fahrrad abstellen könnte. Dies galt es an diesem Sonntagmorgen zur eventuellen späteren Nutzung anzutesten.
Hinfahrt
Dementsprechend gut gelaunt pumpte ich kurz vor 9.00 Uhr mein Fahrrad noch mal auf und setzte mich in Bewegung. In der Nacht hatte es stark geregnet , am Tage jedoch sollte es auf jeden Fall niederschlagsfrei bleiben. Diese Wetterkonstellation hatte zur Folge, dass trotz des eigentlich sonnigen Wetters ein leicht kühler Wind wehte, der meinen seit Jahren gestählten Körper sanft umschmeichelte.
Voller Zuversicht war ich in Richtung Vechelde aufgebrochen; diese Strecke hatte ich ja bereits vor einiger Zeit bewältigt gehabt. Bereits nach kurzer Zeit fielen mir die unzähligen Nacktschnecken auf, welche auf dem Fahrradweg an der Bundesstraße in Sicherheit hasteten. So gut es ging, vermied ich das Überfahren der für die Ökologie (oder heißt es Onkologie?) wichtigen Lebewesen. Ich hoffte, nicht all zu viele von ihnen töten zu müssen.
Daher konnte ich meinen Gedanken keinen freien Lauf lassen, was mir bei früheren Touren immer gut getan hatte. Der Westwind schlug mir zwar nicht mit orkanartigen Böen entgegen, schien mich aber dennoch ein wenig einzubremsen.
Anders als sonst war mir die Fahrtzeit an diesem Tag verständlicherweise wichtig gewesen. Denn es wäre ja fatal, wenn ich im Ernstfall den Zug nach Lebenstedt zur Arbeit verpassen würde. So zog sich die Strecke bis Vechelde dank der Schnecken etwas hin. Mit der Zeit tauchten auf dem Fahrradweg auch einige Weinbergschnecken auf; von denen hatte ich nicht eine erwischt, Ehrenwort!
An der großen Kreuzung in der Ortsmitte von Vechelde bog ich links ab und nahm eine für mich neue Strecke in Angriff. Über Köchingen und Vallstedt ging es jetzt nach Broistedt zum Bahnhof; da hatte ich jetzt lediglich noch 5 km vor mir. Dachte ich zumindest. Laut Straßenschildern waren es noch 2 km bis Köchingen, so weit so gut.
Aber als ich Köchingen kurze Zeit später passiert hatte, musste ich leider erkennen, dass die restliche Strecke noch zwei Kilometer bis Vallstedt und sogar 7 km bis Broistedt betrug. Hierbei muss ich erwähnen, dass der Fahrradweg hinter Köchingen leider durch Abwesenheit glänzte. In Vallstedt überlegte ich kurz, die heutige Strecke abzukürzen und gleich links in Richtung Üfingen abzubiegen.
Aber nein, ich hatte doch einen Plan gehabt. Und der sah vor, in Broistedt einem Kaffee zu trinken und dann nach Braunschweig zurückzufahren. Mittagessen beim Vietnamesen am Kohlmarkt - das hörte sich nach vernünftiger Ernährung an. Der Gedanke daran verschaffte mir einen neuen Motivationsschub, welche aber dank der langen Steigung vor Broistedt nicht lange anhielt.
Rückfahrt
 
Mittlerweile machten sich meine müden Gesäßknochen bemerkbar; auch konnte mich die Aussicht auf ein langwieriges Abreiten über Üfingen und Thiede nicht wirklich begeistern. Zum Glück überfiel mich auf der Strecke die rettende Idee: Ich würde in Broistedt einfach nur in den Zug nach Braunschweig steigen und mir dadurch die nervige Rückfahrt ersparen.
Gedacht, getan. Am Bahnhof in Broistedt kaufte ich für 2,80 € eine Fahrradkarte und bestieg sensationelle 2 Minuten später den Zug nach Braunschweig. Das hatte ich gut gelöst, jetzt brauchte ich nur noch ein Cafe im östlichen Ringgebiet für die wohlverdiente Pause.
Tatsächlich hatte ich im Zug noch überlegt, bis Weddel durchzufahren und von dort aus noch ein paar Kilometer abzubeißen. Aber scheiß drauf, Olympia ist nur alle vier Jahre. Denn darauf freute ich mich auch die ganze Zeit: Zu Hause in Unterhose bekleidet vor dem Fernseher zu sitzen, dazu die Olympia Berichterstattung mit den Vorrundenspielen im Handball, Fußball und so weiter.
Also Ausstieg in Braunschweig, in die Pedale treten und... ich landete im MC Murphys. Dort angekommen, sprach ich diesen Text komplett ein und genoss mein Frühstück. Dank des Intervallfastens verspätet, genoss ich einen leckeren Tomaten Mozzarella Salat, hierzu bestellte ich ein Snakebite. Meine lieben Freunde der Trinkkultur, an diesem Tag habe ich mein neues Lieblingsgetränk entdeckt!
Snakebite - die geniale Mischung aus Wolters und Strongbow, also Cider und Pils. Zum Nachspülen musste ich noch ein zweites Snakebike nachbestellen, mehr aber auch nicht, denn ich musste ja noch nach Hause radeln. Was für ein klasse Vormittag!
Richtig gut drauf kam ich kurz nach 13 Uhr zu Hause an; heute hatte ich mal eine schöne Strecke geschafft und konnte jetzt die Wettkämpfe in Paris in Ruhe genießen. Ach, könnte nicht jeder Tag so wie dieser sein?

Donnerstag, 10. Oktober 2024

Hartmudo: Superwumms

24
Da lagen auch schon mal zwei bis drei Runden Bier im Flohzirkus, dem legendären Club um die Ecke, drin. Auf der Rückfahrt gab es Dosenbier und laute Mukke aus dem Kassettenspieler im Auto. Zuhause waren wir dann gegen 16.00 Uhr, Zeit für den Wohnungsputz. Da hatten wir auch eine schöne Routine.
Während Pocke das schmutzige Geschirr der Woche in unserem kombinierten Küchen- und Badezimmer eingeweicht hatte und nebenbei den Staubsauger spazieren führte, putzte ich unser Klosett, welches sich in einem Bretterverhau in unserem Wohnungsflur befand. Dann säuberte Pocke das schmutzige Geschirr mit einer Spülbürste, worauf ich das Geschirrtuch zum Einsatz brachte.
Keine Sportschau am frühen Abend, stattdessen galt es, die neuen Platten anzuhören. Jetzt nur noch mal so zum besseren Verständnis: Ich kehrte gewöhnlich mit 10 bis 20 Platten aus Hannover zurück; Pockes sammelte in der Regel mindestens die doppelte Menge ein. Hierzu hatten wir einen Conti am Start, TK-Pizza machte uns satt.
Wenn Du jetzt noch wissen willst, was ein Conti gewesen sein könnte.... Wikipedia hilft! So verbrachten wir dann den gesamten Abend und philosophierten über die jeweiligen Scheiben, gern hatten wir auch Gäste bei uns gehabt. Die wussten dann schon, dass ein Conti mitzubringen war. Wolters oder Feldschlösschen, never Wittinger.
„So schön, schön war die Zeit..." Wir ergänzten uns seinerzeit hervorragend, waren „Zwei wie Pech und Schwefel", das Traumpaar der Saison und so weiter. Und diese damalige Harmonie zwischen uns beiden erlebte ich bei diesen zwei Spaziergängen im ausgehenden Winter 2023 erneut.
Wir hatten uns in den Jahrzehnten unterschiedlich entwickelt, uns wie ein altes Ehepaar nach und nach auseinandergelebt. Häufig genug hätten wir uns fast verloren und doch immer wieder zusammengekauft, obwohl die entstandenen Risse immer allgegenwärtig blieben.
All das erinnert an den sensationellen Roman „Stan" von John Comolly, eine fiktive Biographie von Stan Laurel und eine Hommage an diesen großen Schauspieler und seinen kongenialen Partner Oliver Hardy. So verschieden sie auch gewesen waren, aber zusammen waren sie unschlagbar und mehr als die Summe ihrer Teile.
Für Pocke und mich sehe ich dies als passenden Vergleich an. Wie in unserer Wohngemeinschaft schwadronierten wir über die große, mittlerweile vergangene Zeit der Rockmusik. Andere Themen wie unsere Freunde, die Familie oder Politik (dies stark eingeschränkt aufgrund unserer extrem unterschiedlichen Ansichten) ergänzten die Nachmittage hervorragend.
Der erste Spaziergang führte uns durch die Rieselfelder hinter der Mülldeponie. Dieses Gebiet kann man schon fast als Naturschutzgebiet bezeichnen. Nach Müll riecht da im Spätwinter nichts - selbst im Hochsommer braucht man hier keine Atemschutzmaske. Trockenes Wetter bei strahlendem Sonnenschein in freier Natur ohne den Lärm der Straße; auch dies trug bei mir zusätzlich zu einer positiven Stimmung bei.
Der zweite Spaziergang führte uns durch den Lehndorfer Forst. Dies bei vergleichbaren Wetter, nur überwiegend auf Waldwegen. Beide Male rundeten wir den Nachmittag mit Kaffee und Kuchen beim Bäcker ab. Ohne Conti (gibt‘s ja leider nicht mehr im „Original“) und Pizza. Kein Zweifel, wir haben uns tatsächlich weiterentwickelt.
Doch wenn das so toll gewesen sein soll, warum haben Pocke und ich nicht mehr Spaziergänge zusammen unternommen? Ich weiß es nicht - es war wohl gut so, wie es war. Wir kennen uns ja in- und auswendig, anders als Charles und ich. Deshalb waren die Gänge mit Charles richtigerweise häufiger, wenn auch jeweils kürzer.
Anyway: Das Spazieren durch die Rieselfelder und den Lehndorfer Forst war ebenfalls ein weiterer Schritt in die Normalität zurück gewesen. Wo war ich bei der Schilderung meines leidigen Krankheitsverlaufes stehen geblieben? Ach ja, beim Gespräch mit der Psychotherapie Ambulanz am Donnerstag, dann kam...
Freitag, der 24. Februar. Nach dem üblichen Hochquälen aus dem Bett und „Watzmann ermittelt" fuhren meine Löwin und ich zu Berta und einem Kaffee. Wir wollten die von einer Firma durchgeführte Renovierung begutachten.
Meine Schwester Berta hatte sich endlich zur Renovierung ihres Schlafzimmers durchringen können. Mein Schwager Bud war im Vorjahr verstorben und Berta hatte aus ihrer Trauer nicht herauskommen können. Die Renovierung des Schlafzimmers markierte somit einen wichtigen Wendepunkt für meine Schwester.
Und das Schlafzimmer war beileibe nicht alles, wie ich schnell erkennen konnte, als wir bei Berta eintrafen und erst einmal einen Kaffee zu uns nahmen. Denn neben den Malerarbeiten im ersten Stock - Schlafzimmer und Flur - hatte sie in eben diesem Zimmer komplett neue Möbel gekauft. Ich fühlte mich gleich wie in einem Ausstellungsraum bei Porta oder XXXL Lutz versetzt.
Ich äußerte auch gleich einen Verbesserungsvorschlag; Ein Fernseher vor dem Bett fehlte halt noch. Dieser Gedanke war Berta bislang noch nicht gekommen und eben auch Neuland. Ich denke, dass sie meinen Vorschlag nie umsetzen wird. Aber sie hat ihr neues Schlafzimmer stilvoll gestaltet, das kann man so festhalten.
Der eigentliche Hammer aber waren die verputzten Decken unten wie im ersten Stock. Der helle Putz war mit winzigen dunklen Steinchen und ebensolchen Glassplittern vermischt worden. Die entstandene raue Oberfläche verleiht dem gesamten Haus ein edles Ambiente. Wie meine Löwin ist auch Berta mit einem geschickten Händchen für Design gesegnet.
Da war ich wirklich beeindruckt und freute mich für Berta, die über mehrere Wochen mit der Neugestaltung beschäftigt gewesen war. Meine Löwin konnte mir da beipflichten, als wir Berta in der Mittagszeit wieder verließen und über den Supermarkt nach Hause fuhren.
Und der Tag war damit ja nicht beendet gewesen. Denn auf vielfachen Wunsch einiger meiner Kollegen und Ex-Kollegen fand an diesem Abend unsere „Winter-Jam" statt. Ich hatte den Jungs bei unserem letzten Treffen mit Erzählungen über das Lufteck, der hervorragenden Kneipe bei uns um die Ecke, den Mund wässrig gemacht.
Heute Abend gastierte Eintracht in Düsseldorf und dieses Spiel wurde natürlich im Lufteck auf insgesamt vier Bildschirmen gezeigt. Den Tisch hatte ich bereits im Dezember gebucht gehabt - vor meinem Unfall. Ich hatte ein paar Tage vorher noch kurz überlegt, ob ich dort hingehen sollte; schließlich war ich ja krank geschrieben.
Doch dann sagte ich mir... Scheiß drauf! Ich war weder bettlägerig noch sonst wie gehandicapt. Krank wegen Psyche; So schaute es aus. Und das Schlimmste, was man da machen kann, ist sich zu verkriechen.

Donnerstag, 3. Oktober 2024

Contramann: kurz gesehen im Oktober

Tag der deutschen Einheit, STILL GE-STAN-DEN ! RÜHRT EUCH; MÄNNER!

„Der Krieg ist die Fortsetzung des fehlenden Gemeinsinns mit tödlichen Mitteln.“ Dies ist eine sehr griffige Schlussfolgerung, die der Kommentator aufstellt. Noch ein Zitat:
„Man vereinzelte das Land, teilte und herrschte, stachelte Gruppen gegeneinander auf: Jung gegen Alt, West gegen Ost, mit und ohne Arbeit, später für oder gegen Flüchtlingsaufnahme im großen Stil, noch später mit oder ohne Maske, Abstand, Desinfektionsmittel, geimpft oder ungeimpft, für Unterstützung der Ukraine oder für Diplomatie mit Russland – zuletzt nun: proisraelisch oder propalästinensisch.“
Angefangen hatte alles mit der Agenda 2010, also u.a. der Hartz IV - Gesetzgebung der ersten rot-grünen Bundesregierung. „Fördern und Fordern“ hieß das offizielle Motto, leider wurden die Mittel zum Fördern sehr schnell zusammengestrichen. Und dass der Arbeitsmarkt bis in die 10er Jahre gut bestückt war und ausgebildete Kräfte eben nicht händeringend gesucht wurden, wurde von den Medien und der Politik gar nicht erst thematisiert.
Und jetzt bzw. seit einigen Jahren wird von einem Facharbeitermangel schwadroniert. Da hauen dann auch gerne die Arbeitnehmer drauf ein, welche noch über einen gut bezahlten Job verfügen dürfen. In der Regel Konzernmitarbeiter, die nicht in kleinen Betrieben oder der Zuliefererindustrie arbeiten müssen.
Diese Mitarbeiter bekommen nämlich häufig erheblich weniger für quasi die gleiche Arbeit als ihre Kollegen bei VW, BMW, Bosch usw. bezahlt. Und Gerhard Schröder prahlte seinerzeit eh schon vom größten Niedriglohnsektor Europas. Wer will da schon für nen Mindestlohn oder unwesentlich darüber arbeiten, wenn er noch ergänzend Bürgergeld beziehen muss?
Das trifft zwar nicht für alle Bürgergeldempfänger zu, aber die von mir getroffene Differenzierung interessiert altgediente und mit Kohle zugeschissene Konzernmitarbeiter eher nicht. Und das ist wiederum die Folge der immer weiter um sich greifenden Ellenbogenmentalität, welche schon seit dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes fröhlich Urständ feiert.
Jeder gegen jeden - ein Träumchen für den neuen (Geld)adel, welcher halb im Verborgenen hinter der Politik und unseren Leitmedien steckt. Z.B. demonstrierten im Frühjahr und Sommer eine Masse von Leuten gegen die „Rechten“, gemeint war hier die AFD. Und Regierungsmitglieder, ja selbst der Kanzler, marschierten mit.
Derselbe Kanzler, der zur Zeit alte Forderungen der AFD nach Abschiebungen umsetzt. Krass. Oh, natürlich abgeschwächt. Und die AFD wird weiter verteufelt, aber ein Verbot dieser für die deutsche Verfassung ach so gefährlichen Partei wird immer noch nicht angestrengt. Den Massen reicht es offenbar vollkommen aus, dass Verfassungsschutzbehörden, welche ihren jeweiligen Innenministerien gegenüber weisungsgebunden sind, die AFD für verfassungswidrig halten. Was genau, bleibt da im Dunkeln.
Mich erinnert das eher an autokratische Staaten. Und wer was dagegen sagt, ist aktuell Putin-nah oder noch schlimmeres. Noch sind die Kritiker der vorgegebenen Meinungen in der Minderheit, aber in der schweigenden Masse sind wohl immer mehr Menschen der Meinung, dass die derzeitige Politik eher schädlich für unsere Gesellschaft ist.
Indikator hierfür sind sicherlich die Landtagswahlen dieses Herbstes, bei denen die Parteien der Regierungskoalition förmlich abgeschmiert sind. Die Deutschen stimmen halt nur bei den dafür vorgesehenen Wahlen ab. Die „Gelbwesten“ hätten hier keine Chance. Herr Biedermann und der Untertan - das sind die typischen Deutschen.
Bisher jedenfalls. Mal schauen, ob sich die Lage ändert, wenn die deutsche Industrie vollends gegen die Wand gefahren sein wird. Aber keine Bange, die Industrie in Deutschland wäre dann ja nicht tot. Nur die hier produzierenden Betriebe. Die „Bosse“ produzieren dann halt im Ausland, die Menschen hier können dann sehen, ob sie wenigstens bei Lieferando für den Mindestlohn ackern dürfen.
Vielleicht sehen meine deutschen Mitbürger dann endlich ein, dass man zusammen mehr erreichen kann als gegeneinander. Ich weiß - ich bin ein hoffnungsloser Träumer.

https://overton-magazin.de/hintergrund/politik/ben-stirbt-fuer-deutschland/
Ein wichtiger und angemessener Kommentar zu einem üblen Propaganda-Comic.
Donnerkiesel, wie ist es doch schön bei der Bundeswehr! Alle sind stolz. Ihrem Land und den Menschen zu dienen. Beim Barras geht es zwar hart zu, aber immer gerecht. Dort wird Klartext gesprochen, Jawoll Ja!
Die Hauptfigur Ben ist eigentlich Pazifist. Wahrscheinlich ist er deshalb in Litauen stationiert. Da passt er auf, dass die Bösen, die die Ukraine überfallen haben, nicht noch andere Länder überfallen. Warum dort überhaupt Krieg herrscht - unwichtig. Der Aggressor steht ja fest, näheres zu den Argumenten des „Feindes“ braucht der Leser nicht zu wissen.
Wen aber glaubt die Bundeswehr mit diesem Comic begeistern zu können? Nach der allgemeinen politischen Großwetterlage sieht es eher nicht nach einer Dienstzeit nach dem Motto, ne ruhige Kugel schieben zu können, aus. Das Risiko, tatsächlich in echte Kampfhandlungen verwickelt werden zu können, ist immens real geworden.
Meine Bundeswehrzeit in den 80ern… geschenkt. Aber jetzt zur Bundeswehr, weil man z.B. nicht ins Bürgergeld abrutschen will? Wer macht denn sowas?

Alsdann: Bleiben Sie links, bleiben Sie kritisch. Und:
„I`m so bored with the USA. But what can I do?“

Montag, 30. September 2024

Uncle Fester: grad gelesen September 2024

Marion Herzog: Algorytmica / Terra Nova
Eine deutsche Autorin, welche vorher wohl eher leichte Lektüre geschrieben hatte und jetzt einen Zweibänder vorlegt? Da war ich gespannt und wurde nicht enttäuscht. Die ganze Story ist packend aufgebaut, obwohl mir aufgefallen war, dass Frau Herzog hier aus vielen Klassikern des Genres eine Mixtur zusammengerührt hatte. Das nimmt den Roman natürlich die Exklusivität, konnte aber einen guten Page Turner nicht verhindern. Von der leicht kitschigen Liebesgeschichte abgesehen, oder vielleicht gerade deshalb, haben wir hier ein hervorragendes Einstiegswerk für Neulinge in der Science-Fiction-Literatur vor uns.
Die letzten Menschen leben in riesigen Bunkeranlagen unter der Erde, denn der atomare 3. Weltkrieg hat die Oberfläche unbewohnbar gemacht. Aha - klingt gewaltig nach dem Megaerfolg „Silo“ von Hugh Howey. Und auch der hatte die Idee geklaut - von Philip K. Dick. „The Penultimate Truth“ (dtsch. 10 Jahre nach dem Blitz) solltest Du unbedingt lesen, falls noch nicht geschehen. Eine wunderschöne Gesellschaftskritik.
Doch in Algorytmica können sich die Menschen wenigstens 24/7 in virtuelle Welten einloggen (Surrogates mit Bruce Willis), damit sie vergessen können, dass sie in Wirklichkeit in Kisten an die Lebenserhaltung angeschlossen sind (Matrix). Wie schon gesagt - ein bunter Mix, der aber sehr gut harmoniert.
Kaja Andersson ist privilegiert, denn sie ist die Tochter des obersten Programmierers der staatlichen Hologramme in der Bunkeranlage „Hope of Tomorrow“. In der virtuellen Realität studiert sie Informatik, um es ihren Eltern gleichzutun. Allerdings bringt Kaja nicht das geringste Interesse oder Talent für ihr Studium auf; ihre Leistungen sind dementsprechend.
Jedoch macht sie sich dennoch große Hoffnungen, zum staatlich beschränkten Familienprogramm zugelassen zu werden. In dem Bunker sind die Ressourcen begrenzt, daher ist diese Maßnahme nur allzu verständlich. Und Kaja geht zur Überraschung all ihrer Freundinnen bei der alljährlichen Bekanntgabe der Gewinner/-innen, welche von der allgegenwärtigen KI ausgewählt und als Paare bestimmt werden, leer aus.
Und es kommt sogar noch schlimmer: Gerade als sie Kontakt zu den Dark Surfern, welche die einzige Opposition darstellen und auf die Oberfläche wollen, aufgenommen und sich in deren Kopf, dem genialen Programmierer Liam Turner verliebt hatte, wird dieser ihrer besten Freundin Lora als Partner für das Familienprogramm zugelost.
So nach und nach entfremdet sich Kaja dank Liam und seiner Freunde nicht nur von ihren Eltern, sondern auch Lora. Kaja begreift, dass Lora in den Augen ihres Vaters die Wunschtochter ist, die er in Kaja nicht hat. Lora steht hinter dem System, welches an Orwells 1984 erinnert, und ist eine fähige Programmiererin. Der kaltherzige Andersson hatte an den Fäden gezogen, um Lora und Liam zusammenzubringen.
Kurz bevor die Widerstandsgruppe ihre Flucht an die Oberfläche umsetzen kann, werden Liam und Lora in der virtuellen Realität in ein paradiesisches Appartement gesteckt; die Zeugung des Kindes in der Realität erfolgt künstlich. Liam kann sich dem nicht entziehen, will er nicht als Oppositioneller auffliegen und den gesamten Widerstand gefährden.
Mit Hilfe von Sandra, die Liam schon immer geliebt hatte und Kaja deshalb eher hasserfüllt gegenübersteht, kann Kaja jedoch Liam befreien und aus dem Bunker fliehen. Die beiden Liebenden haben noch die Ärztin Allison und den Piloten Sam dabei, als sie auf die Oberfläche durchstoßen.
Und Rumms! - schon sind wir im zweiten Band. Anders als es die Präsidentin der „Archianer“ Anna Smith immer behauptet hatte, leben Menschen auf der Oberfläche. Diese Outlaws fristen ein spärliches Dasein in einem weitverzweigten Höhlensystem. Dort verstecken sie sich vor Kayne Cole, dem mächtigen Präsidenten der Townships.
In diesen Siedlungen herrscht Cole dank einer eisernen Militärdiktatur. Nur dort können die Nutri-Shots produziert werden, welche auch die Menschen in den Bunkern ernähren. Deshalb ist es das vorrangige Ziel der Outlaws, die Zuliefererleitung des Nutri-Shot zu den Bunkern zu zerstören. Warum muss ich hierbei nur an Nord Stream I und II denken?
In diesem zweiten Band tauchen auch neue Charaktere auf. Zum Beispiel der Outlaw Nathan Turner, der sich als Bruder von Liam herausstellt. Eine Zeit lang scheint sich da ein Verhältnis zwischen Nathan und Kaja anzubahnen, zumal sich Liam mehr und mehr zurückzieht, weil er an sein Kind mit Lora denken muss.
Nathan hat einen wesentlich sanfteren Charakter als sein Bruder; vielleicht drücken sich in dieser Figur Sehnsüchte der Autorin aus. Eine weitere interessante Hauptrolle bekleidet Elisa, eine Amazonin der Outlaws und heimlich verliebt in Nathan. Hier ergibt sich also auch wieder eine Konkurrenzsituation in Liebesdingen für Kaja. Gibt es diesbezüglich etwa auch einen Bezug zum Leben der Autorin?
Fragen über Fragen also, die im Roman selbstverständlich nicht geklärt werden können. Was leider jedoch etwas in den Hintergrund tritt, sind die „Bösewichter“ des Bunkers - Lora sowie Kajas Eltern. Zwar werden kurze Szenen mit diesen Protagonisten vereinzelt eingestreut, dies aber eher etwas unmotiviert abseits der Haupthandlung. Erst zum Schluss offenbart sich da der logische Zusammenhang, was es im Nachhinein wieder gut macht.
Nachdem die Zerstörung der Pipeline gescheitert ist, können unsere Helden am Ende doch die Menschen im Bunker befreien, bevor die Bunkerinsassen getötet und lediglich als Geister ins System hochgeladen werden.
Und ganz am Ende verliert Kaja ihren Liam, weil dieser komplett ins System hochgeladen wurde (um sein Kind zu sehen) und seinen Körper verloren hat. Aber sonst sind die Bunkerbewohner gerettet.
Marion Herzog hat sich noch eine Hintertür für eine Fortsetzung offen gelassen. Kayne Cole treibt immer noch sein Unwesen und Liam ist ja noch in der virtuellen Realität vorhanden. Genug Stoff für ein ganzes Serienuniversum also; aber das ist wahrscheinlich nicht der Plan der Autorin. Auf jeden Fall sind die beiden Bände eine kurzweilige Lektüre mit ernstem Hintergrund.

Montag, 23. September 2024

Hartmudo: Belgien

3
Nach diesem kurzen Gang an die frische Luft bestiegen wir das Auto und fuhren nach Belgien hinüber. Edith hatte im altehrwürdigem Pub Grain d'orge in Plombieres einen Tisch für Vier reserviert. Der Ort selbst wirkte abgerockt, was für Belgien typisch sei, wie mir Jürgen glaubhaft versichern konnte.
Das Haus von Grain d'orge selbst war allerdings dank der Strahler zwischen den Fenstern im ersten Stock hell erleuchtet und wirkte auch sonst sehr gepflegt, was so gar nicht zur sonstigen Erscheinung des Ortes passen wollte.
So ruhig, ja beinahe totenstill es draußen im Ort gewesen war, so voll und lebensfroh präsentierte sich der Gastraum im Lokal. Hier kann man mit Fug und Recht behaupten, dass sich in diesem Raum das Herz der Gemeinde, quasi das Wohnzimmer also, befindet.
Bis auf einen hohen Tisch mit vier Barhockern war nicht ein Platz mehr frei. Und richtig - das war der von Edith reservierte Tisch. Günstig gelegen direkt neben der Küche; die Vorratskammer war auch nur zwei Meter entfernt. Das konnte uns allerdings nicht entmutigen, denn wenn ein Lokal voll besetzt ist, kann man ruhigen Gewissens davon ausgehen, dass die Qualität passt.
Es sollte das beste belgische Essen werden, welches uns in diesem Urlaub vorgesetzt wurde. Gut, die Nudeln meiner Löwin waren keine belgische Spezialität, dafür aber ihrer Auffassung nach lecker, wenn auch nicht außergewöhnlich. Dazu probierte sie mit Edith das Fruchtbier der Woche, irgendetwas mit Apfel. War wohl auch lecker, führte allerdings bei meiner Löwin zu akutem Sodbrennen, so dass sie auf ein zweites Glas verzichtete.
Für Jürgen und mich kam selbstverständlich ein Jupiler in Einheitsgröße (0,33 l) angerauscht. Da war ich von der Qualität bzw. der Süffigkeit hellauf begeistert. Fast so begeistert wie von meinem Essen: Ich hatte micht von Edith und Jürgen von den Frikadellen nach Lütticher Art überzeugen lassen.
Die Frikadellen selbst wiesen eine Konsistenz der beliebten Königsberger Klopse auf, doch die Sauce war der Hammer. Diese geschmacksintensive dunkle Sauce Lapin besteht u.a. aus belgischem Bier, Lütticher Sirup (aus eingekochten Äpfeln, Birnen und/oder Datteln sowie Quark) und lecker Rosinen. Richtiger Schweinkram also und deshalb meine Lieblingssauce des Jahres; da lege ich mich schon einmal fest.
Mit allerletzter Kraft konnte ich noch an mich halten und es vermeiden, die restliche Sauce vom Teller abzulecken. Die belgischen Pommes (dick geschnitten und in Rindertalg frittiert) schmeckten mit der Sauce Lapin besser als mit der handelsüblichen Mayonnaise. Da mundete mir der zweite Becher Jupiler um so mehr.
Wer so gut speist wie wir an diesem Abend, ist in der Regel gut gelaunt und führt anregende Gespräche. Doch leider ging auch dieser wunderbaren Abend dem Ende entgegen und so begaben wir uns auf den Rückweg. Edith fuhr uns noch am Hotel vorbei; nach dem Aufstehen wollten sich meine Löwin und ich bei den beiden noch persönlich bei einer Tasse Kaffee verabschieden.
Müde nach diesem langen Tag asteten meine Löwin und ich die enge Treppe in unser Zimmer hinauf. Ans gemütliche Schauen einer Serie war nicht mehr zu denken, ich schaffte nur noch ein paar Seiten in meinem Roman, ehe ich meine Schlafmaske umschnallte und das Licht löschte.

Freitag, 19. April.
Es war bereits hell, als ich die Augen aufschlug. 08.00 Uhr und meine Löwin horchte noch an der Matratze. Ziemlich zügig erhob ich mich aus dem Bett, welches mir eine zufriedenstellende Nachtruhe beschert hatte. Das Klo gehörte also mir und ich konnte in aller Ruhe die Toilette und die Dusche benutzen, ehe meine Löwin ebenfalls ready war.
In der Zeit, die sie in dem dreiviertelhoch weiß gekachelten Raum (darüber weiße Rauhfaser) verbrachte, räumte ich schnell meine Plünnen zusammen. Meine Badutensilien hatte ich nach Verlassen desselben bereits eingesammelt. Das Verstauen der Schlafmaske dauerte wie üblich am Längsten; das Polo-Shirt vom Vortag packte ich nicht in den Koffer, sondern in eine dafür vorgesehene Wäschetasche in den Kofferraum des Autos.
Alsbald war meine Löwin ebenfalls reisefertig und wir verließen das Hotel per ultraschnellem Check-Out. Will sagen: Wir quälten uns die engen Treppen hinab und warfen den Zimmerschlüssel in einen dafür bereitstehenden Einwurfkasten am Hauseingang. Da es leicht nieselte, beeilen wir uns mit dem Verstauen des Gepäcks und fuhren zügig zum Haus von Edith und Jürgen, wo wir auch direkt vor ihrer Garage parken konnten.
Edith war bereits ebenfalls auf Sendung und bat uns herein. Jürgen hatte es leider nicht geschafft, da sein kränkelnder Körper noch eine längere Ruhepause benötigte. Im Wohnzimmer, am Tisch, schlürfte ich meinen ersten Kaffee des Tages, währenddessen Edith uns von den Vorzügen des Ingwertees erzählte, von dem sie jeden Vormittag einen Liter weghaut.
Das ist gut gegen Entzündungen im Körper, was die Neugier meiner Löwin weckte und einen Becher auf Verdacht trinken ließ. Bis wir nach zwei netten Stunden auseinandergingen, hatten wir einen schönen Vormittag und freuten uns auf unser Wiedersehen zwei Monate später, wenn Jenny und Kroll ihre Party im Schwarzwald feiern würden.
12.00 Uhr mittags war es geworden - High Noon also. Zeit, um in Belgien einzutauchen. Knapp eineinhalb Stunden würden wir laut Google Maps bis Antwerpen benötigen - dort hatte ich am Nachmittag des Vortages beim Kaffeetrinken im Ronnefeldt eine Unterkunft in den City Appartements Antwerpen klargesprochen.

Montag, 9. September 2024

Contramann: kurz gesehen im September

https://www.telepolis.de/features/Fussball-und-Gesellschaft-Zwei-Jahre-bis-wir-Weltmeister-werden-9801694.html
Hier zu Anfang mal ein Artikel zur „Aufarbeitung“ der Fußball EM, welche aus deutscher Sicht ja eher enttäuschend verlief, wenn man das Team an den selbst gesteckten Zielen und den geweckten Hoffnungen bei Fans misst. Nach den Medien war ja alles toll - hier steht, wie es wirklich war.
Zu dieser Wahrheit gehört es eben, das Kroos im Spiel gegen Spanien bereits nach sieben Minuten und seinem zweiten Foul am spanischen Mittelfeldstar Pedri vom Platz hätte fliegen müssen; zumal er diesen kaputt getreten hatte. Aber in den deutschen Qualitätsmedien war dies natürlich schnell abgehakt.
Stattdessen wurde der spanische Abwehrspieler Cucurella zum Buhmann, weil er im Strafraum an der Hand angeschossen wurde und der Schiedsrichter nicht einschritt, obwohl der Arm abgespreizt war. Ich nenne das ausgleichende Gerechtigkeit; im Übrigen hatte das mit Abstand beste Team der EM auch dieses Spiel verdient gewonnen.
Die deutschen Rumpelfußballer hätten das Halbfinale nicht verdient gehabt. Und dass die deutschen „Fans“ Cucurella im Halbfinale gnadenlos ausgepfiffen hatten, zeigt ihre Unsportlichkeit und ist der krasse Gegensatz zur vorgeblichen großen Party, die uns von ARD und ZDF präsentiert worden war.
Ich seh die deutsche Nationalmannschaft (und ihre Fans) als Spiegelbild unserer Gesellschaft; das offenkundige Bahnchaos bei der Anreise zu den jeweiligen Spielen sprach da eine deutliche Sprache. Und das Herunterspielen dieser Probleme durch die Medien ist ein weiteres Problem in unserer Gesellschaft, wenn man es nur erkennen will.
Aber daran fehlt es bei der Mehrzahl meiner Mitbürger. Typisch Deutsch halt.

https://www.fr.de/kultur/tv-kino/harald-schmidt-ist-offenbar-nichts-mehr-peinlich-93235328.html
Wie Framing funktioniert, kann man hier gut am Kommentar eines Moritz Post im Kulturteil der Frankfurter Rundschau erkennen. Laut Autorenbeschreibung soll dieser beim Satiremagazin Titanic arbeiten. Das tut ob des Inhalts seines Kommentares besonders weh; stand das Titanic Magazin bislang eher nicht in Verdacht, Dogmen der jeweils aktuellen Regierungsmeinung unkritisch zu verbreiten.
Also: Harald Schmidt, einer der Granden deutscher Fernsehunterhaltung, sagte in einem Interview im Deutschlandfunk zu den Wahlprognosen der AfD und BSW für die kommenden Landtagswahlen Thüringen, Brandenburg und Sachsen:
„Solange gewählt wird, haben wir eine Demokratie. Das sind Ergebnisse von freien Wahlen, von freien, gleichen und geheimen Wahlen. Wenn ich das nicht will: Wahlen abschaffen oder Ergebnis vorher festlegen.“ Und damit hat er es meiner Ansicht nach in seiner üblich galligen Art auf den Punkt gebracht. Wenn ich Angst vor dem Wahlergebnis habe und mit diesem Ergebnis nicht umgehen kann, muss ich den Wählerwillen aushebeln.
Bloß das ist dann eben keine Demokratie mehr – darauf wollte Schmidt hinaus. Statt das Ergebnis zu manipulieren versuchen sollte sich die etablierte Politik lieber um eine andere Politik bemühen, um den Wähler zurückzuholen. Das ist Demokratie. Demokratie lebt von gegensätzlichen Standpunkten und dem Aushalten anderer Meinungen. Und solange man frei und geheim wählen kann – Demokratie.
Und wenn das Ergebnis von Wahlen einigen Leuten nicht passt – z.B. Moritz Post, der die AfD pauschal als rechtsextrem einstuft… ja, was soll denn dann passieren, Herr Post? Das Ergebnis irgendwie aushebeln? Wäre das etwa demokratisch? Überhaupt ist die Argumentation des Herrn Post ziemlich dünn.
Die AfD pauschal als rechtsextrem zu beurteilen, hat einen Haken: Ja, der Verfassungsschutz Thüringen hat die AfD in Thüringen als gesichert rechtsextrem eingestuft. Na und? Seit wann entscheidet eine Behörde über die Recht- und Verfassungsmäßigkeit? Eine Behörde ermittelt, ein Staatsanwalt stellt einen Antrag und ein Gericht entscheidet. So läuft das in einer Demokratie. Bloß leider hat sich bislang immer noch kein Ankläger/Staatsanwalt gefunden, der dass hierfür zuständige Bundesverfassungsgericht wegen eines Verbotes der AfD anruft.
Die ziemlich unsachlichen Beschreibungen des Herrn Schmidt (z.B. 12jähriger Lausbub) zeigen Herrn Post in einem Agitationsmodus, der an Kommentare in Presseorganen in zum Glück überwundenen deutschen Staatssystemen erinnert. Wenn dies ein Stilmittel für die notwendige Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus sein soll, dann Prost Mahlzeit. Da hat einer (Post) die Demokratie, die er durch einzelne Personen (Schmidt) gefährdet sieht, nicht verstanden. Letztendlich gibt er durch seinen blöden Kommentar Schmidt recht – er merkt es nur nicht.
P.S.: Ich bin kein AfD Freund und werde diese Partei auch nicht wählen. Aber nicht, weil sie eine Vielzahl an Rechtsextremen beherbergen könnte, sondern weil mir ihre neoliberale Ausrichtung, welche die FDP alt aussehen lässt, gegen den Strich geht.

https://taz.de/Ergebnis-der-Sachsen--und-Thueringen-Wahl/!6033609/
Sehr schöner Kommentar zu den Wahlen in Sachsen und Thüringen vom 1. September. Oder besser gesagt... Entlarvend.
Die TAZ Kommentatorin sieht das schlechte Wahlergebnis der ihr nahestehenden Parteien (Grün, SPD, evtl. Linke - TAZ halt) in der Migrationspolitik als entscheidendes Thema.
Der Ukraine-Krieg und die offensichtliche Ablehnung der vorherrschenden Politik durch die Wähler in Sachsen und Thüringen wird vollkommen ignoriert. Schlimm und eben entlarvend, dieser Kommentar.
Meine Güte, das auch noch am 85. Jahrestages des Beginns des zweiten Weltkrieges. Wie verlogen diese Berliner Blase geworden ist. Bitter.
Und komm jetzt keiner von wegen Landesthemen, da hätte der Ukraine-Krieg nichts zu suchen. Wenn erst einmal dank der „Kriegstüchtigkeit" eines Pistorius die Hütten brennen, dann ist die Unterscheidung Bund - Land obsolet.

Alsdann: Bleiben Sie links, bleiben Sie kritisch. Und:
„I`m so bored with the USA. But what can I do?“


Sonntag, 8. September 2024

Hartmudo: Jürgen

Hartmudo: Jürgen
Da sitze ich vorm Steakhaus Montana im holländischen Viertel in Potsdam und denke an Puffi. ”Meine Damen und Herren... Das ist doch ein Schild!“ Und dann dachte ich an Jürgen. Der hatte gute Kabarettisten immer geschätzt.
Womit wir beim Thema wären. Jürgen ist verstorben. Ende August hatte ihn der Krebs endgültig besiegt gehabt, da biss die Maus keinen Faden ab. Meine Löwin und ich erfuhren diese traurige Nachricht am 1. September, grade als wir mit Phil und Candela durch den Olympia Park in München spazieren gegangen waren.
Candela schob ihre neugeborene Tochter im Kinderwagen vor sich her. "Der Eine geht, eine Andere kommt", sinniere ich im Moment und nehme noch einen Schluck vom gezapften Feldschlösschen.
Da sind wir schnell wieder bei Jürgen, der früher weder ein Feldschlösschen noch ein gutes Wolters verschmäht hatte. Als das Feldschlösschen noch aus Braunschweig kam. Doch genau wie Feldschlösschen (gen Dresden) verließ auch Jürgen irgendwann unsere Heimatstadt - der Liebe wegen.
Eine richtige Entscheidung, wie wir bei unseren gegenseitigen Besuchen mit Edith und Jürgen jedes Mal feststellen durften. Auch in der Diaspora am Dreiländereck Holland - Belgien - Deutschland blieb Jürgen seiner zweiten großen Liebe, der Braunschweiger Eintracht, treu und fieberte Jahr für Jahr mit, wenn die Eintracht die Ligen gewechselt hatte. Da lagen Freud und Leid immer dicht beieinander, da stand er auch drauf.
Und diesen 1. September dann noch die Niederlage zuhause gegen Karlsruhe - nach einer langen Führung! Egal, 1. September. Der Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen und Beginn des zweiten Weltkrieges. Schnell noch ein weiterer Schluck vom leider schnell abgestandenen Feldschlösschen.
Als bekennender Antifaschist und Antimilitarist - mithin die klassische linke Socke - ist dieses Datum für mich und noch mehr für Jürgen ein mahnendes Zeichen, damit wir nicht vergessen, dass es gilt, solch dunkle Zeiten deutscher Geschichte zu überwinden und dazu beizutragen, dass sich jene Grauen vor über 80 Jahren nicht wiederholen.
Brr, der letzte Schluck vom abgestandenen Feldschlösschen - schal und warm. Aber wenigstens schmeckte dieser Schluck nach dem "echten" aus Braunschweig und nicht Warsteiner (würg) - like wie beim ersten Schluck.
Schnitt. Kneipen - Fußballturnier Ende der 80er Jahre. Zusammen mit u.a. Uli, Kroll und Wolfgang spielten wir fürs... wie hieß die Kneipe von Carina, Carina, Carina.. Wunderschönes Mädchen, bald .. halt. Pause - Musik:


Diesen Antikriegs-Song hatte ich von Jürgen 1982 vorgespielt bekommen - Passte damals, passt heute mehr denn je.
Konzentration. Panama! Genau so hieß die Kneipe. Wir waren bereits glorreich aus dem Turnier ausgeschieden und schauten dem Spiel der Funzel gegen das Ufuk zu. Pocke war inzwischen aus dem Krankenhaus zurück; sein im Vorrundenspiel gebrochenes Bein war dort geschient worden.
Nach einem Foul würde ein türkischstämmiger Spieler der Funzel von einem Spieler des Ufuk rassistisch beleidigt. Dies schrie nach solidarischer Unterstützung, auf dem Spielfeld entstand eine wilde Rangelei. Uli und Jürgen stürmten augenblicklich aufs Spielfeld, wobei sich Jürgen beinahe auf die Fresse gelegt hätte.
Zu guter Letzt beruhigte sich die Lage sehr schnell wieder, aber ich erzähle dies hier, weil diese Szene so viel gerade über Jürgen aussagt. Aus vollem Herzen antifaschistisch warf er sich ohne Rücksicht aufs eigene Wohl ins Getümmel. Keine Frage - Jürgen hatte Eier. Sein slapstickreifes Stolpern gehört irgendwie dazu.
Wo andere schon sabbern, war Jürgen sofort on Fire gewesen. Dafür - und nicht nur für die beschriebene Szene - liebe ich ihn. So viele Szenen fallen mir zu Jürgen ein (ich sitze inzwischen im Augustiner Biergarten in Potsdam, nicht in München), aber darauf möchte ich an dieser Stelle nicht näher eingehen.
Gern erzähle ich diese Szenen ein anderes Mal. Jedenfalls werde ich heute Abend im Hotel durch meine MP3 Sammlung hecheln und den Player mit Clash, Family 5 und natürlich den unnachahmlichen Wallerts (Humppa!) durchprügeln, dazu standesgemäß eine Halbliterpulle Berliner Pilsener (Schultheiß) aus dem Kühlschrank an der Rezeption.
Das ist mein Abend mit Jürgen, so und nicht weinend stehe ich am Styx, während der Fährmann in der Ferne entschwindet. Und noch etwas: Ich habe hier 2 Tage in Potsdam fälschlicherweise zusammen vermischt, der Erzählung wegen. Normalerweise gebe ich dies nicht zu - tut ja auch keinem weh.
Doch Jürgen ist immer eine ehrliche Haut gewesen wie kein Zweiter. Oft genug hatte er sich deshalb in die Nesseln gesetzt. Doch das war ihm scheißegal gewesen; Jürgen zog es durch. Jürgen war und ist der Olli Kahn im Real Life.
Dass er Grateful Dead gut fand, habe ich ihm daher nie übel genommen. Eine Seele von Mensch, kein Büttel des Kapitals. Ein freier Geist - Rock 'n' Roll durch und durch. Trotz Grateful Dead. Ich habe diese Kraft (ich meine jetzt nicht Grateful Dead) nie gehabt und meine Kompromisse mit dem „System" gemacht wie alle anderen auch.
Jürgen wie auch wenige Andere nicht, hier war er tatsächlich ein Fels in der Brandung. Gut. Bin jetzt im fliegenden Holländer im holländischen Viertel im Potsdam. Dieses edle Viertel in der Stadt, wo auch Günter Jauch und Annalena Baerbock leben. Elite.
Im Gedanken sitzt Jürgen neben mir und wir sinnieren über die Verlogenheit der grün-linken und woken bourgeoisen Schickeria der urbanen Berliner Blase. Und wir trinken ein Allgäuer Büble Hell zusammen. Und mir geht es bei diesem Gedanken gut.
Jürgen ist nicht weg - er ist nur nicht mehr hier.