Montag, 8. April 2019

H. Lecter: Alf


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Beide Kollegen arbeiteten stets publikumsorientiert und hatten in der Zwischentür einen Spiegel montiert, damit sie jeweils das Büro des Kollegen im Auge behalten konnten. Beide feixten sich dann öfters einen, gern lachten sie auch zusammen mit ihren Hilfeempfängern. Aber es kam eben auch schon mal vor, dass Alf den Auszahlungsschein der Kundin derart vorlegte, auf dass diese sich ganz weit zur Unterschrift vorbeugen musste und Alf in Ruhe in das tiefe Dekolletee blicken konnte.
Rosi hieß die Dame, soweit ich es in Erinnerung habe. Gern brüstete sich Alf mit der Geschichte, als er sich blutige Knie zugezogen hatte. Seiner Frau hatte er erzählt, dass er vom Fahrrad gestürzt sei. Tatsächlich (so Alf) hätte er sich die Knie blutig geschubbert, als er Rosi bei einem Hausbesuch auf dem Teppich vernascht hatte. Gerüchteweise sollen da sogar unschickliche Dinge im Büro gelaufen sein. Ich halte das für eine typische Übertreibung bei Männergesprächen.
Einen noch in dieser Abteilung: Legendär wurde folgende Aktennotiz von Knödel Willi zum Beihilfeantrag von Rosi. „Nach persönlicher Inaugenscheinnahme war der Hilfeempfängerin eine Beihilfe zum Kauf eines Büstenhalters wegen Übergröße zu bewilligen.“
Gern erinnere ich mich an mein erstes Weihnachten 1991 in diesem Amt. Ein Kollege – Spitzname „der singende Slawe“ – hatte ab Sommer einen Rumtopf angesetzt und am letzten Arbeitstag vor Heiligabend mitgebracht. Da standen nun die üblichen Verdächtigen in den Büros von Knödel Willi und Alf herum, ließen die vergangenen Wochen Revue passieren und hatten alle Becher in der Hand. Der Singende holte mit der Kelle einen Hub aus dem Tontopf heraus, schüttete den Inhalt in einen Becher (auf Wunsch mit viel oder wenig Früchten) und löschte das Ganze mit Sekt ab.
Die Stimmung verbesserte sich von Minute zu Minute; lustig wars. Dann betrat unser Sachgebietsleiter das Büro. Alf und Knödel Willi hatten ein derartiges Standing, sie genossen geradezu Kultstatus, dass sie sich eine Menge herausnehmen konnten. Und zart besaitet war in dieser Abteilung eh keiner. Sachbearbeiter mit Ärmelschonern gab es dort eher nicht.
Knödel Willi fragte den Sachgebietsleiter: „Willste mit oder ohne?“
Dieser, ein eher überkorrekter und penibler Paragraphenreiter, der sich nur gelegentlich ein zartes Lächeln gönnte und auch sonst kein südeuropäisches Temperament ausstrahlte, entgegnete kurz: „Ohne, Willi.“
Natürlich meinte er ohne Rumtopf mit Früchten und stattdessen Sekt pur. Er fröhnte wohl auch nicht dem Alkohol, war auf Feiern eher abstinent unterwegs. Mit dem Sekt hob er bereits den Kopf aus der Deckung, aber Knödel Willi reichte das selbstverständlich nicht. Er schenkte dem Sachgebietsleiter „Ohne“ ein – ohne Sekt natürlich. Heldenhaft nahm der Sachgebietsleiter den Becher kommentarlos entgegen und leerte ihn nach und nach aus. Er gab sich keine Blöße, zeigte also Größe. Als er seinen Becher mit dem puren Rumtopf geleert hatte, lallte er schon etwas und wünschte uns allen beim Hinausgehen ein frohes Weihnachtsfest. War aber auch der Hammer, dieser Rumtopf.
Ein paar Tage später – zwischen den Feiertagen – fand in den „heiligen Hallen“ der Star-Sachbearbeiter der traditionelle Jahresausklang statt. Auf dem legendären Kühlschrank hatte Knödel Willi einen Plattenkocher gestellt. In der Pfanne brutzelten die Bouletten laut zischend vor sich hin, während Knödel Willi eine Kochmütze auf seinen Kopf gesetzt hatte und mit einem Pfannenwender die Bouletten umdrehte.
Plötzlich wurde die Tür aufgerissen und einer von Knödel Willis Kunden betrat den Raum mit seiner Betriebskostenabrechnung. Willi war da schmerzfrei und sprach seinen Kunden an: „Alles klar. Stellen sie sich bitte an die Pfanne und drehen die Bouletten um, während ich eine Kopie von der Betriebskostenabrechnung mache.“ Und so geschah es dann auch. Wir anderen kamen irgendwann auch dazu – Willis Kunde war da natürlich schon weg – und töteten die Reste vom Rumtopf. Und Bier geht dazu auch immer.
Knödel Willi hatte einfach eine mitreißende Art an sich, dem konnte man nichts übel nehmen. Und zusammen mit Alf ergab das ein unschlagbares Gespann, dass ich leider nicht sehr lange erleben durfte, weil Knödel Willi 1995 oder 1996 in Rente gegangen war. Gestorben ist er übrigens exakt einen Monat vor Alf.

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