Montag, 16. Dezember 2013

Contramann: Kaufen im Netz 1/2

Den folgenden Artikel bekam ich – ausgedruckt – von einem wutschnaubenden Detzer in die Hand gedrückt. „Und Du, Du bist auch so Einer! Einer, der bei Amazon kauft.“ geiferte er.
Ich versprach Detzer, mir den Artikel einmal anzuschaun und machte dies natürlich auch. Denn die Wirtschaftswoche ist ja nun eine seriöse und anerkannte Zeitung. Fachkompetenz ist da vorauszusetzen. Allerdings kein Gespür für sich ändernde Märkte, deshalb muß ich mich hier etwas auslassen.
Tenor dieses durchaus lesenswerten Beitrages ist, dass die Kaufkraft zunehmend vom Einzelhandel weg zum boomenden Online-Handel fließt. In kleinen und mittleren Städten ist dies besonders zu spüren. In Großstädten noch nicht so extrem, weil hier natürlich die Kundenströme größer sind.
Dieser Analyse kann ich voll und ganz zustimmen. Schließlich arbeite ich in Salzgitter Lebenstedt. Salzgitter Bad kriege ich auch ab und an zu Gesicht. Hier möchte ich nicht einkaufen müssen. Auch alteingesessene Geschäfte wie z.B. Schuhhaus Rose fristen hier ein trübes Dasein und werden wohl oder übel bald über die Wupper gehen müssen.
Große Ketten wie KiK, Takko, Tedi, McGeiz sind da zwar robuster. Aber allein die Häufung dieser Art von Läden und das Fehlen origineller oder innovativer Ladenkonzepte lassen mich an Lucky Luke Comics denken.
Dort sitzen die Geier auf den großen Kakteen und warten geduldig auf die Opfer, die sich in der Wüste verirren und wehrlos sind. Das wären in diesem Falle die älteren Mitbürger, die eben nicht mehr so beweglich sind und nach Braunschweig zum Shoppen fahren können. Die Hartzer können wenigstens noch mit dem Zug weg, aber mit nem Rollator wird das eng.
Dieses Muster aber funktioniert auch ohne den Online Handel. Hier widerspreche ich dem Artikel entschieden.
Denn auch früher schon gab es den Versandhandel über Quelle, Neckermann oder Otto. Die haben lediglich die Vertriebsmöglichkeiten über das Netz falsch eingeschätzt und den Anschluß verloren. Meine Eltern hatten immer über Quelle Kleidung und Spiele, ja sogar Elektrogeräte gekauft. Letztere dann vielleicht über den Laden auf dem Bohlweg, wo heute Meckes ist. Aber ausgesucht im dicken, fetten und bunten Versandhauskatalog.
Übrigens: Daneben war auch Salzmann, in Spitzenzeiten auf 3 Etagen und noch ne Zweigstelle in der Burgpassage. Der Hauptladen am Bohlweg machte schon vor dem Internet Boom die Grätsche; In der Burgpassage ging es bis 2006.
Aber bleiben wir in Salzgitter. Als ich in Lebenstedt 1991 anfing zu arbeiten, war Hertie gerade noch auf. Ich hatte dort mal irgendetwas kaufen müssen, weil mein Auto nicht mehr fuhr. Wagenheber? Jedenfalls war der Laden damals schon ziemlich abgerockt. Das bedeutet, das man dort zwar z.B. einen Staubsauger kaufen konnte, aber keine Auswahl hatte.
4 – 5 verschiedene Modelle wenns hochkommt. Und dann noch alles Einzelstücke. Hier wurde das Dilemma deutlich, dass erst Hertie in Braunschweig und Salzgitter, Karstadt in Wolfenbüttel und Bad zum Verhängnis wurde. Du hattest kaum Auswahl bei den einzelnen Artikeln und dann waren die Preise auch denen beim Elektro- oder Textildiscounter gegenüber hoffnungslos unterlegen.
Fachkenntnis beim Verkaufspersonal war da Mangelware. Deshalb gingen nach und nach die umsatzträchtigen Abteilungen in den Kaufhäusern ein. Elektro- und Haushaltsgeräte, Unterhaltungselektronik: Media Markt und später Saturn waren da nicht nur aufgrund ihrer aggressiven Werbung gnadenlos günstig. Durch die vielfältige Markenauswahl machten insbesondere Hertie oder selbst Karstadt und Galeria Kaufhof dicke Backen.
Wie gesagt, Lebenstedt wie Bad aber auch Wolfenbüttel verloren mit der Zeit „ihre“ Kaufhäuser. Für nen Fernseher konnte man eben auch schon mal nach Braunschweig zu Media Markt fahren, wenn man da 100 bis 200 Deutschmark sparen konnte. Wir reden hier von Artikeln, die man schließlich nicht jeden Tag kauft.
Etwas häufiger braucht man Bekleidung. Hier wird mir jeder Ehemann seufzend zustimmen, wenn ich sage: Die Mädels brauchen Auslauf äh Auswahl. Unseren Eltern reichte es vielleicht noch, mal kurz bei Karstadt und C&A nach dem Rechten zu sehen. Aber mehr und mehr mußten es viele Geschäfte, kleine wie große Läden sein. Das „Shopping“ avancierte zum angesagten Freizeitspaß. Die Damenunterwäsche bei Karstadt ist da natürlich nicht mehr so prickelnd. Dass sich C&A bis heute hält, ist wohl eher den angenehmen Preisen geschuldet.
Diese Art der Spezialisierung, im normalen Arbeitsleben seit den 70ern gang und gebe, erfordert eine Flexibilität auch bei der Ladengestaltung, da ist ein Kaufhaus klassischen Stils schlichtweg überfordert. Das private und unabhängige Kaufhaus im hessischen Gelnhausen kann ja nur froh sein, dass es sich in diesem Kaff überhaupt solange halten konnte. Der vielgescholtene Internethandel hält da höchstens die Grabrede.
Die genannten Beispiele sind sicherlich selbst für die Braunschweiger Region nicht abschließend aufgezählt, zeigen aber eines deutlich: Das Sterben im Einzelhandel begann schon vor dem Internethandel, weit vorher.
Denn eins mußte Detzer auf meine Nachfrage auch eingestehen: Im Schuhhaus Rose kauft er auch nicht ein. Aber warum beklagt er sich dann, dass die Leute „bei Amazon“ oder in Braunschweig einkaufen? Und da steht er garantiert nicht alleine da.
Das Schuhhaus Rose ist ein alteingesessenes Familienunternehmen wie das Kaufhaus in Gelnhausen. Deichmann ist nicht weit weg, C&A um die Ecke. Hat Rose da schon Probleme im Pricing, dann darf man an Braunschweig erst gar nicht denken. Da ist die Auswahl noch größer und die Preise nochmals günstiger. Und wenn es Qualität auf Teufel komm raus sein muß; Hildesheim ist auch in der Nachbarschaft.
Da hilft nur noch arrivierte Stammkundschaft – und die stirbt nach und nach weg. Das klingt jetzt bitter, aber Reinicke & Richau Haushaltswaren in Braunschweig mußten auch vor 2 Jahren mangels Kundschaft aufgeben. Kaufgewohnheiten, ja der Markt hatte sich halt verändert. Das Konzept eines reinen Haushaltswarenladens hatte sich überlebt.
Witzigerweise wird in dem Wirtschaftswochen Artikel vom Sterben des Einzelhandels in kleinen und mittleren Städten berichtet. Die Autoren haben hier schlampig recherchiert. Zuallererst gingen schon seit den 70ern, spätestens 80ern die „privaten“ Geschäfte vor die Hunde, als findige Betriebswirtler den Vorteil von größeren Ketten mit den Filialen vor Ort entdeckten.
Wenn man schwarze Lacklederstiefel für bundesweit 137 Filialen en gros beim Hersteller aufkaufen kann, ist der Einkaufspreis natürlich wesentlich geringer als für das Schuhhaus Rose. Zumal bei einem größeren Unternehmen auch eher Luft ist, um auch mal pinke Lacklederstiefel testweise für Düsseldorf einzukaufen. Bei Rose käme wohl niemand auf diesen innovativen Gedanken.
Blitzschnell sind wir bei der größeren Markenauswahl, bunter Ladengestaltung und besseren Preisen. Ohne dabei schlechteren Service bieten zu müssen, das haben die Kunden sehr schnell gelernt. Der Preis ist heiß – denn mit schwarzen Lacklederstiefeln kennen wir uns doch alle aus, oder?

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