Mittwoch, 26. Dezember 2018

Hartmudo: Mutter


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Das Geld aus dem Verkauf der Juwelen habe ich übrigens noch heute bei mir zuhause rumliegen. Über 5000,-€ liegen doch tatsächlich nach wie vor achtlos in unserer Wohnung, ich habe das Geld nicht mehr angerührt, seitdem ich es in eine alte Geldbörse gepackt hatte. Als ob ich mir eine tödliche Krankheit einhandeln würde, wenn ich es anfasse oder auch nur ansehe.
Ich erwähne dies ausdrücklich wegen Sunny's dämlichen „bevor Ihr über die Beute herfallt" Spruch. Dabei war sie es doch gewesen, die beim Juwelier so geierig war. Nach dieser WhatsApp Nachricht war ich noch den ganzen Abend verärgert. Nur gut, das meine Löwin und ich noch etwas vorhatten.
Zusammen mit Patti und Pocke waren wir bei Tillmann, dem Straßenbahnfahrer, und seiner Heidi eingeladen. Bei ihm um die Ecke wollten wir zum Griechen, nein, waren wir beim Griechen. Das Essen war sehr lecker dort und gut gesoffen hatten wir noch dazu. Bei mir spülte der bizarre Vormittag beim Juwelier das Pils etwas schneller durch die Kehle, auch die kleinen Spaßmacher passten noch hinein.
Ein wenig hatten meine Löwin und ich den anderen auch darüber erzählt. So konnten wir uns unseren Ärger etwas Luft machen. Auf alle Fälle war es besonders für meine Löwin gut, etwas Abwechslung durch Tillmann und Heidi zu bekommen. Das stumpfe Herauskloppen der Steine aus Mutters Schmuck ging meiner Löwin doch sehr nahe.
Denn auch wenn sie von Mutter wegen deren Verhalten nach Walters Tod, vor allem der schräge Auftritt mit der Telefonnummer von Walters Schwägerin aus Florida und Mutters abschätzigem Brief an meine Löwin, mit Mutter nie mehr richtig warm wurde, so war und ist meine Löwin sehr sensibilisiert, wenn es um die Gefühle ihrer Mitmenschen geht.
Und meine Löwin war sogar über ihren Schatten gesprungen und hatte mich dazu gedrängt, den Kontakt mit Mutter wieder aufzunehmen. Ich glaube nicht, dass Berta geschweige denn Sunny das so hinbekommen hätten. Von alleine hätte ich dies jedenfalls nicht gemacht, da sind wir alle in der Familie „ein Kopp, ein Arsch". Und versteht das nicht falsch, liebe Leute: Ich bin meiner Löwin dankbar dafür, das sie mich dementsprechend zum Kontakt mit Mutter anregte. Schließlich war Mutter nicht mehr die Jüngste, da musst Du einfach Abstriche machen. Alte Menschen sind sehr egoistisch, weil sie nichts mehr zu verlieren haben. Hoffentlich werde ich nicht auch mal so.
Indem meine Löwin und ich bei Tillmann auf andere Gedanken kommen konnten, klang der Abend nicht ganz so deprimierend aus, wie der Tag größtenteils verlaufen war. Das hing bei mir leider mit einigem an Alkohol zusammen, aber was soll das. Als wir Patti und Pocke zuhause abgeliefert hatten, verfiel ich wenigstens nicht in eine sinnlose Nachdenklichkeit, die nötige Bettschwere hatte ich ja bereits erreicht.
Am Sonntag kreisten die düsteren Gedanken dann doch wieder durch meinen Kopf. Die Geschichte mit der schwarzen Tasche ging mir nach dem Aufstehen nicht mehr aus dem Kopf. Der wahrscheinliche Auslöser von Sunnys Aggressionen lag am Samstag Vormittag beim Juwelier auf dem Glastresen seiner Vitrinen.
Das musste doch die Tasche sämtlicher Streiteren gewesen sein, zumal dort drin die Sparbücher waren, welche Berta angeblich unterschlagen hatte. Das Sunny in ihrer Bräsigkeit gar nicht schnallte, das es die Sparbücher von Walter waren und Berta beim besten Willen nie nicht an das dort noch verbuchte Geld herankommen konnte, wäre normalerweise ein Fakt, der zur Heiterkeit anregen könnte, wenn es nicht so traurig wäre.
Unter irgendeinem Vorwand rief ich Berta Sonntagabend an, vielleicht aber gab es doch einen Grund zum Anruf. An, jetzt weiß ich es wieder. Ich wollte einfach nur mal wissen, wir es meiner Schwester geht, da ich mich selbst nicht wohlauf fühlte. Die ganze Situation war einfach unbefriedigend. War das alles jetzt einfach nur ein Missverständnis?
Es hätte ausgereicht, wenn Sunny ihren Irrtum mit der Tasche, die dann wohl doch nicht mit Steinen aus Strass besetzt war, eingestanden hätte. „Das kann ja mal passieren" hätte ich dann großmütig gesagt und wir alle Drei könnten danach vorsichtig nochmal zusammen durchstarten. Mann, wäre das gut gewesen.
Aber nein, so lief das natürlich nicht. Berta hatte mal wieder die ganze Nacht nicht geschlafen und wirkte am Telefon auch dementsprechend angezählt. Sie sprach langsam, wie in Trance. Ich erzählte ihr von meinem kurzen Gespräch mit Sunny wegen der schwarzen Tasche am Tresen des Juweliers, aber Berta hörte mir nicht wirklich zu. Sie verstand die Zusammenhänge des Wiederauftauchens der Tasche mit dem Vorwurf der Unterschlagung von Wertsachen, den Sunny beim Treffen in Mutters Wohnung geäußert hatte, in keinster Weise.
Als wäre Berta vollkommen weggetreten, musste ich ihr alles haarklein auseinandersetzen, bis sie es endlich begriffen hatte. Mich machte das schon gleich wieder aggressiv, wieso verstand sie diesen simplen Zusammenhang bloß nicht?
Weil bei Berta etwas vollkommen anderes im Kopf herumspukte. Schon in der Kindheit, noch vor meiner Geburt, hatten sich meine beiden Sestras in den Haaren. Hierbei hatte sich Sunny laut Berta schon immer mit Lügen beholfen und sie ständig unterdrückt. Und trotzdem hatte Berta als eigentlich ältere und größere Schwester gute Miene zum bösen Spiel gemacht und Sunny immer wieder geholfen.
Auch als Erwachsene blieben beide bei diesem Verhaltensmuster. Berta lieh Sunny Geld und wurde angepöbelt, wenn sie einfach nur mal sanft nach einer Rückzahlung fragte. Sie hatte auf die gerade geborene Dörte aufgepasst, damit Sunny die paar Monate bis zur Berechtigung einer Betriebsrente noch bei Siemens arbeiten konnte. Immer wieder hatte sie Sunny abgeholt, wenn diese irgendwo hin musste. Denn bis vor kurzem hatte Sunny kein Auto, traute sich auch nicht selbst hinter das Steuer.
Und nun, so das Fazit von Berta, brauchte Sunny sie nicht mehr und warf Berta weg wie einen alten Schuh. Diese Ansicht hatte sich bei Berta unwiderruflich verfestigt. In diesem Punkt ist Berta genau so verbohrt wie Sunny mit ihrem Benachteiligungstick, das wurde mir schnell klar. Vorbei war das kleine Fünkchen Hoffnung, das wir drei uns noch einmal gütlich einigen und Missverständnisse ausräumen könnten.
Ganz am Ende - ich wurde immer saurer - konnte ich Berta offenbar doch davon überzeugen, das sich Sunny mit der schwarzen Tasche, ob Strass oder nicht, einfach nur getäuscht hatte. Aber leider war dies für Berta mittlerweile vollkommen nebensächlich geworden. Die Differenzen zwischen meinen beiden Schwestern entstanden schon in der Kindheit, und jetzt, mit Mutters Tod, fielen sämtliche Dämme. Feuer frei.
Zuvor am Tag hatte ich von Sunny noch eine WhatsApp bekommen, in der sie mitteilte, das Reiner und sie noch am selben Tag mit einem Schätzer für die vermaledeiten Teppiche in Mutters Wohnung gehen würden. Sie rechnete wohl damit, das Berta oder ich mitkommen würden. Und das ich mich nicht einmal zurückmeldete, hatte Sunny dann wohl doch geärgert.
Denn noch kurz nach meinem Gespräch mit Berta, gerade als ich mich in meinem Schreibtischstuhl entnervt zurücklehnte, klingelte das Telefon. Meine Löwin sprach noch kurz mit Reiner. Beide kamen ohne gegenseitiges Anschreien aus, was ja schon mal gut ist. Daher war ich überrascht, als sie mir den Hörer in die Hand drückte.
„Reiner", sagte meine Löwin kommentarlos. Und tatsächlich erzählte mir Reiner dann vollkommen ruhig von der Begegnung mit dem Schätzer für die Teppiche. Was Reiner da zu berichten hatte, interessierte mich allerdings nicht die Bohne. Wohl deshalb weiß ich nichts mehr von den Preisvorstellungen des Schätzers. Ich war so erstaunt von Reiners freundlicher und sachlichen Stimme, das ich argwöhnisch auf einen Wutausbruch von ihm wartete. Das hatten wir ja in der Vorwoche in Mutters Wohnung erleben dürfen.
Doch Reiner blieb bis zum Schluss des viertelstündigen Gespräches ruhig, erstaunlich. Gegen Ende äußerte er Sunnys wie auch seine Enttäuschung über mein Fehlverhalten,weil ich mich einfach so auf die Seite von Berta geschlagen hätte. Hierzu wolle mir Sunny auch noch einen Brief oder ne Mail schreiben, wenn alles vorbei sei.
So das Statement von Reiner. Schön, das er ruhig blieb. Ansonsten ging mir das an diesem Abend komplett am Arsch vorbei, aber so was von.

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