Sonntag, 23. Dezember 2018

Hartmudo: Mutter

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Meine Vorfreude auf das Treffen beim Juwelier am Samstag, dem 19. November, hielt sich also in Grenzen. Beim Solo am Vorabend schlorkte ich noch das eine oder andere Bierchen, auch zuhause unter dem Kopfhörer arbeitete ich mich zu den sanften Klängen von Family 5 an ein oder zwei Pülleken ab.
Und dann endlich... Samstag, Showdown!
Meine Löwin und ich hatten uns mit Berta und Bud auf dem obersten Deck der Karstadt Spindel verabredet. Schließlich wollten meine Löwin und ich beim Tragen helfen. Das Ganze ca. eine Viertelstunde vor dem Termin, denn wir wollten nicht verfrüht beim Juwelier sein. Nach dem Eklat vor wenigen Tagen in Mutters Wohnung wäre jede Minute mehr mit Reiner und Sunny eine Minute zu viel gewesen.
Die Atmosphäre war ja nach dem Vorwurf, Berta hätte da eventuell etwas beiseite geschafft, nein, nicht eventuell, ich vergesse da die kleine schwarze Tasche, die mit Strass besetzte Abendhandtasche, vergiftet. Und der rüde Ton, den Reiner und Sunny dabei zeigten, wirkte nicht nur auf Berta abstoßend.
Die Vorfreude auf das Treffen beim Juwelier hielt sich also in Grenzen. Das spiegelte sich garantiert auch in unseren Gesichtern wieder, als wir uns auf dem Parkdeck mit Berta und Bud trafen. Ich würde einfach mal sagen, das wir alle bei der Trauerfeier von Mutter ein fröhlicheres Gesicht gezeigt hatten.
Jeder von uns schnappte sich eine Kiste, Kästchen oder was auch immer. Alsdann gingen wir Richtung Juwelier. Berta und ich fühlten uns - im Gegensatz zu meiner Löwin und Bud - wie Lämmer, die zur Schlachtbank geführt wurden. Ich kann mich noch erinnern, das ich selbst krampfhaft versuchte, einen fröhlichen Eindruck zu vermitteln. Das gelang mir jedoch nicht wirklich.
Als wir dann um die Ecke auf der Goerdelinger Str. auf die Zielgerade einbogen, sahen wir Sunny und Reiner schon durch die Schaufensterscheibe im Laden stehen. Wir nötigten uns ein kurzes, frostiges „guten Morgen" ab und stellten die Kästen und Boxen mit dem Schmuck auf einen der vielen gläsernen Verkaufsvitrinen, seitlich und weit vom Eingang, im Laden ab. Die Stimmung war leicht unterkühlt.
Der Ladeninhaber, ein schlanker Mann mit Gesichtspullover, begrüßte uns alle freundlich mit Handschlag und erklärte uns anschließend gleich das Prozedere. Er würde den gesamten Schmuck sichten und auf Echtheit des Materials prüfen. Hierbei sind für ihn lediglich Gold und Silber interessant. Dementsprechend wollte er die einzelnen Teile erst einmal sortieren.
Er erwähnte auch gleich, das er den Laden bald aufgeben würde. Deshalb könnte er sich lediglich auf den reinen Metallwert konzentrieren, da er sich nichts mehr hinlegen wollte, weil er das nicht mehr verkauft kriegen würde. Das Metall würde somit wohl eingeschmolzen werden. Auf gut Deutsch: Er würde uns den reinen Metallwert bezahlen.
Nach dieser kurzen Einführung ging es los. Er öffnete das erste Schmuckkästchen und betrachtete die Ketten, Ringe oder Uhren jeweils einzeln und hoch konzentriert. Er sagte auch immer gleich, um was für Material es sich handelte. Haarklein erklärte er z.B. den Unterschied zwischen echtem Gold oder lediglich vergoldeten Schmuckstücken. Über eingefasste Modesteine, die keinen Wert besäßen, lachte er nur.
Meine Löwin und Bud hielten sich bewußt im Hintergrund auf, beide saßen auf einer Bank neben dem Eingang. Reiner hielt sich ebenfalls im Hintergrund auf, stand aber mitten im Raum. Während der gesamten Zeit wuselte die Frau des Juweliers durch den Laden. Mal wischte sie die Glasvitrine mit den Ausstellungsstücken, mal auch die Schaufensterscheibe sowie die Auslage dort.
Dabei, also als sie im Schaufenster hantierte, scherzte sie ungezwungen mit Sunny, die in diesen Momenten ihre betonharte Hassfratze etwas auflockern konnte. Auch meine Löwin versuchte sich im Gespräch mit der Frau des Juweliers. Wie sie mir später allerdings berichten musste, zeigte sich die Frau meiner Löwin gegenüber richtiggehend abweisend. Meine Löwin spürt so etwas, das bildet sie sich nicht ein.
Ich denke, das ist der Verbindung des Juweliers mit den Freunden von Reiner und Sunny, Frankie und Grace, geschuldet. Das Sunny dem Juwelier natürlich ihre Sicht der Dinge erzählt hatte, als da wäre z.B. das „klammheimliche" Entfernen des Schmucks von Mutter durch Berta aus der Wohnung, dürfte klar sein. Und das Sunny sich dem Juwelier gegenüber als benachteiligte Schwester darstellt, die von ihren Geschwistern untergebuttert werden soll, dürfte nicht verwundern.
Vielleicht endstand die kühle Ablehnung meiner Löwin durch die Juweliersfrau aber auch aus einem anderen Grund. Während der ausführlichen Erklärungen des Juweliers wagte sie es doch unverschämterweise zu fragen, ob man die Ketten mit Rubinen und Diamanten nicht erst einmal nur schätzen lassen sollte.
Denn der Juwelier hatte sich ja gleich zu Anfang seines Vortrags dahingehend geäußert, dass er nur den reinen Metallwert schätzen würde und sich aufgrund der Geschäftsschließung nichts hinlegen könnte. Dazu bezeichnete er diese Steine später als wertlos bzw. unverkäuflich.
Jedenfalls verließ Reiner ruckartig (Turr-bo!) den Laden, als meine Löwin den Vorschlag wagte, die entsprechenden Ketten lediglich schätzen zu lassen. „Ich halt das nicht mehr aus!", waren Reiner's Worte beim Hinauslaufen. „Dafür werde ich Ihnen kein Angebot machen" erklärte der Juwelier daraufhin mit entschlossener Stimme.
Ich denke heute, das der Verkauf des Schmucks an diesem Tag von vornherein zwischen dem Juwelier und Sunny abgesprochen war, wie der weitere Verlauf des Vormittags zeigen sollte. Jedenfalls prüfte der Juwelier gewissenhaft jedes Schmuckstück und erklärte mir detailgetreu, ob es sich um reines Metall oder nur um eine überzogene Schicht, mithin wertlos, handelte. Dasselbe zu den eingefassten Steinen, wobei er dort keine echten Steine benannte.
Das er seine Prüfschritte hauptsächlich mir erklärte, liegt daran, dass Berta etwas weiter entfernt rechts von mir stand und Sunny sich einen Schritt hinter mir aufhielt. Sunny brauchte er es ja nicht zu erklären, die beiden hatten bestimmt schon vorher alles klargesprochen, da bin ich heute von überzeugt. Aber Berta hàtte er bei seinem Erklärungen ruhig mit einbeziehen können.
Es ist nachvollziehbar, das Berta diese Nichtbeachtung seitens des Juweliers später mit dem schlechten Bild, dass Sunny ihm von Berta gezeichnet haben sollte, in Verbindung brachte. Dies mag zwar der in unserer Familie vorherrschenden Paranoia geschuldet sein, aber wie sagte es Philip K. Dick so schön: „Bloss weil jemand unter Verfolgungswahn leidet, heisst das nicht, das er nicht trotzdem verfolgt wird."
Da standen wir nun so mitten im Laden, und der Juwelier Griff zu einem Kettchen nach dem Ring nach der Uhr nach... Er verbog einen eigenen silbernen Löffel, um zu zeigen, das Silber weich und biegsam ist, während die vermeintlich „echten" Löffel unserer Mutter lediglich mit Silber überzogen waren, da sie sich nicht biegen ließen. Eine schöne Demonstration, Herr Lehrer.
Irgendwann fiel Sunny noch ein, dass Mutter zwei Matruschkas im Schrank stehen hatte, die Berta zusammen mit dem Schmuck gesichert hatte. „Da ist Gold dran, Gold...!“ Sunny hatte direkt leuchtende Augen und wollte wissen, wo die Matruschkas abgeblieben waren. Berta hatte diese im Auto gelassen.
Wie es so ist. Als wir uns auf dem Parkdeck getroffen hatten, wollte Berta die Matruschkas nicht mitnehmen. Ich war zwar auch nicht auf den Gedanken gekommen, das der goldfarbene Rand die Puppen zu einem hohen Wert verhilft, hätte die Puppen aber schon allein aus Prinzip mitgenommen. Man kennt ja seine Pappenheimer.
So kam es, wie es kommen musste: Berta stiefelte zurück zum Auto, um die Matruschkas zu holen. Tat ihr vielleicht auch gut, da sie ansonsten eh die ganze Zeit nur sehr angespannt an der Seite stand, während Sunny sich ab und an mit der Frau des Juweliers unterhalten konnte. Die dadurch ausgestrahlte Vertrautheit zwischen Juwelier und Sunny trug nicht gerade zur Stimmungsaufhellung bei.
Ich holte zwischenzeitlich sogar noch einen Kaffee und fragte alle, ob sie auch etwas haben wollten. Dabei vergaß ich Sunny nicht, wollte ich insgeheim halt doch eine friedliche Stimmung bewahren. Ich mag das nicht, mich zwischen Leuten aufhalten zu müssen, die auf Krawall gebürstet sind. Die Alternative dazu ist Berta's Reaktion, dabei fühl ich mich unwohl. Ich täusche da lieber eine Freundlichkeit vor, die ich gar nicht empfinde. Für den unbeteiligten Beobachter läßt das sicherlich auf einen unehrlichen Charakter schließen, aber ein Beobachter ist eben unbeteiligt und nicht in meiner Situation, in der Situation, in der ich mich an dem Tag beim Juwelier befand.

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