Samstag, 14. April 2018

Uncle Fester: Autofac

Eine meiner Lieblingsstories von Philip K. Dick war immer Autofac. Dick schrieb diese beängstigende Kurzgeschichte im Jahr 1955; auch über 60 Jahre später hat diese Geschichte nichts von ihrer Faszination eingebüßt. Als ich Anfang diesen Monats durch Zufall mitbekam, dass der britische Channel 4 zehn Kurzgeschichten von Dick als Serie produziert hatte, wurde ich natürlich hellhörig. Produzent von "Philip K. Dick`s Electric Dreams" ist Bryan Cranston. Weitere namhafte Schauspieler wie Steve Buscemi oder Geraldine Chaplin geben sich in der Serie die Ehre. Und ja, Autofac ist gleich die zweite Folge.
Die schaute ich natürlich als erstes und kann nur sagen, dass - entgegen der schlechten Kritik in der Zeit - die Serie nicht angestaubt ist, im Gegenteil. Autofac hatte ich zwar von der Story her anders in Erinnerung; sie wurde für die Serie entstaubt und mit einer anderen Pointe versehen. Diese ist für Dick ebenso typisch wie das Original, aber um das besser nachvollziehen zu können, habe ich mir die Originalstory noch einmal durchgelesen.
Nach dem atomaren Weltkrieg sind die überlebenden Menschen vollkommen von den produzierenden Fabriken, den "Autofacs", abhängig. Diese produzieren selbstständig Konsumgüter für die Menschen, die in Siedlungen abseits der Ruinen der Städte leben. Ohne Rücksicht auf die Umwelt und schwindende Ressourcen produzieren die Autofacs ohne Unterlass. Die Menschen wollen die Kontrolle über die Produktion wieder zurückgewinnen, um den Planeten und die Natur wieder aufbauen zu können.
O´Neil, Perrine und Morrison sind drei Bewohner der Siedlung bei der Autofac von Kansas City, die versuchen, die Fabrik abzuschalten. Ihre Bemühungen, die Annahme der Konsumgüter zu verweigern oder die Lieferungen einfach zu zerstören, um der Fabrik begreiflich zu machen, dass ihre Güter nicht mehr erwünscht sind, verlaufen erfolglos. Die Fabrik produziert und liefert immer weiter. Schließlich schreiben sie eine Beschwerde und behaupten, dass die letzte Lieferung "pizzeliert" gewesen sei.
Dank dieses nicht existierenden Begriffes erreichen sie, dass eines Abends ein Vertreter der Fabrik bei ihnen in der Siedlung vorstellig wird und eine nähere Erklärung zu diesem unbekannten Begriff verlangt. Endlich wurde ein direkter Kontakt hergestellt und die Menschen erklären dem Vertreter ihr Anliegen. Dass die Fabrik die Umwelt immer weiter zerstört und die Menschen die Kontrolle wieder selbst übernehmen möchten, ist der Fabrik aber egal.
Geil finde ich die Begründung der Fabrik. "Die Abschaltung erfolgt erst, wenn die Produktion des Verbundnetzes (der Fabrik) von der Produktion der Oberfläche (also den Menschen) zumindest eingeholt wird." Bis dahin wären die Menschen nicht in der Lage, sich selbst zu versorgen. Und sie haben natürlich auch nicht die Mittel dazu, eine Produktion selbst in Gang zu setzen, da die Fabrik ihnen keine Möglichkeit dazu gibt. Dieser nicht aufzulösende Widerspruch lässt Morrison ausrasten und den Vertreter zerstören, was aber an der ausweglosen Situation der Menschen auch nichts ändert. Ein anderer Vertreter erklärt den Menschen, dass die Ressourcen knapp sind und eine Zerstörung der Maschinen daher kontraproduktiv sei.
Dank dieser Bemerkung hat O'Neill dann die rettende Idee. Zusammen mit seinen Mitstreitern findet er heraus, dass Wolfram knapp ist. Die Menschen kratzen alles Wolfram, dessen sie habhaft werden können, zusammen und platzieren dieses seltene Metall exakt auf einem Schnittpunkt der Einflussbereiche zweier Fabriken. Im darauffolgenden Abnutzungskrieg wird die Fabrik von Kansas City vollkommen zerstört; die Menschen haben ihr Ziel erreicht.
Als O`Neil und Morrison jedoch die Ruine der Fabrik untersuchen, müssen sie leider feststellen, dass im untersten Stockwerk immer noch reges Treiben herrscht. Der finale Clou von "Autofac" besteht darin, dass die Fabrik mikroskopisch kleine Abbilder seiner selbst produziert und diese wie Sporen in alle Richtungen verteilt. Die Fabrik lebt also und pflanzt sich fort; wie auch in "Blade Runner" haben die Maschinen eine eigenständige Entwicklung genommen.
In der Fernsehserie weicht die Story vom Original stark ab. Es gibt dort nur eine Fabrik und daher am Ende auch keinen Krieg zwischen verschiedenen Fabriken. Die Konsumgüter werden in Kartons ausgeliefert, die erschreckend wie Amazon Kartons aussehen. Protagonist ist hier eine junge Frau, die die Vertreterin der Fabrik umprogrammieren will, nachdem sie gefangen genommen werden konnte.
Dies schafft sie nicht, erpresst die Vertreterin aber trotzdem und erreicht, dass diese die Frau und 2 Mitstreiter in die Fabrik einschleust, auf das die Menschen die Fabrik mittels einer mitgebrachten Bombe zerstören können. Ihre beiden Mitstreiter werden vom Sicherheitssystem der Fabrik getötet. Und die Vertreterin offenbart im zentralen Raum die schreckliche Wahrheit.
Die Menschen sind lediglich Roboter. Nach dem Krieg waren alle Menschen tot und die Fabrik hatte keine Konsumenten mehr und damit keine Existenzberechtigung. Also produzierte die Fabrik erst die Konsumenten und hatte dadurch wieder Kunden für die Konsumartikel. Dies wäre schon ein schöner Schluss gewesen, aber ein kleines Schmankerl gibt es noch.
Die junge Frau war sich ihrer maschinellen Herkunft bewusst und schleuste ein Virus in das System der Fabrik ein. In dem Moment, als die Vertreterin der Fabrik die Frau "reparieren" wollte, wurde das Virus aktiviert und die Fabrik dadurch zum Abschalten gebracht. Durch diese für die Fabrik unvorhergesehene Handlung wird klar, dass die menschlichen Roboter zu Menschen geworden waren, die zum selbstständigen Denken fähig sind.
Dieser Schluss erinnert noch stärker an "Blade Runner" als das Original. Ich begreife daher nicht, weshalb die Kritik der Serie in der Zeit so negativ ausfiel. Wahrscheinlich hatte der Kolumnist weder Dick gelesen noch die Serie verstanden. Sein Vorwurf, dass die Stories altbacken daherkommen, weil sie sich nicht wie "Black Mirror" mit den Auswirkungen und Gefahren der Informationstechnologie beschäftigen, trifft ins Leere. Ob 1955 oder heute - es geht immer nur um die Frage, was macht menschliches Leben aus. Künstliche Intelligenz mag uns bedrohen, aber nur, weil sie der menschlichen ähnlich oder vielleicht sogar überlegen ist.
Und genau dies hatte Dick schon in den 50er Jahren thematisiert; da hatten wahrscheinlich die Eltern des Kolumnisten der Zeit noch nicht einmal gelebt. Dass die Thematik einer eigenständigen und von Menschen nicht beeinflussbaren Kriegsführung der Maschinen heute immer aktueller wird, kann man u. a. anhand folgendem Berichts erkennen:
https://www.heise.de/tp/features/Mit-einem-Schwarm-billiger-Wegwerf-oder-Suizid-Roboter-in-den-Krieg-ziehen-3670442.html
Erst setzt man Drohnen ein, weil Kampfpiloten schwerer zu ersetzen sind als von Menschen ferngesteuerte Maschinen. Dies ist bereits heute State of the Art. Doch die in diesem Bericht angesprochenen Entwicklungen, die eine Schwarmintelligenz der Drohnen und damit ein selbstständiges Operieren der Drohnen ohne menschliche Einwirkung ermöglichen sollen, machen mir Angst.
Bei Dick bekämpfen die Maschinen sich wenigstens nur untereinander. Der Bericht auf Telepolis weist aber leider eher in Richtung eines Daniel Suarez mit "Daemon" und "Darknet". Wehe, wenn sie losgelassen!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen