Samstag, 8. September 2012

H Lecter: Johnny`s letzter Gig

„Solange Johnny Thunders lebt, solange bleib ich ein Punk“ sangen einst die Toten Hosen. Johnny verstarb am 23.4.1991 in einem Hotel in New Orleans. Kurz vorher, den Tag weiß ich nicht mehr, gab er sein letztes Konzert. Dies fand statt in Braunschweig im Line vor ca. 20 Zuschauern. Und ich war dabei.
Ende März oder Anfang April 1991 besuchte ich ein Konzert der Miracle Workers im Line. Ja, der gute alte Line-Club. Barney würde sagen: Le – gen – där ! Gregor und Rainer hatten da eine, nein DIE Top Szenekneipe aufgebaut. So ab 3.00 Uhr morgens konnte man gut hingehen. Bloß nicht früher, weil sonst war man alleiniger Gast in dem schönen Laden ohne Fenster. Dafür gab es schwarze Wände und eine weiß gekachelte Theke. Und jede Menge Konzerte.
Ein Gig von Johnny Thunders mit Band war schon geplant gewesen. Ich weiß noch, dass ich bei den Miracle Workers eine Ankündigung gesehen habe, dass Johnny Thunders 3 Tage später im Line solo auf der Bühne stehen sollte. Noch bevor die Miracle Workers anfingen, bin ich raus und zur nächsten Telefonzelle gelaufen. Handys gab es damals ja noch nicht. Ich hatte mehrere Leute angerufen. Johnny Thunders Solo auf der Bühne – das kann man sich doch nicht entgehen lassen!
Weit gefehlt. Als der Tag endlich kam, verloren sich ca. 20 Zuschauer im Line. „Ach ne, der kommt ja noch mit Band.“ Oder: „Zweimal muß ich ihn nicht sehen.“ Das waren die häufigsten Kommentare, als ich in der Telefonzelle stand und total euphorisch ungefähr 10 Leute angerufen hatte. Als Krönung war dann noch – nach Johnnys Tod – die Beschwerde eines Mädels, das ich sie nicht angerufen hätte. Selbst meinen Anruf hatte sie vergessen.
Genug des Jammerns, zum Konzert. Die 20 Zuschauer drängten sich vor der Theke. Thekendienst hatte wohl Jürgen. Zusätzlich anwesend waren Pocke, Kroll und Ulli. Der harte Kern also, Lederjacken inclusive. Das Warm-Up an der Theke zog sich in die Länge, weil Johnny auf sich warten ließ. Kein ungewöhnlicher Vorgang im Line, starteten die Konzerte doch selten vor Mitternacht.
Als Johnny endlich, mit seiner Gitarre in der Hand, die Bühne betrat, waren es immer noch ca. 20 Zuschauer. Pocke, Jürgen, Ulli und ich nahmen sofort unsere Barhocker und pflanzten uns direkt vor die Bühne. War ja auch peinlich. Der Rest des Publikums hielt nach wie vor die Theke fest und traute sich nicht vor die Bühne. Wir wollten Johnny nicht alleine da stehen lassen. Kroll hielt sich im Hintergrund, weil er noch jemanden zum Quasseln gefunden hatte.
Irgendwie sah Johnny kränklich aus. Meine Mutter hätte ihn als Tod auf Latschen bezeichnet, so wie er da rumtorkelte. Wäre der Gitarrengurt nicht um seinen Hals geschwungen gewesen, dann wäre sie ihm garantiert aus den Händen geglitten, breit wie er war. Schön war zwar, das er Wasser oder O-Saft trank. Besoffen wirkte er auch nicht unbedingt – hatte aber schwerste Schlagseite. Er konnte sich nicht gerade auf den Beinen halten. Bis heute weiß ich nicht, was er sich eingepfiffen hatte. Wählerisch war er ja noch nie gewesen.
Fast das gesamte Konzert lief folgendermaßen ab: Johnny drosch auf seine Gitarre ein. Nach ein paar Akkorden erkannte Pocke den Song und sang ihn an. Bei manchen Songs konnten wir Pocke noch unterstützen. Wahrscheinlich nur durch dieses Ansingen konnte sich Johnny überhaupt an den Song erinnern. Jetzt stieg er in den Text selber ein und nöhlte ins Mikro, immer haarscharf am Stolpern und Hinfallen vorbei. Den Refrain schaffte er meist gerade noch so. Zweite Strophe war nicht angesagt – nächster Song! Johnny drosch auf die Gitarre, Pocke hatte seinen Einsatz und so weiter …
Eigentlich war es ein Trauerspiel. Johnny war ganz unten angekommen und mußte noch von der Bühne geführt werden; Alleine schaffte er nicht mal das.. Wenigstens hatten wir ihn nochmal gesehen. Der ganze Spuk dauerte wohl nicht länger als ne Dreiviertelstunde, dann war es vorbei. Wie das Ganze endete, weiß ich schon gar nicht mehr. Wir waren hinterher nach Hause gegangen – bis auf einen.
Denn es ging noch in der Kogge weiter! Mannis legendäre Kneipe, die erst ab 5.00 Uhr morgens betreten werden durfte. Egal, ob nach dem Line, Black Button oder nach der Nachtschicht. Egal ob Banker oder Nutte. Hier traf man sich.
Und in jener Nacht war auch Johnny Thunders in der Kogge. Ich weiß nicht, wer es mir erzählt hatte, aber Johnny stand frühmorgens auf dem Billiardtisch und gab noch eine Zugabe. Dies glaube ich gerade deshalb, weil Jürgen mit dabei war. Ich glaube es nicht, weil Jürgen mir dies erzählt hat. Hätte er es mir erzählt, hätte ich es auch geglaubt. Nein. Jürgen lag besinnungslos unter dem Billiardtisch. Und deshalb glaube ich, das der wirklich letzte Auftritt von Johnny Thunders bei Manni in der Kogge stattfand.
Sicherlich gab es etwas später in Berlin noch nen Auftritt. Urmel und „the Man“ waren dort und haben mir von dem Abend berichtet. Dominiert wurde jener Abend von einem Typen namens Sugardaddy, der so schlecht war, das die Zuschauer ihn von der Bühne gepfiffen hatten. Johnny Thunders betrat wohl noch die Bühne, krachte aber beim ersten Akkord zusammen und stand nicht mehr auf. Sie mußten ihn von der Bühne tragen.
Das würde ich nun wirklich nicht als Auftritt bezeichnen. Ich bleibe dabei: Johnnys letzter Gig fand statt im Line in BS. Der Special Point geht an Manni und die Kogge. Über 20 Jahre ist das schon her. Ruhe in Frieden, Johnny.

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