Mittwoch, 8. August 2012

H Lecter: Nußbergstrasse


Erinnerungen eines Musikjunkies Teil 2
Einer der besten Fundorte für Platten aber war der Flohmarkt. Mitte der 80er, als ich mit Pocke zusammenwohnte, hatten wir ein bestimmtes Ritual: Samstags früh fuhren wir nach Hannover zum Flohmarkt am Leineufer. Die Karre parkten wir am Raschplatz und kämpften uns an den Junkies vorbei in die Plattenläden. Zuerst galt es natürlich, bei den Neuheiten und Sonderangeboten anzugreifen. Schwer bepackt ging es von dort durch die Innenstadt zum Leineufer. Dort trennten wir uns meist. Da Pocke auf Metal und ich auf Punk/Wave stand, kamen wir uns zwar selten in die Quere, aber wir liefen natürlich unterschiedliche Stände an. Mittags trafen wir uns dann im Flohcircus, wo meist eine Band spielte. Ein Bierchen mußte ja auch noch rein.
Ich weiß noch, wie ich vor dem Kauf die Platten vorsichtig aus der Hülle nahm und sie kritisch beäugte. Waren Kratzer zu sehen? Wurde sie etwa naß abgespielt? Schließlich wirkte sich dies preismindernd aus. Mengenrabatt? Mein persönlicher Rekord waren 30 Platten an einem Tag in Hannover!
Auf der Lister Meile war da noch der 2001 Laden. Da gab es ja auch immer noch Billig. Irgendwas fand ich da immer, selbst wenn es Bücher waren. Auf der Rückfahrt waren Pocke und ich schon ganz fiebrig, es galt, die Platten anzuhören. Zur Beruhigung Bierchen.
Dann, endlich, zu Hause in unserer Wohnung, konnten wir zum gemütlichen Teil übergehen. Aber Halt: Erst einmal der wöchentliche Hausputz! Ich saugte die Bude durch und Pocke wischte Klo und Dusche. Mit diesen hocherotischen Gummihandschuhen! Wenigstens rutschte da die Bierpulle nicht durch. Danach spülte Pocke das Geschirr (mit denselben Handschuhen) und ich trocknete ab. Spätestens da war der 10er Träger alle.
Zum Glück hatten wir damals 3 Kühlschränke. Der erste für Nahrung, der zweite für vergammelte Nahrung. Beide in der Küche. Der dritte Kühlschrank stand da, wo er hingehört: Im Wohnzimmer unterm Fernseher. Dort kam ausschließlich Bier rein. Samstags war er dann natürlich voll, so das der leere Träger zu verschmerzen war.
Die Platten wurden abwechselnd gehört, häufig auch nur angespielt. Erst eine von Pocke, dann eine von mir. Und – plopp! - Prösterchen. So starteten wir immer sehr entspannt in den Samstag Abend. Vorglühen war ja auch wichtig, ging es doch hinterher ins Jolly oder Pano. Konzerte waren natürlich auch noch machbar. Und wenn es schnell gehen mußte, gab es Wodka-O oder Wodka-Tonic. Natürlich waren das dann die Nachmittage, die etwas länger wurden und wo die Platten mehr oder weniger durchgehört wurden.
Und natürlich gab es noch die Rocknächte auf der ARD. Vor Mitternacht gings los, bis in den Morgen. Einmal habe ich mich mitten von der Party nach Hause geschlichen, um allein und in Ruhe den Auftritt von John Cale sehen zu können. Ich war beim Bund und John Cale passte prima dazu. Mercenaries – Ready for War von John Cale ging mir durch den Kopf, als ich am 8.Mai.1985 zum Nachtschießen auf der Standortschießanlage rumballern mußte. Es war ja schließlich der 40. Jahrestag des Endes vom 2. Weltkrieg.
Und noch nen Song: Auf der Panzerstraße in Bergen/Hohne sangen wir „Road to Nowhere“ von den Talking Heads. Ich hatte Pocke noch angerufen, damit er die Platte kauft. Damit sie zuhause ist, wenn ich nach 1 Woche Truppenübungsplatzaufenthalt wieder da bin. Und dann saß ich nach überstandener Tortur in unserem Wohnzimmer mit dem Kanonier und wir summten andächtig mit. Der Kühlschrank war nicht leer.
Ob vor Konzerten oder Parties, Warmtrinken war bei Pocke und mir immer angesagt. Noch nen Tütchen dazu und Volume aufdrehn. Aber zu jeder Zeit waren wir bereit, über die neuesten Scheiben fachzusimpeln. Die Mucke war einfach nicht nur Unterhaltungsprogramm, sie wirkte auch stimmungsfördernd und nahm einen wesentlichen Teil unseres Lebens ein.
Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass wir uns damals alle, auch Urmel, Kroll, Tesla und all die Anderen, über die Mucke definiert hatten.

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