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In freudiger Erwartung überquerte ich also die Saarstraße und bog in den spitzen Winkel der Mettlacher ein. Und hier betrat ich eine vollkommen neue Welt, fühlte mich sofort wie in einer unbekannten Stadt.
Die für mich neuen Eindrücke saugte ich förmlich in mich auf. Das war schon erstaunlich, vielleicht 300 Meter Luftlinie von unserer Wohnung entfernt und ich war noch nie hier gewesen! Am Ende der Mettlacher ging es im 90-Grad Winkel leicht bergauf in Richtung Bortfelder Stieg und damit zur Saarbrückener Straße, wo sich unser Lieblingsgrieche befindet.
Mit mächtig viel Aahs und Oohs blickte ich von links nach rechts, passierte einen Kleingartenverein sowie einen Kindergarten und umrundete letztendlich den alten Stammsitz vom Schlachter Osterloh, der schon kurz nach unserem Umzug in diese Gegend die Segel streichen musste. Auf kürzestem Weg war ich anschließend wieder zu Hause. Dieser Walk bei schlechter Witterung hatte einen bleibenden Eindruck hinterlassen und die grüblerischen Gedanken zumindest für kurze Zeit vertrieben.
Doch wir waren beim 15. Februar. An diesem Abend war unsere Solo-Runde bei Dora und Herbert angesetzt. Nach der schönen Aktion mit dem Valentinsfrühstück am Vortag freute ich mich auf den Abend in Salzgitter.
Nahezu euphorisch ließ ich mich in den Spieleabend fallen. Mit besserer Laune, als ich sie normalerweise bei unserer Solo-Runde verspürte, legte ich die Aktionskarten ab oder zog die zusätzlichen Strafkarten. Alles wie immer also - da gönnte ich mir gern 3 Halbliter Paderborner über den Abend.
Als wir diesen wunderschönen Spieleabend kurz vor Mitternacht beendet hatten, hatte ich dank der Schnapszahlen noch drei vierstöckige Hefebrand intus. Zur Nacht entspannte ich mich noch etwas mit Alan und Charlie, bevor ich mich mit einem Buch ins Bett legte.
Bier treibt, deshalb war ich nach vielleicht zwei Stunden Schlaf zur Toilette aufgebrochen. Im Gegensatz zu den Nächten in den Wochen zuvor halfen mir die Schlaftabletten diesmal nicht beim Wiedereinschlafen.
Stattdessen drehte ich unendlich viele Runden in meinem Schlafzimmer, dank Angstattacken und pochendem Herzen war ans Hinlegen nicht zu denken. Dieses Gefühl, im Bett zu liegen und zu fühlen, keine Luft mehr zu bekommen, kann man jemanden, der dieses Gefühl nie kennengelernt hatte, nicht vermitteln.
Dieses Feeling ist so bedrückend, dass ich dabei nur heftig atmend aufstehen kann, nein - aufspringen!, und auf und ab gehen muss, um die Herzfrequenz wieder herunterziehen zu können. Mit Glück kann ich dann später in der Nacht wieder schlafen, aber eine Stunde „Glockenwach" ist dann schon ein Segen.
Wenn ich gar nicht mehr in den Schlaf finde, ist der folgende Tag und vor allem die nächste Nacht besonders „schön". Irgendwann später hatte ich mir aus dem Gedächtnis heraus notiert, dass ich während jener Nacht mit dem Ausschleichen der Schlaftabletten begonnen hatte.
Aber das kann irgendwie nicht stimmen, da ich gar nicht so viel Tabletten gehabt hatte und deshalb mit dem Ausschleichen schon früher begonnen haben musste. Dies ist an dieser Stelle erwähnenswert, weil ich nach dieser Nacht für längere Zeit keinen Alkohol mehr zu mir genommen hatte.
Ich weiß nämlich noch genau, dass ich in der Nacht, als ich nur noch eine halbe Schlaftablette genommen hatte, keine Schwierigkeiten mit der Nachtruhe erleben musste. Fazit: Übermäßiger Alkoholgenuss ist in der allgemein schlechten Gemütslage meinereiner ganz schlecht.
Um es vorwegzunehmen: Ich vermisste es in den folgenden Monaten auch nicht. In dieser Nacht jedenfalls schaffte ich es irgendwann mit großer Anstrengung, mich hinzulegen und nach langem Wachliegen einzuschlafen.
Donnerstag, 16. Februar. Gleich am frühen Morgen tauchte ich bei meinem Hausarzt auf, extrem matschig nach der anstrengenden Nacht. Da hatte ich schon einen längeren Spaziergang in meinem Schlafzimmer „genießen" dürfen.
Dass ich in der Straßenbahn trotzdem nicht eingeschlafen war, lag an meinem kleinen Hoffnungsschimmer, den ich diesem Besuch beigemessen hatte. Ich erhoffte mir von einer Beratung durch meinem Hausarzt Lösungsansätze und auch weiterführende Adressen. Mit den Schlaftabletten hatte er mir ja schon weiterhelfen können, nun bräuchte ich wohl oder übel einen Psychiater.
Ich hatte mich noch gut an meinen Besuch bei einem Psychiater im Jahr 2012 erinnern können. Der konnte mir seinerzeit nicht mehr helfen, weil meine Angstattacken und die nächtliche Schlaflosigkeit - was ja gerade auch aktuell mein Problem war - sich bereits von selbst erledigt hatten.
Voller Optimismus betrat ich die Arztpraxis. Nun bin ich bekanntlich ein eher widersprüchlicher Typ; eine Mischung aus Felix Unger und Oskar Madison. Einerseits weinerlicher Hypochonder, der sehr schnell mutlos in Selbstmitleid zerfließen kann, und andererseits der hyperaktive Wüterich, der auch nach Rückschlägen wieder aufsteht und unerwartete Aktivitäten entwickelt.
Mein Hausarzt, der mir die neurologische Praxis empfohlen hatte, hörte sich meine Version des Besuchs in jener Arztpraxis ruhig an und suchte sofort im Netz nach einem Psychiater, leider erfolglos. Jedoch konnte er mir aus seiner Erinnerung von einem Psychiater ca. einen halben Kilometer in Richtung Hagenmarkt entfernt berichten. Ob es jene Praxis noch gab, konnte er mir nicht sagen - ist ja auch nicht seine Baustelle.
Ein oder zwei andere Adressen gab er mir noch mit, dann war ich wieder unterwegs. Ca. einen halben Kilometer in Richtung Hagenmarkt bewegte ich mich mit wilder Entschlossenheit und landete kurz darauf vor dem Tresen das Psychiaters mit griechischem Namen. Die Arzthelferin hörte mich geduldig an und bot mir einen Termin Mitte Mai (!) an, den ich ohne mit der Wimper zu zucken festzurrte.
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