Mittwoch, 26. Oktober 2022

Uncle Fester: grad gelesen Oktober 2022

Kim Stanley Robinson - Das Ministerium für die Zukunft
Vorne prangt ein großer Aufkleber. Auf ihm steht: "Eines der wichtigsten Bücher des Jahres!" Barack Obama. Dieser Roman soll der bedeutendste Roman über den Klimawandel sein. Ich sag es lieber gleich: Hoffentlich nicht.
Dabei war ich über weite Teile des Romans schlichtweg begeistert gewesen. Habe das Buch sogar noch Freunden empfohlen. Ich war fasziniert von den kurzen Kapiteln, die alle von der Haupthandlung des Romans herausgelöst worden waren, jedoch gerade dadurch ein hervorragendes Stimmungsbild von den eingetretenen Klimaschäden vermitteln konnten. Mit teilweise beklemmenden Bildern wurde so zum Beispiel das Artensterben anschaulich dargestellt.
Die in diesen Bildern eingebettete Haupthandlung startet ebenfalls furios. Der irische Entwicklungshelfer Frank May befindet sich während einer Hitzeperiode mitten in Indien, als eine Hitzewelle mit Temperaturen weit über 40 Grad Celsius binnen einer Woche mehr Todesopfer fordert der gesamte erste Weltkrieg.
Frank May ist einer der wenigen Überlebenden dieser Katastrophe und zerbricht daran. Verzweifelt nimmt er Kontakt zu Klimaaktivisten auf, welche das Klima mit Bombenattentaten und anderen Gewalttaten retten wollen. Doch diese lehnen die Hilfe eines weißen Kolonialherren strikt ab, so dass Frank May schließlich enttäuscht nach Europa zurückkehrt und versucht, in Zürich allein etwas zu erreichen.
Dort ist das Ministerium für die Zukunft angesiedelt. Die alleinstehende irische Endfünfzigerin Mary Murphy leitet diese UN-Behörde, welcher typischerweise die Machtmittel zur Durchsetzung ihrer Aufgaben fehlen. Vergeblich versucht Mary Murphy die Inder daran zu hindern, ihren Luftraum künstlich mit Aerosolen zur Temperatursenkung zu überschwemmen, weil sie negative Auswirkungen auf das gesamte Weltklima befürchtet.
Zusammen mit ihrem Stab bastelt sie an einer Strategie, um die einzelnen Staaten mit ihren verschiedenen Ideologien vom Kapitalismus bis zum zentralen Staatskapitalismus a la China auf eine ökologisch sinnvolle Wirtschaft einzuschwören.
Der somit vom Autor favorisierte Lösungsansatz über die Finanzwirtschaft kann auch nur einem US-Amerikaner einfallen. Nun ist die Idee eines Verkaufs von CO² Zertifikaten nicht gerade neu und führt in unserer realen Welt lediglich zum "Greenwashing" von industriellen Umweltsündern. Robinsons Idee, die Zertifikate über eine Kryptowährung namens Carboncoin zu verkaufen und den Carboncoin weltweit zur Leitwährung aufzubauen, ist meines Erachtens zu blauäugig gedacht. Ich habe mich diesbezüglich bei Contramann rückversichert:
Das ist eben so. Typisch Ami: die Finanzwirtschaft, welche die ach so demokratische US-amerikanische Gesellschaft im Würgegriff hält, wird in diesem Roman zum einzig möglichen Retter der Welt hochstilisiert und eben nicht als das erkannt, was sie eigentlich ist. Nämlich der Grund allen Übels und größtes Hindernis auf dem Weg zu einer ressourcenschonenden Lebensweise des Menschen.
Robinsons Idee, die Hälfte der planetarischen Landfläche ausschließlich den Tieren zu überlassen, empfinde ich demgegenüber als wichtigen und richtigen Schritt, um den Planeten zu stabilisieren beziehungsweise dessen Regenerationsfähigkeit zu erhalten. Dies sollte im übrigen auch ein Geburtenkontrollprogramm beinhalten, welches die Chinesen bereits vor über zehn Jahren erfolgreich durchgezogen hatten und dadurch ihre Bevölkerungsexplosion in den Griff bekommen konnten.
Ein weiteres erfolgreiches Mittel zur Umwandlung in eine klimagerechte Weltordnung im Roman sind weltweit durchgeführte Terrorakte von Klimaaktivisten, welche wahrscheinlich von Marys Assistenten Badim im Rahmen geheimdienstlicher Tätigkeiten unterstützt und gesteuert werden. Robinson deutet dies lediglich an, statt es näher zu beschreiben.
Sich direkt zu der Notwendigkeit solcher Aktivitäten zu bekennen traut er sich nicht. Auch dieser Umstand wirft für mich die Frage auf, ob einem chinesischen oder russischen Autor nicht andere Möglichkeiten für ein positives Ende dieser Dystopie eingefallen wären.
Die von Robinson beschriebene optimistische Verhinderung einer Klimakatastrophe lässt mich zwiespältig zurück. Denn gerade die Finanzwirtschaft mit ihrem ewigen Drang zur Kapitalmehrung und Gewinnmaximierung hatte den Raubbau an unserem Planeten forciert, wieso sollte ausgerechnet die Gewinnmaximierung einer Kryptowährung die Lösung sein?
Gegenüber all diesen Überlegungen bleibt die eigentliche Haupthandlung im Hintergrund. Frank May dringt in Mary Murphys Privatwohnung ein und hält diese fest, nimmt sie quasi als Geisel. In einer langen Nacht erklärt Frank Mary die Vorkommnisse in Indien und versucht sie davon zu überzeugen, mit ihrem Ministerium endlich tätig zu werden und die Klimakatastrophe aufzuhalten. Mary wiederum sieht sich einem psychotischen Mann gegenüber, welcher wirr daher redet, dessen Argumente allerdings trotzdem bei ihr hängen bleiben.
Nunmehr von der Polizei gesucht, verkriecht sich Frank in einem Vorschlag und wird dennoch Jahre später von der Polizei aufgegriffen und in den Knast gesperrt. Mary, welche offenbar unter dem Stockholm Syndrom leidet, besucht Frank dort einmal wöchentlich, weil sie die Beweggründe von ihm verstehen möchte.
Ein einziges Mal machen sie sogar einen Ausflug in die Berge. Hierbei - wohl eine Schlüsselstelle der Haupthandlung - erlebt Mary die Schönheit der Natur und ist nun endgültig davon überzeugt, dass die Klimakatastrophe notfalls auch mit Gewalt verhindert werden muss.
Gegen Ende des Buches ist Frank aus dem Knast entlassen worden und bringt sich nach einem längeren und gedankenverlorenen Blick auf den Züricher See um. Nach einigen Erfolgen - die Abwendung der Klimakatastrophe zeichnet sich bereits ab - geht Mary in den wohlverdienten Ruhestand und überlässt Badim ihren Job.
Wider Erwarten kam es zwischen Mary und Frank nicht zu sexuellen Handlungen. Doch das war nun auch egal, am Ende hatte mich dieser Roman richtiggehend enttäuscht.
Die eigentliche Handlung kommt zu kurz und bleibt vage wie wirr bei Nichtigkeiten hängen. Ansonsten bleibe ich dabei: die Finanzwirtschafts ist nicht Lösung, sondern Grundübel des Problems unseres Klimawandels.
Robinsons Ansinnen, vor einer Klimakatastrophe zu warnen, ist sicherlich löblich. Doch der von ihm beschriebene Lösungsweg ist vollkommen ungeeignet und führt dadurch eher zum Desinteresse am Thema. Schade, doch hier hat Robinson total versagt.

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