Dienstag, 24. August 2021

Hartmudo Dienstjubiläum 2/2

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Und seinerzeit war quasi jeder Donnerstagnachmittag stressig und nervig, da ich zumeist von 14 Uhr bis 18 Uhr durchgehend Publikum hatte. Streitereien mit nervigen Kunden waren die Regel; ständig waren Arbeitsplätze unbesetzt, weil wir unter einer hohen Fluktuation litten. Unter Kollegen galt ich mittlerweile als Störfall, weil ich an der Organisation ständig etwas auszusetzen hatte und dazu tendierte, bei Stress auszurasten und schon einmal Gegenstände durch die Gegend zu werfen.
Ich kann mich noch daran erinnern, dass ich einmal einen Locher wütend über die Köpfe einer Familie hinweg in Richtung Tür geschmissen hatte. Ich entschuldigte mich zwar sofort, insbesondere das weinende Kind tat mir leid, aber so ein Verhalten ist schon bedenklich. Abgesehen davon waren in den 90ern aber auch Gestalten unterwegs, die kann man nicht erfinden.
Hier erzähle ich immer gerne eine Geschichte von Keule, dem ewig besoffenen Leader der Säufer Gang aus der Fußgängerzone. Der stürmte eines Tages in das Büro von Drolli, einer sehr netten wie coolen Kollegin. "Dich ficke ich auch noch" schmetterte er ihr entgegen, woraufhin sie nur gelangweilt entgegnete: "Raus, Keule, verpiss dich."
In den Neunzigern brauchten wir keine Gleichstellungsbeauftragte, welche sich schützend vor die Mitarbeiter*innen stellen musste. Die Weicheier nahmen erst in diesem Jahrtausend überhand, die alten Kolleginnen waren nicht aus Balsaholz geschnitzt.
Wie dem auch sei, Ende der 90er waren auch die fröhlichen Alkoholexzesse im Amt passe. Ich zog mich da von alleine raus, weil es mir leid und peinlich war, meinen Sachgebietsleiter dauernd etwas vorzuspielen. Zur Jahrtausendwende war mein Ruf quasi schon ruiniert, und das nicht zu unrecht.
Während ich in meinem Privatleben die Puppen und vor allem den Alk tanzen ließ, schleppte ich mich auf der Arbeit nur noch über den Tag und meckerte, meckerte, meckerte... Da war ich nicht alleine, etliche der "alten Hasen" fühlten sich nur noch unzufrieden und wollten weg - ich auch.
Das "großzügige" Angebot meines Arbeitgebers, mittels einer Rotation einen Arbeitsplatztausch in ein anderes Amt durchzuführen, scheiterte an der mangelnden Bereitschaft der Kollegen, ins Sozialamt zu wechseln. Schließlich meldeten sich 20 Kollegin für die Rotation, davon waren 19 aus meiner Abteilung. So konnte das ja nichts werden.
Als ich mich dann auf freie Stellen beworben hatte, musste ich feststellen, dass ich nicht weg kam, weil der Arbeitgeber unsere Arbeitsstellen nicht nachbesetzen konnte und ich bereits verbrannt war. So ähnlich wie Catch 22 halt. Jetzt waren junge und dynamische Kolleg*innen gefragt, nicht die alten Nörgler und Säufer wie ich.
Als ich mich privat dank meiner Löwin konsolidiert hatte, funktionierte die geballte Führungskompetenz im Amt doch noch: Sie outeten mich als Low Performer und boten mir eine Stelle in der Eingliederungshilfe an, die ich ohne zu überlegen sofort annahm.
In den vier Jahren, die ich dort verbrachte, hatte ich mich die ganze Zeit gefragt, wofür ich eigentlich die hohe Vergütung bekam. Ich nickte dort lediglich alles ab, was die Einrichtungen der Behindertenhilfe beantragten, da dies offenbar die politische Vorgabe war. Auch hier war ich dann unbequem geworden, so dass ich in die amtseigene IT wechselte.
Hauptgrund des Wechsels allerdings war der Umstand, dass ich bereits seinerzeit mit einer Homepage experimentierte und dies nicht "verheimlichte". Beim Wechsel hatte ich dann noch Blutdruck, weil meine Kollegin Fritzi, mit der ich schon seit Jahren gut zusammengearbeitet und mit der ich mich eigentlich immer gut verstanden hatte, ausrastete und mich anblaffte, ich sollte meinen Arbeitsplatz aufräumen, bevor ich gehe. Dass sie unter Psychopharmaka stand, wusste ich zu der Zeit nicht, sonst hätte ich da eher ruhig drauf reagiert.
In der IT wiederum war ich knapp über ein Jahr, bevor ich mich mit meiner Teamleiterin überworfen hatte. So nahe an der Amtsführung galt ich als "grüner" Kollege, obwohl ich schon damals, also 2005, die Linkspartei wählte und etwas später den NachDenkSeiten Gesprächskreis Braunschweig leitete. Ich galt - nicht zu unrecht - als störrisch und unberechenbar, aber durchaus als fachkompetent.
Um einen Jungen und beliebten Kollegen ins Amt zu bekommen, bot mir die Amtsleiterin einen Verpisser-Posten an. Die Aufarbeitung alter Sozialhilfeakten nach Einführung von Hartz IV. Zermürbt von den Streitereien mit der Teamleiterin nahm ich dankend an und genoss über ein Jahr lang die Zusammenarbeit mit Gonzo, einem jetzt schon lange in Ruhestand befindlichen Kollegen, der für seine Sturheit und geistige Unbeweglichkeit berüchtigt war. Um es hier mal ganz klar zu sagen: Gonzo wurde von allen, gerade auch von mir, stark unterschätzt. Ein feiner Mensch, den ich heute sehr vermisse.
Blick auf meine Arbeitsstätte
Irgendwann, im Jahr 2008, kam das Angebot, in die Grundsicherung zu wechseln. Ich war des Abhängens müde geworden und auch die Kolleginnen - zu der Zeit war ich der einzige Mann im Team - freuten sich, mich im Boot zu haben.
Meine Güte, 13 Jahre bin ich jetzt auch schon wieder hier. In den letzten fünf Jahren hatten wir über zehn Fälle von Burnout im Team und trotzdem läuft der Laden immer noch. In den letzten Monaten habe ich meine emotionalen Ausraster immer mehr in Richtung emotionslose Arschlochhaltung verschieben können.
Meine Löwin hat mich hierin bestärkt und ich hoffe, dass ich dies die nächsten sechs Jahre bis zu meiner Pensionierung durchhalte. Ich würde lieber heute als morgen in Pension gehen, aber noch fühle ich mich jung und brauche das Geld. Für mich, meine Löwin und die Katzen. Deshalb werde ich mich auch in den nächsten Jahren nach Salzgitter quälen, auch wenn der Zug das eine oder andere mal ausfällt.
An dieser Stelle möchte ich die Rückbesinnung auf 30 Jahre Sozialamt Salzgitter beenden. Nur noch eine Anmerkung: Wie in den harten Zeiten Ende der 90er Jahre sitze ich am späten Donnerstagabend nach einigen Bieren im Sessel und höre Dr. Feelgood. "Going back home" ist der Song, der jetzt passt. Nach dem SchlaDo, vor dem Wochenende.
Ein alter Freund meinte gestern, das die jungen Kollegen ihm keinen Respekt entgegenbringen würden. Der hat Probleme! Ich will und brauche keinen Respekt oder auch Altersbonus, die sollen mich einfach nur in Ruhe lassen und ihren Krams selber geregelt kriegen. Dann dürfen Sie mich auch gerne kritisieren wie ich sie umgekehrt auch kritisiere. 30 Jahre, die Hälfte meines Lebens... Scheiß drauf! Noch ein Bier und ab ins Bett.

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