Dienstag, 28. Mai 2019

Hartmudo: Vitalium


7
Für diesen Montagmorgen hatte ich meinen Wecker im Handy auf 5.59 Uhr gestellt. Denn ab 6.00 Uhr sollte es mit den Anwendungen losgehen. Die allererste würde ein Beinwickel sein, der im Zimmer verabreicht werden sollte.
Ich war gerade noch in einem Traum tief versunken, als auf einmal eine helle Stimme erklang: „Guten Morrgään!“ Das Licht ging an; ich war sofort geblendet. Noch mit der Schlafmaske um meinen Kopf geschnallt, erhob ich mich halb, um eine blonde Frau mit Brille zu sehen, die gerade mit einigen Tüchern auf ihren Armen durch die Tür eintrat.
„Es dauert nicht lange. Sie können auch gleich weiter schlafen.“ Die Frau versuchte mich zu beruhigen, was eigentlich nicht nötig war, da ich nicht verärgert, sondern lediglich überrascht von dieser urplötzlichen Störung war. Ohne weiter zu überlegen nahm ich daher sofort die Schlafmaske ab. Weiterschlafen würde ich jetzt eh nicht mehr können. Egal, was da besonderes passieren mochte.
Die Frau mit dem Wickel schlug meine Bettdecke ohne Vorwarnung zurück und gab sogleich genaue Anweisungen. „Nehmen Sie bitte mal kurz die Beine zur Seite. Danke.“ Auf dem Laken unter meinen Beinen landeten so zwei große braune Wolldecken nebeneinander. Darüber legte sie ein kleineres weißes Tuch.
„Legen Sie bitte das rechte Bein auf das Tuch.“ Ich tat, wie mir geheißen und atmete schnell ein und aus. Das Tuch - der Wickel - war nämlich klitschnass und eiskalt. Spätestens jetzt war ich hellwach. Scheiße, war das kalt!
„Das Eisenkraut muss ich erst nachbestellen, deshalb ist der Beinwickel heute nur mit reinem Wasser. Bitte lassen Sie die Wickel mindestens 30 Minuten um die Beine und bleiben ruhig unter der Bettdecke liegen. Die Tücher werfen Sie bitte hinterher in den Korb im Flur, der neben dem Fahrstuhl steht. Die braune Unterdecke bleibt im Zimmer.“
Während sie mir das Prozedere erklärte, schlug sie das nasse Tuch um das rechte Unterbein samt Fuß. Danach wickelte sie noch eines der braunen Tücher um das Bein herum. Mit dem linken Bein wiederholte sie diese Prozedur, um danach die Bettdecke über den Körper zu legen und unten einzuschlagen, so dass ich mich eher wie eine Mumie fühlte. Ein kurzes „Auf Wiedersehen, bis morgen!“, dann war sie weg und ich lag voll verschnürt in meinem Bett und war einfach nur wach.
Die Frau hatte das Licht beim Hinausgehen ausgemacht. Das machte ich als erstes einmal an und schaute gleich danach auf mein Smartphone. 5.58 Uhr. In einer Minute würde der Wecker klingeln. Prima, das war ja toll gelaufen. Und jetzt noch eine halbe Stunde still unter der Decke liegen... Aufs Klo, das war es, was ich jetzt wollte. Zum Glück war der Druck nicht ganz so dringend, so dass ich die halbe Stunde noch ohne Malheur überstehen konnte.
Ich schnappte mir mein Buch und las ein paar Seiten, spielte dann etwas auf meinem Smartphone und stand nach exakt einer halben Stunde auf. Die Decken riss ich von meinen Beinen und schmiss sie auf den Fußboden. Jetzt erst einmal auf die Toilette. Hier kam ich nach den kalten Wickeln zunächst zur Ruhe und spielte meine Tagesaufgaben bei Angry Birds Go. Erneut sonderte ich eine wässrige Flüssigkeit ab, wie schon am Abend zuvor. Erstaunlich, was da noch so alles im Körper drin war. Anschließend putzte ich die Zähne und setzte mich an den Schreibtisch, um diese Story voranzubringen.
Statt 8.00 Uhr Frühstück nahm ich erst einmal einen anderen Termin wahr: Der Frühsport in der Turnhalle im 2. Stock war um 7.45 Uhr angesetzt. Ich packte mein Tablet rechtzeitig ein, zog meine Turnhose an und ein altes T Shirt über, dann holte ich meine Löwin ab. Als ich die Tür zur Turnhalle kraftvoll aufstoßen wollte,sah ich gerade noch rechtzeitig, dass sich jemand direkt hinter der Tür befand. Es handelte sich um Patti, die dort todesverachtend, weil an einer ungünstigen Stelle stehend, gerade ihre Turnschuhe anzog.
Das war ja gerade noch mal gutgegangen. Da es offenbar noch etwas dauerte, setzten wir uns zwischenzeitlich auf die lange Bank an der rechten Seite des Sportraums. Da hatten wir einen guten Blick auf die Ergometer und Crosstrainer auf der anderen Seite, wo sich auch die Fensterfront Richtung City befand; selbst ein Laufband war vorhanden. Die Blickrichtung der Geräte ging zu den Fenstern raus.
Das konnte meinen Schock aber nicht mildern, denn als ich mich im Raum umschaute, musste ich feststellen, dass ich der einzige Mann im Raum war. Mein Gesichtsausdruck wird wohl dementsprechend gewesen sein, denn Patti fragte mich, ob ich denn gehen möchte. Sie könne das gut nachvollziehen, meinte sie dazu.
Gerade in dem Moment, als ich aufstehen wollte, kam doch noch ein weiterer Mann in Birkenstock in den Saal. Relativ schmächtig - „der ist bestimmt schwul!“ raunte ich Patti schnell ins Ohr. Jetzt war der Moment zum Verschwinden vorüber. Ich würde somit an der Frühgymnastik teilnehmen.
Kurz überlegte ich noch, nachmittags einen Crosstrainer oder Ergometer auszuprobieren, doch dieser zarte Gedanke wurde von meiner Löwin kurz und schmerzlos begraben. Die Batterien der Geräte seien leer. Man könne kein Programm ansteuern. Meine Löwin hatte es am Vortag bereits vergeblich versucht, die Dinger in Gang zu kriegen. Und ohne Programme sind die Geräte einfach nur langweilig, da musste ich meiner Löwin zustimmen.
In diese Überlegung hinein platzte die Vorturnerin, die sich leicht verspätet hatte. Frisch sah sie aus. Glatte Haut, und das mit Ende 60. Trotz der Haut konnte sie ihr Alter nicht verbergen, auch wenn sie noch topfit unterwegs war. Und gleich mit den ersten Worten machte sie uns mit ihrer Stimme bekannt, die verdächtig nach Whiskey und 2 Schachteln Kippen klang.

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