Dienstag, 14. Mai 2019

Hartmudo: Alles auf einmal


Dienstag, 14. Mai. Ich sitze hier beim Steinecke in Fallersleben. Im Schulzen Hof, wie ich mir habe sagen lassen. Ich bin immer noch angepisst und sauer. Sauer auf mich, weil ich Mist gebaut habe. Vorhin. Und jetzt schreibe ich hier beim Kaffee, derweil ich auf meine Löwin warte. Zum Augenarzt, da musste ich sie hinfahren und hatte deshalb heute das Auto.
Aber beginnen wir mal von vorn. Meine Löwin hatte kurzfristig für heute einen Termin bei ihrem Augenarzt bekommen, weil sie über Eintrübungen im Blickfeld klagte. Das bereitete ihr natürlich große Sorgen; zum Glück konnte sie gestern ihren ursprünglichen Kontrolltermin von Anfang Juni auf heute vorverlegen. Oder muss sie sich Sorgen machen, weil es normalerweise beim Augenarzt so kurzfristig keine Termine gibt?
Jedenfalls beschlossen wir gestern, dass ich heute den Wagen zur Arbeit nehme, sie dann direkt von der Arbeit abhole und nach Fallersleben zu ihrem Augenarzttermin fahre. Meine Löwin würde ausnahmsweise mit dem Bus zur Arbeit fahren. Diesen Termin konnte sie schlecht allein wahrnehmen, da sie wahrscheinlich Kontrastmittel hinters Auge bekommt und anschließend erst einmal nicht gucken kann.
Das war also die Agenda, als ich heute morgen zur Arbeit startete. Um 15.30 Uhr sollte ich meine Löwin von der Arbeit im Osten Braunschweigs abholen. Sie hatte ihrem Chef eine halbe Stunde früher Feierabend aus dem Kreuz geleiert. Ich selbst würde vielleicht eine knappe Dreiviertelstunde vorher aus dem Büro verschwinden. 16.30 Uhr war der Besuch beim Augenarzt terminiert.
Zu dieser Jahreszeit ist es noch etwas frisch - morgen gehen die Eisheiligen zuende. Aber um halb Sechs in der Früh, als ich mich auf der Autobahn gen Salzgitter bewegte, war es bereits hell, als ich in Salzgitter einfuhr. Früh um 6.00 Uhr stempelte ich ein und ging in meinem Büro gleich zur Sache. Heute habe ich meinen Schreibtisch quasi leer gefegt. Bei mir liegt keine Post mehr rum, nur noch 2 Vorgänge harren meiner Bearbeitung.
In 3 Tagen geht die diesjährige BiRe los. Malta ist unser Ziel; hinterher wird noch die Doppelkopfkasse in Heiligenhafen verjubelt. Von dort aus fahre ich direkt mit dem Zug nach Usedom und treffe dort meine Löwin, denn dann ist das diesjährige Cousinentreffen der Linie ihres Vaters angesagt. Sonntag in zweieinhalb Wochen zurück und Montag gleich wieder arbeiten. Mann, habe ich da Bock drauf.
Mit hervorragender Laune ausgestattet, scherzte ich vorm Gehen ein wenig mit meinen Kollegas rum und wünschte ihnen einen schönen Feierabend. Ich stand noch im Büro, da merkte ich schon, dass ich eigentlich auf die Toilette müsste. Der Apfel am Mittag und das Tonic Water verrichteten ihre Arbeit und sorgten für eine hohe CO² Produktion in meinem Darm. Leider war mir sogleich bewusst, dass ich schnell ein paar heimliche Gasentladungen ausstoßen müsste. Das zuckerfreie Tonic Water wird wohl schuld daran gewesen sein. Dumm dabei ist nur, dass ich mir darüber im Klaren war, dass auch noch etwas Land in der Wolke sein dürfte. Also biss ich die Backen zusammen und nahm lieber Krämpfe in Kauf, als zwischendurch die Windeln wechseln zu müssen.
Denn eines war mir sonnenklar: Ich musste JETZT los, um meine Löwin rechtzeitig zu ihrem Termin abliefern zu können. Da blieb keine Zeit, um den Abfall zu entsorgen. Das würde sicher mindestens noch zwei Stunden warten müssen.
Beim Gang zum Auto musste ich mich alle 100 Meter zusammenreißen, um ja nichts zu verlieren. Mittlerweile hatten die Wehen bereits eingesetzt, als ich am Auto ankam. Und was für ein Ärger! Das Schloss ließ sich nicht mehr vom Schlüssel per Funk öffnen. Stattdessen sah ich mich gezwungen, das Auto durch Einstecken des Schlüssels ins Schloss aufzuschließen. Und als ich dann den Zündschlüssel herumdrehte, um den Wagen zu starten, passierte... nichts!
Ich war entgeistert - was geht denn hier ab?
Ein schneller Blick auf den Lichtschalter bestätigte meine Befürchtung. Ich hatte das Licht angelassen! Am Morgen hatte ich aus reiner Gewohnheit das Fahrlicht in der Garage angemacht, um nicht beim Rückwärtsfahren am Garagentor hängenzubleiben. Tja, und danach habe ich es nicht wieder ausgeschaltet. Auch dann nicht, als ich die Karre 20 Minuten später auf dem Parkplatz Schillerstraße abstellte. Ein Peiner Audi nervte mich da noch, weil er auf 2 Parkplätzen stand und ich deshalb auf der gegenüberliegenden Seite beim Kinderspielplatz parkte. Das soll jetzt natürlich keine Entschuldigung sein.
Fieberhaft überschlug ich meine Alternativen und rief als erstes meine Löwin an. Ich erklärte ihr die Situation, über die sie nicht amused war, und fragte sie nach der Powerbank. Gottlob war sie unter dem Beifahrersitz. „Ja Schatz, ich ruf Dich gleich wieder an.“ Und während ich die Powerbank auspackte und an die Autobatterie anschloss, setzten die nächsten Wehen ein. Der Schmerz wurde schon intensiver.
Ich startete den Motor - nichts! Mir war bewusst, dass meine Löwin die ADAC Karte hat, also nicht ich hier am Auto. Ich rief sie schnell an, um doch noch zu fragen, ob... Nein, sie hatte die ADAC Karte nicht im Auto verstaut. Da ich es wohl nicht mehr rechtzeitig in ihre Firma schaffen würde, organisierte sie eine Mitfahrgelegenheit nach Fallersleben mit einem Kollegen. Ich müsste sie lediglich aus Fallersleben abholen, das würde ich wohl doch noch schaffen? Ich sollte meine Kollegen nach Starthilfe fragen.
Gesagt, getan. Ich rief meinen Teamleiter Buck an. Der hatte natürlich kein Startkabel dabei, wollte aber rumfragen. Derweil ich wartete, an unser Auto gelehnt, kam noch Wittkamp vorbei, der mir aber auch nicht helfen konnte. Noch eine weitere Kollegin erschien und wollte mir helfen. Ob ich ein Starthilfekabel hätte?
Hatte ich selbstverständlich nicht! Ich habe ja eine Powerbank - die leider keinen Saft mehr hat. Da klingelte endlich mein Smartphone. Am anderen Ende meldete sich der Kölner, ein lieber Kollege, der nicht nur FC, sondern auch Eintracht Fan ist. Er würde gleich kommen und mir helfen, müsste aber vorher noch auf die Toilette.
Ich übrigens auch. Und zwar dringend. Die Wehen kamen jetzt in immer kürzeren Abständen, aber ich hielt eisern durch. Es dauerte dann bald eine Viertelstunde (gefühlt), bis der Kölner zu Fuß (!) um die Ecke bog. Er holte jetzt seinen Wagen, der passenderweise an der hintersten Ecke stehen würde. Meine Schmerzen waren zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr so schlimm, da ich mich an sie gewöhnt hatte.
Als er kurze Zeit später an meinen Golf mit seiner Franzosenschaukel heranfuhr, ließ er meinen Atem urplötzlich stoppen. „Mal sehen, ob ich überhaupt ein Kabel dabei habe... Ja, habe ich.“ Beim zweiten Satz zog ich ganz langsam wieder Luft in meine Lungen. Das hätte jetzt gerade noch gefehlt.
Ich schloss schnell unsere beiden Autobatterien mit dem Starthilfekabel zusammen, wobei wir beim Renault erst gucken mussten, wo Plus und Minus sind. Als die Autos verbunden waren, startete ich meine Karre und... nichts. Voller Panik stieg ich wieder aus und überprüfte die Kabelverbindung. Bei meinem Golf war wohl alles optimal angeklemmt, doch beim Renault waren die Stromkabel an den Polen im Weg.
Ich fummelte beim Renault bisschen herum, startete meinen Golf... nichts. Jetzt war ich wirklich am Verzweifeln. Kurz bevor mir noch die Tränen kamen, gesellte sich ein Passant zu uns und bot auf Anfrage des Kölners seine Hilfe an. Er überprüfte ebenfalls die Verbindung zwischen den Polen, dann startete ich den Golf erneut... wieder nichts.
Er äußerte die Vermutung, dass eine Sicherung rausgesprungen sein könnte. Zumindest eine Lampe hätte bei einer korrekten Verbindung leichten müssen. Fieberhaft suchte ich den Sicherungskasten, fand ihn natürlich nicht. Auch ein Blick ins Serviceheft half da nicht, weil genau dies dort selbstverständlich nicht beschrieben stand.
Und während ich noch suchte, hatten die Beiden blitzschnell die Autos ausgetauscht und den Golf mal mit dem Audi verbunden. Wenn ich den Wagen mal kurz starten könnte... und wwwruuuum! Der Passant hatte noch nicht einmal seinen Audi angeworfen; seine starke Batterie reichte schon zum Zünden meines Golfs aus.
Überschwänglich dankte ich beiden Helfern und fuhr kurz darauf los. Meine Löwin hatte mir zwischendurch die Adresse der Augenklinik in Fallersleben per Whatsapp geschickt; Ich hatte sie zuvor beim Telefonat darum gebeten. Nun konnte wohl nichts mehr schiefgehen. in einer knappen Viertelstunde würde ich vor der Augenklinik stehen.
Auf der Ludwig-Ehrhard-Straße meldete sich mein Bauch schmerzhaft zurück. Angestrengt überlegte ich, wo ich einen Zwischenstop einlegen könnte. Gar so eilig hatte ich es ja nicht mehr, da meine Löwin dank eines Kollegen nach Fallersleben gelangt war. Sogar einen Abstecher bei uns in Lehndorf überlegte ich, entschied mich dann aber doch für die Chuck Norris Nummer. Ich fuhr durch.
Fast. Denn an eine Möglichkeit hatte ich nicht gedacht. Und so lernte ich endlich die Raststätte Hüttenblick auf der A 39 hinter Lebenstedt kennen. Endlich wieder ein neues Kärtchen von Sanifair! Was für eine Wohltat, obwohl ich schon sagen muss, dass mein Körper die CO² Produktion immer noch nicht eingestellt hatte. Während der gesamten restlichen Fahrt nach Fallersleben wehten die trockenen Winde der Sahara durch den Golf.
In Fallersleben selbst verfrantzte ich mich noch zweimal, ehe ich das elendige Google in meinem Handy überzeugt hatte, dass ich nicht direkt zur Klinik, sondern zum Rewe im Schulzen Hof musste. Dort, beim Steinecke, wollte ich cmich mit meiner Löwin treffen und danach zurück fahren.
Todesmutig bestellte ich mir einen Kaffee und packte meine Tastatur samt Tablet aus. Meine Löwin erschien übrigens bereits kurz nach Beginn dieser Aufzeichnungen. Seitdem schreibe ich vor dem Fernseher beim WM Spiel Deutschland gegen Frankreich. Eishockey!
Leider hatte meine Löwin wenig Erfreuliches von ihrem Arztbesuch zu berichten. Die neue Linse in ihrem linken Auge, die sie vor einem halben Jahr eingesetzt bekommen hatte, war zwar in Ordnung. Aber infolge der Operation kam es zu einer Überlappung von etwas, was ich beim Stand von 3:1 für Deutschland nicht mehr zusammenkriege. Nennt sich auch Star - Nachstar oder so - und ist nicht selten. Anfang Juni würde ich sie erneut in die Klinik fahren müssen; diesmal zu einer Operation.
Endlich vergaß ich mein Gejammer und kümmerte mich um sie. Doch als erstes musste ich schnell wieder auf die Kundentoilette, während meine Löwin bei Rewe noch das Süßwarenregal nach einem Trostpflaster absuchte. Hinterher führte ich sie zum Auto, weil sie dank Augentropfen in der Helligkeit nur blinzeln konnte. Mit offener Seitenscheibe fuhren wir noch schnell bei unserem Enkelkind vorbei, um Tupper zurückzubringen, und dinierten zum Abschluss des aufregenden Nachmittages beim Colonel. Meine Löwin hatte noch Gutscheine für KFC dabei.
Jetzt, kurz vor dem Zubettgehen, ist mein Ärger verflogen und ich habe mich beruhigt. In den nächsten Wochen und Monaten werde ich das Abschalten des Lichts am Auto doppelt und dreifach kontrollieren. Falls ich in nächster Zeit den Wagen zur Arbeit überhaupt noch nehme. Am wichtigsten ist jedoch, dass meine Löwin zwar noch eine nervige Operation vor sich hat, diese aber auch ein Routineeingriff werden wird.
Keine Frage: Meine Löwin hatte den weitaus schlechteren Nachmittag als ich.

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