Freitag, 5. Oktober 2018

Contramann: Meine Freunde, die Roboter

Letztens nahm ich Sonntagmorgen mein Smartphone mit aufs Klo und musste dort folgende Nachricht auf SPON lesen:
http://m.spiegel.de/wirtschaft/zukunft-der-arbeit-kollege-computer-und-die-angst-vor-dem-maschinenwinter-a-1163946.html
Sebastian Meier (der in Wahrheit nicht Sebastian Meier heißt, weil er wohl seinen offenbar ungewöhnlichen Namen nicht veröffentlicht sehen will) arbeitet in der Kundenberatung eines großen Versicherungskonzerns. Bereits heute kommunizieren immer mehr Menschen über den Computer mit ihrer Versicherung. Konten- oder Adressänderungen - das ist schon alles automatisiert.
Meier sieht seinen Vorteil in der direkten Beratung. Viele Kunden wünschen sich einen menschlichen Ansprechpartner, der fachlich kompetent auf den Kunden eingehen und ihn dann ordentlich einseifen ääh beraten kann. „Die Gespräche sind komplexer geworden.“ Er meint, dieser Wettbewerbsvorteil gegenüber automatisierten Systemen reicht „gern bis zur Rente.“ Wenn er sich da man nicht täuscht.
Spontan fällt mir da die an „eine schrecklich nette Familie“ erinnernde Werbung von Check 24 ein. Da ist immer nur von der „Dame von Check 24“ die Rede, offensichtlich die Mitarbeiterin eines Callcenters. Von einem Versicherungsvertreter ist da nicht die Rede. Dazu muß man wissen, dass die Prämien der Versicherungsvertreter, insbesondere bei Lebensversicherungen, recht hoch sind.
https://www.wiwo.de/finanzen/vorsorge/provisionen-der-versicherer-was-versicherungsvermittler-verdienen/14990896.html
5 Prozent der Beitragsumme über die gesamte Vertragslaufzeit - Respekt. 20 Jahre mal 12 Monate lang 150,- € sind 36.000,- € Beitragsumme und damit 1.800,- € Provision für Herrn Meier. Und wenn ich da bei Check 24 eine Versicherung finde, die diese Kosten dank Automatisierung einspart und dementsprechend billiger ist, nehme ich selbstredend die Versicherung von Herrn Meier, weil er so schön kompetent auf meine privaten Sorgen und Nöte eingeht und etwas Honig um den Mund schmiert.
Träum weiter, Sebastian Meier. Aber so wie er glauben viele Arbeitnehmer, die noch eine Festanstellung zu vernünftigen Bedingungen ihr eigen nennen dürfen, dass die Automatisierung an ihnen vorüberzieht, weil sie ja so gute Arbeit leisten, was ein Computer niemals hinbekommen würde. Diese Menschen zählt man allesamt zur sogenannten Mittelschicht. Die Hochqualifizierten, sprich technische Spezialisten wie auch die Besetzer der Chefetagen, brauchen sich sicherlich auch keine Sorgen zu machen.
Selbst für Geringverdiener bleibt ein weites Feld an Verdienstmöglichkeiten, da eine Automatisierung zu teuer wäre. Am Besten natürlich in der Pommesbude, als Reinigungskraft oder gern auch als Altenpflegehelferin. Ja, genau, als Helferin, denn eine exalminierte Altenpflegerin wäre zu teuer. Da gibt es dann automatisierte Systeme oder eine einzige Fachkraft für ein komplettes Heim. Falls es mal kompliziert wird. Denn zum Arsch abwischen braucht man keine qualifizierte Ausbildung.
Die Mittelschicht selbst wird dank der Automation weitgehend wegbrechen. Herr Meier sollte sich da keinen Illusionen hingeben. So könnte es dann passieren, dass er seine Kunden nicht mehr mit „Sind Sie auch wirklich gut abgesichert?“ anspricht, sondern mit „Möchten Sie Mayonaise oder Ketchup zu den Pommes?“ Der Verdienst wäre entsprechend geringer. Wenn er Glück hat, ergattert es vielleicht sogar eine Stelle als Vollzeitkraft mit gesetzlicher Krankenversicherung. Falls nicht, hat Herr Meier wenigstens die Kenntnisse über das Versicherungswesen, die ihm als dreifachen 450 Euro Jobber die beste freiwillige Krankenversicherung finden lässt.
Die Hauptthese, die uns der Autor Benjamin Bidder aber nahebringen will, lautet: Entgegen düsterer Zukunftsprognosen pessimistischer Wissenschaftler werden dank stetiger Automatisierung eher mehr als weniger Arbeitsplätze entstehen. Bidder beruft sich dabei auf Teile der Kaste der Wirtschaftswissenschaftler, ohne mit konkreten Zahlen glänzen zu können. Ein bisschen dünn das Ganze, wenn Ihr mich fragt.
So beruft er sich auf Terry Gregory, einen Forscher (?) aus Mannheim. Nach ihm führte die Digitalisierung in der Vergangenheit sogar zu mehr Jobs. Und da es wenig Belege gibt, dass sich dies in der Zukunft ändert, meint er wohl, dass dies in Zukunft immer so weiter geht. Unternehmen würden profitabler und produzieren mehr. Wenigstens erspart uns Bidder das dämliche Argument, dass bei Produktion und Wartung von Robotern zusätzliche Arbeitsplätze entstehen würden.
Also Produktionssteigerung, dadurch mehr Umsatz und damit Ausweitung der Produktion, was mit mehr Arbeitsplätzen einhergeht? Wer aus dem stetig wachsenden Heer der Geringverdiener soll dann bloß all die schönen Produkte kaufen? Sicherlich kann ich nicht mit Zahlen glänzen, aber die gute alte Logik sagt mir, dass Gregory mit seiner Theorie an Grenzen stößt, die sein Denkmodell platzen lassen. Und wenn es nur daran liegt, dass dieser Planet in letzter Konsequenz endlich an Ressourcen und Raum ist.
Bei aller Kaffeesatzleserei aber folgt aus der fortschreitenden Automatisierung eine Konsequenz, die Bidder noch vor den kruden Thesen des Terry Gregory anspricht: Eine Robotersteuer wegen der Menschen, die eben keinen Job mehr bekommen werden. Weil sie einfach überflüssig (für das Erwerbsleben) sind. Die gute alte Maschinensteuer! Schon in den 70ern des letzten Jahrhunderts wurde sie von besorgten Linken gefordert. Erfolglos.
Das Beängstigende an diesem Artikel ist für mich, dass der Mittelstand wegbricht. Dies glaube ich auch so beobachtet zu haben, unabhängig von der allgegenwärtigen Automatisierung. Da denke ich unwillkürlich an Zukunftsszenarien wie in dem Film Elysium, wo die Elite auf einer wunderschönen Raumstation im Luxus schwelgt, während auf der abgewrackten Erde die weniger Glücklichen ein tristes Dasein fristen, ohne Aussicht auf Besserung. Da möchte ich wie Matt Damon die Knarre schwingen, um einen gewaltsamen Umsturz herbeizuführen, weil es anders nicht mehr geht.
Ich hoffe nur, dass ich solche Zustände nicht mehr persönlich erleben muss.

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