Dienstag, 18. November 2014

Contramann: TTIP 1/2

Am Montag bin ich über folgenden Artikel im SPON gestolpert:
http://www.spiegel.de/wirtschaft/freihandelsabkommen-mit-den-usa-merkel-mahnt-bei-ttip-zur-eile-a-1003249.html
Frau Merkel kann es gar nicht schnell genug gehen, bis das Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU (TTIP) endlich unterzeichnet ist. Viele andere Länder hätten schon Freihandelsabkommen z.B. mit China. „Wir sollten alles daran setzen, als Europäer nicht abgehängt zu werden", sagte Frau Merkel wohl noch dazu. Das Ganze dann noch „mit einem Höchstmaß an Transparenz und mit großer Rücksicht auf die Sorgen der Bürger.“
Amen.
Wer`s glaubt, wird selig.
Contramann hatte sich in der Vergangenheit ja schon des Öfteren zu TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) geäußert, aber die Ausführlichkeit bisher vermissen lassen. Es steht aber zu befürchten, dass diese ganzen Freihandelsabkommen nicht nur zur Gefahr für Staaten und Wirtschaft der europäischen Union mutieren, sondern auch die Lebensqualität der meisten Menschen nachhaltig schädigt.
Worum geht es beim TTIP also? Angeblich geht es beim TTIP hauptsächlich um erleichterte Marktzugänge. Als Beispiele werden hier gern Abbau von Zollschranken, Chancengleichheit von Firmen bei Vergabe öffentlicher Aufträge sowie Angleichung von Standards genannt. Klingt ja erst mal nicht schlecht, aber:
Zölle sind bereits ohne TTIP im Welthandel von geringerer Bedeutung. Lediglich 4–7 % des Welthandels sind zollpflichtig, d.h. für weit über 90% des Handels spielen Zölle im globalen Wettstreit keine Rolle mehr. Das ganze Brimborium also für den relativ geringen Anteil am Welthandel macht doch eigentlich keinen Sinn, oder?
Also die öffentlichen Aufträge. Da könnte dann endlich auch die rumänische Baufirma in den USA so richtig angreifen. Da werden sich die amerikanischen Baufirmen bedanken, wenn die Rumänen zu Dumpingpreisen im Hoch- und Tiefbau der USA einen Auftrag nach dem Anderen schnappen.
Ach ne, halt. Das ist ja nicht richtig. In Deutschland kennen wir das doch alle. Die amerikanische Baufirma wird natürlich nach wie vor die Aufträge an Land ziehen können. Pech gehabt, mein lieber rumänischer Unternehmer. Nur deine Bauarbeiter können dann in den USA via Subunternehmen endlich „Urlaub“ in den USA machen. Wunderschön in klimagerechten Wellblechhütten in Mehrbettzimmern, damit es nicht so einsam ist in der Diaspora.
Der Lohn richtet sich natürlich nach den rumänischen Tarifen, wovon noch Essen und Unterkunft abzuziehen wären. Pässe bleiben beim Bauleiter – könnten ja sonst verloren gehen. „Wo bleibt denn da der amerikanische Bauarbeiter?“ möchte man da fragen. Ist doch ebenso einfach:
Er wird lediglich beim rumänischen Subunternehmen, welches natürlich ein US amerikanisches mit Sitz in Bukarest sein dürfte, arbeiten müssen. Die zahlen sogar nach Tarif – dem rumänischen zwar, aber wenn die Globalisierung es erfordert …. Da sind doch alle zufrieden, oder etwa nicht?
Gleiche Standards überall schließlich muß ja gut sein. Kann man sich also endlich darauf verlassen, das in Sachen Gesundheits- und Lebensmittelstandards sowie dem Umweltschutz endlich einheitliche Richtlinien weltweit gelten können. Hatten doch gerade wir Deutschen dank der Grünen hohe Umweltstandards und zusammen mit der SPD auch eine hohe Qualität bei Lebensmitteln, in der Gesundheitsversorgung oder auch beim Trinkwasser gesetzt.
Aber Stop: Wenn die Standards uneinheitlich sind und man sich einigen muss, dann muss man sich aber auch einig sein. Und einig sein heißt bekanntlich immer der allseits beliebte „kleinste gemeinsame Nenner“, was denn sonst?
So hat der weltweit größte Saatguthersteller Monsanto ja auch schon erfolgreich Verbote für den hauptsächlich von Monsanto vertriebenen Genmais umschiffen können. Selbst ein Veto Deutschlands im EU Ministerrat im Februar diesen Jahres hätte den Genmais aus Europa verhindern können. Merkwürdigerweise enthielt sich Deutschland der Stimme. Weil man ja „nicht zustimmen könne“, so unsere Kanzlerin.
Also enthalte ich mich der Stimme und sorge dadurch dafür, dass Genmais eben gerade nicht verboten werden kann. Dies kommt quasi einer Zustimmung gleich, aber wir Deutschen haben uns ja schon von jeher gern verarschen lassen.
Dieses Beispiel hat zwar zunächst nichts mit TTIP zu tun, zeigt aber auf, in welche Richtung es gehen könnte. Wenn z.B. Nestle den Ankauf von Rechten an Trinkwasser, wie der Konzern es in Südamerika durchgezogen hat, in Europa forcieren möchte? Wenn dies in Deutschland nicht möglich ist, weil die Trinkwasserrechte in Deutschland per se bei den Kommunen und Landkreisen liegen und ein „generelles“ Vermarktungsrecht für ganz Deutschland trotz Verpflichtung zu einer europaweiten Ausschreibung bei geplanten Privatisierungen nicht garantiert werden kann?
Dann käme eine Klausel des TTIP zum Tragen, deren Auswirkungen und Risiken sich kein Politiker offenbar stellen möchte. Wird übrigens auch nicht gerade selten eher verschwiegen. Gemeint ist hier die Möglichkeit für einen Konzern wie Nestle, ein „unabhängiges“ Schiedsgericht anrufen zu können.
Diese geheimen Schiedsgerichtsverfahren – Investor-State Dispute Settlement (ISDS) genannt - eröffnen den Konzernen die Möglichkeit, Staaten zu verklagen, wenn etwa durch staatliche Eingriffe Gewinnerwartungen geschmälert werden. Solche Schiedsgerichte, die an die Stelle von nationalen Gerichten treten, wären daher ein massiver Angriff auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.
Wie Nestle in so einem Fall die Gewinnerwartungen genauer beziffern würde, ist mir nicht bekannt. Aber das ist ja eigentlich auch egal, weil das Schiedsgerichtsverfahren ja eh geheim ist und die „unabhängigen“ Experten aus der Wirtschaft dies auch objektiv ermitteln werden. Da bin ich völlig unbesorgt.
So wie dann die deutsche Regierung, die als Konsequenz entweder eine saftige Strafe zur Zahlung an Nestle überweist oder aber per Gesetz Nestle die Möglichkeit einräumt, die Wasserrechte für Deutschland en bloc zu erwerben.
Bei einer Strafzahlung ist mal wieder der „Bürger“ der Gearschte. Denn dies kann ja nur aus Steuermitteln finanziert werden. Und diese Gelder fehlen dann letztendlich bei der Infrastruktur oder bei Sozialleistungen. Oder glaubt hier jemand ernsthaft, das zur Zahlung solcher Strafgelder die Vermögenssteuer eingeführt werden würde?
Die zweite Möglichkeit hält Contramann sowieso für wahrscheinlicher, weil so das Risiko eines großen Aufschreis der „Wutbürger“ und in der Folge schlechte Wahlergebnisse der etablierten Parteien vermieden werden könnte. Somit könnte sich dann ein Nestle Manager – oder einer der Konkurrenz – folgende Frage stellen:
„Warum beschweren sich die Leute in Deutschland darüber, dass sie kein Wasser hätten? Sie brauchen es doch einfach nur von uns zu kaufen.“

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