Donnerstag, 17. August 2023

Uncle Fester: grad gelesen Juni 2023

Karsten Dusse - Das Kind in mir will achtsam morden
Björn Diemel ist zurück und auch weiterhin dabei, sich persönlich zu optimieren. Dabei wird er immer noch von seinem Therapeuten Joschka Breitner unterstützt. Und der hat auch sogleich die Lösungen für Björns Unbeherrschtheit zu bieten: Das innere Kind von Björn ist die Wurzel allen Übels.
Weil der kleine Björn als Kind von seinen Eltern bei einem Besuch einer Almhütte keinen Kaiserschmarrn bekommen hatte. Diese verschollene Kindheitserinnerung kochte in Björn wieder hoch, als er nach den Ereignissen des ersten Teils mit seiner getrennt lebenden Frau Katharina und seiner heißgeliebten Tochter Emily in die Alpen zum Urlaub gefahren war.
Sie waren die ersten Gäste auf der Almhütte, wurden vom Kellner Nils aber quasi als letzte bedient. Bei Björn führte es sofort zu einem Wutausbruch und schließlich zur Eskalation, als Björn dem Kellner hinterher ging und ihn in den Abgrund stürzte.
Dabei hatte Björn sich doch fest vorgenommen, niemanden mehr zu töten. Freundlicherweise ließ er den russischen Boss aus der gegnerischen Bande namens Boris am Leben und sperrte diesen im Keller seines Hauses ein.
Die Story nimmt stark an Fahrt auf, als Boris scheinbar entkommen konnte, er aber von Björn und seinem treuen Helfer Sascha ( dem ehemaligen Vize des Gangbosses Dragan, den Björn im ersten Teil in unnachahmlicher Manier sterben ließ) in einen anderen Raum gefesselt gefunden wird.
Hier war ein Erpresser am Werk: Björn hat eine Woche Zeit, um Boris zu töten und dessen Kopf in einem Schuhkarton auf einem Parkplatz zu deponieren. Mit der Zeit kristallisiert sich heraus, dass „30 Sekunden Kurti" hinter der Erpressung steckt.
Den Spitznamen hatte er weg, weil er sich vor Jahren im ersten Bordell von Dragan und Sascha unsterblich in die Prostituierte Annastasia verliebt hatte. Bei jedem Besuch brauchte er nur 30 Sekunden... Um es kurz zu machen: Dragans Konkurrent Boris heiratete Annastasia, diese wiederum ließ sich mit Dragan ein, woraufhin der eifersüchtige Boris Annastasia enthauptete und sich aufgrund dessen den Zorn des „30 Sekunden Kurti" zuzog.
Um das Problem der Erpressung zu lösen und einer Aufdeckung der krummen Geschäfte zu entgehen, hat Björn eine geniale Idee: „30 Sekunden Kurti" wird gekidnappt und zu Boris in den Keller gesperrt, auf dass sie sich gegenseitig umbringen sollen.
Oder aber im Keller verrotten, weil Björn und Sascha den Eingang zumauern. Hier endet der Roman wohl mit einem Cliffhanger. Was bleibt, ist die Neuigkeit, dass Björn mit Laura offenbar eine neue Sexpartnerin gefunden hat.
Zusammenfassend möchte ich erwähnen, dass dieser Band gegenüber dem grandiosen ersten Teil abfällt, aber immer noch lesenswert ist. Mal schauen, was im dritten Band so passiert.

Juli Zeh - Übermenschen
Dieser Roman wird als Nachfolger von Unterleuten verkauft, obwohl die einzige Gemeinsamkeit darin besteht, dass der Roman im Niemandsland in Brandenburg spielt. Doch auf alle Fälle ist Übermenschen ein Roman, der wie kein anderer mit den aktuellen Befindlichkeiten der Menschen in Deutschland abrechnet. Hiermit hat Julie Zeh meinen Nerv getroffen.
Die Werbefrau Dora zieht mit ihrer Hündin Jochen in das abgelegene Dorf Bracken, um ihrem Freund Robert und der woken Umgebung am Prenzlauer Berg zu entfliehen. Denn der Journalist Robert hatte sich zum Corona Nazi entwickelt und Dora verboten, die Wohnung zu verlassen. Nun hockt sie im Homeoffice in dem von ihr gekauften baufälligen Haus in der Brandenburger Pampa. Dort, wo laut der Prenzlauer Boheme alle Nazis sind.
So wie ihr Nachbar Gote, der glatzköpfige Mittvierziger, der sich selbst als Dorf-Nazi bezeichnet. Anfangs hasst die politisch korrekte Dora den schroffen und unsympathischen Nachbarn, der schon mal in ihrer Abwesenheit Geschenke in ihrem Haus platziert.
Das kleine Mädchen Franzi, welches so gerne mit Jochen spielt, entpuppt sich als Gotes Tochter. Aus Angst vor Corona wurde Franzi von ihrer Mutter aufs Land zum Vater geschickt. Und mit zunehmender Dauer nähert sich Dora an Gote heran, obwohl der früher wegen schwerer Körperverletzung an einem Linken im Knast gesessen hatte.
Oder wird Dora durch die Entfremdung zum intellektuellen pseudolinken Milieu in Berlin in die Arme des Dorf-Nazis getrieben? Mehr und mehr kristallisiert sich im Laufe des Romans heraus, dass die Dorfbewohner mehr auf dem Kasten haben als die depperten Szene-Leichen vom Prenzlauer Berg.
Und als Dora erkennt, wie liebevoll der eigentlich schroffe Gote mit seiner Tochter umgeht, da beginnt sie schon von einem Familienidyll zu träumen, welches ihr am Prenzlauer Berg verwehrt geblieben war.
Aber leider stellt sich heraus, dass Gote an einem Hirntumor leidet und nicht mehr lange leben wird. Selbst Doras Vater, ein berühmter Mediziner aus der Charité, kann da nicht mehr helfen. Gote begeht Selbstmord; mit seinem Pickup rast er gegen einen Baum.
Auch die Hoffnung von Dora, Franzi bei sich behalten zu können, erfüllt sich nicht. Das Mädchen muss zu ihrer Mutter nach Berlin zurück. So ziemlich am Boden zerstört organisiert Dora die Beerdigung. Dort begegnet sie Franzi zum letzten Mal; das Mädchen schaut Dora noch nicht einmal an.
Dora beschließt, im Dorf Bracken zu bleiben. Zum städtischen Szeneleben möchte sie nicht mehr zurückkehren.
Obwohl der Schluss arg düster daherkommt, hat Juli Zeh hier ein optimistisches Werk abgeliefert. Für mich ist Übermenschen der Roman zum aktuellen Zeitgeschehen. Die eher verhaltenen Kritiken im Spiegel, Taz oder der Zeit unterstreichen dies nur um so mehr.

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