Dienstag, 8. November 2022

H. Lecter: Alf

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Für Alf, mit all seinen Ängsten und Selbstzweifeln, muss dies ein einziger Albtraum gewesen sein. Zum Glück tauchte ein ihm bekanntes Gesicht in dem ganzen Gewusel auf: Hartmudo! Wer denn sonst?
"Warum immer ich?" ging mir durch den Kopf, als ich mich auch schon neben ihm hinkniete. Panisch wie ein Ertrinkender ergriff er meine Hand, beruhigte sich sichtbar und sprach mich flehentlich an:
"Hartmudo, Du bist es! Mein Freund!"
Ich hielt seine Hand noch ein wenig, bis er sich vollkommen beruhigt hatte. Dann halfen mir die anderen dabei, Alf aufzurichten, damit wir endlich zum Bus gehen konnten. Jetzt endlich war auch Detzer zur Stelle und half mir Alf zu stützen, denn dieser konnte alleine nicht mehr laufen.
Langsam, ganz langsam, trotteten wir mit Alf unter dem Arm in Richtung Bus, nach und nach gingen die meisten unsere Mitstreiter schneller voraus. Sie hatten ihre ungeliebte Pflicht getan, jetzt konnten Detzer und ich uns ja um alles kümmern.
Gerade heutzutage ist es bekanntermaßen wichtig, dass man hinterher sagen kann, man hat geholfen. Wie umfangreich so ein Engagement aussieht, ist ja nicht so wichtig. Hauptsache, man kann sich damit brüsten.
Alf selbst setzte mühsam einen Fuß vor den anderen und wurde die ganze Zeit von Detzer und mir gestützt, dazu lallte er die ganze Zeit, ihm ging es wohl nicht gut. Abwechselnd redeten wir beruhigend auf ihn ein oder pöbelten ihn an, da waren Detzer und ich schmerzfrei.
Kurz bevor wir den Bus erreichten, redete Alf auf einmal verständlich: "Halt, Halt! Ich muss mal pinkeln."
Wenigstens jetzt konnte Alf sich klar und deutlich äußern. Glücklicherweise standen wir gerade vor einer Betonwand, an die wir ihn erst einmal lehnten, damit er sein Geschäft erledigen konnte. Schwer atmend stützte Alf sich an der Wand ab und fummelte an seinem Hosenstall herum.
"Hilf mir, Hartmudo, bitte hilf mir." Schwer keuchend nestelte er weiter an seiner Hose herum. "Ich krieg ihn alleine nicht mehr aus der Hose raus! Du musst ihn rausholen und halten! So hilf mir doch bitte!"
Hätte er nicht Detzer fragen können? Warum immer ich, schoss es mir unwillkürlich durch den Kopf. Wobei es hier nicht darum ging, dass ich dies wirklich tun würde. Das stand außer Frage. Nein, ich war einfach nur verärgert. Mit großer Mühe schaffte ich es, nicht zu schreien.
"Bist du blöde? Sieh zu, wie du alleine klar kommst. Konzentrier Dich! Ich fasse ihn nicht an, ich glaube wohl..."
Während dieses kurzen Dialogs schüttelte Detzer nur mit dem Kopf, seine zwischenzeitlich gute Laune war schon wieder vom Winde verweht. Alf dagegen schob jetzt wirklich Panik, jaulend und jammernd bekam er es schließlich doch noch hin, den kleinen Alf aus der Garage zu fahren.
Und gleich darauf lösten sich auch seine verkrampften Gesichtszüge, als er den starken goldfarbenen Strahl gegen die Betonwand richtete. Wenigstens zum großen Teil, denn eine nicht unbeträchtliche Menge davon tränkte die Vorderseite seiner Hose mit dieser übel riechenden Flüssigkeit. Nachdem Alf endlich fertig war, schaffte er es sogar noch, den Alfa wieder in die Garage zu fahren.
Detzer und ich wollten es nur noch zu Ende bringen, wir waren total sauer. Nach kurzer Zeit waren wir endlich am Bus angekommen und Alf ließ mittlerweile seine Beine baumeln, sprich: Er schlief, war quasi bewusstlos und wir schleiften ihn einfach nur noch mit.
Die anderen Mitreisenden waren natürlich schon vollständig versammelt und warteten lediglich auf uns, damit der Bus nach Niedersachsen zurückfahren konnte. Demzufolge hielt sich die Begeisterung in ganz engen Grenzen, als sie die von Detzer und mir getragene Suffleiche sahen.
Nunmehr mussten wir noch das schwierige Unterfangen in Angriff nehmen, Alf in den Bus zu hieven. Schließlich sprechen wir hier nicht über einen Linienbus mit tiefem Einstieg, sondern über einen stinknormalen Reisebus mit einer dementsprechenden drei- bis vierstufigen Treppe.

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