Sonntag, 11. September 2022

Contramann: Stillsitzen

Als ich nach dem letzten Arbeitstag vor dem Urlaub Mitte August mit dem Rad nach Hause gefahren bin, mit Angels of Angel City auf voller Lautstärke am Start, musste ich mal wieder über das Wohlverhalten der meisten Mitbürger nachdenken.
Dank der Corona Pandemie und des Ukraine Krieges habe ich seit den letzten zwei bis drei Jahren den Eindruck gewonnen, dass die meisten meiner Mitmenschen - egal ob Kollegen, Freunde oder auch Verwandte - dazu tendieren, die Meinungen und Ansichten der Mainstream-Medien kommentarlos zu übernehmen.
Und was wurde die Notwendigkeit der Corona Maßnahmen nicht in schöner Gleichmäßigkeit dargestellt; wer diese kritisch sah, wurde seitdem als Querdenker, Verschwörungstheoretiker oder sogar als Rechtsradikaler hingestellt.
Vor allem nach längeren Gesprächen mit Kollegen zum Thema konnte ich jedoch feststellen, dass diesen doch einige Widersprüchlichkeiten in der Argumentation der Mainstream-Medien ebenfalls aufgefallen waren. Doch auch wenn sie mir teilweise bei dem Unsinn der Maskenpflicht im öffentlichen Personennahverkehr oder der Notwendigkeit einer nicht nachvollziehbaren allgemeinen Impfpflicht, welche die Verbreitung der Krankheit nachweislich nicht eindämmen könnte, zustimmten, wichen sie nicht vom allgemeinem Credo der nicht zu kritisierenden Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung ab.
Die Schutzmaßnahmen zur Eindämmung der Corona Pandemie waren gerechtfertigt und damit basta! Der renommierte französische Soziologe Pierre Bordieu hatte dieses Verhalten wohl als " Anbiederung der Mittelklasse im Neoliberalismus an die herrschende Klasse in der Hoffnung eines gesellschaftlichen Aufstiegs" gedeutet.
Leider sehe ich mich jetzt nach einigen Bieren nicht mehr in der Lage, die Quelle im Internet wiederzufinden. Zur Not wäre dies also meine Idee, haha. Insofern müsste ich mich ebenso verhalten, auch meine Mitstreiter bei den Spaziergängen Montags wie auch andere Freunde, Verwandte oder Kollegen. Meine geliebte Frau sollte ich hier nicht vergessen.
Denn auch wir sind Mittelklasse, trotzdem wach und lassen uns nicht verarschen, um es mal deutlich zu sagen. Ein Grund, weshalb ich selbst heute noch reflexartig kritisch bin, wenn mir ein Nachrichtensprecher oder Kommentator im Fernsehen erzählt, dass Schröder als Freund Putins ein Verräter sei oder die xte Boosterimpfung zumindest eine Behandlung auf der Intensivstation verhindere, ist ein Ereignis aus meiner Kindheit.
Wir schreiben das Jahr 1967. Deutscher Meister 67, in den Farben blau und gelb... Nein, das meinte ich nicht. Es geht um meine Einschulung im Sommer jenes Jahres. Besser gesagt um die ersten Wochen und Monate meiner Schulkarriere.
Das Klassenzimmer der 1c befand sich im gerade neu errichteten Nebengebäude der Grundschule Melverode nahe des Zaunes zum Schlesiendamm, auf dem heute die Straßenbahn gen Stöckheim donnert.
Unsere Klassenlehrerin, deren Namen ich leider vergessen habe, hatte einen guten Trick auf Lager, um den noch ungebändigten Kindern Disziplin beizubringen. Immer wenn sie zum Beginn einer Stunde das Klassenzimmer betrat, vergab sie Punkte für Wohlverhalten. Dies bedeutete still sitzen mit verschränkten Armen und Bereitschaft zum Zuhören, wenn die Lehrerin ihren Unterricht begann.
Diejenigen, welche dies zuerst schafften, bekamen die Pluspunkte. Ich weiß es nicht mehr wirklich, bin aber der Meinung, dass es 15 Punkte waren, die man erreichen musste, um einmal keine Schulaufgaben machen zu müssen.
Der kleine sechsjährige Contramann war natürlich pfiffig genug, um blitzschnell zu reagieren, wenn die Lehrerin das Klassenzimmer betrat. In Windeseile saß ich vorschriftsmäßig auf meinem Platz und strich den Punkt ein. Ich wollte schlichtweg nicht nur der Sieger sein, sondern auch die wohlverdiente Belohnung einheimsen.
Begriffe wie Streber oder Schleimer waren mir als Sechsjährigen natürlicherweise fremd. Ich blieb straight und es kam, wie es kommen musste. Ich erreichte als erster die 15 Punkte und freute mich auf meine Belohnung - einmal keine Hausaufgaben machen zu müssen.
Das die Lehrerin ihre Punkte sparsamer verteilte, je näher ich der 15 Punkte Grenze kam, checkte ich als Sechsjähriger nicht. Vielleicht hatte sie nicht mit meinem brennenden Ehrgeiz gerechnet, vielleicht hatte die Schlampe einfach auch nur die Folgen nicht bedacht. Und selbstverständlich erhielt ich meine Belohnung nicht.
Wie sie dies mir gegenüber begründete, weiß ich heuer nicht mehr. Bei mir blieb nur haften: ich hatte mich angestrengt, alle Bedingungen erfüllt und wurde beschissen. Ich lernte ergo schon sehr früh, der Staatsmacht - hier die Lehrerin - nicht zu vertrauen.
Nun ist es nicht so, dass dieses Erlebnis mir ständig im Kopf herum spukte. Wäre dies der Fall gewesen, hätte ich wohl kaum die Beamtenlaufbahn ergriffen. Doch des öfteren in meinen Leben hielt ich es für notwendig, renitent sein zu müssen.
Und ja, da bin ich scheiße stolz drauf! Was sind das nur für Menschen, die um ihres eigenen Vorteils willen bereit sind, alles mitzumachen. Gerade wir Deutschen sollten es doch endlich gelernt haben. Aber es zeigt sich gerade in diesen schwierigen Zeiten eines drohenden dritten Weltkrieges oder der drohenden weiteren Einschränkung der Grundrechte durch Karl Lauterbach, das die meisten Bürger vorgeblich die Demokratie verteidigen wollen, sich in Wirklichkeit aber vor Angst in die Hose scheißen, weil sie "Schwierigkeiten" bekommen könnten.
Selbstverständlich habe ich auch Angst. Doch habe ich auch oft genug in meinem Leben Fehler eingestanden, mich zumindest entschuldigt, wenn ich jemanden geschädigt hatte oder auch einfach nur Verantwortung übernommen, selbst wenn ich dabei wie Espenlaub gezittert hatte. Ich stamme eben nicht aus einem gebildeten Elternhaus und erhielt keine Hilfen, um durch das Abitur zu kommen.
Doch den Gerechtigkeitssinn sowie die Empathie für meine Mitmenschen wurden mir von meinen Eltern mit Volksschulbildung mitgegeben. Mittlerweile bin ich geneigt zu konstatieren, das Menschen aus dem Bildungsbürgertum - jetzt bin ich wieder bei dem französischen Soziologen - dies nicht in die Wiege gelegt bekommen haben.
Beispiele hierfür kenne ich aus meinem Umfeld genug. Es geht den Leuten wohl noch zu gut. Sollten diejenigen, welche jetzt noch laut "Querdenker" oder "Coronaleugner" schreien, irgendwann aufwachen und Solidarität mit ihren persönlichen Befindlichkeiten einfordern, dürfen sie nicht mit meiner bedingungslosen Teilhabe rechnen.
Mich jahrelang als Idioten hinstellen und nachher meine Hilfe einfordern, wenn sie es endlich geschnallt haben, wie der Laden hier läuft. Da stehe ich ja drauf! Nicht mit mir, Leute. Mein Vater hatte das Eiserne Kreuz 2. Klasse, legt euch nicht mit Contramann an.
Oder ziehe ich dann doch lieber den Schwanz ein? Wer weiß das schon, bei Bedarf werden wir es schon herausfinden. Wenn ich nur wüsste, wie meine Klassenlehrerin in der Grundschule hieß...

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