Freitag, 5. August 2022

Hartmudo: erst zum Brunnen, dann zur Penne 2/5

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"Samstag Morgen Irrenanstalt, der KGB im deutschen Wald."
Bereits in der Nacht quälten mich starke Kopfschmerzen. Ein Zustand, den ich schon seit langem nicht vermisst hatte. Helles, Kölsch, Pils: Das scheint sich alles nicht zu vertragen. Mit zittrigen Beinen quälte ich mich aus dem Bett. Das Spargelessen sollte um 13 Uhr losgehen, bis dahin hatte ich noch einige Aufgaben zu erledigen.
Das Klo sauber machen, Getränke kalt stellen und danach in den Schreibtischstuhl setzen und bloß nicht bewegen. Meine Löwin musste mich sogar ermahnen, mich um meine Schwester Berta zu kümmern, die zum Spargelschälen gekommen war. Zu Recht, denn ich war gedanklich schon beim Schultreffen und versuchte, meine Kräfte zu schonen.
Schließlich kriege ich doch noch die Kurve und stieg auch später beim Spargelessen nach anfänglichen Schwierigkeiten in die Gespräche ein. Mit dem Biertrinken hielt ich mich da tunlichst zurück, der Abend würde noch lang werden.
Zwischenzeitlich meldete sich Edith und gab an, dass sie und Jopi um 17 Uhr am Brunnen sein würden. Da sich das Spargelessen mit den Trantüten in die Länge zog, sagte ich ihr vorsichtshalber ab. Denn außer den beiden schien ja niemand zu kommen, Aki-Bua hatte ich bereits am Vormittag abgesagt gehabt.
Rücksturz in die Siebziger

Das war ja mal wieder so typisch: Wenn man schon keine Zeit hat, weil man sich auf das erste Schulfest seit 20 Jahren am Abend freut, dauert das Treffen mit dem Trantüten länger als erwartet. Es war ja auch schön und ich wäre gerne noch länger geblieben aber...
Kurz vor 17 Uhr erwischte ich einen günstigen Moment und verabschiedete mich. Geplant war ja eigentlich, dass unser Vorsitzender Ralle mich im Heidberg vorbeifährt. Da sich das Spargelessen jedoch laut späterer Auskunft meiner Löwin bis nach 19 Uhr hingezogen hatte, tat ich gut daran, mich rechtzeitig zu verabschieden.
Folgerichtig stieg ich mit zwei kleinen Wolters intus aufs Rad und fuhr los. Ich hoffte noch, dass sich irgendeiner von der Mannschaft am Brunnen eingefunden hatte. Derart beschwingt schaffte ich die Strecke in Rekordzeit: Ich brauchte lediglich knapp 30 Minuten.
Als ich kurz vor halb Sechs beim Netto im Einkaufszentrum Heidberg und damit genau neben dem Brunnen aufschlug, war kein Erlauchter sichtbar. Die Mannschaft hatte sich sicherlich woanders getroffen; bei Pocke - wie ich später erfahren sollte. Das war aber gar nicht schlimm, denn die Zeiten am Brunnen sind seit 40 Jahren vorbei.
Zwar ist mir diese Art von Symbolik sehr wichtig, aber das geht halt nicht jedem so. Egal, ich ging zum Netto rein und holte mir eine pisswarme Dose Holsten. Und jetzt kommt es: Den Brunnen im Einkaufszentrum gibt es schon seit Jahren nicht mehr. Es gibt noch nicht einmal Sitzmöglichkeiten, so dass ich die Dose Holsten im Stehen trinken musste.
Doch zunächst einmal platzierte ich die Dose auf dem Boden just an der Stelle, wo der Brunnen ursprünglich gewesen war und machte ein Foto. Da stand ich nun und lehnte mich auf dem Papierkorb an der Straßenlaterne.
Konzentriert schaute ich mich um. Schräg gegenüber befindet sich das italienische Eiscafe, wo ich allerdings auch keine Schulfreunde auf den Außensitzplätzen erblicken konnte. Hinter mir im Netto gingen die Leute ein und aus, aber ansonsten sah der einstmals stark frequentierte Platz 40 Jahre später schon sehr trostlos aus.
Sicher waren die Geschäfte vor über 40 Jahren dank des Ladenschlussgesetzes samstags ab 14 Uhr geschlossen gewesen, aber die eine oder andere leer stehende Immobilie zeigt schon an, dass die großen Zeiten des Einzelhandels bereits seit längerem vorbei sind.
So fühlte ich mich an der Straßenlaterne etwas verloren und vermisste das leise Plätschern des Brunnens. Ich war eindeutig in der Betonhölle Heidberg gelandet; selbst im Einkaufszentrum Elbestraße in der Weststadt haben sie mittlerweile Bänke hingestellt, damit die Hartzer und Rentner den Kids beim Skaten oder was auch immer zuschauen können.
Die schal gewordene Dose Holsten leerte ich noch schnell, dann entsorgte ich sie im Papierkorb. Die alten Erinnerungen, welche eh nicht meine waren, ließ ich zurück und fuhr über die Straßenbahnschienen Richtung Schulzentrum.
Dort, auf dem Vorplatz vor der Treppe zum Haupteingang, tummelten sich bereits eine Vielzahl von Menschen. Voller Neugier sicherte ich mein Radl und stürzte mich in die Menge, auf der Suche nach meiner Einheit. Den Anmeldetisch für die Jahrgänge 1965 bis 1987 fand ich ganz am linken Rand.
Ein bekanntes Gesicht war allerdings nicht zu erkennen gewesen. Nun denn, erst einmal wollte ich mich registrieren lassen. Natürlich stand mein Name auf der Liste, ich erhielt einen gruseligen Wäscheaufkleber mit meinem Namen und dem Abiturjahrgang.
Jetzt endlich begriff ich das System und erkannte auch sogleich einen ehemaligen Mitschüler, der seinerzeit in derselben Straße gewohnt und mit mir zusammen die Grundschule besucht hatte. Ich kann mich sogar noch daran erinnern, dass seine Eltern einen alten DKW fuhren, den wir als Kinder immer bewundert hatten.
Er selber musste auf mein Namensschild gucken, um mich überhaupt identifizieren zu können. Missmutig schaute er drein, dazu blickte er mich nicht einmal direkt an. "An die Schulzeit habe ich keine Erinnerungen mehr, das habe ich alles gelöscht. Das ist auch besser so."
Als er dies mir gegenüber äußerte, fragte ich mich schon, warum er überhaupt hier erschienen war. Er war ja in früherer Zeit bereits immer etwas eigen gewesen, aber so borniert wie an diesem Abend war er doch früher nicht. Ich kann mich noch sogar daran erinnern, dass er der letzte aus unserer Klasse war, der die Uhr lesen konnte. Als Kinder hatten wir auf dem Garagenhof noch zusammen gespielt.
Was für ein Leid musste dieser Mensch wohl ertragen haben, das er ein derart pessimistisches Weltbild monströs vor sich her tragen will. Ich verstehe es nicht.

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