Mittwoch, 23. Juni 2021

Hartmudo: Mutter

71 Anhang 1
Den folgenden Brief hatte ich der DVD mit den eingescannten Fotos und Dokumenten beigepackt und dann an meine Schwestern verschickt. Zwei ganze Jahre hatte ich dafür gebraucht, aber wenigstens war ich dann damit durch.

Liebe Schwestern,
am Dienstag, dem 25. September 2018, jährt sich der Todestag unserer Mutter zum zweiten Mal. Und endlich habe ich es geschafft, das Einscannen der Bilder, die ich vor zwei Jahren aus Mutters Wohnung mitgenommen hatte, einzuscannen.
Die eingescannten Bilder und Dokumente habe ich auf die beiliegende DVD gepackt. Die einzelnen Kartons und Fototaschen habe ich unter verschiedenen Begriffen gescannt und in entsprechende Unterverzeichnisse gepackt, um wenigstens ein wenig Ordnung hineinzubringen.
Leider habe ich es nicht besser sortieren können, da die meisten Aufnahmen vor meiner Geburt geschossen wurden und die wenigen Fotos aus den 70er und 80er Jahren gehören zu Ereignissen, an die ich mich nicht wirklich erinnern kann. Ich hoffe, Ihr könnt die Fotos zeitlich besser zuordnen als ich.
Die schönsten Fotos sind eh die von vor meiner Geburt bzw. mit mir im Kinderwagen. Auf dem einen Foto, wo Mutter am Kinderwagen mit dem kleinen Hartmudo steht und hinter der Karre Ihr zwei Hübschen... im Partnerlook mit diesem schrillen Streifenkleid - Weltklasse! Diese Muster sind heute wieder gesellschaftsfähig; damit würdet ihr allen anderen Mädchen auf jeder House- oder Technoparty die Show stehlen! Schade nur, dass dieses Foto lediglich schwarz-weiß aufgenommen wurde.
In der beiliegenden Sammlung gibt es eine ganze Menge dieser Fotos, auch aus den 50er Jahren. Schade und bedauerlich finde ich es bis heute, dass es in unserer Familie Usus war, den Kindern nichts zu erzählen. Das gilt sowohl für Vater als auch für Mutter; Insbesondere Vater mit seinem negativen Menschenbild hatte es nicht geschafft, seinen Kindern Vertrauen in andere Menschen oder einen offenen Umgang mit diesen zu vermitteln. Ich denke, wir wären nach Mutters Tod ganz anders miteinander umgegangen, wenn uns unsere Eltern (gilt für Beide) positivere Werte vermittelt hätten.
Bei den Eltern meiner Freunde und Kollegen habe ich dies in all den Jahren mitbekommen und einiges davon für mich verinnerlicht. Sicherlich hatte ich dazu als Junge und "Nesthäkchen" auch die Gelegenheit dazu; Ihr zwei Kinder der 50er Jahre hattet diese Chance nicht gehabt. Doch das ist sicherlich nur ein Teilaspekt unserer Kindheit. Vielleicht sehe ich das einfach nur zu eng oder sogar falsch. Da könnte man stundenlang...
Seltene Fotos zeigen Euch als kleine Kinder (der Hartmudo war da noch nicht dabei) oder Szenen aus der Zeit vor Helmstedt, die ich bis heute leider nicht zuordnen kann. Vater bei der Arbeit im Grenzverkehr - meine Güte, ich habe erst 20 Jahre nach seinem Tod von Mutter erfahren, dass er einen Führerschein hatte. Zeit seines Lebens hatten unsere Eltern mir erzählt, dass er keinen gehabt hatte.
Dass unsere Eltern kein Auto hatten, weil das Geld von Vater für seine Familie gerade mal für das Reihenhaus in Melverode reichte (was wahrlich keine Schande ist, im Gegenteil), hätte er niemals zugegeben. Nicht einmal diese Kleinigkeit konnten sie uns erzählen... Schade.
Dabei waren sie wohl doch ein glückliches Paar gewesen, wie ihr an den Fotos der Hochzeit (die Hochzeitszeitung habe ich als eines der wenigen Textdokumente eingescannt) erkennen könnt. Gut, für heutige Verhältnisse sieht das etwas steif aus. Doch die Zeiten damals waren alles andere als ruhig. Wir können uns alle drei glücklich schätzen, dass uns die Kriegs- und ersten Nachkriegsjahre erspart geblieben sind. Von den Nazis ganz zu schweigen.
Ehe ich mich jetzt noch zur politischen Weltsicht unserer Eltern in jenen Jahren äußere, möchte ich lieber an die eigentlich ungewöhnliche Geschichte der Hochzeit im März 1945, der Tragik der Gefangennahme von Vater kurz vor dem absehbaren Kriegsende und die Lebensrettung von Vater dank Mutters Pakete mit Malariatabletten (das hatte sie erst ein paar Jahre vor ihrem Tod offenbart) erinnern.
Sehr interessant sind die Fotos, die stellenweise noch vor Mutters Geburt aufgenommen worden sind. Auch habe ich noch Fotos von Vaters Familie vor dessen Geburt gefunden. Wer diese Menschen gewesen sein könnten, hatten beide mir zumindest nie erzählt. Interessiert einen als Kind natürlich nicht, auch meine Freunde hatten damals schon geschimpft, wenn ihre Eltern sie genötigt hatten, alte Familienfotos anzuschauen. Heute sind sie froh darüber, dass sie das seinerzeit ertragen mussten.
Alte Fotos von Trina und Adam, August und seiner Hermine... Bud ohne Vollbart und Reiner mit der Frisur von Starsky (Starsky & Hutch, Ihr erinnert Euch). Vater habe ich auf den Fotos in der "Etappe" auf der Krim oder auch im Gefangenenlager (halt - da fing das wohl mit der Glatze an) kaum wiedererkannt.
Tut mir leid, wenn ich hier so viel Negatives über unsere Eltern erzähle, aber in den letzten zwei Jahren ist mir so einige Male die eine oder andere Episode mit den Beiden in den Sinn gekommen. Da war natürlich mehr Liebevolles und menschliche Wärme gewesen als ich dies zuvor beschrieben habe.
Die Liebesbriefe unserer Eltern, sowohl die vor der Ehe (um 1940!) als auch zur Zeit der Kriegsgefangenschaft habe ich nicht eingescannt, weil diese eher in altdeutscher Schrift abgefasst sind. Ich selbst kann sie nicht entziffern; Ein Einscannen war mir ehrlicherweise zu mühselig und hätte die gesamte Kopieraktion noch weiter in die Länge gezogen.
Das ganze Material habe ich dem ältesten Kind - also Berta - übergeben. Dies ist eine allgemein übliche Tradition, die irgendwie Sinn macht.
Jetzt hat jeder von uns die Erinnerungsfotos unserer Familie. Falls noch andere Fotos oder auch Schriftstücke im Umlauf sind, kann ich sie gerne einscannen und weiter verteilen.
Wenn Ihr die Fotos anseht, werdet Ihr sicherlich mehr an Eure Kindheit erinnern als ich beim Anblick der Fotos. Vielleicht habt Ihr dann auch Lust, Eure Kinder und Enkelkinder damit zu quälen und Ihnen einiges aus dem Leben unserer Eltern zu erzählen.
Es wäre schön, wenn dadurch die Erinnerung an unsere Eltern lebendig gehalten wird.

Liebe Grüße

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