Mittwoch, 23. Oktober 2019

Hartmudo: Mutter


50
Sonntag, 11. Dezember. Ohne meine Löwin tauchte ich am Vormittag leicht verspätet in der Wohnung von Mutter auf. Ich war der letzte, sowohl Berta und Sunny als auch der Interessent waren schon in der Wohnung. Wobei Interessent hierbei bedeutet, dass dessen Eltern mit dabei waren, um die Wohnung zu inspizieren. Schließlich sollten die ja auch die Wohnung kaufen.
Eine ähnliche Konstellation hatte ich bereits vor 10 Jahren erlebt, als ich seinerzeit meine Wohnung in der Gartenstraße verkauft hatte. Ich erinnere mich noch gerne daran, dass meine Löwin und ich uns vor Freude abgeklatscht hatten, als die Interessenten die Wohnung verließen. Denn sie waren total begeistert und griffen seinerzeit sofort zu. 7000,-€ mehr, als zwei Makler seinerzeit geschätzt hatten. Da waren wir natürlich vollkommen aus dem Häuschen gewesen.
Mit einem derart freudigen Ausgang der Wohnungsbegehung war an diesem Tag sicherlich nicht zu rechnen gewesen, dazu war der von Sunny ausgerufene Preis mit 135.000,-€ um einiges zu hoch gegriffen. Und da stand sie auch schon: Sunny hörte gerade aufmerksam den Ausführungen des Vaters zu. Berta stand direkt daneben. Beide stiegen in das muntere Geplauder mit ein und erklärten die Vorzüge der Wohnung. Da mochte ich nicht zurückstehen und faselte auch gleich irgendein dummes Zeug.
„Jawohl, die Küche würden wir drin lassen. Das Bad ist natürlich nicht schön, aber da hat ja jeder einen anderen Geschmack. Deshalb bleibt auch das Bad drin, so dass sie sich das Bad bei Bedarf selbst umgestalten können. Gleiches gilt für die Tapeten. Insgesamt würden wir die Wohnung bis auf Küche und Bad total leer räumen.“ Voller Begeisterung schwadronierte ich vor mich hin.
Aber dem Vater fiel natürlich auf Anhieb die schlechte Elektrik mit lediglich 3 Sicherungen ohne FI-Schalter auf. Da er sofort erwähnte, dass dieses dringend gemacht werden müsste, was natürlich gewaltige Kosten verursachen würde, ersparte ich mir den Hinweis auf die Vorteile, dass der Käufer zusätzliche Gestaltungsmöglichkeiten hätte. Vielleicht wollte er auch wirklich nur den Preis drücken, was mir durchaus verständlich erschien.
Mittlerweile hatten wir uns über die gesamte Wohnung verteilt. Und während Sunny Berta die ganze Zeit nicht mal mit dem Arsch anguckte, was übrigens auf Gegenseitigkeit beruhte, konnten Sunny und ich uns im Gespräch mit den Interessenten die Bälle zuspielen. Ein Außenstehender hätte nicht erkennen können, dass auch wir uns nicht mehr leiden konnten. Bruder und Schwester halten bekanntlich zusammen - genau dieses Bild konnten wir beide glaubwürdig vermitteln.
Berta kam da nicht mit, weil sie wegen der permanenten Beleidigungen durch Sunny mehr als angefressen war. Entscheidend für das Scheitern der Verkaufsverhandlungen war das sicher nicht, dazu war unser Preis einfach zu hoch. Unverrichteter Dinge zogen die Interessenten dann ab. Sie wollten sich melden, das kennt man ja.
Nun konnten wir also zum gemütlichen Teil des Tages übergehen. Außerdem war ich nicht wegen des Gesprächs mit den Interessenten hier. Das Scheitern der Verhandlungen war meiner Meinung nach vorprogrammiert gewesen. Nein, wichtig an diesem Tag war einzig und allein der schriftliche Auftrag zum Wohnungsverkauf für den Makler, den wir am letzten Montag besprochen hatten. Der Startpreis lag bekanntlich zwischen 120 und 125 Tausend!
Das Schreiben hatte ich zuhause bereits aufgesetzt, wir brauchten bloß noch alle unterschreiben. Berta unterschrieb unmittelbar, nachdem die Interessenten die Wohnung verlassen hatten. Jetzt fehlte nur noch Sunny... wo war sie denn nur...
Aah, in Mutters Schlafzimmer. Ich ging zu ihr hin und ersuchte sie höflich um die Unterschrift. „Ich habe jetzt keine Zeit. Du kannst auch mal warten!" blaffte sie mich sofort aggressiv an. Mit erhöhtem Puls schlich ich ins Wohnzimmer zurück und ging im Gedanken einige Tötungsarten durch. Auch Berta überkam das untrügliche Gefühl, dass dieser Nachmittag mal wieder einer der denkwürdigen Sorte sein dürfte.
Im Wohnzimmer standen noch die Tapeziertische von dem Wohnungsflohmarkt herum. Ich half Berta beim Abräumen derselben, als ob Sunny das versöhnlicher stimmen würde. Berta hatte dieses Verhalten bereits in ihrer Kindheit an den Tag gelegt. Wenn Sunny da mal fies drauf war, hatte Berta auch immer versucht, es Sunny recht zu machen, damit diese nicht mehr böse auf sie war. Erschreckt musste ich an diesem Nachmittag feststellen, das auch ich dieses Verhalten automatisch verinnerlicht hatte.
Als ob das jetzt noch was nützen würde. Mitnichten! Nach einigen Minuten des emsigen Zusammenräumens von Kleidern unserer Mutter, die Sunny als Kleiderspende nach Neuerkerode geben wollte, kam sie ins Wohnzimmer herein. Ich sah sogleich meine Gelegenheit gekommen und bat Sunny erneut höflich um ihre Unterschrift. Irgendwie drängte sich bei mir der Verdacht auf, dass Sunny mich einfach nur zappeln lassen wollte. Sie wollte zeigen, wer hier die Richtung vorgibt.
Sunny ließ jetzt wahrlich keine Missverständnisse aufkommen, denn sofort ging sie in den Angriffsmodus über und verdeutlichte mir, dass ich eigentlich ein schlechtes Gewissen haben müsste. Sie selbst habe sich um alles gekümmert bzw. angeleiert - den Verkauf des Schmucks beim Juwelier, den Wohnungsflohmarkt, an dem ich mich nicht mal beteiligt hatte. Und als Krönung natürlich die Räumung der Wohnung. Da hatte sie ja eine Firma an der Hand gehabt, aber ich hatte es torpediert und einfach jemand anderen beauftragt.
In Zusammenarbeit mit Berta, wie sie gehässig nachschob. Fasziniert hörte ich mir ihr Geseiere an. Wie bereits öfters von mir schon erwähnt, setzte Sunnys engagierter Einsatz erst ein, als es um die Auflösung von Mutters Habseligkeiten ging. Vielleicht ja wirklich nur aus Angst, übervorteilt zu werden.
Aber mir war das mittlerweile herzlich egal. Sie hatte z.B. beim Wohnungsflohmarkt etwas verkauft, aber bis heute - und das ist fast ein Jahr später - hat sie dies nicht mit Berta und mir abgerechnet. Sicherlich hatte ich lauthals auf eine Beteiligung beim Wohnungsflohmarkt verzichtet und vor allem auf meinen „Anteil". Aber wenigstens Gundula und Eveline, die sich an jenem Samstag auch hingestellt und geholfen hatten, hätte Sunny für den Aufwand entlohnen müssen.
Ihr Verhalten kann ich einfach nur noch als schäbig bezeichnen. Sunny warf Berta die ganze Zeit vor, ein geldgieriges Weib zu sein. Sie selbst war es jedoch, die den Hals nicht voll kriegen konnte. Und dann noch ihre herablassende Art bei dieser Aktion. Ich sollte gefälligst warten, so viel Zeit würde ich ja wohl noch erübrigen können. Während all dieser Vorwürfe war Sunny stàndig in Bewegung, räumte wohl auch ein oder zwei Gegenstände von einem Tapeziertisch herunter. Plötzlich verschwand sie aus dem Zimmer und begab sich wieder ins Schlafzimmer von Mutter.
Verwirrt schauten Berta und ich uns an. Vor dem Termin hatte ich Berta noch gesagt, dass ich mich auf alle Fälle wegen der Wohnungsräumung, bei der ich Sunny zugegebenermaßen überfahren hatte, entschuldigen wollte. Nach der gerade gezeigten Vorstellung verschwendete ich allerdings keinen Gedanken mehr daran.
Konsterniert musste ich erkennen, dass Sunny meinte, durch Schreien und forsches Auftreten Druck ausüben zu können. Auf solche Machtspielchen bin ich noch nie abgefahren, da reagiere ich nicht drauf. Das habe ich von meinem Vater, der sich gegen Mutters Wutausbrüche auch nicht anders zu wehren wusste. Keine Reaktion ist in solchen Fällen die einzig mögliche Reaktion.
Ich hatte Sunny während ihrer eben geschilderten Vorwürfe zwar noch entgegengehalten, dass sie ja erst in dem Moment aktiv wurde, als es ums Verteilen ging. Die Organisation der Beerdigung, der ganze Schriftkram mit Behörden und Co... Da hatte sich Sunny vornehm zurückgehalten, da gab es auch nichts zu holen. Auch das Berta im Prinzip am meisten von uns Dreien gemacht hatte, nämlich den ganzen Papierkram von Mutter, insbesondere die Abrechnung mit dem Steuerberater, schmierte ich Sunny zum wiederholten Mal aufs Brot.
Doch all dies bekam Sunny nur am Rande mit, weil Sie mir ins Wort fuhr und ihre Tiraden fortsetzte, nur etwas lauter als zuvor. Und in selbstgerechter Empörung ließ sie uns dann stehen. Ich weiß nicht, wie viele Minuten Berta und ich anschließend kopfschüttelnderweise im Wohnzimmer standen und auf Sunny warteten, aber irgendwann hatte ich die Lösung.
Das Ganze war mir allmählich zu doof geworden. Anstatt noch lange blöd herumzustehen, ging ich zu Sunny in Mutters Schlafzimmer, wo sie mit versteinerter Miene Mutters Kleider zur Spende an die Neuerkeröder Anstalten zusammenpackte. Ein letztes Mal fragte ich sie. Erneut brüllte sie mich an, ich solle gefälligst warten.
„Ich lege den Auftrag für den Makler ins Wohnzimmer auf das Tischchen. Du kannst Dir das ja in Ruhe angucken, wenn Du Zeit hast und mir den Zettel unterschrieben zuschicken. Ich bringe ihn dann zum Makler", sagte ich eleganterweise, drehte mich um und ging ins Wohnzimmer zu Berta zurück.
Das ich da nicht früher drauf gekommen war! Ich legte den Zettel auf das Tischchen, sagte Berta noch kurz Bescheid und verabschiedete mich dann von ihr. Ohne weitere Erklärungen verließ ich die Wohnung. Beim Runtergehen kam mir Reiner noch entgegen, der wohl Sunny beim Tragen half. Ich nickte ihm zu, er nickte zurück.
Mein Verlassen von Mutters Wohnung war eine einzige fließende Bewegung, so kann man es am besten beschreiben. Sunny war stinksauer und rief mir hinterher, als ich gerade noch in der Wohnung war. „Hau nicht einfach ab, ich wollte Dir noch was sagen!" rief sie mir hinterher, doch das hörte ich schon nicht mehr. Ebenso wenig wollte ich ihre wüsten Beschimpfungen und Beleidigungen hören, wobei Arschloch das harmloseste war. Ich meine, ich verstand es akustisch noch nicht einmal richtig. Befreit, so wie in einem Rausch, ging ich die Treppe im Haus hinunter. Die Geräusche hörte ich wie durch Watte, höchstens ein längeres Rauschen nahm ich war, aber keine zusammenhängenden Wörter.
Dieses Mal war es das eine Mal zu viel gewesen, was sich Sunny geleistet hatte. Ich lasse mich nicht wie ein kleiner Schulbub abkanzeln. Nicht einmal mein Puls stieg mehr in die Höhe, ich fühlte mich völlig tiefenentspannt. Auch Sunny wird gemerkt haben, dass sie mit Ausüben von Druck bei mir nichts mehr erreichen konnte.
Mein Fazit lautet daher: Nur wenn man solche Leute wie Sunny ignoriert, hat man eine Chance gegen sie.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen