Dienstag, 23. Juli 2019

Hartmudo: Mutter


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Das ganze Geschachere um die Kohle erscheint mir auch im Nachhinein als herzlos angesichts des Todes unserer Mutter. Doch es zeigt mir um so mehr die Vergänglichkeit der Dinge. So ungewöhnlich war unser Verhalten nämlich nicht, leider sind die Menschen im Allgemeinen ziemlich materiell orientiert, selbst wenn sie sich christlich gebärden.
Zwei Tage nach unserem Treffen mit dem Makler in Mutters Wohnung rief mich Berta am Mittwochabend an. Es war der 7.12. und somit Vorweihnachtszeit. All die schönen Weihnachtsfeiern standen noch bevor und ich hatte nach dem überraschend gut verlaufenen Termin mit Sunny beim besagten Treffen endlich etwas Ruhe finden können.
Berta hatte von ihrem Schwiegersohn Siggi erfahren, das es in Walle eine Firma gäbe, die Wohnungen ausräumt. Und jetzt kommt das Entscheidende: Siggi hatte vor kurzem (oder geraumer Zeit?) die Wohnung seiner verstorbenen Mutter durch diese Firma räumen lassen und gar nichts bezahlt. Im Gegenteil, die Firma hatte ihm noch 500,-€ gezahlt.
Da die Wohnungen vergleichbar gewesen sein sollten, rief Berta Sunny an, um ihr das zu schildern und damit sie ihre Firma abbestellt. Doch Sunny schrie wohl sofort herum und herrschte Berta an, was ihr denn einfiele. Sunny hatte ihrem Ausräumer bereits Bescheid gesagt, wie stünde sie denn jetzt da?
Wutentbrannt reichte sie den Telefonhörer an Reiner weiter und Berta konnte ihm das Ganze noch einmal erzählen, a!lerdings ohne Erfolg. Sie sagte ihm auch, das sie jetzt die Firma aus Walle mit der Räumung beauftragen würde. Als sie dann Sunny noch einmal sprechen wollte, um ihr das zu sagen, ließ diese sich verleugnen.
Berta war total konsterniert und rief mich sofort an, schilderte mir den Vorfall. Dass Sunny sich so bockig anstellte, konnten wir beide nicht verstehen. Bei mir kam zwar noch der Ärger über die erneute Störung am frühen Abend wegen Mutter hinzu, aber das hatte ich ja sowieso schon die ganze Zeit über. Das sollte hier nicht die große Rolle spielen.
Berta und ich steigerten uns passenderweise sofort in Verschwörungstheorien hinein. 500,-€ bekommen statt 500,-€ zu bezahlen, da konnte Sunny doch nichts dagegen haben. Unserer Meinung nach konnte das nur bedeuten, das Sunny mit dem Ausräumer, den Berta und ich gar nicht kennen, einen Extradeal geschlossen hatte, um dabei ihren Schnitt zu machen. Und Reiner stand sogar noch 2 Tage vorher in Mutters Wohnung und erklärte Berta und mir mit salbungsvollen Worten, dass da leider nichts zu machen wäre.
Kaum hatte Berta aufgelegt, rief mich Sunny an - oder hatte ich sie angerufen, um sie doch noch vom Gegenteil zu überzeugen? Jedenfalls schraulte Sunny ziemlich herum. Sie war total wütend, weil wir das doch anders besprochen hatten. Sie hatte dem Typen schon Bescheid gesagt. Wie stünde sie jetzt da, wenn sie ihm absagt?
Davon ließ ich mich aber nicht beirren. Eindringlich wies ich sie nochmals auf den Unterschied von 500 zahlen oder 500 kriegen hin, dass musste sie doch begreifen? Aber Sunny hörte mir gar nicht zu. Ihr Kreischen wurde immer unsäglicher und gipfelte in der Aussage, dass sie immer als Idiot dastehen würde. Sie hatte das angerissen, und jetzt würden Berta und ich sie als Dussel hinstellen.
Ich sagte ihr klipp und klar, dass sie sich nur deshalb zum Idioten machte, weil sie sich jetzt so anstellt. Sie konnte dem Typen doch sagen, dass ihre Geschwister sie gezwungen hätten, den Auftrag zurückzuziehen. Das wäre sogar die Wahrheit, weil Berta am nächsten Tag die Firma aus Walle anrufen würde und mit ihm die Sache durchziehen würde. Berta hatte ja noch den Schlüssel für Mutters Wohnung.
Danach legte ich auf. Ich war mal wieder äußerst bedient, mein Puls raste auf hoher Umdrehungszahl. So eine dusselige Kuh. Sie hatte mir nicht eine Minute zugehört, kein Versuch, ein Gegenargument zu bringen. Sunny verhielt sich wie ein kleines Kind, das seinen Willen nicht bekommt und sich auf den Boden schmeißt, um endlich das Matchboxauto zu bekommen.
Häh? Matchboxauto? Da war doch was... Als Kind hatte ich mich auf den Boden geschmissen, weil Berta mir bei Palute, dem Lebensmittelladen in unserer Straße, eben so ein Matchboxauto nicht gekauft hatte. Dafür hatte sie von Mutter Senge bekommen, und das nicht zu knapp. Anschließend erhielt ich das Spielzeugauto. Zähneknirschend musste Berta mir das Ding bei Palute kaufen, bloß damit ich Ruhe gebe.
Sicher, allein diese Geschichte hatte bei Berta seinerzeit ein Trauma ausgelöst. Und nicht nur Berta erzählt diese Geschichte bei jeder dritten Familienfeier oder sonstigen Begegnung. Selbst ich werde nie müde, diese Anekdote wieder und wieder zum Besten zu geben. Womöglich habe ich diese Geschichte bereits vor einigen Seiten erzählt, andernfalls werde ich das in einem der nächsten Kapitel nachholen.
Nach dem ärgerlichen Gespräch mit Sunny rief ich sofort Berta an, das hatte ich ihr natürlich Minuten vorher versprochen gehabt, da ich sowieso mit Sunny wegen der „Umbuchung" der Wohnungsräumung noch einmal sprechen musste, weil Berta einfach geblockt wurde. Egal, ob Sunny mich oder ich sie angerufen hatte.
Berta und ich sinnierten auch sofort über Sunnys extremes Verhalten. Wir witterten da wie üblich irgendwelchen Schmu. Und da Sunny ja permanent meinte, benachteiligt zu werden, weil Berta und ich untereinander Absprachen zu ihren Ungunsten treffen würden, meinten wir jetzt, den Spieß umdrehen zu müssen.
Garantiert plante Sunny was, würde die Stühle oder gar die Teppiche heimlich verkaufen und das Geld einstreichen. Deshalb stellte sich Reiner so betont lässig und ruhig hin, um Berta und mich mit seiner Erklärung von der Unverkäuflichkeit der Teppiche einzuseifen. Das war in unseren Augen die einzig mögliche Erklärung, denn schließlich war es Sunny, die seit Mutters Tod auf jede Kopeke wert legte.
Heute sehe ich das zum Glück etwas entspannter. Sunny dachte wahrscheinlich (nicht zu Unrecht), dass Berta und ich eh zu schlaff wären, um den bestmöglichen Preis für die Teppiche, die Wohnungsräumung und nicht zu vergessen den Schmuck herauszuholen. Sunny dagegen zeigte sich beim Versilbern von Mutters Habseligkeiten äußerst engagiert. Leider ließ sie dieses Engagement bei den leidigen Pflichten wie Behördengängen, Rechnungen bezahlen und Steuererklärung für die Verblichene zu machen, stark vermissen. Wenn es Berta und mir offensichtlich eh egal war, da sollte es recht und billig sein, das Sunny für ihre Bemühungen entschädigt wird.
Und falls Berta und ich Sunny zu Unrecht des Übervorteilens ihrer Geschwister verdächtigt haben sollten, dann macht ihre Weigerung, den Wohnungsräumer zu wechseln, in dem Moment Sinn, wenn sie sich bei unserem Telefonat nicht so hysterisch benommen hätte. So dagegen glaube ich immer noch, dass die Entscheidung, jemand anderen mit der Wohnungsräumung zu beauftragen, richtig war.
Zu dem Zeitpunkt allerdings nur, denn...

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