Samstag, 23. März 2019

Hartmudo: Mutter


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Zur Vorbereitung des Wohnungsflohmarktes am folgenden Samstag bauten wir erst einmal den Tapeziertisch zusammen, den Sunny und Reiner bereits Tage zuvor in Mutters Wohnung deponiert hatten. Begleitet wurde dies von Sunnys Haßtiraden, die Berta und mich wie unartige Kinder, die etwas Schlimmes angestellt hatten, behandelte. In einer irgendwie unausgesprochenen Übereinkunft ertrugen Berta und ich die aggressiven Anfeindungen ohne Widerrede.
Ich selbst war von der ganzen Aktion nur noch genervt. Das Gezänk um ein schnelles Verramschen von Mutters Schmuck sowie die zu der Zeit schon täglichen Anfeindungen per WhatsApp oder auch Telefon nebst langen Gesprächen mit Berta, wie wir mit der Situation umgehen sollen, hatten mich ausgelaugt. Nicht allein dank irgendwelcher Termine wegen Mutter hatte ich den Sport in der Mukkibude quasi auf Null gefahren. Das ganze Gezerre um Mutters Nachlass zog mich dermaßen herunter, dass ich nicht einmal mehr die Kraft fand, um morgens mit dem Fahrrad zum Bahnhof zu fahren.
Meine sonstigen Verpflichtungen, wie z.B. die Betreuung der Gräfin oder die Abwicklung meiner Kündigung des alten Mobilfunkvertrages, schob ich immer weiter vor mir her, weil es mir einfach zu viel wurde. Meine Laune litt spürbar darunter, fragt einfach meine Löwin. Ich fühlte mich in der Zeit vollkommen zermürbt; so wie nach einem Waterboarding in Guantanamo.
„Ihr habt doch gesagt, das ihr nen Tapeziertisch mitbringen wolltet. Nichts, aber auch gar nichts habt ihr gemacht. Nun macht mal hin, ich will hier nicht den ganzen Abend stehen!" Solche und noch andere Sprüche warf uns Sunny an den Kopf. Auf der einen Seite waren die Vorwürfe sachlich nicht unbegründet, aber andererseits macht ja der Ton die Musik und das laute Bellen war einfach nicht angemessen.
Ihre ganze Aufregung wegen dieses schwachsinnigen Flohmarktes war vollkommen überzogen. Für mich bedeutete dies nach einer anstrengenden Arbeitswoche einen unangenehmen Freitagnachmittag sowie einen ebensolchen Samstag mit Sunny, die ich zu der Zeit bereits nicht mehr ertragen konnte. Innerlich wurde ich bei jeder Hasstirade wütender, schluckte meinen Ärger aber immer wieder runter.
Zudem hatten wir noch nicht mal ungefähre Vorstellungen von der Preisgestaltung für die einzelnen Gegenstände, welche wir direkt am nächsten Tag verkaufen wollten. Keiner von uns, auch Sunny nicht, hatte sich z.B. über die Preise von Käthe Kruse Puppen informiert. Geschirr, Teppiche, Schmuckstücke... keiner hatte wirklich einen Plan. Was für Preise wollten wir da eigentlich drauf kleben? Dieser Termin am Freitag vor dem eigentlichen Flohmarkt war unnütz. Wir hätten genauso gut am Samstag Vormittag in ein bis zwei Stunden alles aufbauen können und dann Pi mal Auge die Preise verhackstücken können.
Ergo sträubte ich mich innerlich komplett gegen diese Aktion, hoffte insgeheim, das der Flohmarkt in der Wohnung ausfallen möge. Berta war ja fein raus. Die hatte am Samstag ihren Termin auf dem Weihnachtsmarkt und konnte deshalb nicht anwesend sein. Eveline und/oder Gundula würden sie vertreten. Somit würde ich da planlos wie Pik Sieben herumstehen müssen, um Mutters Haushaltsgegenstände für 5 oder 10 Euro zu verticken.
Und während uns Sunny immer weiter munter durchbeleidigte, setzte sich meine Löwin auf einen Stuhl etwas abseits, weil ihr das Bein weh tat und sie das Gemassel wohl auch nicht mehr hören konnte. Auch Bud hatte seine Ohren bereits auf Durchzug geschaltet. Als er dann doch irgend etwas anmerkte und Reiner ihm sagte, das er sich nicht einmischen sollte, ging es fast scharf. Mit geballten, aber hängenden Fäusten stand Bud Reiner fast Auge in Auge gegenüber. „Das war es mir nicht wert, das er mich dann auch noch anzeigt" erklärte mir Bud später zu dieser Szene.
Der Satz ist wohl so nicht gefallen, aber die Richtung passt. Meine Wenigkeit hatte sich zwischenzeitlich aus dem Aufbau der Verkaufstische abgemeldet. Als ich auf der Suche nach Gegenständen für den Verkauf Vaters altes Schränkchen öffnete, fielen mir Alben und Mappen mit alten Fotos entgegen. Ebenso Zeugnisse, Urkunden und ähnliches - der Flohmarkt interessierte mich jetzt nicht mehr.
Die Bilder und Unterlagen waren wichtig und mussten gesichtet werden, bevor sie noch verloren gehen könnten. Im Schrank fand ich einen Stapel zusammen gebundener Briefe, die sich Vater und Mutter wohl während seiner Kriegsgefangenschaft am schwarzen Meer geschickt hatten. Wen interessieren da schon Puppen, Schmuck oder der ganze andere Tünnef?
Und während der Suche hatte ich wieder ein schwarzes Täschchen in der Hand. „Sunny, ist das hier vielleicht die Tasche?" Ich schöpfte noch ein letztes Mal Hoffnung, das Sunny diese Tasche wiedererkennen würde, damit wir die ganzen Missverständnisse, die uns schon seit Tagen quälten, aus der Welt räumen konnten.
„Nein, das war eine mit Strass. Das ist sie nicht." Sunny schaute gerade eben kurz drüber. Schade, wie sehr hätte ich mir gewünscht, das sie es gewesen wäre, dann hätten wir eine vernünftige Auflösung der Streitereien erreichen können. Ich denke immer noch, das wir 3 uns nach einem friedlichen Ende sehnten. Aber leider war Sunny nach wie vor davon überzeugt, das sich Berta und ich gegen sie verbündet hatten.
Zusammen mit der obskuren Sichtweise, das sie schon immer zu kurz gekommen sei und sich jetzt nicht „unterbuttern" lassen wollte, ergab das die explosive Mischung, die sie zur Furie werden ließ. Sie setzte ihre Beleidigungen immer weiter fort; Obwohl ich es mir nicht anmerken ließ und mich offenbar voll in Vaters altes Schränkchen vertiefte, kochte ich innerlich. Ich zwang mich lediglich, ruhig zu bleiben, da ich mich nicht weiter provozieren lassen wollte. Ein gegenseitiges Anpöbeln bringt nun mal gar nichts, außer tagelangem erhöhten Blutdruck und im Falle von Berta schlaflose Nächte. Deshalb hatten sich Berta und ich schon im Vorfeld gegenseitig zu pushen versucht, damit wir einen Eklat auf alle Fälle vermeiden können.
Und dann kam dieser laut gekreischte Satz: „Seid nicht so gierig nach den Sachen, jetzt erst einmal hier aufbauen!" Da machte es bei mir „klick", gierig war genau der falsche Begriff in diesem Moment. Ich assoziierte gierig sofort mit geldgeil, weil Sunny dies ja Berta und mir in völliger Verdrehung der Geschehnisse nach dem Juwelier per WhatsApp vorgeworfen hatte. Wenn man es mal nüchtern betrachtet, wäre es natürlich erst einmal an der Zeit gewesen, den Flohmarkt vorzubereiten. Schließlich waren wir genau deshalb an diesem Freitag Nachmittag hier zusammengetroffen.
Aber nicht mit mir, jetzt konnte ich doch nicht mehr ruhig bleiben. Scheiß Flohmarkt, immer nur das verschissene Geld. Ich saß soeben auf dem Boden vor Vater's Schränkchen und hatte das gesamte Leben unserer Eltern vor mir. Das war wichtig, nicht all der Nippes aus der Wohnung. Allein die Briefe...
„Bin ich hier denn der Einzige, der sich für die persönlichen Gegenstände von Vater und Mutter interessiert?" Ich brüllte voller Inbrunst, so wie John Goodman in der klassischen Szene aus „the Big Lebowski". Ihr wisst schon, da wo er auf der Bowlingbahn die Knarre aus seiner Sporttasche holt, entsichert und sie dem Hippie auf die Stirn setzt, weil dieser angeblich übertreten hatte.
Ich hatte bereits eine erhebliche Menge an Fotos und Mappen sowie Taschen gesichtet und aus dem Schrank entnommen. Ich würde sie mitnehmen und einscannen. Das sagte ich zwischendurch auch irgendwann, wohl auch vor meinem Wutausbruch. Der Flohmarkt war da für mich schon längst gestorben, scheiß der Hund drauf. Es interessierte mich alles nicht mehr, ich wollte nur noch die wirklich wichtigen Sachen, die Fotos und sonstigen Unterlagen, sicherstellen und dann konnte mir das ganze andere Zeugs aus Mutters Wohnung gestohlen bleiben.

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