Mittwoch, 23. Januar 2019

Hartmudo: Mutter


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Am Montag rief ich Berta gleich nochmal an. Es ging jetzt schon um den Wohnungsflohmarkt, den Sunny und Reiner für den kommenden Samstag angeleiert hatten. Natürlich musste ich meiner Sestra noch von Reiners Anruf vom Sonntagabend berichten. „Jetzt schickt sie ihn schon vor", war Bertas spontaner Kommentar dazu.
Berta war in ihrer Abneigung gegen diesen Teil unserer Familie mittlerweile an dem Punkt angelangt, an dem sie den Namen von Reiner nicht mehr aussprechen wollte. Dies lässt auf unüberbrückbare Differenzen schließen. Meine Hoffnung, das wir uns alle irgendwann vielleicht doch noch einmal in die Augen schauen können, erhielt einen Dämpfer nach dem Anderen.
Aber zum Wohnungsflohmarkt. Berta würde natürlich zur Vorbereitung des Flohmarktes am Freitag mitkommen, doch am eigentlichen Flohmarkt am Samstag konnte sie nicht dran teilnehmen, weil sie da auf dem Braunschweiger Weihnachtsmarkt für die Rheumaliga alkoholfreien Punsch ausschenken würde. Jedoch würde Gundula oder Eveline für Berta als Vertretung einspringen.
Sowohl Berta als auch ich hatten nach dem ganzen Stress mit Sunny keine Lust zu der Aktion, zumal wir beide davon überzeugt waren, dass der Wohnungsflohmarkt nicht sehr viel bringen würde. Sunnys Einstellung, Mutter's Erbe nicht einfach so zu verschleudern, ist zunächst einmal löblich. Aber das Zerschlagen der Schmuckstücke unserer Mutter, welches vordringlich von Sunny betrieben wurde, entwertete das Engagement von Sunny vollkommen. Es ging jetzt lediglich noch darum, aus Mutters Wertsachen möglichst viel Kapital zu schlagen. Mutter hing an diesen Gegenständen, und wir wollten es jeder nur einfach nicht mehr sehen müssen, jeder von uns Dreien aus anderen Motivationen heraus.
Zum Schluss unseres Gespräches kam ich nochmals auf die Schlüsselszene beim Juwelier zurück, weil mich Bertas Meinung hierzu interessierte. Die verschwundene schwarze Abendtasche, die Berta ja angeblich unterschlagen haben sollte, hatte sich wie ein Wunder wieder angefunden. Sunny identifizierte sie auf der Theke beim Juwelier und Berta bekam es nicht mit.
Das hatte ich ihr am Vorabend erzählt, aber Berta war ja wie zugenagelt in ihrem Hass auf Sunny, das sie die Zusammenhänge gar nicht sehen konnte. Erst zum Schluss schien Berta es verstanden zu haben. In wieweit hatte Berta dies heute, einen Tag später, verarbeitet? So eine Information muss sich halt erst mal setzen.
Dachte ich und da dachte ich falsch. Berta wusste gar nicht, wovon ich überhaupt sprach. Sie verstand nur Bahnhof, als ich die Story noch einmal erzählte. Das gibt es doch gar nicht, nur einen Tag später hatte sie diese wesentliche Information einfach mal so eben vergessen. Nun war ich erst mal so richtig sauer und musste mich meinerseits extrem beherrschen, Berta nicht anzuschreien.
Der simple Zusammenhang zwischen der Abendtasche vom Dienstag mit dem Vorwurf der Unterschlagung und der schwarzen Tasche beim Juwelier am Samstag war von Berta offenbar nicht miteinander verknüpfbar. Ich war entsetzt über die geistige Verfassung von Berta; in diesem Zustand würde ich es mir dreimal überlegen, ob ich mich mit zu ihr in ein Auto setzen würde. Die ganze Chose hatte sie derartig übel mitgenommen, das sie selbst diesen einfachen Zusammenhang nicht mehr sehen konnte.
Ich würde das zumindest schon als eine Neurose betrachten. Sunny war für Berta vollkommen unten durch und ein schlechter Mensch. Berta konnte im Moment an nichts anderes mehr denken, so sehr hatte sie die Angelegenheit mitgenommen. Zwar schien Berta am Ende unseres Telefonates den Zusammenhang endlich begriffen zu haben, aber genau das hatte ich am Vorabend auch gedacht.
Da die Differenzen zwischen meinen Schwestern nunmehr unüberbrückbar waren, wollte ich mir noch rechtlichen Beistand sichern, um für alle Unwägbarkeiten gewappnet zu sein. Hierbei hatte ich nicht die Sorge, das Berta aus einem Dickschädel heraus querschießt. Bei Sunny hatte ich Sorge, das sie beim Verkauf der Wohnung auf den trüben Gedanken kommen könnte, das der Verkaufspreis zu gering sei.
Ihrer Ansicht nach waren Berta und ich aus Faulheit dazu bereit, Mutters Erbe einfach so zu verschleudern. Einen derartigen Spruch hatte sie zu diesem Zeitpunkt bereits abgesondert. Und obwohl Sunny mit diesem Vorwurf ein Stück weit Recht hat, kann ich den Vorwurf nicht so einfach durchgehen lassen. Sunny hörte irgendwo etwas von einem Marktwert von 145.000 € für die Wohnung von Mutter in dieser Gegend, aber das Angebotspreise keine Verkaufspreise sind, sollte nicht nur ein Briefmarkensammler wissen.
Sei es wie es sei. Für den Donnerstag, also dem 24. November, hatte ich einen Beratungstermin über meine Rechtsschutzversicherung bei einem Fachanwalt in Lebenstedt vereinbart. Dies erzählte ich Berta am Montagabend auch noch am Telefon, schließlich zogen zumindest wir beide an einem Strang. Selbst wenn ich mich mit Sunny noch gut vertragen hätte, aber nach den ganzen Aktionen wäre mir logischerweise nicht im Traum eingefallen, sie deshalb extra anzurufen.
Den Termin hatte ich am Donnerstag Nachmittag um 16.00 Uhr. Knapp zwei Stunden eher Feierabend an einem langen Donnerstag, das passiert mir sonst nie. Ich war dann auch pünktlich beim Rechtsanwalt und nach einer kurzen Wartezeit und einem ausgefüllten Fragebogen (wie beim Onkel Doktor!) saß ich am Schreibtisch, mir gegenüber ein entspannt wirkender Rechtsanwalt, der meiner Schilderung des Sachverhalts ruhig zuhörte und sich nebenbei fleißig Notizen machte.
Nachdem er den Sachverhalt erfasst hatte, schilderte er mir meine rechtlichen Möglichkeiten. Mir ging es doch in erster Linie darum, ein Blockieren des Verkaufs der Wohnung seitens Sunny verhindern zu können, weil die Wohnung angeblich mehr wert sein könnte, ohne dies konkret belegen zu können.
Meine Möglichkeiten sind hierbei stark limitiert. Da sagte mir der Anwalt nichts Neues, da ich mich vorher selbstverständlich im Netz informiert hatte. Ein vom Amtsgericht bestimmter Schlichter kostet zwar nichts, wird aber lediglich als Mediator tätig. Er hat keine Entscheidungsbefugnisse. Das bringt bei Sunny's Dickschädel gar nichts, das ist mit Jauch vergleichbar, wenn der Kandidat den Publikumsjoker statt des 50:50 nimmt.
Bleibt quasi nur eine Zwangsversteigerung, die aber richtig kostet. Wenn ich das wollen würde,müsste ich richtig Geld in die Hand nehmen. Die zu zahlende Vorleistung könnte ich hinterher nicht aus dem Verkaufserlös erstattet bekommen. Noch dazu wäre der wahrscheinlich erzielte Verkaufserlös in der Regel erheblich geringer als der Marktpreis.
Das waren ja schöne Aussichten. So blieben bei mir von dem Beratungsgespräch hauptsächlich zwei knackige Sprüche des Anwalts hängen. „Schnelles Geld ist gutes Geld" und „Ich habe kein Problem damit, für sie eine Erbstreitigkeit über Jahre zu führen. Ich verdiene gerne Geld."
So richtig erfreulich war dieses Gespräch ergo nicht gewesen, aber nichts desto trotz rief ich Berta abends erneut an, da ich ihr versprochen hatte, sie vom Ausgang des Gesprächs mit dem Anwalt zu informieren. Berta war leider nicht da, aber Bud konnte ich erreichen und ihm die Rechtslage schildern. Er zeigte sich nicht überrascht, aber zu meiner Freude hörte er aufmerksam zu. Ich konnte Bud anmerken, das auch er von der ganzen Angelegenheit genervt war und ein Ende herbeisehnte.
Zum dritten Mal erzählte ich jetzt die Geschichte mit der schwarzen Tasche. Bud verstand mich auch auf Anhieb, aber offenbar hörte er die Story jetzt zum ersten Mal. Meine Güte. Zweimal in den letzten Tagen hatte ich Berta diese Begebenheit beim Juwelier, wo Sunny die angeblich unterschlagene Tasche identifiziert hatte, erzählt. Beide Male schien Berta das doch noch verstanden zu haben.
Und jetzt müsste ich für mich notieren, das sie Bud hiervon wohl nichts erzählt hatte. Da hatte sie am Ende einfach nur signalisiert, das sie es verstanden hätte, bloß damit sie ihre Ruhe hat oder was. Ich war jetzt vollkommen entnervt und befürchtete für die morgige Vorbereitung des Wohnungsflohmarktes das Schlimmste.

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