Sonntag, 8. Juli 2018

H Lecter: Viktor

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Nach diesem anstrengenden Tag bei den Motorradfreaks mit den Knarren konnten wir nicht mehr weit gefahren sein und landeten an einem See. Der Tankum See wird es aber nicht gewesen sein, nehme ich zumindest an.
Wir bauten die Zelte auf, soffen in die Nacht hinein und so nach und nach verschwanden alle stinkbesoffen in den Zelten. Die Pullen und Dosen - Bier, Wein und auch Schnaps - hatten wir auf einen wohl schon ansehnlichen Haufen aufgetürmt. Die letzten Drei, die weit nach Mitternacht noch an der Flasche hingen, waren Viktor, die Dürre und meine Wenigkeit.
Gemütlich lagen wir auf unseren Decken in der Nähe des Sees; der Müllberg befand sich in Wurfreichweite hinter uns.
Wir hatten uns vorgenommen, in dieser wunderschön warmen Nacht draußen zu schlafen und hatten uns auch schon entsprechend positioniert. Mir war natürlich nicht entgangen, dass Viktor mit “Schlafen” etwas anderes als ich meinte, so wie er sich um die Dürre bemühte. Nun war ich auch damals schon kein wirklich Heiliger, aber mit diesem jungen Mädel (knapp vor der Volljährigkeit) konnte ich mir Sex nicht vorstellen.
Nicht, weil sie pottenhässlich gewesen wäre. Denn das war sie nicht gewesen. Sondern einfach nur, weil sie zu jung war. Weder Musik noch Politik - damals die wesentlichen Themen, um überhaupt ernst genommen zu werden - waren ihr Ding gewesen. Sie hatte im Heim vielleicht schon genug erlebt, aber für einen intellektuell eingebildeten Trottel wie mich wirkte sie sexuell nicht reizvoll. Ich wollte da eher der “gute Kumpel” sein.
Viktor war, solange ich ihn kannte, frei von diesen Einschränkungen. Er war da eher der natürliche Typ. Seine Stimme wurde von Minute zu Minute heller - der Wolf hatte Kreide gefressen. Das Mädel schien Viktor nicht wirklich ranlassen zu wollen und zeigte sich nicht unbedingt kuschelig, allerdings auch nicht abweisend gegenüber Viktor.
Irgendwann, das muss quasi im Morgengrauen gewesen sein, waren wir uns einig geworden, dass es jetzt eine gute Zeit zum pennen wäre. Und nein, das Mädel lag außen rechts, während ich den Linksaußen gab. Na logisch flätzte sich Viktor in der Mitte und nahm eine stabile Seitenlage ein.
Es wird jetzt sicherlich niemanden ernsthaft verwundern, wenn ich sage, dass sich Viktor nicht in meine Richtung gedreht hatte. In Richtung des Mädchens liegend, brabbelte er noch auf sie ein. Wobei... statt “Brabbeln” wäre “Säuseln” natürlich hier der zutreffende Begriff. Von dem Mädchen waren keine oder kaum noch Wortmeldungen zu vernehmen. Ich denke, sie war richtig hundemüde.
Viktor konnte seine Hände nicht ruhig halten. Sie gingen, wie von Geisterhand geführt, auf Wanderschaft und erkundeten die nähere Umgebung. Nicht die Wiese, nicht die Decke; der Körper des Mädchens war Viktors Angriffsziel. Und Viktors Stimme wurde immer sanfter, fast schon beschwörend redete er auf sie ein. Wahrscheinlich war sie allein schon von dem Klang seiner Stimme eingeschlafen.
Und dann geschah es: “Zufällig” stiess Viktor die Bierflasche, die zwischen ihm und mir in Brusthöhe geparkt war und nicht mehr zum Verzehr vorgesehen war, derart an, dass die Flasche genau in meine Richtung kippte und der schal gewordene Inhalt auf meine Decke floss, auf dass mir ein weiteres Liegen darauf und damit einer verdienten Nachtruhe nicht vergönnt war.
Natürlich war das Absicht. Viktor rechnete sich wohl bessere Chancen aus, wenn er mit dem Mädel allein dort liegen konnte. Denn eines möchte ich ausdrücklich betonen: Viktor war sicherlich kein Jesus in Menschengestalt, aber so ein Arsch, dass er das Mädchen vergewaltigt hätte, war er nicht.
Ich für mein Teil war jedenfalls stinksauer. Wutentbrannt stand ich auf und gröhlte herum. Viktor griff ich jedoch nicht direkt an, denn für seine Beweggründe hatte ich Verständnis. Doch da ich dank einer nassen Decke eh nicht mehr pennen konnte, schrie ich nur “ich geh jetzt schwimmen” und sprang ins Wasser.
Meine hektischen Bewegungen weckten das Mädel auf und motivierten sie, mir in das kühle Nass zu folgen. Während ich bereits auf das gegenüber liegende Ufer des Sees zuschwamm, konnte ich beim Umgucken sehen, dass mir das Mädchen folgte, während Viktor sich am Ufer aufsetzte und noch eine Flasche aufmachte.
Eins muss man Viktor lassen: Er wusste, wann Schluss war. Und wenn Ihr jetzt einen nicht jugendfreien Bericht über den weiteren Verlauf der nächsten Minuten erwartet, muss ich Euch enttäuschen. Wie bereits gesagt: Das Mädchen war mir zu jung und nicht mein Typ. Nett, aber nicht geil.
Was soll ich noch weiter sagen? Wir schwammen in einen herrlichen Sonnenaufgang hinein und setzten uns ans andere Ufer noch etwas hin, um zu labern. Das Mädchen war auch sichtlich froh, dass sie nicht “ran” musste, denn das war der Grund gewesen, weswegen sie mit mir in den Morgen hinein schwamm. Nicht, weil sie Angst vor Viktor hatte, sondern weil sie einfach nur Spass (ohne Sex) haben wollte. Und da war ich damals haargenau der richtige Typ gewesen. Außer für die Frauen, auf die ich (leider) abgefahren war, weil die zumeist nicht auf mich... aber das ist eine andere Story.
Als wir morgens auf dem Rückweg waren, konnten wir Viktor schon aus der Ferne sehen, wie er da saß und ein Bier kippte. Und Viktor war nicht allein, Kid Pit war natürlich auch schon munter und half Viktor beim Trinken.
An dieser Stelle: Kid Pit starb ca. eine Woche später als Viktor. Dieser Ausflug zu Pfingsten in die Heide war meines Wissens das einzige gemeinsame Erlebnis dieser beiden Menschen, mit denen ich jeweils schöne Momente erleben durfte und die mir im Laufe der Irrungen und Wirrungen des Lebens abhanden gekommen waren.
Über Kid Pit werde ich irgendwann einmal etwas schreiben, aber jetzt ist erst einmal Viktor an der Reihe. Ich erwähne Kid Pit hier explizit, weil ich auch noch über Angie berichten muss, da hatte ich ja vor geraumer Zeit wegen Onkel Hotte abbrechen müssen. Aber liebenswerte Menschen möchte ich wenigstens zeitnah würdigen, ehe ich sie hier vielleicht doch nicht mehr berücksichtigen kann.

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