Donnerstag, 23. November 2017

Hartmudo Spezial: Mutter

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Peter wartete anschließend schon im Zimmer der Pflegeleitung auf uns und erzählte noch etwas darüber, wie er Mutter in den wenigen Wochen, die sie in diesem Heim untergebracht war, erlebt hatte. Überdeutlich betonte er, das Mutter über uns Kinder nichts Schlechtes erzählt hatte. Normalerweise heißt das ja das genaue Gegenteil, aber angesichts des traurigen Anlasses verwarf ich jeglichen Gedanken in diese Richtung.
Gleich danach kam der exalminierte Altenpfleger Peter zur Sache. Das Zimmer musste ja geräumt werden. Wir hatten wohl noch bis zum Wochenende Zeit, um die persönlichen Gegenstände aus dem Zimmer zu nehmen. Andernfalls würde der Oktober noch bezahlt werden müssen. Das sollte ja nicht das Problem sein.
Was jetzt allerdings noch sofort geregelt werden musste, war der Abtransport der Leiche. Peter fragte uns nach dem beauftragten Bestattungsunternehmen. Da konnten wir ihm keines nennen, diesbezüglich hatte Mutter keine Vorkehrungen getroffen. Somit standen wir auf dem Schlauch, doch Peter hatte da natürlich eine Idee.
Doch vorher rief ich schnell den Bestattungsunternehmer in Steinhude an, der Walter seinerzeit betreut hatte. Der ging auch ans Telefon, zeigte aber wenig Interesse an einem Auftrag. Zurecht wies er mich darauf hin, das die Anfahrt nach Braunschweig ziemlich weit und damit teuer sei. Warum sein Vater (aha!) diesen Auftrag für Walters Beisetzung seinerzeit angenommen hatte, vermochte er nicht mehr nachzuvollziehen.
Nach dem Auflegen griff ich zu den gelben Seiten, die Peter mir gegeben hatte. Die brauchte ich jedoch nicht, denn wie gesagt: Peter hatte da eine Idee. Er empfahl uns das Institut „Zur Ruhe", welches ich hiermit namentlich erwähne, denn sie sollten ihre Sache gut machen, wie wir später feststellen durften. Soviel vorweg. Gesagt, getan. Ich rief das Unternehmen im Donnerburgweg an, gab den Hörer an Peter weiter, der dem Bestatter noch einige Einzelheiten erklärte, und schon war der Auftrag erteilt.
Ich bekam den Hörer zurück und vereinbarte mit dem Bestatter einen Termin für den späten Nachmittag an diesem Tag, um alles weitere zu regeln. Ob Vier oder Fünf Uhr weiß ich schon nicht mehr, aber ich würde dort mit meinen Schwestern auflaufen. Zum Abschluss gaben wir Peter noch die Krankenversicherungskarte in die Hand, den Personalausweis hatte er schon.
Zum Glück hatte ich schon vor Wochen eine Geburtsurkunde von Mutter von der Stadt Holzminden angefordert. Die bräuchte nämlich der Bestatter, wie er mir am Telefon schon erklärte. Die Heiratsurkunde würden wir nachreichen können. Wir drückten Peter zum Abschied noch die Flosse und gingen dann an den Debilen vorbei nach Draußen, wo Reiner mit meiner Löwin und Bud auf uns warteten.
Ganz kurz tauschten wir uns noch aus und fuhren dann erst einmal nach Hause. Wenn ich mich richtig erinnere, war Sunny nachmittags zum Bestatter nicht mitgekommen, weil Berta und ich dies auch zu zweit erledigen konnten. Sunny hätte dann wieder alleine nach Rüningen zu Berta fahren müssen. Da sie, genau wie Berta und ich, traurig und niedergeschlagen wirkte, mussten wir Sunny das nicht zumuten. Das kriegten wir auch alleine hin.
Zuhause beschäftigte ich mich irgendwie, suchte noch Papiere zusammen, vor allem die Geburtsurkunde. Zum Nachdenken, Trauern hatte ich nicht die Ruhe, jetzt waren die nächsten Schritte zu planen. Gerade erst vor 2 Tagen war ich bei der Trauerfeier von Jopi's Vater gewesen, daher hatte ich eine ungefähre Vorstellung von dem, was wir jetzt organisieren mussten.
Wie am Vormittag vor der Tür des Heims vereinbart, holte ich Berta aus Rüningen mit dem Polo ab. Es war eine ruhige, stille Autofahrt über die Tangente ins Siegfriedviertel. Auch der Sonnenschein und die milden Außentemperaturen besserten unsere Stimmung nicht. Berta und ich fühlten uns irgendwie niedergeschlagen, aber doch erleichtert, weil Mutter endlich erlöst wurde und nicht so ewig lange leiden musste wie die Mutter meiner Löwin.
Mutter hatte auch bei meinem letzten Besuch noch einmal betont, dass sie „keine Lust" mehr habe. All unsere Versuche, sie aus ihrer selbst auferlegten Lethargie zu reißen, waren vergeblich gewesen. Ohne ihre Reisen war sie des Lebens überdrüssig geworden. Sie wusste es wohl, das es zu Ende ging. Und an anderen Menschen hatte sie eh noch nie Interesse gezeigt, daher brachte sie die Energie nicht mehr auf, um sich im Heim zu integrieren bzw. Bekannte zu finden. Ewig nur das Reisen in ferne Länder, nicht der zwischenmenschliche Kontakt zu Familie oder Freunde (was ist das?), war ihr Lebensinhalt.
Dieses Lebenskonzept ist meiner Löwin und mir fremd, auch meine Schwestern nebst Anhang sind nicht so drauf. Zusätzlich haben wir - zumindest meine Wenigkeit - instinktiv ein Netzwerk von Freunden, meinetwegen auch Bekannten, aufgebaut. In diesen Gedanken versunken, fuhren wir beim Beerdigungsinstitut vor.
Würdevoll öffnete uns der Bestatter, ein großgewachsener Löke, die Tür und bat uns herein. „Zur Ruhe" - wie passend zu den Räumen. Betende Hände und die üblich christlichen Memorabilia hingen an der Wand. Wenigstens blieb uns die von mir befürchtete leise Klaviermusik im Hintergrund erspart. Das nervige Geklimper hätte nur einen nicht angemessenen Kitsch in dieses Treffen gebracht.
Der Bestatter war schon im schwarzen Anzug mit dunklem Schlips bekleidet, nervte aber wenigstens nicht mit einem gespielt traurigen Gesichtsausdruck. Er täuschte uns dankenswerterweise auch keine Trauermiene vor, sondern war sehr sachlich und ruhig. In einem etwas größeren Besprechungsraum setzten wir uns.
Zuerst berichtete er uns, was er zuvor schon alles veranlasst hatte. Mutter lag jetzt wohl im „Ruheraum", sprich Kühlschrank seines Beerdigungsinstituts. Wir übergaben ihm die notwendigen Papiere, die Urkunde über die Hochzeit würde Berta noch nachreichen müssen. Anschließend berichteten wir ihm von Mutters Wunsch einer Seebestattung.
Die führt er logischerweise nicht selbst aus, hat aber Partnerunternehmen in Travemünde und würde das in die Wege leiten. Er sagte uns auch gleich, das die Trauerfeier in Melverode, die von uns drei Geschwistern einhellig befürwortet wurde, spätestens Donnerstag oder Freitag stattfinden würde.
Er empfahl uns, das Gespräch mit dem Pastor möglichst kurzfristig anzusetzen. Den Sarg und den Kranz mit einem einfachen Text besprachen wir nicht sehr lange, denn in diesem Punkt hatten wir keine Sonderwünsche. Eine Todesanzeige war ebenfalls noch zu fertigen, hier zeigte er uns einige bewährte Muster. Wir entschieden uns hier auch für eine eher schlichte Variante, denn übertrieben schwülstige Bibelsprüche hätte Mutter sicherlich nicht gern gehabt. Und in der Anzeige musste der gesamte Familienstammbaum eben nicht aufgezählt werden.
Den genauen Text wollten wir uns später mit Sunny zusammen überlegen, auch wenn es wegen der kurzen Zeit nur telefonisch sein würde. Nachdem alles ungefähr geklärt war, verabschiedeten wir uns. Ich fuhr Berta nach Hause und machte selbst an dem Tag nicht mehr viel. Wahrscheinlich hatten meine Löwin und ich abends noch Fernsehen geguckt. Kein Zusaufen und Gespräche über die Verstorbene wie z.B. beim Tode meines Vaters, zumindest dem Tag, an dem ich von seinem Tod erfuhr, aber das ist eine andere Geschichte. Zumal mich mein Arbeitgeber am nächsten Tag wieder sehen wollte.

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