Mittwoch, 20. Juli 2016

Uncle Fester: grad gelesen Juli 2016

Thomas Carl Sweterlitsch – Tomorrow & Tomorrow
Mal wieder ein Erstlingsroman und der Autor hat auch eine schöne Idee, Second Life lässt grüßen.
Eine nahe Zukunft: Durch einen atomaren Terroranschlag wurde Pittsburgh vollkommen zerstört. In einer Welt, in der die Menschen mittels einer im Kopf implantierten Adware ständig mit dem Internet verbunden sind, gibt es für die Überlebenden dieser Katastrophe die Möglichkeit, sich in eine Simulation von Pittsburgh einzuwählen, die virtuell aus den bestehenden Datenbeständen eines Archivs gespeist wird.
Und diese Simulation ist die Wirkungsstätte der Hauptperson dieses Romans. Der Privatdetektiv John Dominic Blaxton prüft Schadensansprüche an Versicherungen von Hinterbliebenen der Toten von Pittsburgh. Unter Zuhilfenahme von Drogen taucht er ganz tief in das virtuelle Pittsburgh ein und ist der beste seines Fachs.
Die Tragik des John Dominic Blaxton ist jedoch die Trauer um seine beim Anschlag gestorbene Frau, die er nicht überwinden kann. Ständig durchlebt er nochmal die schönen Stunden mit ihr; ja er lebt eigentlich nur in der Simulation. Die Realität ist ihm egal. Dieses Szenario erinnert stark an den Film „Surrogates“ mit Bruce Willis und natürlich an die Welten eines Philip K. Dick.
Zu Beginn der Story wird Blaxton unter Einfluss der Droge verhaftet und landet dank seiner Drogenabhängigkeit im Entzug. Seinen Job ist er natürlich auch los. Dank seines Therapeuten Timothy bekommt er aber wieder einen Job. Für den Unternehmer Waverly soll er die Daten von dessen Tochter Albion wiederherstellen. Irgend Jemand verwendet sehr viel Energie darauf, Albions Daten aus dem Archiv zu löschen.
Bei seinen Ermittlungen wird er von dem Kriminellen Mook, einem Freund von Albion, unter Druck gesetzt, die Suche nach Albion aufzugeben. Mook droht im Auftrag von Albion mit der Auslöschung der Daten von Theresa, der Frau von Blaxton. Irgendwann ist Mook tot und Theresa ausgelöscht. Aber dafür ist Albion nicht tot. Als Blaxton Albion in der realen Welt findet, ändern sich gut und böse.
Albion ist das Opfer und wurde als Kind von Timothy und Waverly in ein christliches Haus verschleppt. In dieser Sekte wurde sie mehr oder weniger als Sexobjekt gehalten und einer christlichen Gehirnwäsche unterzogen. Später half sie dann, andere Mädchen anzuwerben. Sie musste Timothy heiraten und konnte irgendwann mit der Hilfe von Mook fliehen. Jetzt fürchtet sie die Rache von Timothy und Waverly.
Blaxton hatte Filmmaterial über den bestialischen Mord an dem Mädchen Hannah an seinen Cousin Gav geschickt. Das schickt er am Ende des Romans an CNN. Durch die Veröffentlichung werden Timothy und Waverly bloßgestellt und enden in einer der permanent laufenden Enthauptungsshows, in denen die amerikanische Präsidentin im elisabethanischen Kostüm die Hinrichtung höchstpersönlich abnimmt.
Der Schluss mit der Hinrichtungsshow klingt in dieser Zusammenfassung krass. Tatsächlich tauchen diese Szenen im Buch öfters auf. Die dadurch aufgezeigte Gesellschaft ist die negative Fortführung unserer heutigen Konsum- und Medienlandschaft. Dies steht im Roman aber leider nicht im Vordergrund, sondern ist nur Begleitmusik für die nicht wirklich originelle Kriminalstory. Schade, denn die Science Fiction Elemente sind gut herausgearbeitet.
Wenn Sweterlitsch diese gesellschaftskritischen Elemente zukünftig mehr in den Vordergrund stellen sollte, kann er ein Großer dieses Genres werden.


                      

Frank Goosen – Radio Heimat: Geschichten von zuhause 

Der lag schon länger bei mir rum. Aber nach der diesjährigen BiRe im Ruhrpott, bei dem Hartmudo irgendwann neben einem unnahbaren Goosen in der Kneipe stand, forderte Hartmudo mich auf, dieses knapp 200 Seiten leichte Teil zu lesen. Nach anfänglichem Widerwillen war ich dann doch begeistert.
Das ganze Buch ist eigentlich nichts weiter als eine Ansammlung von Anekdoten aus dem Leben des Frank Goosen. Kindheit, Jugend. Das Erwachsenwerden und Erwachsensein, alles wird pointiert geschildert. Auch Freunde und Verwandtschaft, wie Omma und Oppa, werden hier schön skizziert. Herausgekommen ist eine liebevolle Milieustudie über die Menschen im Pott, die in Geschichten von maximal 10 Seiten, zumeist erheblich kürzer, erzählt wird.
H Lecter oder auch Hartmudo könnten jetzt auch rangehen und ein Best Of ihrer Beiträge als Buch veröffentlichen. Ein Lektorat vorausgesetzt, wäre das Ergebnis qualitativ auch nicht schlechter als dieses Buch von Goosen. Allerdings wirkt sich der Name Goosen verkaufstechnisch erheblich besser aus.
Schön kurzweilig, dies Buch. Aber Goosen kann mehr.
 

Bernd Cailloux – Das Geschäftsjahr 1968/69  
Tesla lieh mir dieses Buch kürzlich mal aus, das ich von alleine nie gelesen hätte. Ein Buch zur rechten Zeit, heute so aktuell wie eh und je.
1968 gründen 3 Freaks in einer Gartenlaube in Düsseldorf eine alternative Firma, ohne den ganzen bürokratischen Scheiß. Genossenschaftlich sollte es sein, jeder den gleichen Lohn erhalten usw. Sie entwickelten und bauten in dieser Laube Stroboskope für Diskotheken und Veranstaltungen. Der Erfolg kam rasend schnell und mit ihm die Veränderung.
Der smarte Büdinger reißt schließlich die Firma an sich und steigert dank marktwirtschaftlicher Methoden wie einem Prozessoptimierer die Produktion und damit seine Gewinne. Der verkopfte und weinerliche Ich-Erzähler wird erst in die Dependance nach Hamburg verschoben und ist am Ende komplett draußen. Seinen Traum vom gerechten Kollektiv träumt er am Ende schließlich nur allein, alle anderen Figuren, die nach und nach in die Firma eingesickert waren, haben sich mit der Situation arrangiert. Und Geld regiert die Welt, da kann man bekanntlich nichts machen.
Der wichtigste Charakter für mich ist aber Bekurz, der Erfinder und Entwickler der Stroboskope. Während Büdinger und der Ich-Erzähler ihren Kopfmüll ausleeren, ist er der Einzige, der überhaupt Plan hat und tatsächlich arbeitet. Vor lauter Arbeit merkt er nicht, wie er von den anderen beiden verarscht wird. Wie im richtigen Leben halt – im Kleinen wie im Großen.
Der Ich-Erzähler stolpert in eine Drogenkarriere hinein und steigt aber rechtzeitig aus, als seine „Mitstreiter“ wie z.B. Indien-Gerd junkiemäßig vor die Hunde gehen. Bei Regine, die ihn zuerst boshaft als Hippie-Businessman tituliert, findet er einen sicheren Hafen. Ihre Liebe hält sogar sein Kopfkino aus, was mir dagegen von Seite zu Seite schwerer fiel. Doch gerade deshalb hat mich dieser Roman so aufgewühlt.
Denn die Parallelen zu den Zeiten des Internetbooms in den 90ern sind frappant. Ach, was sag ich: Auch an meine Jugend(lich)zeit Anfang/Mitte der 80er musste ich denken, da ich solche Abläufe auch in meinem Umfeld beobachten konnte. Idealisierte junge Menschen wollen „die Welt retten“. Gerecht soll es zugehen. Und jedes Mal wieder verkennen die Gutmenschen die wahre Natur des Menschen, der eben nicht edel und gut ist, sondern gierig und faul.
Allein deshalb scheitern alle noch so gut gemeinten Versuche alternativer Lebensweisen und Wirtschaftssysteme früher oder später sowohl am Egoismus Einzelner wie auch an der Bequemlichkeit der Beteiligten. Cailloux beschreibt dies vortrefflich mithilfe des Ich-Erzählers, der schwadroniert und schwadroniert, aber selbst nicht wirklich was auf den Kasten hat oder auf die Reihe kriegt, von der Überwindung der Drogensucht mal abgesehen.
Ein lehrreiches Buch also für all die Leute, die fälschlicherweise an das Gute im Menschen glauben und immer noch meinen, das es eine gerechte Gesellschaft geben könnte.

Henning Venske – Lallbacken
Der Altmeister des politischen Kabaretts. Sich von Ministerium zu Ministerium abarbeitend, listet er penibel alle kruden Handlungen der jeweiligen Minister seit Ende der 90er Jahre auf. Das ist sehr amüsant zu lesen, ich las es als Gute Nacht Lektüre vor dem Einschlafen.
Inhaltlich bleibt da natürlich nicht allzuviel haften, dazu sind es einfach zu viele Fakten. Die meisten waren mir auch schon bekannt, so dass sich der Aha-Effekt nicht einstellen wollte. Auch sind Venske`s eigene Schlussfolgerungen bzw. imaginären Fragen sehr intellektuell gehalten.
Dafür wiederum wurde ich gut unterhalten. Das hat er immer noch drauf, der Henning. Und schön böse ist er nach all den Jahren trotzdem geblieben, der alte Sack. Dafür meinen Respekt.

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