Donnerstag, 8. Mai 2014

H Lecter: Weg nach Salzgitter 2/5

Nach ca. 4 Wochen mußte ich aber turnusmäßig in eine andere Abteilung des Jugendamts wechseln. Dort war reine Sozialarbeit angesagt. Was die allerdings gemacht hatten, weiß ich nicht mehr und hatte ich eigentlich auch damals nicht wirklich mitgekriegt, denn ich stellte mich gleich am ersten Tag dort richtig vor:
Am Abend vor jenem Tag hatten wir nämlich eine schöne Dokorunde zusammen. Wir spielten bei Ulli im Cyriaksring, dessen 40qm großes Wohnzimmer war da ideal. Einen Billardtisch gab es ja auch noch in der Wohnung. Außerdem gab es zu jener Zeit ganz neu 0,5 Liter Dosen von Budweiser oder Pilsener Urquell bei Penny. Zum Doko also jeweils eine Palette von beiden – ich trank das Budweiser mit der schönen roten Schrift auf weißer Dose. Leckeres Bier, ein bißchen stärker eingebraut halt.
Wir waren hellauf begeistert von den natürlich gut gekühlten Dosen, so dass die Stimmung sehr gut war. 20 Pfennig pro Punkt und einige Raketen taten ihr Übriges, um den Abend als gelungen bezeichnen zu können. So zwischen zwei und drei Uhr wackelte ich dann nach Hause, schließlich wohnte ich direkt um die Ecke.
Am „nächsten“ Morgen – so nach ca. 2-3 Stunden erholsamen Schlaf – ging ich daraufhin zum Jugendamt zu Fuß. Ich ging immer zu Fuß dorthin, aber an jenem Tag war es dann doch etwas Besonderes: Erstens schlurfte ich mehr schlecht als recht und zweitens sollte ich ab diesem Morgen in einer anderen Abteilung hospitieren. Dort, wo richtige Sozialarbeit verrichtet wird. Aber was genau, wie gesagt…. Ich weiß es nicht mehr.
Jedenfalls zündete ich mir auf halbem Weg vorsichtshalber erstmal eine Rakete an. Kurz vor dem Jugendamt waren die 3 Stufen ausgebrannt und auf einmal fiel mir ein: Was habe ich da gemacht? Ich hatte doch noch nie – auch nicht in der Ausbildung – nach dem Aufstehen vor einem Arbeitsbeginn eine Rakete gezündet.
Auch ansonsten fühlte ich mich wie in Watte eingepackt. Sämtliche Geräusche schienen aus größerer Entfernung zu kommen und schnelle Bewegungen waren so gar nichts für mich. Ich ging „schnell“ ins Jugendamt zur neuen Abteilung; Dort dann zuallererst auf die Toilette. Ein Blick in den Spiegel offenbarte mir eine Person, die ich noch nie in meinem Leben zuvor gesehen hatte.
Ein aufgedunsenes Gesicht mit Wülsten unter den Augen blickte mich an. Ein knallrotes Gesicht, wohlbemerkt. Das Budweiser hatte eindeutig seine Spuren hinterlassen. Ich hatte noch nicht einmal einen Schädel. Alles wirkte einfach nur dumpf.
Mit Todesverachtung stellte ich mich der neuen Situation. Das heißt, ich stellte mich vor. Bei den Sozialarbeitern mit den Gesichtspullovern und Filzlatschen. Sie hatten auch gleich eine Besprechung an dem Morgen, der ich beiwohnen durfte. Wobei … Beischlafen trifft es wohl eher, denn ich konnte dem Ganzen nicht so recht folgen und schlief mit offenen Augen.
Hierauf war ich noch jahrelang später stolz wie Bolle. Heute weiß ich: Offene Augen? Wohl eher permanente Schübe von Sekundenschlaf.
Dies blieb den Sozialarbeitern natürlich nicht verborgen. Sicherlich waren sie zu cool, um mich direkt darauf anzusprechen. Aber außer dem Eintüten von Stundenplankartons für die einzelnen Schulen (immer 50 Stundenpläne in einen großen Umschlag pro Schule) gaben sie mir nichts zu tun und beteiligten mich auch nicht an ihrem Tun. Maximal für 5 Schulen pro Tag übrigens, denn mehr konnte der Postbote nicht schleppen.
Die ganzen 2 Wochen lang war das quasi meine einzige Aufgabe. Ich hatte dann noch nicht mal Sachbearbeitung von der Heimunterbringung zu erledigen, weil die ältere Sachbearbeiterin zu dem Zeitpunkt noch gesund war. Und selbst als ich die Stundenpläne einzeln in den Umschlag packte, war ich nach ner Stunde fertig.
Konsequenterweise führte das zu ausgiebigen Mittagspausen meinerseits, die ich zum Billardspielen mit Ulli oder einem Besuch bei Gabi oder Salzmann nutzte.
Wie schon gesagt, kommuniziert wurde von den Sozialarbeitern nichts. Die eitlen Fatzkes hatten mich einfach ignoriert. Falls sie sich daran gestoßen haben sollten, dass ich am ersten Tag wie ein Heckenpenner dort auflief, haben sie es mir nicht verraten. Aber sonst immer von offener Sozialarbeit labern! Für mich ein weiteres negatives Erlebnis mit dieser Berufsgruppe.
Ich selbst fuhr ja auch während des Praktikums abends weiterhin meine Schichten bei City Car, wenn auch nicht mehr wie sonst die Nächte durch. Dadurch hatte ich auch weniger Geld und war dementsprechend gut drauf.
Denn während meine Mitkommilitonen zerknirscht waren, das sie in den Semesterferien wegen des Praktikums nur eine Woche in den Urlaub fahren konnten, durfte ich mich abends auf den Bock setzen, um wenigstens die Miete und den Kühlschrank einzufahren. Und das Geld für die Woche Urlaub danach …
Umso größer war dann natürlich meine Freude, als ich dann von den Sozialfuzzis wegkam und wieder zurückkonnte in meine „alte“ Abteilung, um den Laden dort nicht ganz absaufen zu lassen.
Und als krönender Abschluß noch die Eskalation mit der Stoffregen. Wunderbar. Die Stadtverwaltung hatte in mir über mehrere Wochen eine billige Arbeitskraft, aber ich war das Arschloch. Diese Art von Doppelmoral hatte mich fortan jahrelang von einer Tätigkeit in der Verwaltung abgehalten.

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