Donnerstag, 21. November 2013

Hartmudo: Herr Hildebrandt

Am 20. November 1985 veröffentlichte die Fa. Microsoft die erste Version ihres Betriebssystems Windows. Am 20. November 2006 lief in der Geschwister Scholl Realschule in Emsdetten ein ehemaliger Schüler Amok, verletzte 37 Menschen und tötete sich anschließend selbst.
Aber das nur am Rande.
Am 20. November 1956 wurde Olli Dittrich und am 20. November 1974 Kurt Krömer geboren. Beide sind anerkannte Größen des deutschen Humors und mehrfach preisgekrönt. Aber dem Mann, der am 20. November 2013 in München verstarb, können sie nicht mal zusammen das Wasser reichen.
Der am 23. Mai 1927 im niederschlesischen Bunzlau geborene Dieter Hildebrandt hat bis zuletzt das politische Kabarett in der Bundesrepublik Deutschland geprägt wie kein zweiter. War es Schicksal der BRD oder eine Ironie der Geschichte, dass dieser Staat mit der Verkündung des noch heute geltenden Grundgesetzes am 23. Mai 1949 an Hildebrandts
22. Geburtstag gegründet wurde?
Denn die Geschichte der Bundesrepublik ist untrennbar mit dem Kabarettisten Dieter Hildebrandt verbunden. Und es gibt viele und immer vieler, die den Tod von Dieter Hildebrandt mehr betrauern, als es ein Staatsbankrott oder eine Staatsauflösung der Bundesrepublik Deutschland vermag.
Schon als Kind sah ich mit meinen Eltern zusammen die Silvestersendungen. „Schimpf vor Zwölf“ war sehr witzig. Die Zuschauer vor der Bühne schienen sich gut zu unterhalten und lachten viel. Also lachte ich auch. Ich verstand zwar als gerade Eingeschulter die ganzen politischen Gags nicht, lachte aber trotzdem. Weil alle lachten.
Und trotzdem CDU wählten. Es ist halt nach wie vor merkwürdig: Wenn alle diejenigen, die Hildebrandt und Co gut fanden und herzlichst lachten und schrien: „So isses, so isses!“, ihr Kreuz allein bei den Bundestagswahlen entsprechend gesetzt hätten, wäre uns viel erspart geblieben.
16 Jahre Kohl beispielsweise. Oder wir hätten gar Oskar Lafontaine als Kanzler 1990 bekommen(!) – man stelle sich das nur mal vor. Stattdessen kam es so wie es kam. Hildebrandt und Co wurden überwiegend umjubelt, aber der „Deutsche Michel“ wählte weiterhin die CDU. Schließlich ging es ja immer aufwärts – zumindest für die, für die es immer aufwärts ging.
Die Anderen, für die abwärts ging oder die unter einem Gerechtigkeitswahn litten, die sogenannten Sozialromantiker also, ja für die blieb in den 50ern bis in die 70er hinein u.a. das politische Kabarett im Fernsehen.
Die Münchner Lach und Schieß, in den 70ern „Notizen aus der Provinz“ und der „Scheibenwischer“ ab 1980 waren im rein öffentlich-rechtlichen Fernsehprogramm Highlights. Man kann sogar mit Fug und Recht sagen, diese Sendungen stellten die einzige sichtbare politische Opposition gegen die immer mehr um sich greifende Automatisierung und Kommerzialisierung der Gesellschaft dar.
Spätestens Mitte/Ende der 80er jedoch änderte sich das leider. Dank RTL und SAT 1 und der gewonnenen „Programmvielfalt“ fiel das politische Kabarett nicht mehr so ins Gewicht. Auch Hartmudo war so Einer, der spätestens in den 90ern mehr und mehr die Comedians schaute. Weil sie bunter und schriller waren. Und für Diejenigen, für die es abwärts ging, waren RTL Samstag Nacht oder auch die Wochenshow eh die leichtere Kost. 2, 3 Bierchen zur Sendung und Montags zum Amt – Geld holen. Dieses Klischee hält sich bis heute.
Dieter Hildebrandt war während dieser ganzen, trüben TV Zeit auf Sendung. In erster Reihe kämpfte er mit dem Scheibenwischer unermüdlich weiter gegen die Windmühlen Bertelsmann und Kirch/Springer an. Er wußte, dass er nicht gewinnen konnte. Von Jahr zu Jahr wurde er verbitterter und bissiger, aber er gab nie auf. Und blieb dabei doch stets charmant und freundlich.
Und wie harmlos, ja fast schüchtern betrat er die Bühne. Das machte er 1956 bei der von ihm gegründeten Münchner Lach- und Schießgesellschaft so. Und auch beim „Rentner-Rap“ 2011 oder 2012 bei „Neues aus der Anstalt“ – einem letzten Höhepunkt von Hildebrandt im deutschen Fernsehen.
Er versprach sich scheinbar unbeabsichtigt und erzeugte so die Lacher, die einem mehr und mehr im Halse stecken blieben, je länger seine Nummer dauerte. Lauter, aggressiver wurde er gern während einer Nummer. Nicht selten endete eine Nummer im Zorn – Schmickler oder Georg Schramm haben dies später verfeinert. Mal kam ein verschmitztes Lächeln durch, eine Verharmlosung oder Verniedlichung gar. Volker Pispers beherrscht dies heutzutage perfekt. Er konnte sich in eine künstliche Wut hineinsteigern und dann Politiker verhöhnen, verspotten. Mit Schimpfnamen belegen und sie so der Lächerlichkeit preisgeben. Urban Priol wird da schon sichtbar.
Und das ist das Vermächtnis von Dieter Hildebrandt: Die soeben genannten politischen Kabarettisten hat er geprägt und immer gefördert. Der Rentner Dombrowski alias Georg Schramm erblickte im Scheibenwischer bei Hildebrandt die Welt. Ein schönes frühes Video von Priol und Hildebrandt habe ich verlinkt. Andere wie Barwasser (Pelzig), Hagen Rether oder auch Max Uthoff sind auch noch da, um das Erbe eines Hildebrandt zu ehren.
Wenn man sich die Mühe macht, alte Aufnahmen der Lach und Schieß mit Klaus Havenstein, Jürgen Scheller, Achim Strietzel, Ursula Noack, Hans-Jürgen Diedrich (der einen Olli Dittrich selbst jetzt noch alt aussehen läßt) oder Horst Jüssen, Rainer Basedow, Henning Venske anzuschauen, merkt man schnell, dass Hildebrandt kongeniale Mitstreiter hatte. Auch diese wurden immer durch ihn gefördert und durch ihn unsterblich.
So wie Dieter Hildebrandt selbst.
Allein der „Herbie“ aus Kir Royal ist so genial. Dieser unscheinbare Normalo mit der Nickelbrille wirkt so harmlos und ist gerade deshalb so gefährlich. Eigentlich konnte man ihm nicht böse sein, so freundlich, wie er immer rüberkam. Zumindest am Anfang einer Nummer.
Trotzdem wurden einige Sendungen in seiner Heimat Bayern aus dem Programm genommen, weil sich die dort allmächtige CSU auf den Schlips getreten fühlte. Scheibenwischer über „Rhein Main Donau Kanal“ oder die Sendung über Tschernobyl – stets war offenbar die FDGO in Gefahr. Hildebrandt war der Einzige, der dies schaffte. Und wenn sich heute Seehofer oder Merkel hinstellen und den Tod von Hildebrandt heuchlerisch bedauern, sagt dies mehr über den Zustand dieser Republik aus als 1000 Statistiken.
Ich werde Dieter Hildebrandt vermissen. Aber nicht verzweifeln, weil die „Botschaft“ von Pispers, Schramm und Co weitergetragen wird. Was bleibt, sind diverseste Aufnahmen seiner Programme und Sendungen, die auch bis zu 50 Jahre später erschreckend aktuell sein können.
Wenn ich eines von Dieter Hildebrandt übernommen habe, dann ist es die Art, die Welt zu sehen. Kritisch, aber immer menschlich verständnisvoll.
Herr Hildebrandt, ich danke Ihnen dafür. Und für alles Andere.

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