Nach
dem Tod meines Vaters lernte Mutter Walter 1994 kennen. Sether hatte
ich Walter all die Jahre schätzen gelernt. „Udo, mein Freund“.
So sprach er mich stets fast 20 Jahre lang an, bis er am 12. Mai
diesen Jahres in der Klinik Salzdahlumer verstarb.
In
all den Jahren seit 1994 hatten wir viel Spaß. Ich erinnere mich
gern an unsere Reise nach London, bei der ich quasi als „Übersetzer“
fungierte. Anläßlich einer zweiten Reise fuhren wir in dem Zug von
London nach Paris im Tunnel unter dem Ärmelkanal. Walter und ich
nutzten die Tunnelfahrt, um den Rotwein, den es umsonst gab, zu
vernichten.
Überhaupt
haben wir beide immer gern einen zusammen getrunken. Stolz berichtete
ich im Freundeskreis, wenn Walter mich wiederholt „unter den Tisch“
getrunken hatte. Da war er schon weit über 80; auch noch mit Anfang
90 konnte er ordentlich Gas geben.
Meine
Löwin und ich gingen mit meiner Mutter und Walter jahrelang ca.
einmal pro Monat Essen. 3 Jahre davon mit Gutscheinen von Butlers
oder auch Flips. Trotz meiner Proteste ließ meine Mutter es sich
nicht nehmen, jeweils die Rechnung zu bezahlen. Vielleicht eine
Handvoll-mal hatte ich es geschafft, die Rechnung selbst zu
übernehmen.
Zu
Feierlichkeiten holten wir sie stets ab, insbesondere, als Walter vor
ein paar Jahren erblindete. Walter war voll in die Familie
integriert. Monatlich brachte ich ihm eine Kiste Bier in den
Seniorenstift, wo er eine schöne Wohnung hatte. Schnaps und Wein
brachte ich unregelmäßig vorbei.
Insgesamt
kann ich sagen, das mein Verhältnis zu Walter herzlicher als das zu
meinem Vater war. Wenn irgendetwas anlag, rief ich immer zuerst
Walter an. Erst Walter, dann meine Mutter. Fast 20 Jahre lang.
Im
Jahr 2000 hatte er mich gebeten, eine Vorsorgeverfügung für den
Fall seines Ablebens einzugehen, da er keine Kinder oder auch nur
nähere Verwandte hatte. Im August 2000 waren wir also beim Notar,
der diese Verfügung auch beurkundete. Damit einher setzte Walter ein
Testament zugunsten meiner Mutter auf. Der Notar beurkundete auch das
Testament.
Ich
war dabei, als Walter das Testament beurkunden ließ. Vorher saßen
er, meine Mutter und ich noch zusammen. Er übergab mir Unterlagen
und zählte die seinerzeitigen Vermögenswerte auf. Ich weiß noch,
das ich anläßlich dieser Beurkundungen auf Mutter eingeredet hatte,
ebenfalls eine Vorsorgevollmacht aufsetzen zu lassen, falls sie
hilflos im Krankenhaus liegen sollte. Sie hyperventilierte förmlich,
als ich ihr dies vorschlug.
So
war ich dann einerseits geschockt, andererseits auch gefaßt, als ich
auf Ediths Party vom bevorstehenden Tod von Walter hörte. Als ich am
nächsten Tag mit meiner Mutter und der Vorsorgevollmacht im Arm in
der Salzdahlumer auftauchte, bot sich mir ein grausiges Bild. Walter
lag auf der Seite, wurde intravenös ernährt und schüttelte sich
krampf- und schmerzartig.
Nach
dem Schlaganfall hätte jetzt eine Magensonde gesetzt werden müssen.
Hinzu wäre noch eine Maschine für die Lungenfunktion hinzugekommen.
Wie die Ärztin uns erklärte, war die Hirnschädigung irreparabel,
so dass er auf Dauer an irgendwelchen Maschinen hängen würde. Taub,
blind und stumm. Als sie die Vorsorgevollmacht durchblätterte,
überlegte sie auch nicht lange und ordnete die Abschaltung aller
Geräte an, um den Sterbevorgang nicht unnötig zu verlängern.
Meine
Mutter konnte dies aus Kummer nur schwer verstehen. Aber gerade
deswegen hatte Walter mich ja 2000 gebeten, diese Verantwortung zu
übernehmen. Für mich war dies keine Frage, sondern Ehrensache.
Am
nächsten Tag – Sonntagnachmittag – verstarb Walter dann. Ruhig
und friedlich, meinte die Schwester. Ich werde allerdings den
aufgerissenen Mund, der mich an das berühmte Gemälde von Edvard
Munch erinnerte, nicht vergessen. Er hatte seinen Frieden gefunden.
Jetzt galt es, die Wohnung aufzulösen, den Nachlaß zu regeln und
die Bestattung zu organisieren.
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