Sonntag, 23. November 2025

Hartmudo: Belgien

17
Und genau da setzte jetzt in Brüssel mein Deja Vu Erlebnis ein. Auf dem Fußweg zu der Polizeistation fühlte ich mich an den Jahreswechsel 2001/2002 erinnert. Meine Löwin war gerade äußerst wütend auf mich; meine Passivität ging ihr richtig auf den Zeiger. Mit vor Tränen erstickter Stimme fragte sie mich, warum ich so still sei und nicht irgendetwas sagen würde. Sie war also so richtig bedient.
Meine Gedanken kreisten und kreisten, ich war in dem Moment gar nicht fähig, eine Konversation zu betreiben. Augenblicklich verband ich 2001/2002 mit der aktuellen Situation. Beide Male alle Karten und Ausweise weg; Und vor 22 Jahren hatte ich meine Löwin kennengelernt, würde ich sie jetzt womöglich gar verlieren?
So bescheuert dies klingt - aber die Parallelität der Ereignisse drängte sich mir förmlich auf. Und während meine Löwin einem Nervenzusammenbruch nahe war, befand ich mich in einer üblen Schockstarre. Angst, etwas Falsches zu sagen oder zu tun.
Nur mühsam reagierte ich wie in Trance.
"Nimm sie in den Arm, Du Idiot! Sag was! Irgendwas!" Und gleich hinterher:
"Scheiße, war's das jetzt? Was mach ich dann nur?"
"Hey, Denk nicht immer nur an Dich. Hilf ihr. Mach was - Lass sie nicht mit ihrem Kummer allein."
Ich weiß nicht, wie lange das so ging. Während wir gingen - zur Polizeistation. Irgendwann schaffte ich es doch noch, mit dem Reden anzufangen. Ich stieg in ihre Überlegung mit ein, wo mir die Brieftasche geklemmt worden sein könnte.
Alles eher emotionslos und staubtrocken sachlich. Zu einem Scherz traute ich mich nicht, so etwas mache ich normalerweise gerne, um meine Löwin aufzuheitern, wenn sie traurig oder schlecht drauf ist. Doch meine Verlustängste ließen mich nicht los, nur mühsam bekam ich mich selbst wieder in den Griff.
Als wir die Polizeistation endlich erreicht hatten, hatten wir gedanklich alles durchgespielt gehabt. Will sagen, meine Löwin hatte die wahrscheinlichsten Stellen eines Diebstahls nach und nach aufgezählt, während ich dies dann zumeist nur noch einsilbig bestätigte, ohne selbst eigene Überlegungen einfließen zu lassen.
Das dichte Gedränge im Eingangsbereich oder vor dem Abstieg auf der stillgelegten Rolltreppe erschienen meiner Löwin als aussichtsreichste Stellen für einen Diebstahl. Auch mein dauerndes Herumhantieren an der U-Bahn Station, als ich die Brieftasche öffnen und den Fahrschein zum Ausstempeln hervorkramen musste, könnte einen Dieb schon interessiert haben.
Also hatte er dann die Verfolgung aufgenommen? Sehr gut möglich. Überhaupt hatte ich laut meiner Löwin permanent an meiner Brieftasche herumgenestelt; Unnötigerweise musste ich sie ja ständig aus der Tasche hervorziehen. Zuletzt auf der Bank bei der Lichtinstallation. Das war dann doch tatsächlich der letzte Moment gewesen, an dem ich die Brieftasche noch voll bewusst wahrgenommen hatte. All diese Spekulationen halfen aber nichts. Die Brieftasche war endgültig weg und wir betraten nun endlich den Ort, wo die uniformierten Beamten saßen.
Die Polizeistation bestand eigentlich aus einem weiß gestrichenen Innenraum, der uns eher an die Geschäftsstelle einer Versicherungsagentur erinnerte. Lediglich das Fenster mit der Durchreiche, welche die Verbindung zum eigentlichen Büro der Polizeistation darstellte, ließ auf die Funktion dieses Raumes schließen.
Wir traten also an die Glasscheibe und brachten der Polizeibeamtin unter Anliegen vor. Natürlich in unserem stark eingerosteten Schulenglisch, denn Französisch oder Flämisch beherrschen wir beide nicht. Mit "Händen und Füßen" mussten wir ein oder zwei Begriffe erläutern, aber insgesamt kamen keine Missverständnisse auf.
Die Polizeibeamtin verhielt sich sowohl emotionslos als auch unaufgeregt; Schon wieder Diebstahl einer Brieftasche beim Atomium? Keine große Sache. Fast schon gelangweilt schob sie mir das auszufüllende Formular unter der Glasscheibe der Durchreiche zu und hatte dazu auch noch einen Kugelschreiber am Start.
Ich wollte diese Aktion nur noch so schnell wie möglich hinter mich bringen und füllte das Formular gewissenhaft aus. Meine Adresse, die verloren gegangenen Papiere und eine kurze Schilderung des Tathergangs… das war es im Wesentlichen.
Meine Löwin hatte sich derweil nach draußen begeben; dieses Wechselbad der Gefühle (erst gut drauf während des Besuchs im Atomium, und dann von einer Sekunde zur anderen der Sturz ins Negative dank des Diebstahls meiner Brieftasche) musste sie für sich erst einmal in Ruhe verarbeiten. Beim Ausfüllen brauchte sie mir nicht zu helfen.
Stattdessen spähte sie die nähere Umgebung nach einem Restaurant aus; der ganze Stress war jetzt ohne Essen endgültig zu viel geworden. Ich musste nach der Rückgabe des Formulars noch etwas warten, bis die Polizeibeamtin alles gecheckt hatte und mir das abgestempelte Dokument über die Verlustmeldung aushändigen konnte.
Dieses Dokument benötigte ich als Persoersatz und zur Vorlage im heimischen Bürgerbüro, um den neuen Personalausweis beantragen zu können. Jetzt hatte ich alles getan, was zu tun war und konnte mich endlich aufs Essen konzentrieren.
Und zu diesem Punkt hatte meine Löwin in der Nähe einen Italiener entdeckt, bei dem sie ein Rumpsteak verzehren wollte. Dies brauchte sie nach dieser Aktion, das konnte ich gut verstehen. Für mich ist Essen bekanntlich eher eine Nebensachen, auf keinen Fall Balsam für meine Seele. Es sei denn Schokolade oder Chipsfrisch, da bin ich relativ einfach gestrickt.
Das Einzige, was für mich nach dieser Pleite im Atomium im Fokus stand, war meine Löwin. Ich hatte sie enttäuscht und dank meiner Unachtsamkeit ihren Tag verhagelt. Meine Frustration, dass ich in den nächsten Wochen eine Menge unnötige Wege erledigen musste, hatte ich in die hinterste Ecke meines Kopfes gepackt. Jetzt musste ich meine Löwin wieder gut drauf bringen; alles andere war zweitrangig.

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