Freitag, 23. Oktober 2020

Hartmudo: Mutter

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Nach dem Kaffee war es an der Zeit weiterzuziehen. Mein Weg führte mich ins Wolters im Heidberg. Quer durch das ganze Einkaufszentrum, kurz vor dem Schwimmbad, dort ging ich hin. Ein paar Meter daneben befindet sich die Filiale der Nord/LB. Hier war ich seit über 35 Jahren nicht mehr gewesen, ein idealer Ort also, um die elendig lange Wartezeit bis zum Termin bei der Bank zu überbrücken.
In dieser Kneipe hatte ich seinerzeit mit 16 oder 17 mein erstes Bier getrunken. Zu der Zeit befand ich mich in der Oberstufe der Raabeschule; diese befindet sich nur einen Steinwurf vom Einkaufszentrum entfernt. Unsere aus Polen stammende Englischlehrerin ging mit uns ins Wolters am Heidberg, wahrscheinlich war es das Ende dieses Kurses.
Für mich war es seinerzeit noch etwas schwierig, mich auf das ungewohnte Kursmodell der Oberstufe umzustellen. Denn die meisten meiner Mitstreiter kannte ich vorher nicht, da sie in eine der 3 Parallelklassen gingen. Und Tesla, der wie Pocke bei diesem Kurs ebenfalls mit an Bord war, kam überhaupt erst jetzt mit hinzu - zur Raabeschule.
Bis zu jenem Nachmittag hatte ich mich der Aufnahme von Bier verweigert. Mein Vater hatte es schon mehrmals versucht, mir dieses Grundnahrungsmittel geschmacklich näher zu bringen. Jedoch mochte ich diese bittere Brause nicht; lieber trank ich das Malzbier von Aldi, weil es so schön süß war.
Als ich nun mit der Englischlehrerin und den anderen mit im Wolters war, musste ich natürlich Flagge zeigen. Die Blöße, dass ich gar kein Bier mochte, konnte ich mir selbstverständlich nicht geben und bestellte dann auch eins. Zu meiner großen Verwunderung konnte ich es gut trinken, es schmeckte gar köstlich. In den folgenden Jahren sollte dies zu meinem Lieblingsgetränk mutieren.
35 Jahre später bestellte allerdings kein Bier im Wolters, sondern einen Kaffee. Das sich abzeichnende Drama in der Bank wollte ich nüchtern erleben. Auch hier packte ich nebenbei mein Tablet aus, um noch etwas an diesem Text zu schreiben. Übrigens: In den Wochen nach dem Treffen mit meinen Sestras in der Nord LB besuchte ich das Wolters im Heidberg noch einige Male, um an diesem Text zu schreiben und vor allem zu warten. Nicht auf einen Termin bei der Bank, sondern auf Pocke, weil wir nebenan schwimmen gegangen waren. Irgendwann im Laufe desselben Jahres machte das Wolters im Heidberg endgültig zu, was mich etwas traurig gestimmt hatte.
Sei es drum. Ich schlürfte an meinem Kaffee, während ich die ganze Zeit lang (ca. eine Stunde) auf mein Tablet einhämmerte, weil ich an dieser Story weiterschrieb. Die Zeit schritt unerbittlich voran und einige Zeit vor halb Sechs packte ich meine Plünnen zusammen und verließ die Schenke.
Bald 17.30 Uhr, noch einmal tief durchseufzen... und los! Auf den 25 Metern bis zum Eingang der Nord LB Filiale gingen mir alle möglichen Sachen durch den Schädel und auch irgendwie nicht. Ich war fast euphorisch, weil nach dieser Aktion der ganze Streit mit Sunny endlich vorbei wäre und ich mich endlich nicht mehr mit ihr auseinandersetzen müsste; mein Blutdruck freute sich schon.
Andererseits war ich gleichzeitig traurig, weil es mir weh tat, dass wir Geschwister uns wegen der blöden Kohle zerfleischten. Man gut, dass unsere Eltern dass nicht miterleben mussten. Oder hocken sie auf einer Wolke und beobachteten uns? Nein, ich bin nun wahrlich nicht gläubig, aber angesichts des Verlustes meiner Mutter gingen mir in jenen Monaten häufiger mal komische Sachen durch den Sinn.
So lagen dann doch gewaltige Mühlsteine auf meinen Schultern, als ich die Schwingtür der Bank aufstieß und den Innenraum betrat. Sunny saß im Eingangsbereich auf einer Bank, Berta war nirgends zu sehen. Nach einem kurzen Hallo fragte ich Sunny nach Berta. Und siehe da, Sunny wusste zu berichten, dass Berta ebenfalls bereits anwesend war.
Berta hatte sich bloß woanders hingesetzt, wollte laut Sunny "wohl nichts mit mir (also Sunny) zu tun haben." Schulterzuckend ließ ich mich neben Sunny nieder, es gab hier nichts, was mich weniger interessiert hätte als die Differenzen meiner Sestras. Mehr oder weniger stumm warteten Sunny und ich auf die Mitarbeiterin der Bank.
Es dauerte tatsächlich noch bald 10 Minuten, bis die Sparkassenangestellte erschien und uns in einen Raum hinter den Schaltern bat. Fast zeitgleich kam Berta aus dem Hintergrund angerauscht. Die Zeit und Gelegenheit nutzend, raunte mir Berta im Hineingehen noch zu, dass sie sich mit Sunny im Eingangsbereich bereits heftigst gestritten hatte.
Berta hatte daraufhin wohl die Sparkassenangestellte gebeten, ihr einen anderen Platz weitab von Sunny für die Wartezeit anzubieten, weil sie "mit diesem Menschen" nicht zusammen sitzen wollte. Was da genau passiert war, erfuhr ich erst später von Berta, deren Sicht ich mich eher anschließen kann als Sunnys. Dies dürfte wohl jedem nach Lektüre dieser Story einleuchten.
Kurz dargestellt, hatte Sunny bereits beim Betreten der Bank (Berta war schon da) ihr hassverzerrtes Gesicht gezeigt und Berta zunächst mit Missachtung bestraft. Meine beiden Sestras kamen dann aber wohl trotz der eisigen Begrüßung ins Gespräch, welches dann leider eskalierte.
Worum genau es in dem Gespräch ging, hatte ich bereits vergessen, kurz nachdem Berta mir von dem Streit erzählte. Der Tenor jedoch war, dass Sunny Berta derart getriezt hatte, dass diese in höchste Aufregung geriet und Sunny Schläge androhte. Gottseidank beruhigte sich Berta rechtzeitig und wechselte den Raum.
So saßen wir nun im Büro der jungen Schickse der Sparkasse vor ihrem Schreibtisch. Ich natürlich in der Mitte; zum Glück befanden sich keine spitzen Gegenstände im Raum. Nach noch nicht mal einer Minute stieß noch eine zusätzliche Kollegin - aah, Frau Peters! - der Schickse zu uns ins Büro - ob sie wohl in ihrem Rock eine Schusswaffe verbarg? Jedenfalls beschwor sie uns, die nun folgende Angelegenheit in Ruhe durchzuziehen.
Die Banktussen machten es uns diesbezüglich allerdings schwer. Wir Geschwister waren selbstverständlich davon ausgegangen, dass die leider nötige Überweisung an den Makler bereits ausgeführt worden war. Weit gefehlt. Wie Frau Peters uns lapidar mitteilte, konnte die Überweisung nicht ausgeführt werden, weil meine Unterschrift noch fehlte. Und da wir uns jetzt ja sowieso hier trafen, ersparte sich Frau Peters das Porto für Zuschicken an meine Adresse. Toll.
Das ich die Überweisung auch unterschreiben musste, erfuhr ich hier zum ersten Mal. Berta hatte die Kontovollmacht, Sunny widersprach dieser. Dass ich deshalb Bertas Vollmacht quasi auch widersprochen hatte, überraschte mich doch sehr.

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