Donnerstag, 15. Oktober 2020

Contramann: Nachdenken angesagt 2/2

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Ob Mercedes, Deutsche Bank oder Conti - Englisch wird zur Firmensprache gemacht, was die einzelnen Arbeitsabläufe natürlich wesentlich vereinfacht. Selig sind hierbei natürlich die schon beschriebenen alten Buddys, die man möglichst kostenneutral in den Ruhestand schicken möchte. Die sind eh bald weg; und dann kommen die „jungen Wilden“.
Diese wiederum sind bereits ans vernetzte Arbeiten mit Laptops und Co. gewöhnt. Die vernetzen sich schnell international. Das hat den Vorteil, dass diese in unterschiedlichen Staaten leben und sich daher schwerer mit gemeinsamen Forderungen tun. Oder anders: Sie können zwar auf Englisch kommunizieren, finden aber eher weniger zu gemeinsamen Ansätzen gegenüber ihrem Arbeitgeber, um eigene Rechte durchzusetzen.
All das, wofür Gewerkschafter über 100 Jahre gekämpft haben, stellenweise auch über die Ländergrenzen hinweg, droht endgültig den Bach hinunterzugehen, da jeder isoliert nur für sich die Arbeitsbedingungen aushandelt. Wer da langfristig den Kürzeren zieht, sollte offensichtlich sein. Es dürfte zu einem Unterbietungswettbewerb der Arbeitnehmer untereinander führen.
Der sprichwörtliche „Inder“, der genügend ausgebildet ist und einen höheren sozialen Druck verspürt als der deutsche Hänger, wird in dem Fall zur Konkurrenz, wo das Home Office zu 100% - also ohne Büro - umgesetzt werden kann. Schon vor 15 Jahren hatte ich einen Bericht über eine indische Großraumhalle aus Wellblech gesehen, in dem Hunderte von Indern Telefondiktate für amerikanische Zahnärzte protokollierten. Die Sekretärin war dadurch beim Zahnarzt überflüssig geworden.
Nun ist dies vielleicht doch schon zu weit gedacht; im Moment geht es wohl eher um einzelne Arbeitstage. Das direkte Aufeinandertreffen im Meeting wird bei qualifiziert hochwertigen Tätigkeiten, erst recht bei Leitungsfunktionen, noch sehr lange unverzichtbar sein. Die Frage, die Du Dir stellen solltest, lautet: Wie qualifiziert ist Deine Tätigkeit wirklich?
Ein weiteres Argument von Wustmann ist das Wegfallen der Fahrten zur Arbeit, das Pendeln also. Bus und Bahn werden ja nicht nur wegen Corona gemieden; die leider allgegenwärtigen E-Roller sind anscheinend bei den jungen und aufstrebenden Menschen beliebt. Selbst in Braunschweig werden diese Dinger immer beliebter. Aktuell zählt man wahrscheinlich schon zum Pöbel, wenn man sich in den Bus setzt.
Eine spürbare Entlastung des Berufsverkehrs träte natürlich erst auf, wenn die Arbeitsanteile im Home Office entsprechend hoch sind und genügend Leute überhaupt die Gelegenheit dazu erhalten.
Heißt das dann nicht aber auch, dass die Innenstädte verwaisen und nur noch so vor leeren Bürotürmen strotzen? Da könnte man doch Wohnungen draus machen; für die Leute mit wenig Geld. Das Problem der hohen Mieten wäre gelöst. Hätten wir da nicht eine wunderbare Win-Win Situation?
Träum weiter. In den Innenstädten kommt höchstens ein Umbau zu Luxuswohnungen in Betracht, damit der Weg zum wöchentlichen Meeting nicht zu lang wird. Dienstleister und Handwerker, die nicht im Home Office arbeiten können, dürfen gerne auch weiterhin in die Stadt mit ihren Verbrennern, bald auch Elektromobilen, fahren.
Dabei dürfen sich diese dann noch die Beschwerden der Leute im Home Office anhören, dass sie mit ihren Karren die Luft verpesten. Da kann man ja auch leicht lästern, wenn man im Home Office weniger Kosten hat und in der Regel auch noch einen höheren Verdienst als der Verkäufer im Einzelhandel oder ein Pfleger, ein Tischler usw.
Wir bewegen uns da auf die wahre zwei Klassen Gesellschaft zu: Die (vermeintlich) Privilegierten im Home Office mit einem sehr guten Lebensstandard und die Dussel, die für entsprechend weniger Geld die Arbeiten machen, die eben noch händisch erledigt werden müssen. Ärzte wie Pfleger wird man nicht komplett wegrationalisieren können.
Und damit - Du registrierst sicherlich meinen Neid, weil ich trotz meiner fast 60 Jahre nicht im Home Office bin - kommen wir zu einem Vorschlag von mir. Die arbeitenden Menschen, die nicht im Home Office sind (ich zum Beispiel) bekommen eine spürbare steuerliche Erleichterung oder eine andere Art der Förderung; notfalls finanziert durch die Leute aus dem Home Office.
Wie? Das findest Du ungerecht? Bloß weil Du im Home Office bist? Da hast Du selbstverständlich recht, aber verstehst hoffentlich die verschnupfte Stimmung, die Dir von den Leuten ohne Home Office mit der täglichen Fahrerei entgegenschlägt.
In der Regel sind dies nämlich tatsächlich die Menschen, die noch wirklich produktiv tätig sind. Wir reden hier über die „systemrelevanten“ Jobs. Diese Leute arbeiten entweder mit Menschen (Krankenschwestern, Pfleger, Ärzte...) oder sind manuell wirklich am arbeiten (Handwerker, Verkäufer, etc.).
Häufig werden diese Jobs auch noch schlechter bezahlt, dafür sind diese Jobs aber unverzichtbar. Denn wie ich bereits zuvor sagte, stehen die Arbeitsplätze im Home Office in Konkurrenz zu preiswerteren Kollegen in Asien, bald auch Afrika. Hinzu kommt der immer stärkere Einsatz von künstlicher Intelligenz.
Ich selbst gehöre zwar auch eher zu den „Homis“, was den Job angeht, aber da mein Arbeitgeber technisch eh nie auf dem neuesten Stand ist, erfolgt die zu erwartende Automatisierung der Bürotätigkeiten erheblich später als in der Privatwirtschaft. Und selbst wenn....
Wir 60jährigen sind arbeitstechnisch eh safe, auch die in der freien Wirtschaft. Von daher könnte ich den verrauchten Tagträumen eines Gerrit Wustmann natürlich zustimmen. Aber da gehen dann die Pferde mit mir wie immer durch. Für einen Intellektuellen und wohl auch vergeistigten Menschen wie Wustmann muss die Aussicht auf ein eigenes Büro zu Hause - seine Wohnung ist wahrscheinlich groß genug, wie ich jetzt einfach mal unterstelle - sehr verlockend sein.
Leider haben nicht alle „Homis“ eine solche Raumfülle zu ihrer Verfügung. Egal, ich könnte hier noch mehr schreiben, aber ich stoppe lieber. Zu große Wiederholungsgefahr. Und nach dem nächsten Bier muss ich mich hinlegen. Ich muss morgen früh raus - bin ja nicht im Home Office!

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