Freitag, 8. Mai 2020

H. Lecter: Alf


15
Wenigstens war ich gut gesättigt und für die nächsten Biere aufnahmebereit. Auf dem Weg zur U Bahnstation Wittenbergplatz hielt ich noch einmal kurz Ausschau nach Alf. Manchmal hat man ja Glück und findet verloren gegangene Kumpels wieder. Doch er hatte wohl zu viel Vorsprung.
Mittlerweile drängte auch ein wenig die Zeit. Wenn ich noch rechtzeitig das Pokalendspiel sehen wollte, müsste ich mich in Bewegung setzen. Bei ausverkauftem Haus dauert der Einlass bestimmt seine Zeit. Und Alf konnte sonst irgendwo sein, den würde ich auf die Schnelle nicht finden.
Hauptsache, es passiert ihm da nichts, falls er irgendwo im Gulli liegen sollte. Doch da machte ich mir noch am wenigsten den Kopf drum, dazu hatte ich bereits zu viel mit ihm erlebt. Wenn einer immer durch kam, dann war es Alf. Irgendwie war ich auch eher leicht angesäuert, dass Alf sich dermaßen weggeballert hatte, dass sich andere (ich) Sorgen um ihn machen mussten.
Ich Idiot machte das immer noch. Mike oder auch Sylvester, ebenfalls Kollegas von Alf, taten dies schon lang nicht mehr. Deshalb ging es denen in diesen Situationen auch besser als mir. Die hatten sich rechtzeitig abgesetzt und garantiert schon die nächsten Biere weggenagelt.
Mit diesen Gedankentrümmern stieg ich die Stufen zur U 2 hinab. Ein kurzer Blick auf die Hinweisschilder zur Orientierung – jawoll. Die U 2 Richtung Ruhleben kommt am Olympiastadion vorbei. Zusammen mit einem Haufen von Leuten stieg ich bald darauf in den Waggon ein und freute mich auf das Spiel. Alf hatte ich in diesem Moment verdrängt. Die gute Laune der Gladbacher war aber auch sehr ansteckend.
Im Stadion angekommen, ging es auf einmal doch reichlich zügig. Auf dem Weg zum Block (oberer Rang fast an der Kurve, wo die Wolfsburger saßen) zog ich mir schnell noch ein Bier. Schon betrat ich den gerade mal zur Hälfte gefüllten Block und blickte über das Areal. Von so weit oben, quasi unter dem Dach, sah das Stadion beeindruckend aus.
Schräg links unter mir, vielleicht 20 Meter weit weg, sah ich schon die Mannschaft aus Salzgitter versammelt. Max, Klaus-Ewald… Onkel Hotte, Wastl, Sylvester und Mike waren auch schon da und bester Laune, selbst Moritz prostete mir zu. Nur einer aus der Gang fehlte noch: Alf. Er hatte es also nicht geschafft.
Natürlich gab es ein großes Hallo und gleich darauf frische Getränke. Sie fragten mich, wo ich denn Alf gelassen hätte. Ich konnte es ihnen leider nicht sagen – ich hätte ihn vielleicht doch anleinen sollen. Allmählich konzentrierten wir uns aber auf das bevorstehende Spiel, bei dem der Zweitligist aus Wolfsburg (was für ein angenehmer Schauer, der mir über den Rücken streicht, wo ich das hier schreiben kann) als Außenseiter galt.
Das Stadion füllte sich zusehends mit 75.000 Leuten und gleich würde es losgehen. Wir fieberten auch von Beginn an mit, bis… nach ca. 5 Minuten Alf oben im Aufgang zum Block erschien. Beide Arme hatte er über den Kopf erhoben und winkte nicht nur uns, sondern dem gesamten Stadion zu.
„Ich bin es, Euer Alf!“ schrie er laut und deutlich in das Rund. Ein aufmunternder Applaus und Hoch-Rufe aus dem gesamten Block waren ihm sicher. Alf war nicht nur wieder da, sondern bereits wieder auf Betriebstemperatur. Laut lachend, fast tänzelnd, schritt er durch die Reihen zu seinem Platz neben mir und freute sich. Garantiert war er froh, uns wieder gefunden zu haben.
Die Geschichte seiner Odyssee war dann schnell erzählt. Alf war irgendwann auf der Bank am Kudamm aufgewacht und musste feststellen, dass ich nicht mehr da war. Er konnte sich nicht mehr an meine Ansage, dass er warten sollte, erinnern und fühlte sich im Stich gelassen. Da musste er handeln.
Er hatte die Karte fürs Stadion und ging zur U Bahn runter. Er nahm die Linie 2 Richtung Pankow und stellte nach wenigen Stationen fest, dass er wohl in die falsche Richtung fuhr. Wenige Stationen war wohl eher die Endstation, aber egal. Alf setzte sich in den Gegenzug und war fast zum Anpfiff wieder anwesend.
Das Spiel selbst rauschte förmlich an uns vorbei. Gladbach gewann das DFB Pokal Endspiel sicher und verdient mit 3:0 nach Toren von Dahlin, Effenberg und Heiko Herrlich. Wir nutzen den wunderschönen Tag, um nach dem Spiel noch weiter zu zechen, bis unser Sonderzug kommen würde.
Und während es auf dem Bahnsteig noch Randale zwischen Wolfsburger Idioten und der Polizei gab, waren wir schon im hoffnungslos überfüllten Zug nach Braunschweig im Gang zwischen 2 Waggons eingekeilt. Sitzplätze gab es nicht, also musste ich mich, müde wie ich war, auf den Boden setzen und den restlos besoffenen Alf ertragen, der sein Haupt auf meine Knie gelegt und lautstark geschnarcht hatte.
Noch dazu waren die Toiletten abgesperrt, solange der Zug noch im Bahnhof Zoo stand, weshalb ich meinen kleinen Moment der Glückseligkeit nicht erleben durfte. Noch auf dem Bahnhof stehend hatten Mike und Onkel Hotte für sich die Lösung gefunden.
Onkel Hotte kramte eine leere Plastiktüte heraus, in der sie beide mitten im vollbesetzten Gang hineinpinkelten. Danach banden sie die Tüte oben zusammen und sorgten für etwas Spaß auf dem Bahnsteig, indem sie die volle Plastiktüte in Richtung der Bereitschaftspolizei schleuderten.
Kaum hatte die Tüte den Zug verlassen, da verschwanden die Gesichter von Mike und Onkel Hotte blitzschnell vom Fenster. Aus meiner liegenden Position konnte ich die freudigen Rufe der Polizisten nur hören und musste mir den Rest denken.
Zum Glück konnte ich später – über eine Stunde hielt die Polizei den Zug noch am Bahnhof Zoo fest – die überzählige Flüssigkeit auf der nicht mehr ganz so sauberen Toilette entsorgen. Alf brauchte das nicht, dafür schlief er zu fest. Vielleicht erledigte er dies aber auch an Ort und Stelle, da kannte er schon immer keine Verwandten.
In Braunschweig trennten sich unsere Wege, die Mannschaft wird wahrscheinlich mit einem Taxi nach Salzgitter gekommen sein. Insgesamt war das ein angenehmer Tagesausflug, bei dem Alf wie so häufig unermüdlichen Einsatz zeigte. Für einen Tag ging das ja immer noch gut an, bloß bei den längeren Urlaubsreisen wurde es Jahr für Jahr nerviger, mit Alf on Tour zu sein.

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