Dienstag, 28. April 2020

Uncle Fester: grad gelesen April 2020


John Scalzi – Frontal
Von John Scalzi habe ich sage und schreibe noch 3 Romane liegen gehabt, ohne sie zu lesen. Dabei fand ich „Krieg der Klone“ von der Idee her überragend und den Schreibstil mitreißend. Seit mehreren Jahren dachte ich nicht mehr so sehr an Scalzi, aber jetzt wollte ich einfach nur schnell einen Einzelroman nach dem Bobiverse von Taylor.
Frontal ist ein typischer Krimi, der allerdings in einer nahen Zukunft spielt und deshalb ohne viel Klimbim wie Warpantrieb oder Hyperraum auskommt. Es ist nach „Das Syndrom“ der zweite, in sich abgeschlossene Roman aus der Haden-Reihe. Die Science Fiction Elemente bleiben hier noch greifbar, so dass auch ein „normaler“ Leser hier nicht verzweifeln muss. Das Konzept einer virtuellen Realität beginnt ja bereits jetzt Gestalt anzunehmen.
Held des Krimis ist der FBI Agent Chris Shane, der an dem Haden-Syndrom leidet. Bei dieser Krankheit ist der Körper bewegungsunfähig; die davon Befallenen können sich aber in einer virtuellen Realität namens Agora frei bewegen oder aber ihr Bewusstsein in Androiden (Threeps) hochladen, um am realen Leben teilnehmen zu können.
Der Roman startet im Stadion, wo die Sportart Hilketa gespielt wird. Bei dieser Sportart gehen die Spieler aufeinander los, um den Kopf des Gegners zu erbeuten und ihn durch die Torpfosten zu befördern. Im Spiel kommen auch Hämmer und Schwerter zum Einsatz. Das alles ist natürlich kein Problem, weil die Spieler sämtlich Threeps sind und daher nicht wirklich sterben. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem dieser Roman startet.
War es ein Unfall oder Mord, der den einen Starspieler sterben ließ? Chris Shane und seine menschliche Partnerin Leslie Vann ermitteln in einem Milieu aus Profisport und Wettbetrügern. Eigentlich ein stinknormaler Krimi, der aber dank der Threeps und der damit zusammenhängenden Frage, was einen Menschen vom Roboter unterscheidet, eine ungeahnte Tiefe erhält.
So wie in einem gutem Marlowe oder Spade üblich, kommen alle Mitwirkenden - ob Ehefrau, Geschäftspartner oder andere Gangster - als mögliche Täter in Frage. Auch hier stellt sich am Ende weder die Ehefrau noch der „Gangster“ der Wettspielmafia als Täter heraus, sondern eine Geschäftsfrau - ebenfalls ein Haden, die dem Starspieler ein Präparat angedreht hatte, mit dem sie seine Leistungsfähigkeit manipulieren konnte.
Damit beeindruckte sie die Wettspielmafia, die natürlich nach Aufklärung des Falls bestritt, hiervon gewusst zu haben und damit auch durchkommt. Haargenau wie bei Hammett und Chandler seinerzeit. Gerade diese Reminiszenzen tun dieser Geschichte spürbar gut und macht sie selbst für Science Fiction Abstinenzler interessant.
Die Welt der Haden, insbesondere die künstlich geschaffenen individuellen im Web, erweitern die altbekannten Plots um eine weitere Nuance. Scalzi hat es mit der Reihe um Shane und Vann, ja auch mit den Sidekicks aus Shanes WG, geschafft, den Spagat zwischen traditionellem Krimi und Science Fiction hinzubekommen. Das schafft wahrlich nicht jeder.


                                       

Juli Zeh - Corpus Delicti
Ihr Roman „Unterleuten“ war der „ganz heiße Scheiß“ des vergangenen Jahrzehnts und war Anfang diesen Jahres im Fernsehen. Dieser Roman spielt in einer nahen Zukunft und ist ebenso Science Fiction, wie es seinerzeit „1984“ oder „schöne neue Welt“ waren: Bedrohlich nah an unserer Realität mit dem Hang, zum Klassiker zu reifen.
Nur... der Roman ist leider arg nah dran an 1984. Statt eines Überwachungsstaates a la Hitler oder Stalin haben wir es hier nur mit einer etwas moderneren Variante zu tun. Der Folterer heißt hier Heinrich Kramer und versucht dem Opfer, Mia Holl, durch Gespräche und körperliche Folter zum Geständnis zu bewegen, dass sie eine Terroristin sei und die Gesundheit der Bevölkerung durch einen Giftangriff auf die Wasserversorgung gefährden wolle.
Gesundheit... das ist die oberste Bürgerpflicht im nicht näher beschriebenen Deutschland Mitte des 21. Jahrhunderts. Der Autorin geht es in diesem Roman auch nicht um eine konkrete Zukunftsvision, sondern nur um die Auflehnung von Mia gegen das herrschende System. Ganz am Ende wird Mia gar noch begnadigt, damit sie nicht zur Märtyrerin wird. Dieser verblüffende, aber auch sinnvolle Schachzug von Kramer hat mich dann doch noch versöhnlich mit diesem Buch gestimmt.
Analog zum großen Vorbild von Orwell laufen die Personen wie in einem Theaterstück durch den Plot. Die Orte sind hier zweitrangig; die Gespräche zwischen den Personen tragen die Handlung. Dies dürfte ein düsteres Fernsehspiel werden, falls das ZDF diesen sperrigen Plot doch mal verfilmen möchte.
Moritz, der Bruder von Mia und seine Geschichte als Freigeist in dieser auf körperliche Gesundheit achtenden Welt, löst durch seinen Selbstmord eine Kettenreaktion aus, in der noch Rosentreter als Mias Anwalt eine Erwähnung verdient, weil er Mia erst aus eigenem Widerwillen am System unterstützt, sie aber am Ende aufgrund seines Opportunismus im Stich lässt.
Dass sich mehrere Zuschauer am Ende des Schauprozesses gegen Mia mutig zum Protest erheben, weil auch sie das System verabscheuen, halte ich für eine unrealistische Romantik der Autorin. Gerade im Nationalsozialismus oder der DDR gegen Ende war gut zu beobachten, dass sich vielleicht einige wenige Systemgegner gegen das System erheben. Das war es dann aber auch gewesen.
Corpus Delicti vermag mit der Zeit zu fesseln und ist für all diejenigen zu empfehlen, die 1984 weder kennen und noch so viel Zeit zum Lesen haben.

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