Dienstag, 3. März 2020

Hartmudo: Vitalium


22
Kurz vor halb Sechs flog die Tür auf und es erklang ein fröhliches „Guten Morgen.“ Die Frau mit dem Wickel war da. Von wegen Wecker auf 5.40 Uhr gestellt! Die hat es garantiert gerochen und ist noch früher erschienen, um mich am letzten Tag noch einmal quälen zu können.
Da sie mich aus dem Schlaf gerissen hatte, behielt ich mir das Recht vor, als erstes einmal aufzustehen, um den kleinen Königstiger aus dem Gehege zu lassen. Widerwillig ließ mich die Frau mit dem Wickel gewähren. Aber sie wusste, dass sie zu früh dran war. Nach dem Entleeren der Blase war ich bereit.
Und sie wickelte mich wieder wie üblich fest ein, um sich gleich darauf kurz und schmerzlos zu verabschieden. Da heute der letzte Tag im Vitalium angebrochen war, legte ich mein Buch bereits nach 20 Minuten zur Seite und brach die Session ab. Da grummelte auch irgend etwas in meinem Bauch. Da hatte sich etwas gelöst; das konnte und wollte ich nicht ignorieren.
Auf dem "Thron" entspannte ich mich ein wenig mit Angry Birdy Go. Konzentriert raste ich mit der Seifenkiste den Berg hinunter, immer verfolgt von meinen Gegnern, die mich von der Piste drängen wollten. Nebenbei entledigte ich mich von einigen Ballast. Erstaunlich, dass da nach dieser Woche überhaupt noch etwas zu entsorgen war.
Hinterher packte ich noch mein restliches Gepäck zusammen, sprich die Schlafmaske, Adiletten und meine Kulturtasche von Samsonite. Den größten Teil hatten meine Löwin und ich ja bereits am Vorabend verstaut. Jetzt blieb mir noch genügend Zeit zum Schreiben. Eine knappe Stunde lang brachte ich die Tastatur zum Glühen, ehe ich mich gegen Acht mit meiner Löwin zum Frühstück begab.
Für uns beide, immer noch die letzten Heilfaster an diesem Tisch, gab es zu unserer großen Freude den beliebten Anis Fenchel Kümmel Tee bis zum Abwinken. Dazu stand noch ein appetitlich aussehendes Glas mit Möhrensaft vor uns. Also alles so wie immer. Trotzdem kam bei uns beiden gute Laune auf. Denn wir hatten es bis zum Ende unseres Aufenthaltes im Vitalium durchgehalten und uns dadurch die Chance erarbeitet, das Ende des Fastens noch ein wenig hinauszögern zu können.
Nicht viel anders verhielt sich das bei Patti. Auch sie bekam das gewohnte basisch starke Frühstück. An diesem Morgen bestand dieses aus einem gedünsteten Apfel und einer großen Schale Hirsebrei. Wie immer magenfreundlich, um die ständige Übersäuerung zu dämpfen.
Wie bei fast allen Speisen bisher rechnete ich fest damit, dass Patti vielleicht die Hälfte davon essen würde. Doch weit gefehlt! Sie ließ ihr Frühstück komplett stehen, weil sie ja noch ein Lunchpaket mit zwei geschmierten Vollkornschnitten bekam. Flugs öffnete sie dies und biss herzhaft in eine Schnitte hinein. Bestimmt handelte es sich dabei um basisches Vollkornbrot.
Nein, natürlich nicht. Es kann sein, dass sie ein Brot noch für die Rückfahrt nach Braunschweig aufgehoben hatte. Glücklicherweise war ihr Appetit an diesem Morgen zurückgekehrt. Die Tage zuvor war sie ja schon nach wenigen Bissen ihres basischen Essens satt gewesen.
Pocke bekam ebenfalls dieses Lunchpaket - meine Löwin und ich natürlich nicht. Ein saftiges Vollkornbrot mit Butter, Schinken oder Käse und dazu noch mit einem Salatblatt garniert... Da lief uns beiden natürlich das Wasser im Mund zusammen, aber da wir noch bis zum nächsten Wochende weiter fasten wollten, verkniffen wir uns einen Biss.
Es wäre sicherlich mindestens ein Vollkornbrot übrig gewesen, denn zumindest Pocke ließ sein Lunchpaket ungeöffnet. Er fragte zunächst die Serviererin, was er denn essen könnte, da er außer dem Lunchpaket einen leeren Teller vor sich stehen hatte. Die junge Serviererin erklärte ihm, dass er sich von dem Buffett, welches sich rechts hinter mir befand, zwei Scheiben Knäckebrot und Frischkäse nehmen könne. Hauptsache, er würde etwas Leichtes nehmen.
Es hatte schon seinen Grund, weshalb ich mit dem Rücken zu diesem Buffett saß. An jedem Morgen dieser Woche war dort nämlich ein normales Frühstücksbuffet aufgebaut, wie man es auch aus diversen Cafes dieser Republik kennt. Nicht zu Unrecht hatte die Serviererin vermutet, dass meine Löwin und ich schwach werden könnten, wenn wir frontal auf dieses Buffet schauen würden, als sie uns am ersten Abend diesen Tisch zugewiesen hatte, damit Patti dort nicht allein sitzen musste.
Pocke ließ sich nicht lange bitten und ging los in Richtung Buffet. Tatsächlich entdeckte ich da zwei Scheiben Knäckebrot, die auf seinem Teller lagen, als er zurück an unserem Tisch kam. Etwas von dem leichten Frischkäse hatte er auch mitgebracht. Insofern hielt er sich erst einmal an den "Rat" der Serviererin.
Der Begriff "entdeckte" passt hier, denn die zwei Scheiben Knäckebrot waren unter einem Berg von weiteren Leckereien begraben. Pocke hatte sich einen richtigen Schnuckiteller zusammengestellt. Außer dem Knäcke erspähte ich noch Scheibenkäse, Schmierkäse, Butter, ein Stück Mettwurst, ein Stück grobe Leberwurst und vor allem vier bis fünf Scheiben Finn Crisp. Als ob er eine Woche lang nichts gegessen hätte.
Ich werde sicherlich bis an mein Lebensende nicht vergessen, wie er die grobe Leberwurst auf ein Knäckebrot geschmiert hatte. Diese Portion hätte locker auf zwei Knäcke gepasst, aber Pocke schmierte das Stück daumendick auf eine Scheibe. Erwähnen möchte ich noch, dass er zuvor diese Scheibe Knäcke mit Butter abgeschmiert hatte, wahrscheinlich, weil die Leberwurst allein sonst zu trocken gewesen wäre.
Wir vier waren uns einig, dass wir unmittelbar nach dem Frühstück nach Hause wollten. Doch gegen 14.00 Uhr wollten wir erneut zusammenkommen, um das Spiel Fortuna Köln gegen Eintracht zu schauen. Das Treffen würde bei uns in Lehndorf stattfinden, denn ich hatte Magentasport mit der dritten Liga abonniert.
Hier hatte die treue Seele Patti einen wunderschönen Einfall: Statt jedem Tor mit einem Glas Schnaps zu gedenken, würden wir an diesem Tag ein Schnapsglas voll mit sehr leckerem Sauerkrautsaft "opfern". Ich versprach Pocke darüber hinaus, ihm ein Brot mit Harzer Käse zu schmieren. Pocke hatte wohl noch Vollkornbrot aus der Vorwoche zu Hause, welches er zum Spiel mitbringen wollte.
Da wir uns nachmittags noch treffen würden, verabschiedeten wir uns nur kurz am Tisch des Speisesaals voneinander. Meine Löwin und ich organisierten schnell einen Gepäckkarren und parkten ihn vor dem Fahrstuhl. Oben im dritten Stock traf ich doch tatsächlich noch unser Zimmermädchen Sylvia, von der ich mich herzlich verabschiedete.

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