Donnerstag, 12. März 2020

Hartmudo: Vitalium


23
Wir packten unser Gepäck in den Fahrstuhl und schickten ihn in das Erdgeschoss, denn wir gingen zu Fuß. Der Fahrstuhl war wirklich sehr klein. Wir waren kaum die Treppen der drei Stockwerke hinuntergegangen, da sahen wir unsere Gepäckstücke auch schon durch das Glasfenster des Fahrstuhls.
Wir brauchten unsere Taschen jetzt nur noch auf den Gepäckkarren packen, und schon könnten wir den Karren durch den Nebenausgang ins Freie schieben. Aber leider gab es da ein Problem: Ohne das wir es verhindern konnten, fuhr der Fahrstuhl urplötzlich an. Ich sah gerade noch, wie sich die Innentür vor die Glasscheibe schob.
Und schwupps - da befand sich der Fahrstuhl auch schon wieder auf dem Weg nach oben. Schnell einigten wir uns darauf, dass meine Löwin im Erdgeschoss wartete und ich schnell wie der Blitz die Stockwerke wieder zu Fuß hinauf astete, um unser Gepäck irgendwo wieder einzufangen.
Schwer atmend erwischte ich unser Gepäck im zweiten Stockwerk. Ein verdutztes Ehepaar stand vor dem Fahrstuhl, der Mann hielt gerade die Fahrstuhltür auf und schaute, wohl ziemlich überrascht von dem vollgestellten Fahrstuhl, zu mit hinüber und brauchte ein wenig, um die Situation zu erfassen. Dann aber huschte augenblicklich ein verstehendes Lächeln über sein Gesicht. Seine Frau zeigte keinerlei Reaktion.
Ich entschuldigte mich für den gerade nicht nutzbaren Fahrstuhl und schickte diesen wieder ins Erdgeschoss, wo meine Löwin die Kabine gleich leer räumen würde. Dem Ehepaar versprach ich, den Fahrstuhl gleich wieder hinauf zu schicken. Und erneut ging ich zu Fuß die Treppen ins Erdgeschoss hinunter. Jetzt sollte es doch endlich klappen.
Auf dem Weg dachte ich schon an den weiteren Tagesablauf. Ich war so richtig aufgeregt und voller Vorfreude, weil wir jetzt gleich nach Hause fahren würden. Wir würden zwar noch eine ganze Woche weiter fasten, aber auf die ersehnten Gaumenfreuden würde ich getrost noch eine Woche verzichten können. Vielmehr freute ich mich auf die Katzen und den gewohnten Tagesablauf. Nach einer Woche Bad Lauterberg drohte uns ein Lagerkoller zu überwältigen. Eine weitere Woche im Vitalium wäre definitiv zu viel des Guten gewesen. Eine Woche reicht vollkommen, da hat man alles gesehen.
Meine Löwin war unterdessen nicht untätig gewesen. Blitzschnell hatte sie die Gepäckstücke aus dem Fahrstuhl geholt und den Gepäckwagen befüllt. Ich musste mich sputen, um sie auf dem Weg zum Nebeneingang einzuholen. Siehe da, auch meine Löwin sehnte die Rückkehr nach Braunschweig förmlich herbei. Ungefähr auf halber Strecke hatte ich sie eingeholt, so dass ich ihr die Tür aufhalten konnte.
Schön frisch war es an diesem Morgen. Wir kamen überein, dass ich das Auto holen würde, währenddessen meine Löwin mit dem Gepäckwagen vor dem Eingang warten wollte. Bei der abschüssigen und häufig geflickten Teerdecke der Straße machte es keinen Sinn, den klapprigen Gepäckwagen dort bis zum Parkplatz hinunter rollen zu lassen. Zumal wir ihn anschließend den Berg wieder hinauf schieben müssten, wo wir gar keinen Bock drauf hatten.
Fröhlich machte ich mich auf den Weg zum Parkplatz und hing wieder meinen Gedanken nach. Das Spiel Fortuna Köln gegen die Eintracht stand um 14.00 Uhr an. Die Eintracht war Vorletzter und brauchte den Sieg unbedingt, sollte der Abstieg aus der dritten Liga noch vermieden werden. Patti und Pocke würden das Spiel mit uns gucken. Das wäre ein richtig guter Abschluss unserer gemeinsamen Fastenwoche.
Ich hatte gehofft, gleich losfahren zu können. Leider musste ich feststellen, dass die Scheiben unseres VW Golfs leicht vereist waren. Seufzend fügte ich mich in mein Schicksal; wohl oder übel würde ich die Scheiben freikratzen müssen. Schnell sollte es gehen, denn meine Löwin wollte ja auch nicht lange in der Kälte stehen.
Ich überlegte also nicht lang und schloss die Karre auf. Automatisch steckte ich den Schlüssel ins Zündschloss, denn ich wollte ja gleich losfahren. Nach kurzer Suche hatte ich den Eiskratzer gefunden. Dieser diente uns zugleich auch als Parkscheibe. Leider war der Drehmechanismus seit längerem kaputt, so dass dieses Teil regelmäßig von allein auseinander fiel.
Heiter und beschwingt machte ich mich an die Arbeit. Fröhlich schmiss ich die Tür zu, damit das abgekratzte Eis nicht noch ins Innere des Autos gelangen konnte. Zuerst kümmerte ich mich um die Seitenscheibe der Fahrertür. Nur noch ein paar Minuten, dann wären die Scheiben frei vom Eis und ich könnte meiner Löwin beim Einladen helfen. Ich dachte noch, dass meine Löwin sagen würde: "Wo bleibst Du denn? Ich warte und warte..." Und dann schnell nach Hause!
„Klack.“ Dieses Geräusch riss mich aus sämtlichen Träumen. Nur zu gut kannte ich diesen Sound; es ist dieses kurze und schmerzlose Klacken, welches ertönt, wenn sich die Zentralverriegelung unseres Autos aktiviert. Häufig automatisch, beispielsweise vor dem Losfahren, wenn ich schon drinnen sitze und gerade noch den Sitz und den Rückspiegel verstelle. Verärgert drücke ich dann jedes Mal auf einen Knopf in der Tür unterhalb der Scheibe, um die Tür wieder zu entriegeln.
Leider befand ich mich nicht innerhalb des Autos. Dafür war wenigstens der Zündschlüssel am richtigen Platz - im Zündschloss! Ebenfalls innerhalb des Wagens befand sich der Knopf zur Entriegelung der Tür. Und alle Türen natürlich zu - da stand ich wahrlich bedeppert da. Meine ganze Vorfreude auf Braunschweig, die euphorische Stimmung... wie weggeblasen. Auf einmal war ich den Tränen nahe.
Ich hatte keinen Plan, wie ich die Tür aufbekommen sollte. Frustriert rief ich meine Löwin an; womöglich hatte sie die rettende Idee. Hatte sie nicht, aber sie riet mir zum Anruf bei Pocke. Sollte er den rettenden Einfall haben? Nein, hatte er nicht. Patti und er waren bereits auf der Rückfahrt und freuten sich auf ihr Zuhause.
In meiner Verzweiflung rief ich danach bei Danny an. Leider wusste er auch keinen Rat. Vollkommen verzweifelt klingelte ich bei meiner Löwin durch. "Ich bin gleich mit dem Gepäckwagen da. Komm mir entgegen zum Schieben. Wir treten dann das Rückfenster ein." Dieser brachiale Vorschlag schien unsere letzte Rettung zu sein. Ich sah uns schon mit kaputter Heckscheibe durch den winterlichen Harz nach Hause fahren.
Total gefrustet ging ich meiner Löwin den Hügel zum Hotel hinauf entgegen. Weit brauchte ich nicht zu gehen, denn sie kam mir bereits entgegen. Auf dem Weg war ihr sogar schon das Gepäck heruntergerutscht, was bei den „Zaungästen“ an den Hotelfenstern ein großes Hallo hervorrief.
Als wir dann mit dem Gepäck zusammen beim Auto ankamen, hatte ich noch eine letzte Idee. Eine KFZ Werkstatt könnte uns möglicherweise helfen! Gesagt, getan. Erst bei der dritten hatte ich an diesem Samstag den gewünschten Erfolg. Als ich dem Mann mein Problem geschildert hatte, meinte er bloß, dass ich besser den ADAC anrufen sollte. Die hätten da eher die Möglichkeit, uns zu helfen.
Dass meine Löwin und vor allem ich nicht eher da drauf gekommen waren! Ich war ja auch erst seit knapp 40 Jahren dort Mitglied! Da kann man mal sehen, wie kaputt wir beide nach dieser Fastenwoche waren. Und während meine Löwin den Gepäckkarren den Hügel hinauf zurück ins Vitalium schob, rief ich den ADAC an.
Ich brauchte bloß den Wagen zu beschreiben und schon ging es los. Na ja.. fast, denn bis zu einer Stunde würde der gelbe Engel schon brauchen, da im Moment viel zu tun sei. Da konnte ich wenigstens die Scheiben des Golfs in aller Ruhe frei kratzen. Meine Löwin war auch schnell wieder da und freute sich nach einer Dreiviertelstunde mit mir zusammen, als der gelbe Engel endlich auf den Parkplatz vorfuhr.
Als erstes einmal hörte sich der gelbe Engel meine Schilderung des Tathergangs an. Danach blickte er kritisch zu unserem Golf, Baujahr 2003, und schimpfte über Volkswagen. Sämtliche anderen Automarken ließen sich leicht über das Fenster öffnen, nur VW nicht. Sein prüfender Blick ins Innere offenbarte ihm, dass der Schlüssel im Schloss steckte und da tatsächlich nichts zu machen war.
Die Standardmethode wäre es gewesen, wenn er einen Draht mit einer Schlaufe zwischen Tür- und Fenstergummi durchgeschoben und mit einer Schlaufe den Knopf der Tür angehoben hätte. So wie in amerikanischen Krimis halt. Doch das Sicherheitskonzept von VW verhinderte dies.
Es blieb dem gelben Engel nur noch eine Möglichkeit: Mit einem Dietrich fuhr er schließlich immer in das Schloss hinein - rein, raus, rein. raus..., als ob er da etwas abfeilen würde. Gleichzeitig hatte er an seiner Konstruktion von verschieden dicken Stangen noch einen Hebel, der die notwendige Drehbewegung zum Öffnen ausführte.
Meine Löwin und ich standen mehr oder weniger stumm daneben und beteten innerlich, dass der gelbe Engel erfolgreich sein möge. Nach gefühlt einer halben Stunde - wahrscheinlich waren es wohl 5 - 10 Minuten - hörten wir das befreiende Klacken des Schlosses, als die unermüdlichen Bemühungen des gelben Engels endlich Wirkung zeigten.
Da konnten meine Löwin und ich endlich durchatmen. Ich zeigte dem gelben Engel noch meinen ADAC Mitgliedsausweis und unterschrieb den Auftragszettel, dann verabschiedete er sich und verschwand so geschwind, wie er gekommen war. Schnell schmissen wir unser Gepäck in den Golf und machten uns ebenfalls auf den Weg.
Überglücklich, dass wir so glimpflich davon gekommen waren, fuhren wir nach Hause.

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