Freitag, 8. November 2019

H. Lecter: Alf


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Mit Hinlegen vor dem Konzert wird wohl nicht so viel gewesen sein. Das üppige Abendessen – noch heute denke ich mit Grausen an die Buffets im Hotel Lancaster zurück – hatte uns ausreichend ausgenüchtert. Zur Erklärung: Da ich bekanntlich ziemlich mäklig bin, hatte ich die Stücke Schweine- oder auch mal Rinderbraten verschmäht, denn man konnte den Stücken eine gewisse Knorpeligkeit nicht absprechen.
Die Kartoffeln salzarm und medium rare zubereitet, das Gemüse leicht blanchiert und ungewürzt. Nein, das ist nicht meins und wird es nicht mehr werden. Mit Salat hatte ich es seinerzeit nicht so, da blieben nur noch die frittierten Sachen wie Pommes oder irgendwelche panierten Hähnchenschnitzel. Gesunde Vollwertkost halt.
Nach dem gehaltvollen Abendessen zogen wir los. Zuerst natürlich ins Hofbrauhaus Latino, die Happy Hour mitnehmen. Das allseits beliebte Vorglühen, dass ich jahrelang auch mit Pocke, Uli und vielen anderen vor Konzerten wie Dr. Feelgood, Lou Reed, Neil Young und und und durchexerziert hatte.
Irgendwann, wohl so gegen halb Elf, liefen wir im Oberbayern auf, dem damaligen Schlagertempel schlechthin. Im großen und quadratischen Raum, der schwarz gestrichen war, befand sich an einer Seite die Bühne. Der ganze Raum dient als Tanzfläche; anders als im Hofbrauhaus Latino gab es hier keine Holzumrandung. Dafür aber ein diffuses, bald düsteres Licht.
Als die Band dann endlich anfing zu spielen, war die Tanzfläche ob der üblichen Gassenhauer, unter die sich sogar einige bekannte Rocksongs mischten, gut gefüllt. Und die Band war wirklich gut. Ich habe in meinem Leben selten so eine perfekt zusammenspielende Combo erlebt, da konnten sich die allermeisten Bands, die ich im letzten Jahrhundert so erlebt hatte, eine Scheibe von abschneiden.
Und dann – endlich, weit nach Mitternacht – kam Michelle auf die Bühne. So klein und zierlich hatte ich sie gar nicht eingeschätzt. Ihr trägerloses Abendkleid sah dagegen Spitze aus. Souverän bewegte sie sich vor der Bühne, die kleine Frau mit dem Mikro.
Die Tanzfläche war derweil leergefegt, was sicherlich an der Security lag, die die zumeist gröhlenden Besoffenen an die Ränder des quadratischen Raums drängte, so dass sich Michelle auf der Fläche austoben konnte. Nein, sie tanzte nicht zu ihren Songs, aber sie schwebte auf der Fläche vor und zurück. Sehr grazil, fast majestätisch.
Und als einer der Zuschauer es dann doch wagte, durch den Kordon der Security durchzubrechen, wurde er bereits nach wenigen Schritten eingeholt und zurück in die Masse am Rand zurückgedrängt. Dies geschah nicht überhastet und brutal, sondern ganz gemächlich und souverän.
Michelle sang auch ihren Hit. Den musste ich eben doch tastsächlich in Wikipedia nachschlagen – ich wusste es nicht mehr. „Heut Nacht will ich tanzen“ hieß er. Ich kann mich eigentlich nur noch an die Textzeile „und heut` Abend hab` ich Kopfweh“ in Erinnerung behalten. Obwohl ich Kopfschmerzen in jenen Jahren immer nur am Morgen nach dem Aufstehen verspürte.
Erstaunlicherweise blieb die anfangs tobende Meute mucksmäuschenstill und lauschte ergriffen. Die „Ausziehn, ausziehn“ Rufe blieben zu meiner Verwunderung ebenfalls aus. Michelles klare Stimme, die exquisite Band im Rücken, eine souveräne Körpersprache… Da war ich beeindruckt. Diese Klasse hätte ich von einer Schlagertussi niemals erwartet.
Das Rosenberg Cover ersparte sie uns nicht. „Er gehört zu mir“ ist einer der Songs, die ich nicht wirklich hören muss. Beeindruckt bei dieser Interpretation hatte mich aber Michelles Stimme. Diese Kraft – Michelle hatte offenbar eine hervorragende Gesangsausbildung durchlaufen. Was das angeht, bin ich seinerzeit bei den von mir bevorzugten Musikern nicht gerade verwöhnt worden.
Nach dem Konzert stand Michelle sogar noch an der Theke für Autogrammwünsche zur Verfügung. Wo meine persönlich signierte Autogrammkarte im Laufe der Jahre abgeblieben ist, vermag ich nicht mehr zu sagen. Aber ich erinnere mich wenigstens daran, dass Alf sein Sabbern aus Geilheit gerade noch rechtzeitig abstellen konnte und Michelle eben nicht ins Dekolletee griff.
Ein rundum gelungenes Konzert also. Das lag aber auch an dieser phantastischen Live Band, die nach Michelles Auftritt noch mal so richtig aufdrehte. Würde ich mir heute glatt wieder ansehen – allerdings nicht nüchtern.

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