Freitag, 15. Februar 2019

Uncle Fester: grad gelesen Februar 2019


Peter F. Hamilton - Der Abgrund jenseits der Träume (Faller Chroniken 1)
Manche Menschen haben merkwürdige Hobbies. Da räumt jemand allen Krimskrams aus seinem dunklen Keller und schließt sich dann Abende lang dort ein. Eine große Arbeitsplatte wird angeschafft, darauf dann künstliche Gebirgswelten angelegt. Mit kleinen Kunststoffbäumen und -sträuchern die Landschaft verziert, künstlicher Schotter ausgelegt. Hinzu kommen Ortschaften aus Miniaturgebäuden und winzige Figuren, mit detailgenauer Kleidung und einmaligen Gesichtszügen. Zum Schluss werden dann die Gleise verlegt und beinahe ehrfürchtig die Lok auf ihre Jungfernfahrt geschickt. Zeitverschwendung findet Ihr? Auch der Engländer Peter Hamilton hat eine merkwürdige Passion: Er denkt sich Science-Fiction-Geschichten aus, und das mit Erfolg.
Sein Armageddon Zyklus Anfang der 90er Jahre brachte das Genre der Science Fiction wieder zurück in die Erfolgsspur. Der vorherrschende Cyberpunkstil der 80er Jahre hatte sehr viele Fans an das Genre herangeführt, aber noch mehr abgeschreckt. Hamilton als genialer Geschichtenerzähler hat sich bildhafte Welten ausgedacht und mit epischer Breite ausgestattet. Er stattet seine Welten mit Zombies und Vampiren aus; hinzu kommen noch weitere Elemente der Fantasy.
Und trotzdem muss man den Armageddon Zyklus in den Bereich der Hard SF einordnen. Sein Commonwealth Universum perfektioniert das noch weiter. Der 3. Zyklus aus dem Commonwealth - Die Faller Chroniken - ist mal wieder hervorragend gelungen. Warum ist das noch nicht verfilmt?
Hamilton beginnt auch gleich mit einer Katastrophe. Die Physikerin Laura Brandt erwacht aus der Suspensionsröhre (Tiefkühlschlaf) auf dem Archenschiff Vermillion, das auf dem Weg zur Kolonisierung eines Planeten vom Weg abkommt und in die Leere gezogen wird. Die Leere ist ein sich ausbreitendes und lebensfeindliches Gebiet inmitten der Milchstraße, in dem die normalen Gesetze der Physik außer Kraft gesetzt sind. Die Leere ist der Dreh- und Angelpunkt des Commonwealth Universums des Autors.
Entsetzt stellen Captain Cornelius Brandt und seine Crew fest, dass komplizierte Technologie in der Leere nicht funktioniert. Dazu gibt es nur sehr wenige Sternensysteme dort - zu einem davon kann sich die Vermillion schleppen. In der Nähe eines Planeten mit erdähnlicher Atmosphäre befindet sich eine Ansammlung von riesigen, länglichen Objekten - der "Wald".
Laura Brandt erforscht den Wald mit einem Shuttle. Ihre 4 Mitstreiter werden nach und nach durch Berührung mit den "Faller Eiern" zu Zombies, die auch Laura töten wollen. Anders als in Alien werden die Opfer in das Ei hineingesaugt. Dort entsteht dann ein Klon des Opfers, welches lediglich durch ihr blaues Blut als Faller zu erkennen ist.
Mit Geschick kann sie sich auf den Planeten retten. Von der Vermillion ist weit und breit nichts zu sehen;
Laura hat die Crew nicht warnen können. Einsam strandet sie auf dem Planeten und muss am Ende feststellen, dass sie in eine Zeitschleife geraten ist. Alle 27 Stunden und 42 Minuten erwacht eine neue Laura Brandt aus der Suspension und strandet auf dem Planeten. Laura tötet die erste Doppelgängerin; damit endet der kurze erste Teil.
Der zweite Teil ist gar noch kürzer. Der 1300 Jahre alte Nigel Sheldon hatte einst ein Wurmloch auf dem Mars entdeckt und damit der Menschheit das Tor ins All geöffnet. Nun wird er im 34. Jahrhundert von den Rail, welche die Leere seit Millionen Jahren bewachen, um Hilfe gebeten. Der Schlüssel ist die Living Dream Bewegung von Inigo, der als einziger die Träume des "Wasserwanderers" Edeard aus der Leere empfängt und immer mehr Anhänger um sich scharrt, die in die Leere aufbrechen möchten.
Im 2. Zyklus wurde Edeards Geschichte erzählt. Er lebte in einer mittelalterlichen Welt, in der die Menschen mit telepathischen Kräften ausgestattet sind. Jetzt erfährt Nigel, dass die Metropole von Edeards Welt namens Maccarel eigentlich ein Raumschiff der Rail ist.
Dank der Unterstützung der genialen Detektivin Paula Myo kann Nigel bei Inigo einbrechen und mit ihr sämtliche 47 Träume ansehen. Es führt für Nigel kein Weg dran vorbei: Er muss selbst, bzw. ein Klon von ihm, in die Leere aufbrechen, um nach den verschollenen Schiffen der Familie Brandt suchen, von denen ihm die Rail erzählen. Die bringen Nigels Klon mit dessen Schiff Skylady in die Leere - Ende zweiter Teil.
Nach diesen beiden mehr oder weniger kurzen Vorgeschichten schickt uns Hamilton in die Leere zu dem Planeten Bienvenido und in die dortige Fantasywelt. Dankenswerterweise gibt es auch eine Weltkarte zu dem Planeten am Anfang des Buches, welche ich bei der Lektüre häufiger zu Rate gezogen hatte.
Die Story in dieser mittelalterlichen Welt beginnt mit einer Säuberungsaktion. Das Cham (Name einer Stadt) Regiment sucht einige Fallereier, die immer mal wieder auf dem Planeten gelandet sind, um Menschen zu assimilieren und ein Nest mit dem Ziel zu errichten, die Millionen von Menschen zu vernichten. Wie die Sirenen werden die Soldaten um den neuen Soldaten Slvasta von einer betörenden Bäuerin angelockt bzw. aufgegeilt.
Die Bäuerin entpuppt sich als Faller und bis auf Slvasta verliert die gesamte Gruppe ihr Leben. Nur Slvasta verliert einen Arm, der schon in ein Ei eingesunken war. Als Held kehrt er in die Zivilisation zurück und dient als Leutnant und damit Befehlshaber einer eigenen Suchtruppe in einem Eliteregiment der Hauptstadt Varlan. In der dekadenten Gesellschaft um den Captain Philious, einem Nachfahren von Cornelius Brandt und daher Alleinherrscher des Planeten, fühlt sich Slvasta äußerst unwohl.
Einige von ihm vorgeschlagene Verbesserungen zur Bekämpfung der Fallereier werden im Bürokratiedschungel begraben. Der frustrierte Slvasta zweifelt an der Regierung und gerät in eine Widerstandsgruppe um die ehemalige Steuerbeamtin Bethaneve, ihren Exfreund Coulan, einem Bürokraten, und dem Fleischfabrikarbeiter Javier.
Dieser Teil des Romans entpuppt sich als Parabel auf die russische Revolution und die Machtergreifung Lenins, sieht man davon ab, dass die Menschen in dieser Fantasy- und Zombieumgebung sich mit Telepathie verständigen. Unter Führung von Slvasta bilden Bethaneve und ihre Freunde eine Widerstandsstruktur mit voneinander unabhängigen Zellen heraus, die Trevene, der grausame Chef der Captain`s Police, nicht knacken kann.
Dank mehrerer koordinierter Sabotageaktionen wie. Zerstörung der Wasserversorgung der Hauptstadt schüren sie den Hass der verarmten Bevölkerung auf die Privilegierten, die dekadent in Saus und Braus auf deren Kosten leben. Zum Schein lässt sich Slvasta mit einem leicht zu gewinnenden Wahlkreis korrumpieren, doch die herrschende Klasse hat Slvasta unterschätzt. Er nutzt dies, um peu a peu immer mehr Anhänger um sich zu scharen mit dem Ziel, die Regierung gewaltsam zu stürzen.
Vermittelt von Bethaneve, begibt er sich mit der ursprünglichen Widerstandsgruppe zur Blair Farm in der Nähe der Provinzstadt Adeone, um mit dem dortigen Farmer – Nigel Sheldon – eine Vereinbarung zur Lieferung von Waffen abzuschließen. Hier muss ich erwähnen, dass Slvasta Nigel bereits als Leutnant bei einer Säuberungsaktion kennengelernt hatte. Nigel geriet da in Verdacht, Fallereier illegalerweise zu unbekannten Zwecken an sich genommen zu haben. Jedenfalls zieht Hamilton einen kurzen Cut in der Erzählung als Slvaska sich total überrascht Nigel als Waffenlieferant gegenübersieht.
Ab jetzt nimmt der Roman nochmals Fahrt auf, denn nun werden die Handlungsfäden zusammengefügt. Kysandra ist die hübsche Tochter der verwitweten Farmerin von der Blair Farm und soll mit einem nichtsnutzigen Sohn von Ma Ulvon, der Puffmutter von Adeone, verheiratet werden. Überrascht muss die heiratsunwillige Kysandra nach einer Betäubung jedoch feststellen, dass sie mit Nigel Sheldon verheiratet wurde.
Dieser ist selbstverständlich als reicher Mann heimlich auf dem Planeten gelandet und sucht nun ein ruhiges Eckchen wie die Blair Farm, um die Zerstörung des Waldes und der Leere vorzubereiten. Dank starker telepathischer Fähigkeiten ist er wie die Faller in der Lage, Menschen zu beeinflussen, gar zu dominieren und diese für sich einzunehmen.
Kysandra und Nigel werden zu guten Freunden, nicht zu einem Paar. Nigel kann dank noch funktionierenden Messgeräten seines Schiffes, der Skylady, eine elektromagnetische Anomalie in einer Wüste des Planeten entdecken. Bei einer Expedition dorthin finden sie die quasi millionenfachen Überreste von Laura Brandt, die ja alle 27 Stunden eine Zeitschleife erlebte. Dies und ein Blick ins Kellergewölbe der Villa des Captains dank eines modifizierten Insekts bringt Nigel auf die Lösung.
Es geht darum, eine Revolution anzufachen, damit er mit seinen ANAdroiden einen Quantenzerstörer aus der alten Vermillion stehlen kann. Die von ihm notdürftig hergerichtete Skylady soll damit den Wald vor dem Planeten zerstören. Dadurch würde der Planet aus der Leere herausfallen.
Ein ANAdroide nimmt in Varlan eine neue Identität als Coulan an und dominiert und rekrutiert die Revolutionäre. Erst eine Beziehung mit Bethaneve, danach mit Javier und schließlich ergibt sich mit Slvasta der ideale Revolutionsführer. Jetzt erscheinen die langen Beschreibungen des Aufbaus der Widerstandsgruppe in einem anderen Licht. Die Farm wird immer weiter ausgebaut, die Waffen für die Revolutionäre werden verteilt.
Nun beginnt eigentlich ein dritter Akt im Revolutionsdrama – abwechselnd fängt die „Kamera“ das Geschehen um Slvasta und Nigel ein. Und während Kysandra und Coulan den Quantenzerstörer in den Wirren der blutigen Straßenkämpfe der Revolution stehlen und zur Farm bringen, kann sich Slvasta die Macht sichern.
Und wie einst Lenin verändert sich Slvasta blitzschnell vom Revolutionshelden zum despotischen Diktator, der die Menschen befreien will, aber keine abweichende Meinung duldet. Dieser urplötzliche Wechsel des Charakters ist ein ganz starker Schachzug von Hamilton, der den Leser dazu verleitet, den Rest des Buches auf einen Rutsch zu verschlingen.
Slvasta wähnt Nigel als Faller und nimmt die Verfolgung der Diebe auf, kann Coulan noch töten, aber letztendlich den Flug von Nigel in den Wald nicht aufhalten. Beim Start stirbt er sogar dank der Raketenflamme, kann aber dank der Zeitschleife von Bethaneve ins Leben zurückgeholt werden. Kurz danach rettet Nigel noch Laura Brandt aus ihrer Zeitschleife und lässt sie nach Bienvenido fliegen.
Im Epilog hat Nigel den Wald zerstört und damit die Leere vernichtet. Bienvenido schwebt allerdings mit anderen Planeten um eine Sonne abseits der Milchstraße im Nirgendwo. Keine Chance, das Commonwealth zu erreichen. Nigels Klon hat sich geopfert und Slvasta kann sich die Macht sichern. Bethaneve hat er allerdings in den Gulag geschickt, weil ihm ihre Meinung nicht gepasst hatte.
Obwohl sich die Story wie schon tausendmal gelesen anfühlt, habe ich sie mit Begeisterung verschlungen. Hamilton schreibt es einfach nur gut.

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