Montag, 8. Januar 2018

H Lecter: Onkel Hotte 12/x

12
Ruhig und entspannt saß ich also an der Theke dieser Kneipe, in der die ganze Zeit Rockmusik lief. Gerade so wie im Pano Zuhause. Der Gin Tonic schmeckte hervorragend und der Sound aus den Boxen wirkte auf mein Gemüt wie eine Massage nach stundenlangem Graben im Garten. Die gute Laune zauberte ein Lächeln auf mein Gesicht.
Stinkbesoffen war ich noch dazu. Daher kann es sogar sein, dass ich mir vor Betreten dieser Kneipe noch eine Rakete angezündet hatte. Es mag ebenso sein, dass mein debiles Grinsen die Blondine, welche fünf Meter neben mir saß, auf den Plan rief. Und obwohl Westernhagen an jenem Abend nicht gespielt wurde... „die Frau neben mir lächelte nett..."
Schnell kamen wir ins Gespräch und rückten näher zusammen. Ich hatte da offenbar eine waschechte Rockerfrau neben mir sitzen, die ihre Lederkutte nebst geschnürter Lederhose nicht lediglich zur Zierde trug. Während wir uns unterhielten, zog sich der langhaarige Rocker, der sich vorher mit ihr unterhalten hatte, dezent, aber sichtbar zurück. Sollte es sich bei ihm um den sogenannten besten Freund gehandelt haben?
Sein freundliches Lächeln, das wohl eher als Grinsen zu bezeichnen war, signalisierte mir dies jedenfalls. Wie die Blonde und ich nun genau ins Gespräch kamen, weiß ich natürlich nicht mehr. Bestimmt hatte ich ihr von dem geschlichteten Streit zwischen Wastl und Onkel Hotte erzählt. Und irgendwann hatte ich erwähnt, dass ich aus Braunschweig komme.
Die Blonde konnte da doch tatsächlich einhaken; Braunschweig sei ihr nicht fremd, war sie doch mit einem Rocker vom Hardcore liiert gewesen. Sie nannte mir garantiert dessen Namen, aber den Typen kannte ich nicht. Von jenem legendären Braunschweiger Motorradclub kannte ich lediglich zwei Citycarfahrer ganz gut, weil ich ja selbst drei Jahre lang nachts auf den Braunschweiger Straßen unterwegs gewesen war.
Natürlich kannte sie die beiden und so erzählten wir munter weiter über die Jahnstraße und diese Szenerie dort, in die ich in den 80er Jahren kurz reingeschnuppert hatte, ohne wirklich ein Teil dieser Szenerie gewesen zu sein. Was auch gut war, denn da waren wirklich einige richtig schräge Vögel unterwegs gewesen. So scherzten und lachten wir so vor uns hin; ja, ich begann mir sogar Hoffnungen zu machen.
Blondie erzählte mir, dass sie auf Granni als Prostituierte arbeitete und das Geld von den alten Säcken abziehen würde. Damals war ich selbst ja erst Mitte 30, fühlte mich also nicht als „alt" angesprochen. Stinkbesoffen wie ich war, versteifte ich mich gar zu der Ansicht, dass sich die Blonde für mich interessierte, weil ich doch so nett bin.
Wir schwooften dann noch ein wenig auf der Tanzfläche, was auch wesentlich angenehmer rüber kam als Tage zuvor bei Günther Siebert. Aber dabei kam ich nicht umhin, noch einmal auf den langhaarigen Rocker zu schauen, dessen Grinsen immer breiter wurde. Irgendwie beschlich mich das unangenehme Gefühl, dass es hierbei eher um die Anbahnung einer rein finanziellen Transaktion ging als um das zufällige Kennenlernen zweier Liebender.
Bilder von dunklen Hofeinfahrten mit mir als zusammengeklopptes Hähnchen auf dem Strassenpflaster kamen mir in den Sinn, ausgeraubt und fern der Heimat. Ihr mögt es paranoid nennen, aber ich trank schnell aus und verabschiedete mich mit einem langen Kuss, dann eilte ich nach draußen. Eigentlich war ich ja auch selber schuld; ich hätte bloß meine Hände bei mir behalten sollen als wild an ihr herumzufingern. Wir hätten einfach über Braunschweig gelabert und gut ist. Egal, ich schnappte mir ein Taxi und fuhr in unser Appartement im „Balkon" zurück. Das immer breiter werdende Lachen des langhaarigen Rockers begleitete mich bis zum Herniedersinken auf meiner Matratze.
Sehr lange hatte ich dann wohl nicht mehr gebraucht, um einzuschlafen. Eine Rakete startete ich dann nicht mehr, ich hatte auch so angenehme Träume. Überhaupt hatte ich an jenem Abend irgendwie schon erahnt, dass meine gar nicht mal so alten Kontakte in Salzgitter nicht so eng waren, wie ich seinerzeit gedacht hatte. Nach diesem Urlaub sollte es jedoch noch einige Zeit dauern, bis mir das endgültig bewusst wurde.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen