Samstag, 10. Juni 2017

Contramann: kurz gesehen im Juni

http://www.tagesspiegel.de/sport/relegation-warum-wolfsburg-der-bundesliga-besser-tut-als-braunschweig/19868762.html
Starten wir mal mit einem anderen Thema. Nicht die schnöde Politik, sondern Fußball, der wichtigsten Religion des 21. Jahrhunderts. Brot und Spiele – das beherrschten ja schon die Römer perfekt. Und auch die heute Mächtigen haben das Potential von Religion erkannt. Die Menschen sind bei politischen Themen mittlerweile erstaunlich emotionslos. Ihren persönlichen Frust über die scheinbare Alternativlosigkeit des neuen Kapitalismus leben Sie über den Fußball aus. Früher wurden Hexen verbrannt, im Relegationsrückspiel sangen die Braunschweiger Zuschauer „Mario Gomez ist ein Hurensohn“, bloß weil dieser im Hinspiel sich genau so verhalten hat, wie es jeder Profi der Eintracht in derselben Situation beim Handspiel auch getan hätte. Die Parallelen Fußball zu Religion sind derart auffällig… aber ich wollte etwas zu diesem unsäglichen Artikel schreiben.
Allein das Duell von Wolfsburg (Retortenverein mit viel Kohle von VW, sprich Großkapitalist) gegen Braunschweig (klassischer Traditionsverein mit viel „ehrlichem“ Herzblut, sprich Arbeiter und Abgehängter des Systems) spiegelte den Riss in unserer Gesellschaft wunderbar auf unsere Bildschirme daheim.
Für mich als alten Eintracht Fan ist dieser Artikel höchst ärgerlich, da der Autor den Verbleib von Wolfsburg in der 1. Bundesliga mit der besseren Wettbewerbsfähigkeit dank des vorhandenen Kapitals begründet. Damit reduziert er den Fußball auf den reinen wirtschaftlichen Erfolg, die emotionellen Bedürfnisse eines nicht direkt betroffenen Fußballfans aus Ditzingen oder Suhl, der sich freut, wenn mal ein Kleiner den Großen schlägt (David gegen Goliath, hallo: Religion!), haben da selbstverständlich zurückzustehen.
Es sind solche bescheuerten Kommentare, die mir den Spaß am Fußball mehr und mehr verleiden. Allerdings – eins möchte ich den Wolfsburgern dann doch noch zugutehalten: Wie Eintracht wurden sie einmal deutscher Meister, haben dagegen aber noch einen Pokalsieg vorzuweisen. Mit der kommenden Saison hat Wolfsburg die Eintracht mit den Jahren der Erstligazugehörigkeit eingeholt. Daher halte ich das Berufen vieler Eintracht Fans auf die Tradition gegenüber dem verhassten Retortenverein als bigott.
Dessenungeachtet lebt der Fußball wie die Religion von Emotionen. Wenn der Kleine immer gegen den Großen scheitert, dann verlieren mehr und mehr Fans das Interesse und wenden sich anderen Vergnügungen zu. Oder: Was ist der Religionsersatz in 10 Jahren?

http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/neustart-gescheitert-was-idioten-aus-der-welt-gemacht-haben-kolumne-a-1146110.html
Die unsäglich verkopfte Frau Berg hat in ihrer Kolumne auf Spiegel Online auch etwas über die „Abgehängten“ zu erzählen. Sie setzt diesen Begriff mit Wut- oder auch Reichsbürgern gleich, die zu dumm sind, um zu kapieren, dass sich nicht wirklich etwas für sie ändert, weil die Revolution ausbleibt. Dem Hass dieser Menschen auf das gesellschaftliche System setzt sie ihren eigenen Hass auf die „Abgehängten“, die die Welt einfach nur anders sehen, entgegen. Die fehlende Toleranz und Demokratiefähigkeit, die sie den Idioten vorwirft, legt sie dank ihrer Hasstirade selbst an den Tag.
Im Übrigen, Frau Berg: Abgehängt werden Schlachttiere, damit sie ausbluten. Als korrekte Analogie zur menschlichen Gemeinschaft wären ALLE Verlierer des neuen Kapitalismus anzusehen, da ihr Leben bzw. ihre Chancen in unserer Gesellschaft rücksichtslos der Fresssucht des Monsters Kapitalismus geopfert wird. Das ist jeder Langzeitarbeitslose, Rentner, Zeit- oder Leiharbeiter, um nur einige zu nennen. Die Reduzierung des Begriffs eines „Abgehängten“ auf zugegebenermaßen fehlgeleitete Menschen aus dem genannten Personenkreis ist unredlich und spielt letztendlich nur denjenigen in die Hände, über die sich Frau Berg zu Recht aufregt. Dem tumben AfD Wähler.

http://www.spiegel.de/lebenundlernen/schule/smartphone-an-schulen-googlen-in-der-klausur-erlauben-a-1146879.html
Ganz klar – Frau Berg ist ein Opfer der deutschen Bildungspolitik. Hier ist mal ein Interview mit so nem Professor für Anglistik und Amerikanistik aus Marburg. So nen Sprachendussel, der meint zu wissen, was in MINT Fächern wichtig ist.
Gerade in mathematischen Fächern sind Unterstützungsmittel wie Formelsammlungen oder Taschenrechner ja bereits erlaubt, da bringt ein Internetzugang per Smartphone während einer Prüfung keinen Mehrgewinn. In sprachlichen wie geisteswissenschaftlichen Fächern bringt das natürlich eine ganze Menge… vor allem an Betrugsmöglichkeiten.
Über einen Chat quasi den Telefonjoker zu nutzen erspart das Lernen auf eine Prüfung, auch gerade in Mathe. Und warum soll ich dann überhaupt noch im Unterricht aufpassen? Spaß am Lernen, weil es im (eventuellen) späteren Arbeitsleben auch immer nur um Spaß geht? Meine Güte, soll der Dussel doch Studenten Fremdsprachen vermitteln. Aber eine Bitte, Professor Handke: Halten Sie sich mit ihren weltfremden Aussagen zurück, wenn es um die reale Berufswelt und dem Aneignen des dazu erforderlichen Wissens angeht.

http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/soziale-gerechtigkeit-und-digitalisierung-das-fatale-schweigen-der-politik-a-1148667.html
Ich bin erstaunt. Der Müller, seines Zeichens Wirtschaftsredakteur bei Spiegel Online und sonst ein Neoliberaler, wie ihn Michelangelo nicht schöner malen könnte, mit einem halbwegs brauchbaren Ansatz. Seine Schlussfolgerung beim Blick auf verschiedene Volkswirtschaften lautet, dass die Löhne trotz der gegenwärtigen Hochkonjunktur (?) entgegen der klassischen Volkswirtschaftslehre eben nicht steigen, wenn dann verhalten.
Tatsächlich sinken die Löhne sogar – inflationsbereinigt. Und Hochkonjunktur bei dem knappen Wirtschaftswachstum… Naja. Aber den Menschen hierzulande sind im Moment die Themen innere Sicherheit oder Zuzug von Flüchtlingen wichtiger als die soziale Sicherheit, da stimme ich mit Müller überein.
Leider, denn von den etablierten Parteien hat einzig die Linkspartei brauchbare Konzepte zur Lösung des immer wichtiger werdenden Problems der sozialen Gerechtigkeit. Wie Müller richtigerweise schreibt, werden zukünftig, das heißt innerhalb der nächsten 10 bis 15 Jahre, viele Arbeitsplätze in Handel und Verwaltung durch die zunehmende Digitalisierung wegfallen.
Das bedeutet nach unserer bisherigen Wirtschaftsordnung, dass wir mit immer weniger Menschen dank der Automation die Wirtschaftsleistung weiter steigern werden, aber immer weniger Menschen die finanziellen Mittel haben werden, um all die schönen Produkte zu kaufen. Selbst der vor kurzem heiliggesprochene St. Martin aus Würselen hat da keine Antwort.

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/bundestagswahl-2017-linke-fordert-mindestsicherung-von-1050-euro-a-1151517.html
...die Antwort, die der Martin nicht geben kann, kommt von Links. Katja Kipping halte ich zwar nicht unbedingt für eine Politikerin, die ihre guten Absichten auch umsetzt, wenn sie die Gelegenheit dazu bekommen würde. Ich sehe in ihr eher eine blutjunge Andrea Nahles.
Die Wagenknecht mit ihrer fast preußischen Strenge hätte das Format, aber die Partei meint – nicht zu Unrecht – dass Frau Kipping in der Öffentlichkeit eher angenommen wird. Bei Sarah Wagenknecht setzt bei den Medien immer sofort ein Beißreflex ein.
1050,-€ Mindestsicherung – also bedingungsloses Grundeinkommen, bitte nicht mit Regelsatz Hartz IV verwechseln – sind doch mal im Gegensatz zur politischen Konkurrenz eine klare Kante. Ein Mindestlohn von 12€ sowie die Steigerung des Rentenniveaus auf 53% sind ebenfalls konkrete Ziele, um die sich selbst St. Martin drückt. Solche klaren Ansagen zur Verteilungsgerechtigkeit in unserem Land kannte ich nur von früher, als ich ein kleiner Junge war und gerade mal zur Schule ging.
Damals hieß die Partei SPD, heute wohl die Linke. Aber so wie auch niemand bei McDonalds isst, Bildzeitung liest oder bei Amazon einkauft, wird auch niemand CDU, SPD, Grüne oder die FDP wählen. Versprochen.
Das ist ja leider das Traurige: es geht uns Deutschen immer noch zu gut. Wir wissen ganz genau, was wo schiefläuft. Das wussten schon unsere Eltern und Großeltern von 1933 bis 45, aber sie konnten da leider nichts machen, außerdem wussten sie dann plötzlich doch von nichts. Und dass wir von nichts wissen, werden wir später unseren Kindern und Enkeln erzählen, wenn sie uns fragen, warum wir SPD oder CDU gewählt haben.
„Das konnte doch kein Mensch ahnen...“

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