Dienstag, 3. November 2015

Contramann meets Uncle Fester: Nur So 1/2

„Wir schaffen das.“ Mit diesem kurzen Satz hat Angela Merkel auf alle Fälle eines geschafft, nämlich die politische Linke empfindlich zu treffen, indem sie unvermutet „linkes“ Gedankengut aufnimmt und für sich vereinnahmt. Gleichzeitig hat sie eine Spaltung der „linken“ Gesinnung eingeleitet.
Gerade die Menschen, die es sich zur Lebensaufgabe gemacht hatten, stets dem Establishment konträr gegenüber zu stehen, wurden von Angie urplötzlich links überholt. Da kamen viele, auch ich, ins Grübeln und mussten feststellen, dass sie in dieser einen Frage nicht mehr „auf Kurs“ segeln.
Für mich, der aus 25jähriger Berufserfahrung weiß, dass es Obergrenzen für die Aufnahme von Flüchtlingen geben muss und eh kaum jemand wieder in seine Heimat zurückkehren kann bzw. wird, selbst wenn er sich hier unberechtigt aufhält, entsteht ein schwerer Konflikt mit der eigenen politischen Grundeinstellung, die traditionell das Gegenteil behauptet.
Das sich Wolfgang Lieb von den Nachdenkseiten zurückgezogen hat, mag andere Gründe haben. Zumindest behauptet er das, ich glaube es nur nicht. Doch weder die Flüchtlinge noch Wolfgang Lieb sollen hier Thema sein, sondern enttäuschte politische Träume.
…Und natürlich die Lösung meines Dilemmas mit der Gretchenfrage, wie es weitergehen soll. Hierzu müssen wir von vorne, sprich bei Marx und Engels anfangen. Nach der reinen Lehre des historischen Materialismus stecken wir ja immer noch in der Phase einer kapitalistischen Gesellschaft fest.
Die von Marx und Engels prophezeiten Revolutionen zum Sozialismus bis hin zum Kommunismus gab es in den letzten 150 Jahren zwar reichlich, waren aber dank des Revisionismus der Nachfolger der reinen Lehre, also den Sozialdemokraten, wenig erfolgreich.
Wenn überhaupt wurde eine „Diktatur des Proletariats“ errichtet – die Chinesen gar sind heute beim Staatskapitalismus gelandet. Für den deutschen Linksintellektuellen bleibt da eigentlich nur noch der Versuch, sich an den ursprünglichen Tugenden der Sozialdemokratie von Liebknecht und Bebel sowie Rosa Luxemburg abzuarbeiten.
Insbesondere seit den Zeiten eines Helmut Kohl konnten wir Linken es in der Opposition gut aushalten; Es war einfach, die richtige Meinung zu haben. Man musste nur gegen die Regierung sein und jegliche Form von Aggression verdammen, schon war man auf der sicheren bzw. richtigen Seite.
Dank Gerhard Schröder und Joschka Fischer mutierten SPD und Grüne ebenfalls zu Bütteln des Kapitals, waren so gesehen sogar noch übler als ihre konservativen Konkurrenten – diese Verräter! Genau wie Anfang des 20. Jahrhunderts halt…
Doch wir heutigen Linken, häufig gern „Gutmenschen“ genannt, haben rund 100 Jahre später den Kampfgeist verloren. Wir demonstrieren, wir argumentieren und bleiben dabei dennoch ruhig.
Das Ganze gipfelt meiner Ansicht nach darin, dass wir Sonntags den Tatort allein deshalb gucken, weil wir zu träge sind, um uns über die Sendungen auf den anderen Kanälen zu informieren. Wir wissen also, wie die richtige Meinung auszusehen hat und haben es gelernt, dementsprechend zu argumentieren.
Genau wie die Christen schon im alten Rom wussten, was moralisch richtig und falsch ist, wissen dies auch die Linken dieser Tage mit absoluter Gewissheit. Und wie im christlichen Glauben üblich, wird der Antichrist – also die herrschende Klasse – mit quasi religiöser Inbrunst verteufelt. Zu einem heiligen Krieg, wir kennen das aus dem Islam, kann sich der „Gute“ allerdings nicht mehr aufraffen; „Atomkraft nein Danke“ oder ähnliches am Heck des SUV muss da genügen.
Und damit reihen wir uns schön ein in die Menge der kritiklos Konsumierenden, denen lediglich das eigene Hemd am Nächsten ist und die nicht erkennen, dass die Interessen des Kapitals in diesem System immer weiter in den Vordergrund rücken. Im Zweifelsfalle gehen soziale Errungenschaften und womöglich Grundrechte baden, Hauptsache, der „Wirtschaft“ geht es gut.
Doch der Kapitalismus verliert genau dann seine Berechtigung, wenn die Chancengleichheit verloren geht. Wenn die angebliche Freiheit nur noch Makulatur ist. Wenn es wichtiger ist, Banken am Leben zu erhalten als griechische Rentner oder Säuglinge in Krankenhäusern, wie es Anfang diesen Jahres zu beobachten war.
Der Linke weiß das, doch er ist machtlos. Das Desaster mit dem Einknicken von Tsipras nach seinem Referendum zugunsten der europäischen Finanzindustrie hat die aufkeimenden Träume der Linksintellektuellen in Europa platzen lassen, desillusioniert flüchten sie sich ins Engagement für die Flüchtlinge, die als Opfer der Waffenindustrie zu uns strömen und – da lass ich mich nicht von abbringen – das soziale System mittelfristig kollabieren lassen.
Den „oberen Zehntausend“ wird dies egal sein. Der engagierte Linke wird in Zukunft wohl auch sein Auskommen haben und dreht sich mit Abscheu von dem Prekariat und Niedriglöhnern weg. Den Menschen also, die er bislang vorgab zu verteidigen, weil sie nach der reinen Lehre im Kapitalismus benachteiligt sind.
Sind sie ja auch, aber eine zusätzliche Konkurrenz können sie eben nicht gebrauchen und wenden sich hin zu den national gesinnten Idioten, die einfach nur die Flüchtlinge weg haben wollen. Als ob das die Gesellschaft gerechter machen würde.
Für den engagierten und in der Regel gut abgesicherten Linken geht das ja nun mal gar nicht, dieses Überlaufen zu den Rechten. Er versteht das Problem dieser Menschen eben nicht. Ich würde mir ja auch wünschen, dass der klassische Linke Weg der richtige ist, aber ich will die Realitäten eben nicht aus dem Auge verlieren.

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