Freitag, 17. November 2023

Udorallala: Top Songs 18/?

Im Dudel-Radio spielen sie gerne die Hits der 70er oder 80er, doch „meine“ Hits sind da nie dabei. In loser Folge schreibe ich deshalb über einzelne Songs und warum sie so wichtig, bahnbrechend oder anders wie bedeutend sind. Für mich, für Dich, für uns alle.
Ding Dong – That`s my Song!

Strassenjungs - nachts auf Tour
Ich weiß noch, dass Pocke damals die Single „Nachts auf Tour / Birgit O“ hatte und ich bei ihm diesen seinerzeit von der Fachpresse zu Unrecht verschmähten Klassiker gehört hatte. Erst dieses ewig lange wie einfache Gitarrenintro und dann dieser hingerotzte Gesang von Nils Selzer. Auch heute noch genial.
Auf die Straßenjungs bin ich wieder gestoßen, als ich die traurige Nachricht vom Tode Nils Selzers am 4. März diesen Jahres hören musste. 75 Jahre alt ist er geworden. Ebenso wie Peter Hein ist ihm nie die verdiente Anerkennung für die Verdienste um die deutschsprachige Rockmusik zugesprochen worden.
„Nachts auf Tour“ ist der Opener von „Dauerlutscher“, einer der wichtigsten LPs der deutschen Rockgeschichte, welche von der Fachpresse seinerzeit „runtergeschrieben“ worden war.
Der umtriebige Produzent Axel Klopprogge hatte 1977 den Erfolg der Sex Pistols in England verfolgt und wollte in Deutschland ein ähnliches Projekt aufziehen - mit der Gründung der Strassenjungs. Doch Klopprogge besaß nicht die visionäre Kraft eines Malcolm McLaren. Er verstand auch nicht, dass Punkrock weitaus mehr war als anstößige Texte und provokante Kleidung.
Nils Selzer und seine Band wiederum verstanden dies und gründeten nach dem zu erwartenden kommerziellen Misserfolg der CBS-Produktion „Dauerlutscher“ gar eine eigene, bis heute bestehende, Plattenfirma namens Tritt-Records. Dort veröffentlichten sie über die Jahre ihre hervorragenden Produktionen - um Längen mehr Punk und besser als die Toten Hosen, aber dank Selbstständigkeit eben auch ohne Airplay in den Medien.
Für den 1977 doch eher biederen deutschen Rockfan, der Lindenberg oder Westerhagen schon als Elternschreck wähnte, waren folgende Anfangszeilen schon zu viel:


„Spätestens um Mitternacht wird alles zu gemacht
Drehn wir nen Ding zusammen, um an Kohle ranzukommen
Dann wird kräftig eingesackt und noch n Automat geknackt
Aber auch nen schnellen Wagen können wir gut vertragen
Nachts auf Tour, Nachts auf Tour
Nachts auf Tour, Nachts auf Tour
und bloß nicht nach Haus, das zahlt sich aus.“
Der aggressive Gesang von Nils Selzer harmonierte gut mit dem harten Rock`’n‘ Roll der Band, der Beach-Boys gemäße Backgroundchor am Ende des Songs gemahnte an die Ramones, was die Strassenjungs in späteren Jahren noch ausbauen sollten.
Aber was war denn im September 1977, als Dauerlutscher herauskam, in den deutschen Single-Charts los? Ganz vorne befand sich Space mit „Magic Fly“, Baccara belegte gar Platz 2 (Yes Sir, I can Boogie) und 4 (Sorry, I’m a Lady). Dazwischen Donna Summer mit „I feel Love“. Erst auf Platz 9 ging Jürgen Drews „Barfuß durch den Sommer.“
Viele halten ja Udo Lindenberg oder Marius Müller-Westernhagen für diejenigen, die Rockmusik mit deutscher Sprache salonfähig gemacht hatten. Das stimmt sicherlich, wenn man lediglich auf die Wahrnehmbarkeit in den Medien abstellt.
Doch Rockmusik - insbesondere der Punkrock der 70er Jahre - hatte eine soviel tiefere Bedeutung als es Verkaufszahlen ausgedrückt hatten. Schon seit den Anfängen in den 50er Jahren ging es um „Rebellion“ - Auflehnung gegen Eltern und das Establishment, Sex vor der Ehe und Freiheit von gesellschaftlichen Zwängen.
Das machte die Musik so wichtig für die Kids. Natürlich ging es immer nur um die Kohle - die Sex Pistols waren das beste Beispiel dafür. Aber eine Abkehr von dem Mief der bürgerlichen Bonner Republik mit Udo oder Marius? Wohl eher nicht.

„Dauerlutscher“ war aber genau der Sound von desillusionierten Jugendlichen in Deutschland, die nicht so sein wollten wie ihre Alten. Rau und primitiv, obzöne Texte wie in „Ich brauch‘ mein‘ Suff“ waren auch für die 68er Generation nicht erträglich und genau deshalb waren Strassenjungs DIE deutsche Rockband der 70er. Ton, Steine, Scherben waren eben noch zu tief mit der Hippiegeneration verstrickt, als das sie als wilde Rockband durchgehen konnten.
Und dennoch… Als Abwärts oder Mittagspause ihre ersten Platten veröffentlichten, zählten die Strassenjungs nicht mehr zur Fraktion der Rockrebellen, da ihre Musik wohl einfach zu eingängig geworden war. Verrückte Zeiten waren das damals.

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