Freitag, 8. Januar 2021

H. Lecter: Alf

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Alfs große Schwäche waren die süßlichen Liköre. So wie sein Vorbild aus der gleichnamigen Fernsehserie, der permanent auf Katzen scharf war, wurde Alf beim Anblick eines süßen Likörs griffig. Wir sprechen hier über die 20% Dinger, um die ein geübter Trinker wie ich vernünftigerweise einen weiten Bogen macht.
Die Geschichte mit dem Vaihenbacher – der übrigens um die 40 Umdrehungen hatte – wurde mir mehr von Dritten zugetragen, als dass ich es selbst mitbekommen musste. Doch die Geschichte mit dem Pfirsichlikör hatte mir Alf höchstpersönlich erzählt. Von daher sehe ich den Wahrheitsgehalt als sehr hoch an, obgleich Alf auch immer für die eine oder andere Übertreibung gut war.
Alf hatte es mit dem Auto nicht weit nach Hause. Zumeist fuhr er ja mit dem Fahrrad, aber ab und an zwängte er sich hinter das Steuer seines Audi 80. Vom Rathaus bis zu seiner Eigentumswohnung waren es vielleicht vier, maximal fünf Kilometer. Der Rewe befindet sich auf halber Strecke dorthin.
Auch Alf war so ein Typ, der seiner Frau gerne Geschenke mit nach Hause bringt. Ich mache das heute noch gerne, zumeist bringe ich meiner Löwin jedoch weder Blumen noch glitzerndes Geschmeide mit, sondern eher edle Wurst oder Käse. Alf war da aus demselben Holz geschnitzt.
Allerdings war seine Frau weniger für deftige Nahrung zu begeistern. Wie Alf mir „glaubhaft“ versicherte, war seine Frau bekanntlich eine Freundin der fruchtigen Liköre. Vorzugsweise der Sorte zwischen 20 und 30 Prozent Alkoholgehalt. Süß mussten sie sein – also nichts für mich, denn ich trinke ja eher Obstbrände statt Zuckerwasser.
Irgendwann muss es dann wohl an der Zeit gewesen sein, dass Alf auf dem Nachhauseweg bei Rewe anbremsen musste, um seiner Frau eine Freude zu machen. Wohl in dem dortigen Schnapsregal fand er diesen fiesen Pfirsichlikör, Marke „0,7 Liter und dann mach mit mir was Du willst“. Bauchige Flasche mit einer klebrigen, künstlich orange aussehenden Flüssigkeit im Innern… Wenn ich nur daran denke, bekomme ich sofort eine Gänsehaut.
Wie gesagt: Finger weg! Alf war da zugegebenermaßen schmerzfrei und nahm die Pulle mit. Ab ins Auto… und keine fünf Minuten bis nach Hause; inklusive möglicher roter Ampeln. Auf der Strecke vom Parkplatz bis zu sich nach Hause hatte er dann die Flasche komplett weggenagelt. Hinter dem Steuer, während der Fahrt. Quasi auf ex. Ich für mein Teil hätte nicht einmal die gleiche Menge Pfirsichsaft in dieser Zeit runterwürgen können.
Eine andere Begebenheit wurde mir seinerzeit von Gregor, einem Schulfreund und Kollegen von Alf aus dem Rathaus, zugetragen. Es war eine der wenigen Gelegenheiten, bei denen ich mich mit Gregor überhaupt unterhalten hatte. Beruflich sind wir in verschiedenen Gebieten untergebracht, da hatten wir keine Berührungspunkte.
Es muss an irgendeinem Vormittag am Wochenende gewesen sein. Gregor war in seiner Wohnung, als ihm sein Sohn zurief: „Papa, komm schnell gucken. Da liegt ein Mann auf der Straße neben seinem Fahrrad!“
Gregor ging wohl ins Wohnzimmer, guckte auf die Straße und sah dort tatsächlich einen Mann hilflos mitten auf der Straße liegen. Der Mann war klar erkennbar von seinem Fahrrad gefallen und rührte sich kaum, war dazu offensichtlich alkoholisiert.
Gregor schaffte es sofort, seinen aufgeregten Sohn zu beruhigen. „Ach, das ist doch nur Dein (Paten)onkel Alf. Mach Dir keine Sorgen.“ Lapidar… Als ob es das Normalste von der Welt wäre.
Nein, Gregor machte sich wahrlich keine Sorgen um Alf. Ich leider auch nicht, ebenso wenig der Rest der ganzen „Gang“. Egal ob Mike, Max oder Wastl: Wir alle hatten mit Alf gesoffen, ihm vielleicht auch mal ins Gewissen geredet. Ich weiß noch, wie ich einmal wutschnaubend ins Moravia Eck stürmte und wild auf Alf, der besoffen an der Theke abhing, einredete. Er solle doch nicht mehr so viel trinken.
Was für eine blöde Aktion. Alf war da schon viel zu besoffen, um auch nur ansatzweise etwas von meinen „Ratschlägen“ begreifen zu können. Und dann habe ich ja hinterher – vielleicht nicht an jenem Tag – trotzdem mit ihm gesoffen. Geht es noch hohler?
Ein Einziger machte es richtig. Das war Sylvester. Als Vorgesetzter (von uns allen übrigens) zählte er Alf irgendwann direkt an, ohne ihn fassen zu können. Sylvester trank auch nicht mehr mit Alf und machte uns anderen Vorhaltungen, dass wir immer noch mit ihm soffen. Wir hielten uns natürlich nicht dran.
Heute weiß ich, dass allein Sylvester richtig gehandelt hatte. Genützt hatte es aber leider kaum etwas. In späteren Jahren hielt sich Alf nur während der Arbeit zurück. Wenn, dann hatte er heimlich gesoffen.

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