Dienstag, 8. Dezember 2020

H. Lecter: Alf

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Apropos Chef. Auch dieser war ja nicht vollkommen verblödet und wusste über gewisse Vorgänge mehr, als uns allen lieb war und wir jemals zugegeben hätten. Wie jeder gute Chef hatte er seine Informanten in unserer Abteilung, allen voran IM Spritze. Dieser ist leider zwischenzeitlich auch verstorben. An der nachfolgenden Story hatte er jedoch keinen Anteil; sein Part kommt später.
Irgendwann inmitten der 90er ergab es sich, dass der Bär, welcher schon immer ein rühriger Kollega gewesen war, dank guter Verbindungen Liköre und Brände von leckeren Obstsorten über ein Weingut im Südwesten der Republik organisiert hatte. Alf war dies natürlich nicht verborgen geblieben. Daher biss er sofort an.
Der Bär musste Alfs Betteln wohl erhört haben und sah sich genötigt, kurzfristig eine kleine Probierstunde einzuführen. Bei dieser Gelegenheit war ich selbstverständlich auch involviert. Den milden und fruchtigen Geschmack des Obstlers, aber auch den der Mirabelle, habe ich bis heute nicht vergessen können.
Sanft rann der edle Tropfen meine Kehle hinab, ohne dass ich die Mundwinkel aufgrund der Schärfe des Alkohols verziehen musste. Das typische Brennen in der Kehle beim Genuss eines Schnapses mit 40% Alkohol minderte sich auf ein sanftes Prickeln in der Nähe des Kehlkopfs herab.
Alf erging es wohl ähnlich. Noch Wochen danach, wenn ich ihn auf dem Flur traf oder ihn mit dem Bär zusammen sah, entfuhr ihm ein ehrfurchtvolles „Vai – hen –ba –cher“. Keine Frage, nicht nur ich, sondern auch Alf war angefixt worden. Dass ein stadtbekannter Kneipengänger wie Mike, der während seiner Arbeitszeit ebenfalls auf unserem Flur beheimatet war, davon nicht unberührt blieb und ebenfalls Appetit auf Obst verspürte, war wohl bereits voraus zu sehen gewesen.
So kam es, wie es kommen musste: Der Bär bestellte beim Weingut seines Vertrauens die Schnäpse unserer Wahl, was bei Alf eher auf Liköre hinauslief. Denn da hatte Alf ein Faible für; es konnte ihm gar nicht süß und klebrig genug sein. Obwohl er diese eigentlich immer nur für seine Frau bestellt hatte, wie er nicht müde wurde zu betonen.
Irgendwann war die ersehnte Lieferung dann da und der Bär verteilte die Pülleken. Ich kann mich noch gut an die leuchtenden Augen von Alf erinnern, als er seinen Obstler und den Aprikosenlikör für seine Frau entgegennehmen durfte. Für mich hatte ich ebenfalls den Obstler geordert. Eine Mirabelle war da eine gute Ergänzung.
Das Ganze passierte natürlich am frühen Morgen eines Donnerstages, noch vor 9.00 Uhr. Sprechzeit hatten wir da zwar erst ab 14.00 Uhr, aber 9.00 Uhr war seinerzeit ja quasi der Arbeitsbeginn, weil da niemand mehr Zeitung las oder über den Abend vorher quasselte. Auch ich arbeitete meinen Postberg ab 9.00 Uhr ab.
Das Nächste, was ich sah, als ich wohl um 10.00 Uhr mein Büro mal verließ, um irgendetwas
abzuklären, war unser Amtsleiter, den alle nur Mr. Ed nannten. Mr. Ed stürmte grußlos an mir vorbei. Sein linker Zeigefinger steckte dabei in einer leeren Flasche Vaihenbacher. Einer Flasche mit Aprikosenlikör wohlgemerkt.
Den Vorfall musste ich mir anschließend aus Erzählungen von Kollegen zusammen reimen; erleichternd kam hier noch dazu, dass Alf in solchen Situationen immer berechenbar gewesen war. Alf hatte den Aprikosenlikör für seine Frau wohl lediglich probieren wollen und die Flasche nur ganz kurz geöffnet, um einen winzigen Schluck (wie immer direkt; ohne Glas) zu nehmen.
Bestenfalls ein winziges Schlückchen und dann die Flasche wieder zudrehen… Das kennt wohl jeder noch aus seiner Kindheit. Der zwangsläufig folgende zweite Schritt ist sicher auch jedem geläufig: Die nächsten zwei bis drei Schlucke werden durch Hinzufügen von Wasser aus der Leitung kompensiert.
Nun war Alf sicherlich ein großes Kind gewesen, aber irgendwo auch nicht. Ein Auffüllen der angefangenen Flasche mit Wasser kam für ihn da eher nicht in Betracht. Und da er seine Frau mit dem Aprikosenlikör garantiert überraschen wollte, bräuchte er ihr einfach nur nichts von der Lieferung zu erzählen, damit nichts auffällt. Und schwupps – schon hatte er die Pulle quasi auf Ex ausgelutscht.
Schließlich rief seine Kollegin Babett, mittlerweile zu recht voll genervt, Mr. Ed an. Zu dem Zeitpunkt soll Alf schon wieder die Schreibtischunterlage geküsst haben. Nun war es wohl Mr. Ed gewesen, dem die ehrenvolle Aufgabe, Alf aufzuwecken, zufiel. Wie mir später zugetragen wurde, stellte er Alf unmissverständlich vor die Wahl: Entweder begibt er sich sofort ins Nebengebäude zum Amtsarzt oder aber er wird suspendiert und kann dann gleich mit einer deftigen Disziplinarstrafe rechnen.
Alf blieb, so breit er auch war, vernünftig und ging zum Amtsarzt, der ihn nach seiner Untersuchung sofort nach Hause schickte. Aber das er die komplette Flasche Likör – 1 Liter bei über 40 Umdrehungen! – in den Kopp knallt, hatte der Bär nicht voraussehen können. Mike oder ich hätten das vielleicht erkennen müssen, aber wir waren beide damals selbst nicht vernünftig gewesen, wie ich zu meinem Leidwesen zugeben muss.

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