Samstag, 8. August 2020

H. Lecter: Alf

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Da erinnere ich mich doch schon lieber an den 50. Geburtstag von Wastl. Das war im Herbst 1994, also eine ganze Ecke früher als Gran Canaria. In jenen Jahren war Wastl noch Miteigentümer des Köludu (König Ludwig Dunkel) im Schlemmermarkt, wo auch die leckere Knoblauchbockwurst von Schridde verkauft wurde.
Natürlich nicht in der Kneipe, sondern am Stand des Schlachters in der Halle. Das Köludu hatte einen eigenen Eingang. Auf alle Fälle existiert das Gebäude heute nicht mehr. Es wurde zugunsten eines Neubaus für die Nord/LB und die Salzgitter Zeitung abgerissen. Schade, denn in der Halle herrschte reger Betrieb; auch der Vietnamese fand regen Zulauf mit seinem Imbiss.
Nun gut, der Geburtstag. Wastl hatte uns zu seiner großen Feier eingeladen. Uns – das waren Mike, Sylvester, Alf und ich. Schön an einem Samstagmittag, aber nicht in seiner Kneipe, sondern… ja wo eigentlich? In der Begegnungsstätte im Strumpfwinkel vielleicht? Jedenfalls waren dort alle „wichtigen“ Leute der Stadtverwaltung eingeladen. Außer meinen „Kameraden“ kannte ich allerdings niemanden.
Sicherlich hatte ich den einen oder anderen schon mal gesehen, aber ich war natürlich froh, dass wir an einem Tisch saßen, der etwas abseits stand. Mit dem Essen hielten wir uns nicht sehr lange auf, wir konzentrierten uns auf das Bier. Sylvester und Mike hatten dabei ein Tempo drauf, bei dem selbst ich nicht mithalten konnte.
Man gut, dass Wastl sich vorrangig um die anderen Gäste kümmern musste. Denn Wastl ist einer von den Kandidaten, die ein 0,5 Liter Weizen schon mal in einem Rutsch austrinken können. Auf alle Fälle immer schneller, als ich ein 0,3 Liter Pils geleert bekomme. Wir sahen ihn quasi gar nicht, nur einmal setzte er sich für fünf Minuten kurz zu uns.
Es blieb jedenfalls nicht lange so gediegen, irgendwann gingen wir scharf. Vielleicht war es Alf, doch wahrscheinlicher Sylvester, der zu der Zeit bereits unser Chef war. Da stand sie dann vor uns, die erste Runde Tequila. Schön den Weißen mit Salz und Zitrone. Sind aber auch immer schnell weg, diese kleinen Gläschen. Da mussten wir schnell nachordern.
Runde um Runde bestellten wir auf Wastls Kosten, die Biere zum Nachspülen vergaßen wir nicht. An das Buffett gingen wir nicht hin, wir hatten ja Zitronen. Nach und nach wurde die Stimmung immer leichter und unsere Zungen schwerer. Von den anderen Gästen kam niemand auch nur kurz an unseren Tisch. Wir waren sozusagen Persona non Grata.
Auf alle Fälle hatten wir gut gebechert, bis die Zeit zum Aufbruch kam. Wir waren zusammen zu Wastl gegangen und gingen zusammen wieder weg, wobei ich etwas hinten dran war. Vor dem Ausgang stehend, blickte ich nochmal in den großen Saal zurück auf die Leute, die dort saßen. Die Creme de la Creme des Rathauses war dort versammelt. Wastls Kollegen aus dem Tiefbauamt, das halbe Personalamt nebst Dezernenten… Spätestens ab jetzt kannte man auch mein Gesicht im gesamten Rathaus.
Und damit mich auch ja niemand vergaß, kotzte ich erstmal den Tequila nebst Zitronen auf den grauen Boden des Saals; auf dieser Tanzfläche würde an Wastls Geburtstag keiner mehr tanzen. Wie im Tran, aber natürlich geistesgegenwärtig, fingerte ich nach meinen Papiertaschentüchern, um meinen Auswurf auf dem Fußboden besser verteilen zu können. Mike, Alf und Sylvester bekamen das schon nicht mehr mit, da sie sich draußen bereits auf den Weg zu Mikes Wohnung gemacht hatten.
Wenigstens genoss ich jetzt die Aufmerksamkeit sämtlicher Anwesenden. Eine Serviererin konnte es allerdings bald nicht mehr mit ansehen und kam mit einem Lappen vorbei. Während ich mühsam aufstand und der Serviererin beim Putzen zusah, war Wastl auch schon herangestürmt und verabschiedete mich persönlich. Die anderen hatte er nicht verabschiedet. Ein netter Zug von ihm.
Draußen holte ich die anderen ein und zusammen gingen, besser stolperten, wir durch die Lebenstedter Straßen in Richtung zur Wohnung von Mike. Die Sportschau wollten wir noch zusammen gucken. Nach einigen Pinkelpausen an den uns entgegen kommenden Bäumen waren wir beinahe bei Mike angekommen.
Hier erhielt Alf noch die Gelegenheit sich auszuzeichnen. Wahrscheinlich durch die frische Luft angeregt, nutzte er die gesamte Breite des Fußweges zur Fortbewegung. Und irgendwann zog die Schwerkraft ihn derart zur Seite, dass er rechts durch die Hecke brach, wobei er laut juchzend auf dem Rasen dahinter landete. Zum Glück war der Eingang zu Mikes Wohnung in Sichtweite, so dass er die Tür auf allen Vieren leicht erreichen konnte.
Am Ende saßen wir 4 in Mikes Wohnzimmer vor dem Fernseher, jeder hatte eine Pulle Bier vor sich stehen. Offen, aber voll. Denn wir tranken zur Sportschau nichts mehr. Wir waren einfach weggeschlummert.

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